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NRW-Landesregierung überlässt Rechtsradikalen das Feld
Sozialpolitik nach Rüttgers Art
Von Hans-Dieter Hey
Klagen über Klagen
Unterschriften gegen Rüttgers Kahlschlag
Seit gut 25 Jahren gibt es in Nordrhein-Westfalen die erfolgreiche Arbeit von Beratungsstellen für Erwerbslose, ohne die sie – besonders in Zeiten von Hartz IV – regelrecht verraten und verkauft wären. Vor allem, weil die Beratung in den Arbeitsagenturen häufig Anlass zu Beschwerden über falsche Auskünfte und ungerechte Behandlungen bietet. Die Auswüchse können dabei gelegentlich ins Extreme gehen. Während zum Beispiel eine Mitarbeiterin der Firma KIK mit Hilfe der Gewerkschaft ver.di wegen Zahlung eines sittenwidrigen Lohnes von 5,20 Euro vor Gericht eine hohe Nachzahlung erstritt, vermittelt die Bundesagentur für Arbeit ohne große Not Arbeitsverträge, die einen sittenwidrigen Stundenlohn von 3 Euro enthalten haben sollen. Bürgerbeauftragte in den Gemeinden verlangen wegen dieses immer wieder neuen Desasters bereits öffentliche Beschwerdestellen für amtlich drangsalierte Hartz-IV-Empfänger. Im letzten Jahr reichten 764.000 Betroffene Klage bei Gericht ein, das waren 42 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Immerhin konnte im vergangenen Jahr in NRW über 100.000 Ratsuchenden in 65 Beratungsstellen und 75 Arbeitslosenzentren mit fachlichem und menschlichem Rat geholfen werden. Und während Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, deshalb fordert: „Wer auf Hartz IV angewiesen ist, sollte unbedingt wissen, welche Leistungen im zustehen", hat die Landesregierung offenbar kein Interesse an einer qualifizierten Information durch die unabhängigen Beratungszentren. Deshalb nahm sie die Kürzung der Beratungsmittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) um jährlich ca. 4,6 Mio. Euro zum Anlass, den Beratungszentren spätestens zum Jahresende den Garaus zu machen. Noch am 13. Februar hatten SPD und Grüne im Landtag mit ihrer Drucksache Drs. 14/4866 zur Sicherung des Leistungsangebots und der Arbeitslosenzentren vergeblich versucht, zu retten was zu retten ist. Die Hoffnung auf ein Einlenken von Ministerpräsident Rüttgers (CDU) war vergeblich.
Massiver Protest gegen Rüttgers Kahlschlagpolitik
Auch Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbände, Kirchen, das „Netzwerk unabhängiger Sozialberatung in NRW" und Unterstützer laufen Sturm gegen die Entscheidung von NRW-Arbeitsminister Günter Laumann (CDU), der ansonsten gern im Fernsehen seine Betroffenheit über Arbeitslosigkeit und Armut zur Schau trägt. Michael Klein vom Erwerbslosenzentrum in Dorsten spricht von einer „gewollten Entrechtung der Mittellosen". Im Märkischen Kreis forderte DIE.LINKE bereits im November 2007 erfolglos, neue Voraussetzungen für die Förderung der Beratungsstelle in Iserlohn zu schaffen. Sie verweist darauf, dass die Arbeitsagenturen aus eigener Kraft die Lücke, die durch eine Schließung der Beratungsstelle entsteht, nicht füllen können. Auch anderenorts dürfte ohne unabhängige Beratungszentren eine Hilfe und Beratung Erwerbsloser kaum möglich sein.
Engagement für amtlich Ausgegrenzte: das Kölner Beratungsnetz
Wie ungerecht mit dieser Situation umgegangen wird, zeigt das Beispiel Solingen. Während man für die rechtliche Beratung der Swap-Zockereien des Stadtkämmerers aus dem Steuersäckel schnell mal größere Beträge für eine namhafte Kanzlei locker macht, lässt CDU-Ratsmitglied Rita Pickart verlautbaren, dass die Stadt für die Beratung Erwerbsloser keine Chance sieht, so das „Solinger Tageblatt". So mutiert die Kaputtsparerei an den Beratungszentren langsam zu einem unkontrollierbaren Sozialdesaster, wenn keine sichere Finanzierung mehr gelingt. Denn über Spenden oder Altkleider-Sammlungen sind die hochqualifiziert arbeitenden Beratungsstellen allein nicht finanzierbar.
Köln: Ordnungsamt wollte Meinungsfreiheit untersagen
Ob in Mönchengladbach, Krefeld, Aachen, Düren, Heinsberg, Dortmund, Bonn, Wuppertal oder Köln – überall im Lande stehen die Beratungsstellen vor dem Ende. Deshalb wurde am Dienstag protestiert – so auch vor dem Kölner Dom. Zum Eklat kam es, als das Kölner Ordnungsamt den Demonstrierenden verbieten wollte, ihre Protestinformationen zu verteilen. Grund: Wegen des Windes bestünde die Gefahr der Verwehung der Informationen auf die Domplatte. In völlig missverstandener Güterabwägung hat das Ordnungsamt diese Lächerlichkeit vor das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gestellt, das es selbst auch noch in der amtlichen Genehmigung ausdrücklich mitgenehmigt hatte.
BeraterInnen Kölner Sozialberatungen: Bei Arbeitslosigkeit demnächst gegenseitig beraten?
Foto: gesichter zeich(ch/g)en
Dabei sollte das Flugblatt schlicht auf die drohenden Schließungen der Beratungszentren hinweisen. Diplom-Sozialarbeiterin Stella Krause vom Beratungszentrum Pfingster Treff: „Das professionelle Beratungsnetz, was hier in Köln seit 25 Jahren besteht, würde komplett geschlossen. Die Leute wären darauf angewiesen, nur die Beratung der Arbeitsgemeinschaften zu bekommen, und das ist viel zu wenig. Betroffen wären in Köln davon drei Beratungsstellen und vier Beratungszentren, die mit Mitteln aus dem ESF gefördert werden." Auch Walter Mombauer vom Kölner Arbeitslosenzentrum KALZ macht sich Sorgen: „"Wenn es keine alternative Förderung gibt, werden wir unsere Vollzeitstelle leider streichen müssen. Dann bleibt nur noch eine 30-Stunden-Stelle. Zu wenig, um eine sinnvolle Sozialberatung machen zu können. Es wäre praktisch die Einstellung unserer 25jährigen Arbeit."
Die drohenden Schließungen werden in Köln durchaus als Skandal wahrgenommen und viele Angesprochene reagierten entrüstet: „Für das Soziale wird bei uns viel zu wenig Geld ausgegeben. Sozialberatung ist auch Prävention, und dass hier immer weiter gekürzt wird, ist ein Skandal." – „Wie soll ich mich denn als Bürger wehren können, wenn es keine Beratungsstellen mehr gibt? Unmöglich ist das!" – „Ich finde das einfach mies. Immer wird an der falschen Stelle gespart. Rüttgers macht in NRW eine schlechte Politik". – „Ich bin selber nicht in der Situation. Aber das ist auf jeden Fall zu verurteilen und nicht akzeptabel. Wenn keine Alternative angeboten wird, ist das ein großer Bull-Shit. Das Ganze ist eine geschickt eingefädelte Geschichte, um die Leute mundtot zu machen".
Landesregierung überlässt Rechtsradikalen die Sozialberatung
Offensichtlich hat die CDU-geführte Landesregierung unter Jürgen Rüttgers – der sich gern sozial gibt und medial gefeiert mit dem Dalai Lama zusammentrifft – das Pulverfass nicht erkannt, um dass es wirklich geht. Denn die Beratungszentren beraten längst nicht nur Erwerbslose. Sie sind inzwischen fester Anlaufpunkt und Halt für von Arbeitslosigkeit Bedrohte, Mini- und Ein-Euro-Jobber, Geringverdiener oder Aufstocker. Sie bieten längst qualifizierte Unterstützung für Alkoholabhängige oder Suchtgefährdete an oder helfen sozial ausgegrenzten Menschen aus der politisch verursachten Vereinzelung durch Hartz IV.
Wenn nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts die Arbeitsagenturen künftig entfallen und eine Neuorganisation der Verwaltungsstrukturen stattfinden muss, wird man dies garantiert ebenfalls zu Einsparungszwecken in der Beratung nutzen. Fällt dann der letzte menschliche Anker der unabhängigen Beratungsstellen und Arbeitslosenzentren weg, werden die Betroffenen mit einer politischen Kaltschnäuzigkeit ohne Gleichen hilflos auf sich gestellt sein. Und in Berlin und Düsseldorf wird in Kauf genommen, dass Rechtsradikale das politisch vernachlässigte Feld besetzen, was vielfach längst akzeptiert wird. Harald Thomé, Vorsitzender des Wuppertaler Tacheles e.V., warnt daher: „Die NPD und andere rechtsradikale Gruppierungen haben die Sozialberatung längst als fruchtbares Feld für ihre menschenverachtende Propaganda entdeckt. Sie würden sofort in die entstehende Lücke hineindrängen. Das sind keine Horror-Szenarien, das ist in verschiedenen Orten der Republik mittlerweile Gang und Gäbe!“ (PK)
Online-Flyer Nr. 147 vom 21.05.2008
NRW-Landesregierung überlässt Rechtsradikalen das Feld
Sozialpolitik nach Rüttgers Art
Von Hans-Dieter Hey
Klagen über Klagen
Unterschriften gegen Rüttgers Kahlschlag
Immerhin konnte im vergangenen Jahr in NRW über 100.000 Ratsuchenden in 65 Beratungsstellen und 75 Arbeitslosenzentren mit fachlichem und menschlichem Rat geholfen werden. Und während Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, deshalb fordert: „Wer auf Hartz IV angewiesen ist, sollte unbedingt wissen, welche Leistungen im zustehen", hat die Landesregierung offenbar kein Interesse an einer qualifizierten Information durch die unabhängigen Beratungszentren. Deshalb nahm sie die Kürzung der Beratungsmittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) um jährlich ca. 4,6 Mio. Euro zum Anlass, den Beratungszentren spätestens zum Jahresende den Garaus zu machen. Noch am 13. Februar hatten SPD und Grüne im Landtag mit ihrer Drucksache Drs. 14/4866 zur Sicherung des Leistungsangebots und der Arbeitslosenzentren vergeblich versucht, zu retten was zu retten ist. Die Hoffnung auf ein Einlenken von Ministerpräsident Rüttgers (CDU) war vergeblich.
Massiver Protest gegen Rüttgers Kahlschlagpolitik
Auch Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbände, Kirchen, das „Netzwerk unabhängiger Sozialberatung in NRW" und Unterstützer laufen Sturm gegen die Entscheidung von NRW-Arbeitsminister Günter Laumann (CDU), der ansonsten gern im Fernsehen seine Betroffenheit über Arbeitslosigkeit und Armut zur Schau trägt. Michael Klein vom Erwerbslosenzentrum in Dorsten spricht von einer „gewollten Entrechtung der Mittellosen". Im Märkischen Kreis forderte DIE.LINKE bereits im November 2007 erfolglos, neue Voraussetzungen für die Förderung der Beratungsstelle in Iserlohn zu schaffen. Sie verweist darauf, dass die Arbeitsagenturen aus eigener Kraft die Lücke, die durch eine Schließung der Beratungsstelle entsteht, nicht füllen können. Auch anderenorts dürfte ohne unabhängige Beratungszentren eine Hilfe und Beratung Erwerbsloser kaum möglich sein.
Engagement für amtlich Ausgegrenzte: das Kölner Beratungsnetz
Wie ungerecht mit dieser Situation umgegangen wird, zeigt das Beispiel Solingen. Während man für die rechtliche Beratung der Swap-Zockereien des Stadtkämmerers aus dem Steuersäckel schnell mal größere Beträge für eine namhafte Kanzlei locker macht, lässt CDU-Ratsmitglied Rita Pickart verlautbaren, dass die Stadt für die Beratung Erwerbsloser keine Chance sieht, so das „Solinger Tageblatt". So mutiert die Kaputtsparerei an den Beratungszentren langsam zu einem unkontrollierbaren Sozialdesaster, wenn keine sichere Finanzierung mehr gelingt. Denn über Spenden oder Altkleider-Sammlungen sind die hochqualifiziert arbeitenden Beratungsstellen allein nicht finanzierbar.
Köln: Ordnungsamt wollte Meinungsfreiheit untersagen
Ob in Mönchengladbach, Krefeld, Aachen, Düren, Heinsberg, Dortmund, Bonn, Wuppertal oder Köln – überall im Lande stehen die Beratungsstellen vor dem Ende. Deshalb wurde am Dienstag protestiert – so auch vor dem Kölner Dom. Zum Eklat kam es, als das Kölner Ordnungsamt den Demonstrierenden verbieten wollte, ihre Protestinformationen zu verteilen. Grund: Wegen des Windes bestünde die Gefahr der Verwehung der Informationen auf die Domplatte. In völlig missverstandener Güterabwägung hat das Ordnungsamt diese Lächerlichkeit vor das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gestellt, das es selbst auch noch in der amtlichen Genehmigung ausdrücklich mitgenehmigt hatte.
BeraterInnen Kölner Sozialberatungen: Bei Arbeitslosigkeit demnächst gegenseitig beraten?
Foto: gesichter zeich(ch/g)en
Dabei sollte das Flugblatt schlicht auf die drohenden Schließungen der Beratungszentren hinweisen. Diplom-Sozialarbeiterin Stella Krause vom Beratungszentrum Pfingster Treff: „Das professionelle Beratungsnetz, was hier in Köln seit 25 Jahren besteht, würde komplett geschlossen. Die Leute wären darauf angewiesen, nur die Beratung der Arbeitsgemeinschaften zu bekommen, und das ist viel zu wenig. Betroffen wären in Köln davon drei Beratungsstellen und vier Beratungszentren, die mit Mitteln aus dem ESF gefördert werden." Auch Walter Mombauer vom Kölner Arbeitslosenzentrum KALZ macht sich Sorgen: „"Wenn es keine alternative Förderung gibt, werden wir unsere Vollzeitstelle leider streichen müssen. Dann bleibt nur noch eine 30-Stunden-Stelle. Zu wenig, um eine sinnvolle Sozialberatung machen zu können. Es wäre praktisch die Einstellung unserer 25jährigen Arbeit."
Die drohenden Schließungen werden in Köln durchaus als Skandal wahrgenommen und viele Angesprochene reagierten entrüstet: „Für das Soziale wird bei uns viel zu wenig Geld ausgegeben. Sozialberatung ist auch Prävention, und dass hier immer weiter gekürzt wird, ist ein Skandal." – „Wie soll ich mich denn als Bürger wehren können, wenn es keine Beratungsstellen mehr gibt? Unmöglich ist das!" – „Ich finde das einfach mies. Immer wird an der falschen Stelle gespart. Rüttgers macht in NRW eine schlechte Politik". – „Ich bin selber nicht in der Situation. Aber das ist auf jeden Fall zu verurteilen und nicht akzeptabel. Wenn keine Alternative angeboten wird, ist das ein großer Bull-Shit. Das Ganze ist eine geschickt eingefädelte Geschichte, um die Leute mundtot zu machen".
Landesregierung überlässt Rechtsradikalen die Sozialberatung
Offensichtlich hat die CDU-geführte Landesregierung unter Jürgen Rüttgers – der sich gern sozial gibt und medial gefeiert mit dem Dalai Lama zusammentrifft – das Pulverfass nicht erkannt, um dass es wirklich geht. Denn die Beratungszentren beraten längst nicht nur Erwerbslose. Sie sind inzwischen fester Anlaufpunkt und Halt für von Arbeitslosigkeit Bedrohte, Mini- und Ein-Euro-Jobber, Geringverdiener oder Aufstocker. Sie bieten längst qualifizierte Unterstützung für Alkoholabhängige oder Suchtgefährdete an oder helfen sozial ausgegrenzten Menschen aus der politisch verursachten Vereinzelung durch Hartz IV.
Wenn nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts die Arbeitsagenturen künftig entfallen und eine Neuorganisation der Verwaltungsstrukturen stattfinden muss, wird man dies garantiert ebenfalls zu Einsparungszwecken in der Beratung nutzen. Fällt dann der letzte menschliche Anker der unabhängigen Beratungsstellen und Arbeitslosenzentren weg, werden die Betroffenen mit einer politischen Kaltschnäuzigkeit ohne Gleichen hilflos auf sich gestellt sein. Und in Berlin und Düsseldorf wird in Kauf genommen, dass Rechtsradikale das politisch vernachlässigte Feld besetzen, was vielfach längst akzeptiert wird. Harald Thomé, Vorsitzender des Wuppertaler Tacheles e.V., warnt daher: „Die NPD und andere rechtsradikale Gruppierungen haben die Sozialberatung längst als fruchtbares Feld für ihre menschenverachtende Propaganda entdeckt. Sie würden sofort in die entstehende Lücke hineindrängen. Das sind keine Horror-Szenarien, das ist in verschiedenen Orten der Republik mittlerweile Gang und Gäbe!“ (PK)
Online-Flyer Nr. 147 vom 21.05.2008