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Globales
Chomsky: „US-Raketenabwehrsystem“ kommt Kriegserklärung gleich
Existentielle Bedrohung
Von Christian Heinrici
Mutiger Protest – Tamas und Bednar nach einigen Tagen Hungerstreik
Foto: Ne Základnám
Seitdem Anfang 2007 die Verhandlungen zwischen den USA und den Regierungen Tschechiens und Polens über die Errichtung zwei neuer Militärbasen öffentlich bekannt wurden, regt sich in beiden Ländern Widerstand. Als Teil des US-amerikanischen „Abwehrsystems“ sollen bei Slupsk, im polnischen Pommern, 230 Kilometer östlich von Usedom, die Abfangraketen, in der böhmischen Region Brdy die dazu gehörende Radaranlage installiert werden.
Internationale Solidarität
Laut Umfrageergebnissen sind in Polen eine Mehrheit gegen das Projekt, in Tschechien sind es über 65 Prozent. Die Prager Friedensaktivisten von „Ne Základnám“ (Nein zu den Militärbasen), die seit letztem Jahr durch Großdemos und unzählige Aktionen auf sich aufmerksam machten, sammelten bis Redaktionsschluss knapp 90.000 Unterschriften für eine Petition an das Tschechische Parlament.
Star Wars: sogenannte „Peacekeeper Missiles" im Test
Verschiedene Prominente, darunter Michael Gorbatschow, Noam Chomsky und Kate Hudson hatten ihre Solidarität bekundet. Der Bürgermeister von Trokavec, dem Ort, in dem das US-amerikanische Radar installiert werden soll, hatte sich dem Hungerstreik für einen Tag angeschlossen, so auch zahlreiche Aktivisten aus 18 Europäischen Städten in Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland, der Schweiz, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Großbritannien und Ungarn.
Das alles kümmert die Tschechische Regierung offensichtlich wenig: Im Gegenteil, man lancierte eine Diffamierungskampagne, die alte Ressentiments und Ängste schüren sollte. Der tschechische Staatschutz behauptete, die Friedensinitiative sei von Moskau finanziert. „Mlada Fronta Dnes“, die auflagenstärkste tschechische Zeitung und nach eigener Darstellung ein „Qualitätsblatt“, das zur Unternehmensgruppe „Rheinische Post“ gehört, griff die „Argumente“ nur allzu gerne auf.
Aktivisten von Ne Základnám vor Rheinisch-Bergischer Unternehmensgruppe in Prag | Foto: Ne Základnám
„Wir haben nichts zu verbergen, was ist mit euch?!“ protestierten die Aktivisten von Ne Základnám in einer aufsehenerregenden Aktion am 17. Mai, nur mit Bikini und Badehose bekleidet vor dem Zeitungsgebäude. „Es geht nicht an, dass die Tageszeitung und einige andere Medien, die von ein und derselben deutschen Holding kontrolliert werden, sich offen in die inneren demokratischen Angelegenheiten Tschechiens einmischen!“, kritisierte Ivona Novomestská als Sprecherin des Friedensbündnisses.
Wie man die Reihen schließt
Die Regierung Tschechiens, die aus einer Koalition von Wirtschaftsliberalen Christlich-Konservativen und Grünen besteht, verfügt nur aufgrund von Absprachen mit zwei sozialdemokratischen Abgeordneten über eine hauchdünne Parlamentsmehrheit. So geht es ihr in diesen Tagen offensichtlich darum, „ihre Reihen fest zu schließen“ und das Raketenprojekt in einen NATO-Rahmen zu stellen – vor allem wegen der tschechischen Grünen, die bei der bevorstehenden Parlamentsabstimmung als Wackelkandidaten gelten. Verteidigungsministerin Parkanová erklärte, man habe sich auf dem NATO-Gipfel in Bukarest im April darauf „geeinigt, dass eine Bedrohung existiert und dass die US-Raketenabwehr die europäische Sicherheit verstärkt.“
Freundliche Gesten: Tschechischer Premier Topolanek und de Hoop Scheffer erklären, wie man abstimmen muss | Foto: Ludek Krusinsky
Parkanová erhielt internationale Schützenhilfe: Anstatt Condoleezza Rice, die ihre Pragreise zur Unterzeichnung des Vertrags angeblich wegen „Terminschwierigkeiten“ absagen musste, kam NATO Generalsekretär de Hoop Scheffer am 5. Mai nach Prag, um die tschechischen Parlamentarier „richtig“ einzustimmen: „Ich bin heute nicht nach Tschechien gekommen, um in etwas einzugreifen, was im Land selbst entschieden werden muss. Das ist Aufgabe der tschechischen Regierung und des tschechischen Parlaments. Ich sage aber trotzdem: Wenn man zustimmt, dass es diese Bedrohung gibt, wenn man auch das Prinzip akzeptiert, dass Sicherheit nicht teilbar ist... dann muss man auch zustimmen, dass eine Antwort auf die Bedrohung durch ballistische Raketen gefunden werden muss.“, sagte der niederländische Konservative.
„Angriff ist die beste Verteidigung“
Auch der deutsche Verteidigungsminister wurde zum Pragtouristen: Franz-Josef Jung sagte bei einem Treffen mit seiner tschechischen Amtskollegin am 16. Mai über das geplante „Missile Defense-System“ (MD), es habe eine „Schutzfunktion für Europa“, und er stünde „einer NATO MD-Fähigkeit unter Einbeziehung der geplanten USA MD-Elemente in Europa aufgeschlossen gegenüber. Missile Defence richtet sich nicht gegen Russland“, schloss der Minister beschwichtigend.
Dazu hat er auch allen Grund, denn das angebliche Verteidigungssystem hatte schon in der Planungsphase für erhebliche Irritationen mit Russland und China gesorgt, von einem sich abzeichnenden neuen Wettrüsten ganz abgesehen. Russland hatte das Raketenschild zum Anlass genommen, den KSE Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa zu kündigen.
Noam Chomsky
Foto: Duncan Rawlinson
Der bekannte US-amerikanische Linguist und Intellektuelle Noam Chomsky brachte es auf den Punkt: „das Installieren eines Raketenabwehrsystems der USA in Osteuropa kommt praktisch einer Kriegserklärung gleich, es ist ein Instrument zur Beherrschung der Welt.“ Chomsky bekannte seine Bewunderung und Solidarität mit den beiden hungerstreikenden Humanisten und sagte, „Missile Defense“ müsse sehr wohl in Anführungsstriche gesetzt werden, denn jeder Stratege sehe in dem System eindeutig eine Angriffswaffe. (CH)
Online-Flyer Nr. 147 vom 21.05.2008
Chomsky: „US-Raketenabwehrsystem“ kommt Kriegserklärung gleich
Existentielle Bedrohung
Von Christian Heinrici
Mutiger Protest – Tamas und Bednar nach einigen Tagen Hungerstreik
Foto: Ne Základnám
Seitdem Anfang 2007 die Verhandlungen zwischen den USA und den Regierungen Tschechiens und Polens über die Errichtung zwei neuer Militärbasen öffentlich bekannt wurden, regt sich in beiden Ländern Widerstand. Als Teil des US-amerikanischen „Abwehrsystems“ sollen bei Slupsk, im polnischen Pommern, 230 Kilometer östlich von Usedom, die Abfangraketen, in der böhmischen Region Brdy die dazu gehörende Radaranlage installiert werden.
Internationale Solidarität
Laut Umfrageergebnissen sind in Polen eine Mehrheit gegen das Projekt, in Tschechien sind es über 65 Prozent. Die Prager Friedensaktivisten von „Ne Základnám“ (Nein zu den Militärbasen), die seit letztem Jahr durch Großdemos und unzählige Aktionen auf sich aufmerksam machten, sammelten bis Redaktionsschluss knapp 90.000 Unterschriften für eine Petition an das Tschechische Parlament.
Star Wars: sogenannte „Peacekeeper Missiles" im Test
Verschiedene Prominente, darunter Michael Gorbatschow, Noam Chomsky und Kate Hudson hatten ihre Solidarität bekundet. Der Bürgermeister von Trokavec, dem Ort, in dem das US-amerikanische Radar installiert werden soll, hatte sich dem Hungerstreik für einen Tag angeschlossen, so auch zahlreiche Aktivisten aus 18 Europäischen Städten in Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland, der Schweiz, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Großbritannien und Ungarn.
Das alles kümmert die Tschechische Regierung offensichtlich wenig: Im Gegenteil, man lancierte eine Diffamierungskampagne, die alte Ressentiments und Ängste schüren sollte. Der tschechische Staatschutz behauptete, die Friedensinitiative sei von Moskau finanziert. „Mlada Fronta Dnes“, die auflagenstärkste tschechische Zeitung und nach eigener Darstellung ein „Qualitätsblatt“, das zur Unternehmensgruppe „Rheinische Post“ gehört, griff die „Argumente“ nur allzu gerne auf.
Aktivisten von Ne Základnám vor Rheinisch-Bergischer Unternehmensgruppe in Prag | Foto: Ne Základnám
„Wir haben nichts zu verbergen, was ist mit euch?!“ protestierten die Aktivisten von Ne Základnám in einer aufsehenerregenden Aktion am 17. Mai, nur mit Bikini und Badehose bekleidet vor dem Zeitungsgebäude. „Es geht nicht an, dass die Tageszeitung und einige andere Medien, die von ein und derselben deutschen Holding kontrolliert werden, sich offen in die inneren demokratischen Angelegenheiten Tschechiens einmischen!“, kritisierte Ivona Novomestská als Sprecherin des Friedensbündnisses.
Wie man die Reihen schließt
Die Regierung Tschechiens, die aus einer Koalition von Wirtschaftsliberalen Christlich-Konservativen und Grünen besteht, verfügt nur aufgrund von Absprachen mit zwei sozialdemokratischen Abgeordneten über eine hauchdünne Parlamentsmehrheit. So geht es ihr in diesen Tagen offensichtlich darum, „ihre Reihen fest zu schließen“ und das Raketenprojekt in einen NATO-Rahmen zu stellen – vor allem wegen der tschechischen Grünen, die bei der bevorstehenden Parlamentsabstimmung als Wackelkandidaten gelten. Verteidigungsministerin Parkanová erklärte, man habe sich auf dem NATO-Gipfel in Bukarest im April darauf „geeinigt, dass eine Bedrohung existiert und dass die US-Raketenabwehr die europäische Sicherheit verstärkt.“
Freundliche Gesten: Tschechischer Premier Topolanek und de Hoop Scheffer erklären, wie man abstimmen muss | Foto: Ludek Krusinsky
Parkanová erhielt internationale Schützenhilfe: Anstatt Condoleezza Rice, die ihre Pragreise zur Unterzeichnung des Vertrags angeblich wegen „Terminschwierigkeiten“ absagen musste, kam NATO Generalsekretär de Hoop Scheffer am 5. Mai nach Prag, um die tschechischen Parlamentarier „richtig“ einzustimmen: „Ich bin heute nicht nach Tschechien gekommen, um in etwas einzugreifen, was im Land selbst entschieden werden muss. Das ist Aufgabe der tschechischen Regierung und des tschechischen Parlaments. Ich sage aber trotzdem: Wenn man zustimmt, dass es diese Bedrohung gibt, wenn man auch das Prinzip akzeptiert, dass Sicherheit nicht teilbar ist... dann muss man auch zustimmen, dass eine Antwort auf die Bedrohung durch ballistische Raketen gefunden werden muss.“, sagte der niederländische Konservative.
„Angriff ist die beste Verteidigung“
Auch der deutsche Verteidigungsminister wurde zum Pragtouristen: Franz-Josef Jung sagte bei einem Treffen mit seiner tschechischen Amtskollegin am 16. Mai über das geplante „Missile Defense-System“ (MD), es habe eine „Schutzfunktion für Europa“, und er stünde „einer NATO MD-Fähigkeit unter Einbeziehung der geplanten USA MD-Elemente in Europa aufgeschlossen gegenüber. Missile Defence richtet sich nicht gegen Russland“, schloss der Minister beschwichtigend.
Dazu hat er auch allen Grund, denn das angebliche Verteidigungssystem hatte schon in der Planungsphase für erhebliche Irritationen mit Russland und China gesorgt, von einem sich abzeichnenden neuen Wettrüsten ganz abgesehen. Russland hatte das Raketenschild zum Anlass genommen, den KSE Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa zu kündigen.
Noam Chomsky
Foto: Duncan Rawlinson
Online-Flyer Nr. 147 vom 21.05.2008