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Aktueller Online-Flyer vom 22. November 2024  

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Arbeit und Soziales
Neoliberalismus als Wegbereiter für Rasissmus und Standortnationalismus?
Marktradikalismus und Rechtsextremismus – Teil 1/4
Von Prof. Dr. Christoph Butterwegge

Erstmals werden die verschiedenen Ansätze der Neoliberalismusforschung im deutschsprachigen Raum unter verschiedenen Perspektiven gebündelt dargestellt. Bemerkenswert erscheint dabei der Zusammenhang zwischen dem neoliberalen Projekt und dem wachsenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Der Kölner Poltikwissenschaftler Christoph Butterwegge kennt sich in beiden Themen bestens aus und stellt uns einen Text aus seinem neuen Buch zur Verfügung. Die Redaktion.

Die neoliberale Hegemonie als Gefahr für die Demokratie

Da die Ideologie des Neoliberalismus, vermittelt über einflussreiche Akteure, Träger und Medien, alle Poren der Gesellschaft durchdrungen und selbst Eingang in Gewerkschaften, Kirchen und Wohlfahrtsverbände gefunden hat, spricht man m.E. zu Recht davon, dass er hierzulande die öffentliche Meinungsführerschaft ausübt, wenngleich zentrale Forderungen wie die materielle Privatisierung der Deutschen Bahn AG bei einer Mehrheit der Bevölkerung weiterhin auf Ablehnung stoßen. Die neoliberale Hegemonie verstärkt nicht nur die soziale Asymmetrie im Finanzmarktkapitalismus (zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich), sondern ist auch eine Gefahr für die Demokratie.


Christoph Butterwegge           
Die neoliberale Hegemonie hat in der Gesellschaft bisher allgemein verbindliche Gleichheits- und Gerechtigkeitsvorstellungen auf den Kopf gestellt. Galt früher der soziale Ausgleich zwischen den gesellschaftlichen Klassen und Schichten als erstrebenswertes Ziel staatlicher Politik, so steht heute nach offizieller Lesart den Siegertypen alles, den „Leistungsunfähigen“ bzw. „-unwilligen“ höchstens das Existenzminimum zu. In einer „Winner-take-all“-Gesellschaft (Robert H. Frank/Philip J. Cook) zählt nur der (sich in klingender Münze auszahlende) Erfolg. Durch die Ökonomisierung, Kommerzialisierung und Monetarisierung zwischenmenschlicher Beziehungen wird Tendenzen der Entpolitisierung und Entdemokratisierung massiv Vorschub geleistet, weil die Gesellschaft nicht mehr wie bisher politisch zu gestalten, d.h. demokratisch zu entwickeln ist. Man kann zwar als Marktteilnehmer/in ethischen Prinzipien gemäß handeln, eine „Moralisierung der Märkte“ findet dadurch aber nicht statt, wie Nico Stehr (2007) fälschlicherweise meint. Märkte fungieren als Regulierungsmechanismen und Wachstumsmotoren, sind aber keine moralischen Institutionen, die ethischen Maximen gehorchen, sondern gleichen eher gefühllosen Maschinen.

Wer eine bestimmte Form der Ökonomie verabsolutiert, wie das Marktradikale tun, negiert die Politik im Allgemeinen und die Demokratie im Besonderen, weil sie Mehrheitsentscheidungen zum Fixpunkt gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse machen und nicht das Privateigentum an Produktionsmitteln. Selbst das Grundgesetz der Bundesrepublik ist Neoliberalen ein Dorn im Auge (vgl. Darnstädt 2004), gilt es doch, sein Sozialstaatsgebot außer Kraft zu setzen und dem Markt nicht nur Vor-, sondern auch Verfassungsrang einzuräumen. Dabei stören demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse, die mehr Zeit in Anspruch nehmen als dezisionistische Maßnahmen, z.B. das Prinzip der Gewaltenteilung und föderale Strukturen, die Macht beschränken, sowie der Konsenszwang eines Parteienstaates nur.

Permanente Umverteilung von unten nach oben

Wo die permanente Umverteilung von unten nach oben mit dem Hinweis auf Globalisierungsprozesse – als für den „eigenen Wirtschaftsstandort“ nützlich, ja unbedingt erforderlich – legitimiert wird, entsteht ein Diskriminierung begünstigendes Klima. Je mehr die ökonomische Konkurrenz nach neoliberalen Restrukturierungskonzepten im Rahmen der „Standortsicherung“ verschärft wird, umso leichter lässt sich die kulturelle Differenz zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft politisch aufladen und als Ab- bzw. Ausgrenzungskriterium gegenüber Mitbewerber(inne)n um Arbeitsplätze sowie wohlfahrtsstaatliche Transferleistungen instrumentalisieren. Wolf-Dietrich Bukow (1996) begreift Ethnisierung als einen gesellschaftlich inszenierten Vorgang, der soziale Beziehungen, Sicherheitsprobleme und ökonomische Konflikte umdeutet. Vordergründig geht es dabei um die Sicherung der eigenen „kulturellen Identität“, der Gefahr durch unkontrollierte Zuwanderung droht; dahinter stecken aber meist Konflikte um knappe gesellschaftliche Ressourcen. Gewalt gegenüber (ethnischen) Minderheiten nimmt zu, wenn – trotz eines weiterhin wachsenden Bruttoinlandsprodukts – der Eindruck vorherrscht, dass sich die gesellschaftlichen Verteilungsspielräume verengen. Verteilungskämpfe werden zu Abwehrgefechten der Einheimischen gegen „Fremde“ bzw. interkulturellen Konflikten hochstilisiert, sofern im Zeichen der Globalisierung ausgrenzend-aggressive Töne in der politischen Kultur eines Aufnahmelandes die Oberhand gewinnen.

Obwohl die meisten Neoliberalen nicht nur überzeugte Anhänger der Marktwirtschaft sind, sondern die Demokratie auch für eine mit ihr kompatible, wenn nicht ihr gar komplementäre, weil ebenfalls auf dem Wettbewerbsprinzip und der Wahlfreiheit des Bürgers beruhende Regierungsform halten, trägt das Modell einer „Marktgesellschaft“ mit möglichst wenig (sozial)staatlicher Regulierung, wie sie neoliberalen Theoretikern vorschwebt, autoritäre Züge (vgl. Ptak 2008, S. 43 und 60). Noch in einer anderen Hinsicht weisen die Denkstrukturen des Neoliberalismus und des Rechtsextremismus signifikante Übereinstimmungen auf: Beide verabsolutieren geradezu die Höchstleistung, sei es des einzelnen Marktteilnehmers oder der „Volksgemeinschaft“ insgesamt, und glorifizieren die Konkurrenz, in welcher sich der Starke gegenüber dem Schwachen durchsetzen soll. Darin wurzelt die Notwendigkeit einer (sozialen) Selektion, die mit dem Prinzip der Gleichheit bzw. Gleichwertigkeit aller Gesellschaftsmitglieder im Weltmaßstab unvereinbar ist.

Politik: Nur noch Sachwalter des Kapitals


Die von Neoliberalen ins Werk gesetzten Privatisierungsmaßnahmen stärken sowohl die gesellschaftliche Bedeutung wie auch den politischen Einfluss des Kapitals. „Privat heißt, daß alle zentralen Entscheidungen – jedenfalls prinzipiell – von Leuten und Gremien gefällt werden, die sich nicht öffentlich verantworten müssen.“ (Narr 1999, S. 26) Wenn deutsche Großstädte ihren kommunalen Wohnungsbestand (wie Dresden) oder ihre Stadtwerke (wie Düsseldorf) an Finanzinvestoren oder Großkonzerne verkaufen, um schuldenfrei zu werden, geben sie die Entscheidungsgewalt über das frühere Eigentum auf. Anstelle demokratisch legitimierter Stadträte, die bisher dafür zuständig waren, bestimmen nunmehr Kapitaleigner bzw. die von ihnen bestellten Manager, welche Wohnungs- bzw. Stadtentwicklungspolitik oder welche Energiepolitik gemacht wird. Somit läuft Privatisierung auf Entpolitisierung, diese wiederum auf Entdemokratisierung hinaus, weil der Bourgeois nunmehr auch jene Entscheidungen trifft, die eigentlich dem Citoyen bzw. der Citoyenne, dem Gemeinwesen sowie seinen gewählten Repräsentant(inn)en vorbehalten bleiben sollten. Letztlich schließen sich das Prinzip „Markt“ und das Prinzip „öffentliche Aufgaben in einem demokratischen Staat“ wechselseitig aus, wie Bodo Zeuner (1997, S. 31) bemerkt: „Wer z.B. das Bildungssystem in gegeneinander konkurrierende Unternehmen aufspaltet, die mit eigenen Budgets arbeiten und im Interesse der ‚Wirtschaftlichkeit‘ Gebühren von Studenten, vielleicht demnächst von Schülern, erheben dürfen, der stärkt nicht irgendwelche ‚Eigenverantwortlichkeiten‘, sondern baut das demokratische Recht auf gleiche Bildungschancen unabhängig vom Einkommen ab und entzieht letztlich der demokratischen Gesellschaft die Möglichkeit, ihre Ressourcen sozialstaatlich umzuverteilen.“

Regierungen degenerieren immer mehr zu bloßen Sachwalterinnen der Verwertungsbedürfnisse „ihrer“ Wirtschaftsstandorte, was sie veranlasst, oft überhastet Reformen auf den Weg zu bringen, die der „Standortsicherung“ bzw. den dahinter steckenden Kapitalinteressen dienen. Die neoliberale Standortlogik orientiert sich nicht an den (arbeitenden) Menschen, sondern an den internationalen Finanzmärkten. Sie erlaubt nur Standortpolitik, was auf ein „stark reduziertes Politikverständnis“ (Luutz 2007, S. 119) hindeutet. Ein betriebswirtschaftlicher Tunnelblick verstellt dem Betrachter die Sicht auf den Gesamtzusammenhang, d.h. die politischen, sozialen und kulturellen Grundlagen der herrschenden Produktionsweise, und trübt die Einsicht, dass man Markt, Leistung und Konkurrenz nicht verabsolutieren darf. (HDH)













Ch. Butterwegge, B. Lösch, R. Ptak (Hrsg):
Neoliberalismus, Analysen und Alternativen,
VS-Verlag Wiesbaden,

1. Auflage 2008, ISBN 978-3-531-15186-1, 23,90 €


Als verbesserte Neuauflage ebenfalls erschienen:

Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak:

Kritik des Neoliberalismus

2. Auflage 2008
VS-Verlag Wiesbaden

ISBN 978-3-531-15809-9
12,90 €

Online-Flyer Nr. 151  vom 18.06.2008



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