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Kultur und Wissen
Gespräch mit Filmemacherin Parisa Karimi über ihren Film und gelebte Utopien
Heimatlos – Grenzenlos
Von Christian Heinrici
Parisa Karimi
Quelle: heimatlos-grenzenlos.de
Parisa Karimi wurde 1981 in Berlin als Tochter iranischer Immigranten geboren. Als Filmemacherin, Performerin und Medienkünstlerin beschäftigt sie sich mit den Thematiken der kulturellen Identität, des Körpers und seiner Grenzen sowie des Lebens zwischen den Kulturen. Seit 2003 arbeitet sie als Videokünstlerin, Schauspielerin und Tänzerin mit dem in Frankfurt am Main ansässigen Theaterkollektiv „antagon theaterAKTion“. Der Film „Zwischenwelten“ war ihre Abschlussarbeit an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Sehen Sie dazu auch einen Ausschnitt als Filmclip in dieser Ausgabe.
Frau Karimi, wie ist Ihnen die Idee zum Film „Zwischenwelten“ gekommen?
An dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin, herrschte eine starke deutsche Monokultur vor, es war eine sehr christlich geprägte Umgebung. Es gab da nur wenige Menschen mit Migrationsbackground. Wir sind von Berlin dort hingezogen, und auf einmal fanden wir uns in einer Umgebung mit vielen christlichen Gemeinden wieder. Du kommst dann da hin, als eine „ausländische Familie“ – „andersartig“, nicht-christlich... Dazu entsprachen wir nicht einmal dem Klischeebild von „Ausländern“.
Wie ist denn dieses Klischeebild?
In vielen kleinen Städten und Dörfern existiert auf jeden Fall ein ganz starkes Klischeebild – Leute wollen dich aufklären, oft kann man einen starken missionarischen Touch in Dialogen wahrnehmen, genauso eine sehr starke Diskriminierung und das Ausschließen von Andersartigkeiten...
Wie sind Sie auf den Titel „Zwischenwelten“ gekommen?
Aus der Reflexion des eigenen Zustands: weder zu der einen noch zu der anderen Kultur zu gehören, wirklich dazu zu gehören. Man ist im Grunde gezwungen, eine eigene Welt zu kreieren, mit seiner eigenen Kultur und seiner eigenen Sprache. Und man ist immer in dem Status, Dinge stärker reflektieren zu müssen, weil man einfach nicht komplett dazugehört. Vilém Flusser, der viel über Entwurzelung gesprochen hat, hat einmal sinngemäß gesagt: Um etwas eigenes und etwas neues zu kreieren, muss man die eigenen Wurzeln kappen.
Über den Film war zu lesen: „Die Idee ist, eine universelle, grenzenlose und ‚heimatfreie’ Sprache zu (er)finden, die wir als vergessenes Wissen in unseren Körpern tragen...“
Unter „heimatfreie und verlorene Sprache und Wissen“ verstehe ich, zum einen die Sinneswahrnehmung, die den Menschen in dieser stark technisierten Gesellschaft verlorengegangen ist – somit auch die Körperlichkeit, mit den Sinnen des Körpers umzugehen, durch sie wahrzunehmen. Zum anderen auch die emotionale Ebene, die immer weiter in den Hintergrund rückt. Da merke ich, wenn ich zwischen den beiden Kulturen, der deutschen und der iranischen Kultur „switche“, wie emotional und voller Poesie die persische Sprache ist, und wie viel man zwischen den Zeilen lesen und vor allem spüren kann. Die persische Kultur ist stark auf Interpretationen angelegt. Hier in Deutschland läuft die Sprache sehr direkt... was auch etwas mit dem hiesigen Zeitrhythmus zu tun hat, sie ist sehr funktional und technisiert.
Parisa Karimi, Foto: Christian Heinrici
Und so habe ich auch versucht, in meinem Filmprojekt eine andere Kommunikationsebene zu erreichen oder zu schaffen. Das lief über Dialoge, die ich mit den ProtagonistInnen geführt habe, die sehr stark ihre persönliche Geschichte und ihre Emotionen in den Vordergrund stellten, teilweise sehr intime Erlebnisse – und durch den Tanz. Jeder Protagonist, jede Protagonistin war gefragt, ein Solo zu entwickeln, das die eigene Geschichte und die Vision, wohin sie wollen, widerspiegeln sollte...
An diese tiefen Ebenen, die ja in jedem Menschen stecken, kommt man im Alltag nicht einfach so heran, doch genau darum ging es mir bei dem Film. Es war dann nicht nur so, dass wir zwei Monate vorher angefangen hatten zu trainieren, sondern wir haben auch Improvisationen durchgeführt, die mit Wahrnehmung und auch mit Vertrauen zu tun haben, genauso Meditationsübungen, um diese Themen künstlerisch umsetzen zu können.
Man könnte also sagen, dass bei „Zwischenwelten“ auch eine intensive Arbeit am Menschen stattgefunden hat...
Ganz genau, mit sich selbst und letztendlich auch mit einer Vision, wohin es gehen soll, für sich als Mensch und somit auch für die Menschheit. Sehnsüchte, die in jedem Menschen sehr ähnlich sind.
Bewegt und bewegend – Filmszene aus Zwischenwelten
Quelle: heimatlos-grenzenlos.de
Sie schreiben auf Ihrer Webseite „Heimatlos – Grenzenlos will über Grenzen und Sprachen hinaus Visionen und Utopien einer multikulturellen Gesellschaft aufzeigen und kulturelle Barrieren überwinden.“ Der Ausdruck „Utopie“, der mir gefällt, entspricht ja leider kaum dem Zeitgeist...
Also, ich wohne beispielsweise in einem Kollektiv mit 25 anderen Menschen. Von außen könnte man denken: Das ist fast eine gelebte Utopie, das gibt es ja kaum noch heutzutage, und die verwirklichen den Traum eines Lebensprojekts, den viele haben... verbunden mit einer politischen Vision, die in die gemeinsame Arbeit mit einfließt.
Solch eine Utopie funktioniert aber nur, wenn Menschen versuchen zusammenzuleben, dann stößt man wirklich an die gegenseitigen Ecken und Kanten – Konflikte, die ja automatisch entstehen, und nicht nur wenn zwei unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen. Sie entstehen eigentlich zwischen allen Menschen, die versuchen eng miteinander zu leben. Dann ist es wichtig, einen Schritt weiterzugehen: der Versuch, sich – nicht nur oberflächlich – zu verstehen, warum was schwierig oder anders ist, und so eigentlich sein Bewusstsein zu erweitern, indem man den anderen versteht und sich selbst reflektiert...
Auschnitt einer Grafik von heimatlos-grenzenlos.de
Letztendlich ist das exemplarisch für alle Menschen. Jeder Mensch hat die Frage, woher komme ich? Was will ich in meinem Leben? Manche Menschen stellen sich diese Fragen vielleicht kurz vor dem Tod, oder wenn sie plötzlich ihren Job verlieren. Aber, jemand, der mit zwei Kulturen aufwächst, stellt sich diese Fragen zwangsweise, weil ihm nichts konform oder bequem auf dem Silbertablett präsentiert wird...
Was bedeutet für Sie der Begriff „Heimat“?
Mit sich selbst im Reinen zu sein, Authentizität, bei sich zu sein... Heimat hat für mich sehr viel mit Innerlichem zu tun, mit der Wahrnehmung von sich selbst und dem Außen. Heimat ist auch der Ort, der sich wohl anfühlt, und jeder Ort kann sich wohl anfühlen, wenn man bei sich ist: mit sich selbst im Reinen.
Was bedeutet für Sie „grenzenlos“?
„Grenzenlos“ existiert für mich in Zusammenhang mit „heimatlos“. Sicher, bei Grenzenlosigkeit schwingt auch etwas Negatives mit, aber, in diesem Kontext ist vielmehr gemeint: dass man sich nirgendwo verwurzelt fühlt, aber dafür mit der ganzen Welt verbunden... eine Erdverbundenheit, sich nicht nur für lokale Dinge einzusetzen, sondern sie auch im Zusammenhang mit dem Rest zu sehen. Alles steht in Zusammenhängen, es geht darum, das zu begreifen, und in diesem Bewusstsein auch zu agieren...
Frau Karimi, vielen Dank für dieses Interview! (CH)
Weitere Informationen: www.heimatlos-grenzenlos.de
Und wenn Sie sich selbst ein bewegtes Bild machen wollen, sehen Sie den Filmclip in dieser Ausgabe der NRhZ!
Online-Flyer Nr. 151 vom 18.06.2008
Gespräch mit Filmemacherin Parisa Karimi über ihren Film und gelebte Utopien
Heimatlos – Grenzenlos
Von Christian Heinrici
Parisa Karimi
Quelle: heimatlos-grenzenlos.de
Frau Karimi, wie ist Ihnen die Idee zum Film „Zwischenwelten“ gekommen?
An dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin, herrschte eine starke deutsche Monokultur vor, es war eine sehr christlich geprägte Umgebung. Es gab da nur wenige Menschen mit Migrationsbackground. Wir sind von Berlin dort hingezogen, und auf einmal fanden wir uns in einer Umgebung mit vielen christlichen Gemeinden wieder. Du kommst dann da hin, als eine „ausländische Familie“ – „andersartig“, nicht-christlich... Dazu entsprachen wir nicht einmal dem Klischeebild von „Ausländern“.
Wie ist denn dieses Klischeebild?
In vielen kleinen Städten und Dörfern existiert auf jeden Fall ein ganz starkes Klischeebild – Leute wollen dich aufklären, oft kann man einen starken missionarischen Touch in Dialogen wahrnehmen, genauso eine sehr starke Diskriminierung und das Ausschließen von Andersartigkeiten...
Wie sind Sie auf den Titel „Zwischenwelten“ gekommen?
Aus der Reflexion des eigenen Zustands: weder zu der einen noch zu der anderen Kultur zu gehören, wirklich dazu zu gehören. Man ist im Grunde gezwungen, eine eigene Welt zu kreieren, mit seiner eigenen Kultur und seiner eigenen Sprache. Und man ist immer in dem Status, Dinge stärker reflektieren zu müssen, weil man einfach nicht komplett dazugehört. Vilém Flusser, der viel über Entwurzelung gesprochen hat, hat einmal sinngemäß gesagt: Um etwas eigenes und etwas neues zu kreieren, muss man die eigenen Wurzeln kappen.
Über den Film war zu lesen: „Die Idee ist, eine universelle, grenzenlose und ‚heimatfreie’ Sprache zu (er)finden, die wir als vergessenes Wissen in unseren Körpern tragen...“
Unter „heimatfreie und verlorene Sprache und Wissen“ verstehe ich, zum einen die Sinneswahrnehmung, die den Menschen in dieser stark technisierten Gesellschaft verlorengegangen ist – somit auch die Körperlichkeit, mit den Sinnen des Körpers umzugehen, durch sie wahrzunehmen. Zum anderen auch die emotionale Ebene, die immer weiter in den Hintergrund rückt. Da merke ich, wenn ich zwischen den beiden Kulturen, der deutschen und der iranischen Kultur „switche“, wie emotional und voller Poesie die persische Sprache ist, und wie viel man zwischen den Zeilen lesen und vor allem spüren kann. Die persische Kultur ist stark auf Interpretationen angelegt. Hier in Deutschland läuft die Sprache sehr direkt... was auch etwas mit dem hiesigen Zeitrhythmus zu tun hat, sie ist sehr funktional und technisiert.
Parisa Karimi, Foto: Christian Heinrici
An diese tiefen Ebenen, die ja in jedem Menschen stecken, kommt man im Alltag nicht einfach so heran, doch genau darum ging es mir bei dem Film. Es war dann nicht nur so, dass wir zwei Monate vorher angefangen hatten zu trainieren, sondern wir haben auch Improvisationen durchgeführt, die mit Wahrnehmung und auch mit Vertrauen zu tun haben, genauso Meditationsübungen, um diese Themen künstlerisch umsetzen zu können.
Man könnte also sagen, dass bei „Zwischenwelten“ auch eine intensive Arbeit am Menschen stattgefunden hat...
Ganz genau, mit sich selbst und letztendlich auch mit einer Vision, wohin es gehen soll, für sich als Mensch und somit auch für die Menschheit. Sehnsüchte, die in jedem Menschen sehr ähnlich sind.
Bewegt und bewegend – Filmszene aus Zwischenwelten
Quelle: heimatlos-grenzenlos.de
Sie schreiben auf Ihrer Webseite „Heimatlos – Grenzenlos will über Grenzen und Sprachen hinaus Visionen und Utopien einer multikulturellen Gesellschaft aufzeigen und kulturelle Barrieren überwinden.“ Der Ausdruck „Utopie“, der mir gefällt, entspricht ja leider kaum dem Zeitgeist...
Also, ich wohne beispielsweise in einem Kollektiv mit 25 anderen Menschen. Von außen könnte man denken: Das ist fast eine gelebte Utopie, das gibt es ja kaum noch heutzutage, und die verwirklichen den Traum eines Lebensprojekts, den viele haben... verbunden mit einer politischen Vision, die in die gemeinsame Arbeit mit einfließt.
Solch eine Utopie funktioniert aber nur, wenn Menschen versuchen zusammenzuleben, dann stößt man wirklich an die gegenseitigen Ecken und Kanten – Konflikte, die ja automatisch entstehen, und nicht nur wenn zwei unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen. Sie entstehen eigentlich zwischen allen Menschen, die versuchen eng miteinander zu leben. Dann ist es wichtig, einen Schritt weiterzugehen: der Versuch, sich – nicht nur oberflächlich – zu verstehen, warum was schwierig oder anders ist, und so eigentlich sein Bewusstsein zu erweitern, indem man den anderen versteht und sich selbst reflektiert...
Auschnitt einer Grafik von heimatlos-grenzenlos.de
Letztendlich ist das exemplarisch für alle Menschen. Jeder Mensch hat die Frage, woher komme ich? Was will ich in meinem Leben? Manche Menschen stellen sich diese Fragen vielleicht kurz vor dem Tod, oder wenn sie plötzlich ihren Job verlieren. Aber, jemand, der mit zwei Kulturen aufwächst, stellt sich diese Fragen zwangsweise, weil ihm nichts konform oder bequem auf dem Silbertablett präsentiert wird...
Was bedeutet für Sie der Begriff „Heimat“?
Mit sich selbst im Reinen zu sein, Authentizität, bei sich zu sein... Heimat hat für mich sehr viel mit Innerlichem zu tun, mit der Wahrnehmung von sich selbst und dem Außen. Heimat ist auch der Ort, der sich wohl anfühlt, und jeder Ort kann sich wohl anfühlen, wenn man bei sich ist: mit sich selbst im Reinen.
Was bedeutet für Sie „grenzenlos“?
„Grenzenlos“ existiert für mich in Zusammenhang mit „heimatlos“. Sicher, bei Grenzenlosigkeit schwingt auch etwas Negatives mit, aber, in diesem Kontext ist vielmehr gemeint: dass man sich nirgendwo verwurzelt fühlt, aber dafür mit der ganzen Welt verbunden... eine Erdverbundenheit, sich nicht nur für lokale Dinge einzusetzen, sondern sie auch im Zusammenhang mit dem Rest zu sehen. Alles steht in Zusammenhängen, es geht darum, das zu begreifen, und in diesem Bewusstsein auch zu agieren...
Frau Karimi, vielen Dank für dieses Interview! (CH)
Weitere Informationen: www.heimatlos-grenzenlos.de
Und wenn Sie sich selbst ein bewegtes Bild machen wollen, sehen Sie den Filmclip in dieser Ausgabe der NRhZ!
Online-Flyer Nr. 151 vom 18.06.2008