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Aktueller Online-Flyer vom 27. November 2024  

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Medien
Wie die Tageszeitung Haaretz gesäubert und umgetrimmt wird
Kölner Stadt-Anzeiger in Israel
Von Werner Rügemer

Im Jahr 2006 hatte der Kölner Verlag M.DuMont Schauberg 25 Prozent der israelischen Tageszeitung Haaretz erworben. Dies steht nicht nur im Zusammenhang einer internationalen Expansion beider Verlage, sondern auch, wie sich jetzt zeigt, einer weiteren neoliberalen Umgestaltung und der Globalisierung des Zionismus.

Haaretz - englische Ausgabe
Haaretz – englische Ausgabe

In den letzten Monaten wurden die Autoren Meron Rappaport, Gideon Levy, Amira Hass, Danny Rubinstein und Akiva Eldar, bekannt für ihre genauen und teilweise aufwendigen Reportagen aus den von Israel besetzen Gebieten, aus der Zeitung hinausgedrängt, zum Ausscheiden „ermutigt“ oder der ihnen zur Verfügung stehende Raum im Blatt wurde erheblich eingeschränkt. Der Autorin Ruth Sinai, die sich vor allem mit Arbeitslosigkeit und schlecht bezahlten Fremdarbeitern beschäftigt hatte, wurde gekündigt - allerdings musste die Kündigung inzwischen aufgehoben werden.

Haaretz-Reporter Gideon Levy
Haaretz-Reporter Gideon Levy
Quelle: www.pbs.org
Haaretz, bereits 1919 noch in der britischen Mandatszeit gegründet, hatte bisher ein nationales und internationales Renommé als älteste israelische Tageszeitung, auch wenn sie seit längerem mit den Verkaufszahlen - täglich 65.000, an Wochenenden 85.000 - nur an dritter Stelle steht. Die Zeitung war das einzige der traditionellen und großen Medien, das dem Schicksal der Palästinenser, dem rechtswidrigen und brutalen Vorgehen von Siedlern und israelischer Armee in der Westbank einen ständigen Platz eingeräumt hatte. Die Reportagen insbesondere von Gideon Levy („Schlimmer als Apartheid“) und Amira Hass kursierten weltweit. Während die anderen Medien voll von „Wirtschaftsaufschwung“, Sportevents und Promiklatsch sind, hatte Haaretz, in der etablierten israelischen Medienlandschaft für manche als „links“ geltend, mit den Artikeln von Ruth Sinai über die wachsende Armut einen Kontrapunkt gesetzt. Damit ist jetzt Schluss.


Die Gründerfamilie Schocken wird zu dieser Änderung keineswegs gezwungen, sondern hat sich dafür mit Alfred Neven DuMont einen Unterstützer geholt. Der kölsche Alfred lobte seinen Partner Amos Schocken als „prominenten Zionisten“. Die beiden Familienunternehmen weisen eine enge geistige Wahlverwandtschaft auf - wenn man denn ihren verlegerischen Konzepten, rein formal, das Merkmal „geistig“ zubilligen möchte. Beide sind knochenhart wirtschaftsliberal. Das ist und war ihr „konservatives“ Standbein von Anfang an, auch wenn man das auch nicht bei jeder Gelegenheit kräftig herausstellte. Ihr Spielbein dagegen wird besonders gern vorgezeigt und ist schön geschmückt. So geben sich Verlegerfamilien als besonders kunstsinnig. Beide sind aufwendige Kunstsammler und Kunstmäzene. Beide Verlagsgebäude in Köln und Tel Aviv sind in Fluren und Redaktionsräumen mit Bildern, Installationen und Skulpturen aus den Sammlungen der Eigentümer überladen. Die Feuilletons sind umfangreich und durchaus anspruchsvoll, politische Kommentare können bzw. konnten lange durchaus im politischen Sinne liberal sein und der Linie im Wirtschaftsteil gelegentlich widersprechen. Der diesen kulturvollen Konservatismus pflegende Neven DuMont legt sich sogar schon mal in Nebenfragen mit dem Kölner Ultra-Kardinal Meisner an, und Haaretz vertritt einen säkularen Zionismus, fern von orthodoxen Glaubensbekenntnissen. Feministinnen und Schwule etwa, die anderen ein Gräuel sind, in Deutschland und noch mehr in Israel, können in beiden Verlagen mit Aufmerksamkeit rechnen.

Verleger und Kunstsammler Amos Schocken
Verleger und Kunstsammler Amos Schocken
Quelle: flickr.com


Diese kosmetische Balance wurde bzw. wird nur unterbrochen, wenn es aus Systemgründen sein musste bzw. muss: im Hause des Kölner Stadt-Anzeiger waren dies etwa die Jahre vor dem NS, als der Sozialismus oder jedenfalls zu viel Demokratie „drohte“. Da wurden die Reihen zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik wirtschaftsliberal geschlossen. Gegenwärtig ist bei Haaretz mit kölnischer Unterstützung unter dem Label „globalisierte Wirtschaft“ ähnliches im Gange. Die Inhalte sind dieselben: Gewerkschaften und Forderungen nach höheren Arbeitseinkommen sind steinzeitliche Investitionshemmnisse, Investoren sind die unantastbaren Erlösergestalten des Zeitalters, Gewinnsteuern müssen gesenkt werden, Tarifbindungen für Löhne und Gehälter sind von Übel, politische Parteien streiten sich ewig und sinnlos, Linke, Marxisten u.ä. nähren Terrorismus und Gewalt - so wie es in der „Kölnischen Zeitung“ ab 1931 nicht unähnlich propagiert wurde.

Trotz NS-Vergangenheit willkommen
 
Beim Verkauf der Haaretz interessierte sich offenbar niemand für die NS-Vergangenheit des Käufers DuMont Schauberg. Frühzeitiges Lob in „Kölnische Zeitung“ und „Kölnische Illustrierte“ für die faschistische Politik Mussolinis, Werbung für die Regierungsbeteiligung Hitlers schon vor 1933, die Auflagensteigerung durch das Massenabonnement der „Kölnischen Zeitung“ durch das Oberkommando der Wehrmacht, die Frontberichterstattung in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs mit Sieges-Jubelbüchern („Entscheidung im Westen“) - alles das war kein Thema. Gerade als DuMont Schauberg 2006 den Einstieg bei Haaretz vorbereitete, war nicht nur durch die NRhZ bekannt geworden, dass der Kölner Verlag während des NS mehrere Grundstücke und Immobilien jüdischer Voreigentümer erworben hatte und die Verlegerfamilie davon profitierte, dass das NS-Regime Juden aus der Wirtschaft verdrängte. Das wurde in Haaretz nur zögernd und abwehrend thematisiert, nachdem die größeren Konkurrenzblätter Maariv und Jediot Acharonot hämisch, wenn auch nur kurz darauf eingegangen waren. 

Man könnte annehmen, dass wenigstens in Israel die Frage nach der NS-Vergangenheit eines Unternehmens aufgeworfen wird, das sich als erstes deutsches in das zweitgrößte Medienhaus des Landes einkauft. Doch nichts dergleichen. Das Gedenken an den Holocaust ist zwar in Israel Staatsreligion, die Frage nach den NS-Tätern aus Adel, Bürgertum, Banken, Unternehmen, Kultur und Medien ist dagegen aus der Öffentlichkeit weitgehend verschwunden. So war denn auch der kölsche Alfred willkommen, der die Aufkäufe von Grundstücken verjagter jüdischer Eigentümer durch seinen Vater, das NSDAP-Mitglied Kurt Neven DuMont, im Interview mit Haaretz unwidersprochen als einen „normalen Vorgang“ bezeichnen durfte. „Haaretz hat wegen dieser Affäre keinen einzigen Leser verloren“, heißt es zufrieden aus der Redaktion. Ob diese Aussage der Wahrheit entspricht, bleibe dahingestellt.


Schlagzeilen wie diese – über den Tod eines Palästinenserjungen unter israelischem Feuer – künftig nicht mehr in Haaretz?

Haaretz folgte jahrzehntelang dem Motto „Die Leute lieben es, die Regierungen zu kritisieren“. So wurden die Besetzung des Westjordanlandes und die Abschnürung des Gazastreifens in etablierten intellektuellen Kreisen Israels lange Zeit kritisch gesehen. Diese Haltung bediente man über Jahrzehnte mit wirtschaftlichem Erfolg, ohne wirklich für den militärischen Rückzug einzutreten. Doch dieses kritische Milieu stirbt nun ab, und bei allem Unwohlsein mit der Besetzung soll die jüngere Generation mit diesem unangenehmen und scheinbar unlösbaren Problem lieber nicht weiter belästigt werden. Damit will man zugleich vorbeugen, dass nicht aus der verbreiteten und noch diffusen Unzufriedenheit eine politisch relevante Friedensbewegung im Inneren entsteht. Auch hier will der kölsche Alfred Hilfestellung leisten: Dem Haaretz-Interviewer, der eigens nach Rösrath gekommen war und die Kunstsammlung im Anwesen des Verlegers bewunderte, hatte er auf die Frage, ob er den Rückzug Israels aus der Westbank befürworte, geantwortet: „Ich würde nichts aufgeben“ und  befürwortete zugleich eine noch bessere Ausrüstung der israelischen Armee und einen besser qualifizierten Generalstab, damit nicht noch einmal ein Krieg wie kürzlich im Libanon verloren gehe.
 
Auch die weiter wachsende Kluft zwischen den Gewinnern der israelischen High Tech-Sicherheitsindustrie, die seit 2001 internationale Exporterfolge erzielt, und den vielen neuen Verlierern und Fremdarbeitern wird in den herrschenden Kreisen als neue innenpolitische Gefahr gesehen - da sind Reportagen wie von Ruth Sinai nicht mehr opportun, denn so etwas könnte zur Entstehung einer Protestbewegung auch auf diesem Gebiet beitragen. Die inhaltliche Umgestaltung wird von einem neuen Chefredakteur, Dov Alfon, geleitet. Und der kommt von „The Marker“ - seit Jahren das Business-Supplement von Haaretz.

Globaler Zionismus

Anstelle des in Israel seit der Gründung herrschenden staatlichen, von der Arbeitspartei und der Gewerkschaft Histadrut geführten Zionismus, der sich anfangs sogar mit sozialistischen Ansprüchen (Kibuzzim) schmückte, wird nun der privatwirtschaftliche und globale Zionismus propagiert. „The Marker“ gibt dabei nicht nur die neue Linie vor, sondern bringt auch Anzeigen und neue Leser. Statt Reportagen über die besetzten Gebiete und neue Armut kommt nun die schöne neue Party-, Glitzer- und Promiwelt ins Blatt, ebenso wie ständige Nachrichten von der aufstrebenden Börse von Tel Aviv. Neven DuMonts Partner Amos Schocken brachte das auf die Formel: „Das Problem ist, dass manche derer, die gegen die Besetzung sind, auch wissen wollen, was es in den Boutiquen von ‚Comme il faut‘ gibt.“ Comme il faut - eine nicht nur unter der jeunesse dorée angesagte Ladenkette für stylische Bekleidung.
 
Das alte Lesermilieu schwindet, nun werden neue Zielgruppen bei den jungen Aufsteigern der israelischen Konzerne und rund um den Erdball gesucht. Mit der International Herald Tribune, der internationalen Ausgabe von New York Times und Washington Post, besteht seit einiger Zeit das Arrangement, dass deren Ausgabe in Israel die Haaretz-Ausgabe in englischer Sprache beigelegt wird, gegenwärtig in einer Auflage von 15.000. Neben dem bereits bestehenden Internetportal Walla wird eine internationale englische Internetausgabe aufgebaut, bei der DuMont mithilft; die Redaktion, täglich 24 Stunden im Einsatz, ist unabhängig von der hebräischen und auch der englischen Haaretz-Ausgabe.

Kölner Stadt-Anzeiger in front

Die innenpolitische Bindungswirkung des Zionismus schwindet, die Gründungsmythen verblassen, sowohl bei der Jugend wie auch bei den etwa 1,2 Millionen Einwanderern, die in den 90er Jahren scharenweise aus der ehemaligen Sowjetunion kamen und heute ein Fünftel der Gesamtbevölkerung ausmachen. Da wurde auch so mancher hereingelassen und mit günstigen Staatskrediten in neu gegründete Siedlungen gelockt, ohne dass er seine jüdische Herkunft so genau nachweisen musste. Die thailändischen, marokkanischen Fremdarbeiter und die polnischen Zwangsprostituierten haben mit der jüdischen Staatsreligion ohnehin nichts am Hut, ähnlich wie die über eine Million israelischer Araber, denen trotz Staatsbürgerschaft manche Rechte verweigert werden. Der Zionismus sucht und findet Unterstützer dagegen immer mehr im Ausland, und nicht nur in der jüdischen Diaspora. Wir haben „gemeinsame unternehmerische und publizistische Werte“, sagt der kölsche Alfred. Und der israelische Amos nickt begeistert. Zionism goes neoliberal and global and the Kölner Stadt-Anzeiger is marching in front. (PK)

Online-Flyer Nr. 157  vom 30.07.2008



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