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Arbeit und Soziales
Der PARITÄTISCHE fordert, endlich den Regelsatz anzuheben
Immer weniger zum Leben mit Hartz IV
Von Dr. Rudolf Martens
Existenzminimum und Regelsatz
Im Existenzminimum bestimmt eine Gesellschaft, was als ausreichend für ein menschenwürdiges Leben zu gelten hat. Im Falle eines Sozialstaats ist allerdings ein Existenzminimum gemeint, das sich eher an einer „mittleren“ Lebensweise orientiert und das auch den Aufwand umfasst für eine Mindestversorgung in den Bereichen Erziehung und Bildung, Gesundheit, Transportmöglichkeiten, Information, kulturelle Beteiligung, Rechtsschutz, soziale Kontakte und soziale Integration. In einer wachsenden Wirtschaft würde sich das soziokulturelle Existenzminimum entsprechend erhöhen. Armut herrscht vor, wenn die Lebenslagen von Personen oder Familien so weit unter den „mittleren“ Lebensverhältnissen liegen, dass sie ausgegrenzt werden, selbst wenn sie das zum bloßen Überleben Notwendige haben und so beispielsweise nicht hungern.
... fordert bisher erfolglos lebensnahe Regelsatzerhöhung
Quelle: Der Paritätische Gesamtverband
In Deutschland ist die Bekämpfung von Armut ein in allen politischen Lagern im Grunde anerkanntes Ziel, sollte man meinen. Zur Vermeidung von Armut dienen die arbeitsmarktpolitisch motivierten Regelungen des SGB II – also „Hartz IV“ – und der damit verknüpfte Regelsatz, der die Höhe der Sozialleistungen bestimmt. Der Regelsatz ist für das deutsche Sozialsystem eine ganz wichtige Grundgröße. Er bestimmt das, was das „sozio-kulturelle Existenzminimum“ abdeckt und damit zur Führung eines menschenwürdigen Lebens notwendig ist. Der Bund legt Inhalt, Bemessung und Aufbau der Regelsätze in einer Regelsatzverordnung fest.
Der Regelsatz bestimmt nicht nur die Höhe der Sozialhilfe: Niveau und Struktur von Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt und Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld sind im Wesentlichen gleich gestaltet. Gleiches gilt für die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Für Leistungsempfänger in Einrichtungen ist der Regelsatz gleichfalls wichtig, da sich der Barbetrag zur persönlichen Verfügung im Form von Taschengeld (§ 35 SGB XII) am Regelsatz orientiert. Darüber hinaus richten sich die Grund- und Kinderfreibeträge in der Einkommensteuer – das steuerlich zu verschonende Existenzminimum – nach dem im Sozialhilferecht anerkannten Mindestbedarf. Weitere Bereiche, in die der Regelsatz allerdings nicht unmittelbar hineinwirkt, sind der Kinderzuschlag (§ 6a Bundeskindergeldgesetz), die Pfändungsfreigrenzen in der Zivilprozessordnung (§§ 850, 850a ff. ZPO) und das Asylbewerberleistungsgesetz.
Damit hat fast die gesamte deutsche Wohnbevölkerung direkt oder indirekt etwas mit dem Regelsatz zu tun. Der PARITÄTISCHE beanstandet seit Jahren drei Punkte: die Höhe des Regelsatzes, die Fortschreibung des Regelsatzes und das Fehlen eines eigenständigen Kinderregelsatzes.
Regelsatzhöhe und seine Anpassung sind wirklichkeitsfremd
Der Paritätische hat in zwei Expertisen aus den Jahren 2004 und 2006 berechnet, dass der Regelsatz um 20 Prozent – damals von 345 Euro auf 420 Euro – angehoben werden müsste, um bedarfsdeckend im Sinne des soziokulturellen Minimums zu sein. Frühzeitig kritisierte der Paritätische die intransparente Geheimniskrämerei und dass der Öffentlichkeit entzogene Verfahren der Regelsatzberechnung. Neben der Höhe und Struktur des Regelsatzes wurde auch seine Fortschreibung kritisiert. Der Regelsatz wird nämlich nicht entsprechend eines an ihn angepassten Preisindexes fortgeschrieben, vielmehr ist er an den Rentenwert gebunden. Die Philosophie der stattgefundenen und künftig zu erwartenden Rentenreformen verträgt sich aber nicht mit Bedarfsgesichtspunkten im untersten Netz des Sozialstaates. Wenn die Bundesregierung den Regelsatz an den Rentenwert ankoppelt, lässt sie zu, dass der Realwert des Regelsatzes stetig sinkt. Die gesetzliche Rente (und damit der Rentenwert) ist als Versicherungsleistung weder bedarfsorientiert noch bedürftigkeitsabhängig. Mit dieser Regelung hat die damalige rot-grüne Regierung Armut bei Erwerbslosen und die Altersarmut gesetzlich vorprogrammiert.
Demoplakat gegen Verarmung durch Agenda 2010 und Hartz IV in Berlin 2005
Foto: arbeiterfotografie.com
Um der Realität der Preissteigerungen gerecht zu werden, käme nach Vorstellung des PARITÄTISCHEN ein preisangepasster Regelsatz für Anfang 2008 ein Betrag von 434 Euro heraus. Nur so kann tatsächlich der Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts außerhalb von Einrichtungen mit Ausnahme von Leistungen für Unterkunft und Heizung und der im Gesetz vorgesehenen Sonderbedarfe gedeckt werden.
Bedarfsermittlung für Kinder fehlt ganz
Die Regelsatzverordnung und das SGB XII sehen keine Bedarfsmessung für Kinder vor. Die Regelsatzhöhe bei Kindern und Heranwachsenden wird nicht – wie der Erwachsenenregelsatz – in der Regelsatzverordnung, sondern in § 28 Abs. 1 SGB II bestimmt. Die Regelleistung beträgt bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 60 Prozent und vom 15. bis zur Vollendung des 17. Lebensjahres 80 Prozent des nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Regelsatzes. Somit werden die Regelsätze für Kinder und Heranwachsende normativ vom Erwachsenenregelsatz abgeleitet. Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber überprüft mit diesem Verfahren ausdrücklich nicht das Verbrauchsverhalten bzw. die spezifischen Bedürfnisse von Kindern, vielmehr verlässt er sich darauf, dass die normativ abgeleiteten Regelsatzhöhen bedarfsdeckend sind.
Wenn der Regelsatz für Erwachsene nicht bedarfsdeckend ist, so ist auch nicht zu erwarten, dass es die davon normativ abgeleiteten Regelsatzhöhen für Kinder und Heranwachsende sind. Der Paritätische fordert deshalb endlich eine eigenständige Untersuchung der Kinderbedarfe zur Ermittlung des Existenzminimums von Kindern und Heranwachsenden. Derzeit ist der PARITÄTISCHE dabei, einen Kinderregelsatz als bedarfsdeckendes Existenzminimum für Kinder zu entwickeln. (HDH)
Online-Flyer Nr. 158 vom 06.08.2008
Der PARITÄTISCHE fordert, endlich den Regelsatz anzuheben
Immer weniger zum Leben mit Hartz IV
Von Dr. Rudolf Martens
Existenzminimum und Regelsatz
Im Existenzminimum bestimmt eine Gesellschaft, was als ausreichend für ein menschenwürdiges Leben zu gelten hat. Im Falle eines Sozialstaats ist allerdings ein Existenzminimum gemeint, das sich eher an einer „mittleren“ Lebensweise orientiert und das auch den Aufwand umfasst für eine Mindestversorgung in den Bereichen Erziehung und Bildung, Gesundheit, Transportmöglichkeiten, Information, kulturelle Beteiligung, Rechtsschutz, soziale Kontakte und soziale Integration. In einer wachsenden Wirtschaft würde sich das soziokulturelle Existenzminimum entsprechend erhöhen. Armut herrscht vor, wenn die Lebenslagen von Personen oder Familien so weit unter den „mittleren“ Lebensverhältnissen liegen, dass sie ausgegrenzt werden, selbst wenn sie das zum bloßen Überleben Notwendige haben und so beispielsweise nicht hungern.
... fordert bisher erfolglos lebensnahe Regelsatzerhöhung
Quelle: Der Paritätische Gesamtverband
In Deutschland ist die Bekämpfung von Armut ein in allen politischen Lagern im Grunde anerkanntes Ziel, sollte man meinen. Zur Vermeidung von Armut dienen die arbeitsmarktpolitisch motivierten Regelungen des SGB II – also „Hartz IV“ – und der damit verknüpfte Regelsatz, der die Höhe der Sozialleistungen bestimmt. Der Regelsatz ist für das deutsche Sozialsystem eine ganz wichtige Grundgröße. Er bestimmt das, was das „sozio-kulturelle Existenzminimum“ abdeckt und damit zur Führung eines menschenwürdigen Lebens notwendig ist. Der Bund legt Inhalt, Bemessung und Aufbau der Regelsätze in einer Regelsatzverordnung fest.
Der Regelsatz bestimmt nicht nur die Höhe der Sozialhilfe: Niveau und Struktur von Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt und Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld sind im Wesentlichen gleich gestaltet. Gleiches gilt für die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Für Leistungsempfänger in Einrichtungen ist der Regelsatz gleichfalls wichtig, da sich der Barbetrag zur persönlichen Verfügung im Form von Taschengeld (§ 35 SGB XII) am Regelsatz orientiert. Darüber hinaus richten sich die Grund- und Kinderfreibeträge in der Einkommensteuer – das steuerlich zu verschonende Existenzminimum – nach dem im Sozialhilferecht anerkannten Mindestbedarf. Weitere Bereiche, in die der Regelsatz allerdings nicht unmittelbar hineinwirkt, sind der Kinderzuschlag (§ 6a Bundeskindergeldgesetz), die Pfändungsfreigrenzen in der Zivilprozessordnung (§§ 850, 850a ff. ZPO) und das Asylbewerberleistungsgesetz.
Damit hat fast die gesamte deutsche Wohnbevölkerung direkt oder indirekt etwas mit dem Regelsatz zu tun. Der PARITÄTISCHE beanstandet seit Jahren drei Punkte: die Höhe des Regelsatzes, die Fortschreibung des Regelsatzes und das Fehlen eines eigenständigen Kinderregelsatzes.
Regelsatzhöhe und seine Anpassung sind wirklichkeitsfremd
Der Paritätische hat in zwei Expertisen aus den Jahren 2004 und 2006 berechnet, dass der Regelsatz um 20 Prozent – damals von 345 Euro auf 420 Euro – angehoben werden müsste, um bedarfsdeckend im Sinne des soziokulturellen Minimums zu sein. Frühzeitig kritisierte der Paritätische die intransparente Geheimniskrämerei und dass der Öffentlichkeit entzogene Verfahren der Regelsatzberechnung. Neben der Höhe und Struktur des Regelsatzes wurde auch seine Fortschreibung kritisiert. Der Regelsatz wird nämlich nicht entsprechend eines an ihn angepassten Preisindexes fortgeschrieben, vielmehr ist er an den Rentenwert gebunden. Die Philosophie der stattgefundenen und künftig zu erwartenden Rentenreformen verträgt sich aber nicht mit Bedarfsgesichtspunkten im untersten Netz des Sozialstaates. Wenn die Bundesregierung den Regelsatz an den Rentenwert ankoppelt, lässt sie zu, dass der Realwert des Regelsatzes stetig sinkt. Die gesetzliche Rente (und damit der Rentenwert) ist als Versicherungsleistung weder bedarfsorientiert noch bedürftigkeitsabhängig. Mit dieser Regelung hat die damalige rot-grüne Regierung Armut bei Erwerbslosen und die Altersarmut gesetzlich vorprogrammiert.
Demoplakat gegen Verarmung durch Agenda 2010 und Hartz IV in Berlin 2005
Foto: arbeiterfotografie.com
Um der Realität der Preissteigerungen gerecht zu werden, käme nach Vorstellung des PARITÄTISCHEN ein preisangepasster Regelsatz für Anfang 2008 ein Betrag von 434 Euro heraus. Nur so kann tatsächlich der Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts außerhalb von Einrichtungen mit Ausnahme von Leistungen für Unterkunft und Heizung und der im Gesetz vorgesehenen Sonderbedarfe gedeckt werden.
Bedarfsermittlung für Kinder fehlt ganz
Die Regelsatzverordnung und das SGB XII sehen keine Bedarfsmessung für Kinder vor. Die Regelsatzhöhe bei Kindern und Heranwachsenden wird nicht – wie der Erwachsenenregelsatz – in der Regelsatzverordnung, sondern in § 28 Abs. 1 SGB II bestimmt. Die Regelleistung beträgt bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 60 Prozent und vom 15. bis zur Vollendung des 17. Lebensjahres 80 Prozent des nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Regelsatzes. Somit werden die Regelsätze für Kinder und Heranwachsende normativ vom Erwachsenenregelsatz abgeleitet. Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber überprüft mit diesem Verfahren ausdrücklich nicht das Verbrauchsverhalten bzw. die spezifischen Bedürfnisse von Kindern, vielmehr verlässt er sich darauf, dass die normativ abgeleiteten Regelsatzhöhen bedarfsdeckend sind.
Wenn der Regelsatz für Erwachsene nicht bedarfsdeckend ist, so ist auch nicht zu erwarten, dass es die davon normativ abgeleiteten Regelsatzhöhen für Kinder und Heranwachsende sind. Der Paritätische fordert deshalb endlich eine eigenständige Untersuchung der Kinderbedarfe zur Ermittlung des Existenzminimums von Kindern und Heranwachsenden. Derzeit ist der PARITÄTISCHE dabei, einen Kinderregelsatz als bedarfsdeckendes Existenzminimum für Kinder zu entwickeln. (HDH)
Online-Flyer Nr. 158 vom 06.08.2008