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Inland
Vor 60 Jahren Kriegsverbrecher-Prozess gegen IG Farben-Bosse
Danach Karrieren und Bundesverdienstkreuz
Von Eberhard Rondholz
Heinrich Bütefisch –
im Nürnberger Prozess
Quelle: KAOS-Archiv
„Dem Weitblick und dem rücksichtslosen Einsatz des Vorgeschlagenen ist es wesentlich zu verdanken, dass nach 1945 die schlimmsten Schäden von der Wirtschaft des rheinisch-westfälischen Industriegebietes, namentlich der Zertrümmerung ihres industriellen Potentials, ferngehalten wurden. Aufgrund seiner Initiative gelang es, die chemische Industrie auf eine neue wirtschaftliche Basis zu stellen.“ Mit dieser Begründung wurde dem vorgeschlagenen Dr. Ing. Heinrich Bütefisch von Dr. h.c. Heinrich Lübke am 5. März 1964 aus Anlass seines 70. Geburtstages das Große Bundesverdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.
Heinrich Lübke
Ob den Verleihern im Bundesprädidialamt bekannt war, mit welcher Begründung der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler zwei Jahrzehnte zuvor dem SS-Obersturmbannführer und Wehrwirtschaftsführer Heinrich Bütefisch das Ritterkreuz zum Kriegsverdienstkreuz verliehen hatte, ist nicht überliefert. Zwar ist anzunehmen, dass ihnen aus dem Lebenslauf und Werdegang des Beliehenen zumindest dies bekannt war: dass er am 30. Juli 1948 vom Nürnberger Militärtribunal wegen seines rücksichtslosen Einsatzes in Auschwitz als Kriegsverbrecher zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war, von denen er nur drei Jahre absitzen musste, um dann Aufsichtsratsmitglied der Firma Ruhrchemie AG zu werden. So durfte man im Bundesprädidialamt, wohl nicht ganz zu Unrecht, davon ausgegangen sein, dass dieser Fleck auf seiner längst wieder weißen Weste mittlerweile vergessen war.
Bütefischs Pech:
Am 19. März 1964 jedenfalls legte der aus der DDR als Sachverständiger geladene Wirtschaftshistoriker Prof. Jürgen Kuczynski von der Berliner Humboldt-Universität beim Frankfurter Auschwitzprozess ein Gutachten über "Die Verflechtung sicherheitspolizeilicher und wirtschaftlicher Interessen bei der Einrichtung und im Betrieb des KZ Auschwitz und seiner Nebenlager" vor, in dem von der Rolle die Rede war, die der frisch dekorierte Bundesverdienstkreuzträger Bütefisch in seiner Eigenschaft als IG-Farben-Boss bei der Ausbeutung der Arbeitskraft jüdischer KZ-Häftlinge zum Wohl der deutschen Chemieindustrie gespielt hatte. Und da riet man dem Bütefisch dringend, das Bundesverdienstkreuz wieder zurückzugeben, bevor das Bundespräsidialamt es ihm abzunehmen gezwungen sein werde.
Der Prozess, in dem Heinrich Bütefisch im Juli 1948 Kriegsverbrecher verurteilt wurde, ist als „Fall sechs“ der Nürnberger Nachfolgeprozesse in die Geschichte eingegangen, „case Farben“ nannten ihn die Amerikaner auch. Die Nachfolgeprozesse fanden im Anschluss an den noch von den vier alliierten Großmächten gemeinsam geführten Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher statt - vor einem US-Militärtribunal. Angeklagt waren in diesen Prozessen NS-Täter aus der zweiten Reihe und aus ausgewählten Tätergruppen - Diplomaten und Generäle, Ärzte, Juristen und Industrielle.
Giftgas und Sklavenarbeit
Was die Anklage den IG Farben-Bossen vorwarf, war eine Reihe von schweren und schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter: Sklavenarbeit, die Bereitstellung von Giftgas zur Vernichtung versklavter Personen in den KZ, medizinische Menschenversuche, Raub und Plünderung, Misshandlung, Folterung und Ermordung von versklavten Menschen.
Wer war diese IG Farben? Ein in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts aus einer Reihe großer Chemiefabriken wie BASF, BAYER u.a. verschmolzener Konzern, zu seiner Zeit das größte Chemieunternehmen der Welt. Und ohne die IG Farben, so sagte Heinrich Bütefisch zu Recht vor dem Militärtribunal aus, insbesondere ohne die IG-Produktion auf den Gebieten des synthetischen Gummis und der Treibstoffe, wäre es für Deutschland ausgeschlossen gewesen, einen Krieg zu führen. Vor allem auf dem Treibstoffsektor war die Wehrmacht zu hundert Prozent auf die Konzernproduktion angewiesen. So hatte die IG Farben auch keine Probleme, sich für ihre kriegswichtige Produktion mit Zwangsarbeitern zu versorgen, und was lag näher als die Verlegung eines Teils der Produktion in die unmittelbare Nachbarschaft des größten Sklaven-Reservoirs des NS-Staates, des Konzentrationslagers Auschwitz.
Gefangene in einer der Baracken von Auschwitz-Birkenau
Quelle: www.annefrank.org
Die KZ-Häftlinge arbeiteten in den IG-Farben-Betrieben unter erbärmlichen Bedingungen, bei Hungerrationen. Wer nicht mehr arbeitsfähig war, der wurde abgeschoben und ins Stammlager Auschwitz-Birkenau zurückgeschickt - das hieß im Regelfall: ins Gas. Und das Blausäuregas Zyklon B für die Gaskammern, rund 10.000 Kilo in drei Jahren, das lieferte die Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (DEGESCH), eine 50%ige Tochter des IG Farben-Konzerns. So machte der Konzern seinen Profit mit der Ausbeutung der KZ-Häftlinge ebenso, wie er noch an ihrer Vernichtung verdiente.
Für das Militärtribunal von Nürnberg stellten die Zyklon-B-Lieferungen kein strafbares Delikt dar. Wehrwirtschaftsführer Karl Wurster, IG Farben-Vorstandsmitglied und Verwaltungsrat der DEGESCH, wurde freigesprochen - es wurde ihm Unwissenheit über den Endverbrauchszweck der Blausäure bescheinigt, obwohl doch KZ-Kommandant Rudolf Höss noch kurz zuvor im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher bekundet hatte: „Ich nehme als sicher an, dass diese Firma den Verwendungszweck des gelieferten Zyklon B kannte, da sie dies aus der Tatsache schließen musste, dass das Gas ständig und in großen Mengen für Auschwitz, für die anderen Departements der SS-Truppen nur einmalig oder in Abständen von 6 Monaten bestellt wurde."
Kalter Krieg - milde Richter
Ähnlich milde wie mit dem DEGESCH-Manager Wurster ging das Gericht auch mit den anderen Angeklagten um. Von den 23 leitenden Angestellten der IG Farben wurden am Ende nur 12 zu Haftstrafen von maximal sechs Jahren verurteilt, die anderen 11 wurden freigesprochen. Warum die vielen Freisprüche, die nachsichtigen Urteile und schließlich: die schnelle Begnadigung der Verurteilten - zwei Jahre nach dem Urteil vom 30. Juli 1948 saß keiner von ihnen mehr in Haft? Der Kalte Krieg hatte begonnen, und da waren die erfahrenen NS-Eliten wieder gefragt. Die Westalliierten zählten nicht nur auf die kriegserfahrenen Wehrmachts-Generäle beim Aufbau der Bundeswehr, auch auf Hitlers Wehrwirtschaftsführer von gestern wollte man beim Wiederaufbau einer potenten westdeutschen Industrie nicht verzichten. Zur Kehrtwende der Westalliierten gehörte auch, schnell Gras wachsen zu lassen über die Prozesse von Nürnberg, auch über den „Fall sechs“.
Zwar wurden die wichtigsten Akten der Nürnberger Nachfolge-Prozesse zunächst vom US-Government-Printing-Office in der Reihe "Trials of War Criminals" in englischer Sprache publiziert, zwei Bände mit insgesamt knapp 3.000 Seiten umfasste allein das IG-Farben-Protokoll. Auch war vorgesehen, diesen Band wie all die anderen Dokumenten-Sammlungen der Nürnberger Nachfolgeprozesse den Bürgern der Bundesrepublik in deutscher Sprache zugänglich zu machen - als Beitrag zur „reeducation“. Doch wie schon die milden Urteile gezeigt hatten, passte die Sühne für die NS-Täter der zweiten Garnitur, ob Schreibtischtäter oder General, nicht mehr in das politische Konzept der Alliierten. Mit den Westdeutschen hatten die westlichen Siegermächte längst anderes vor: im beginnenden Kalten Krieg war ihnen die Rolle eines Bollwerks gegen Osten zugewiesen.
Gegen Sozialismus immun machen
Und zu dieser Rolle gehörte, neben dem westdeutschen Wehrbeitrag, auch das Wiedererstarken einer Wirtschaft, die die Westdeutschen gegen alle sozialistischen Versuchungen immun machen sollte. Und um die Fortsetzung deutsch-amerikanischer Geschäfte, nicht zuletzt mit der Chemieindustrie, ging es auch. Das ursprüngliche Ziel der Umerziehung wurde schnell fallen gelassen. So unterblieb auch die ursprünglich vorgesehene Übersetzung der in den USA publizierten Originaldokumente der Nürnberger Nachfolgeprozesse in die deutsche Sprache. Auch der IG-Farben-Prozess wurde so nicht das Lehrstück, das er hätte werden können. Fand er schon zum Zeitpunkt seiner Durchführung nur denkbar geringes öffentliches Interesse, geriet er im Westen Deutschlands schnell ganz in Vergessenheit.
Anders in der DDR, wo 1970 im Deutschen Verlag der Wissenschaften wenigstens eine kleine Auswahl der Prozessdokumente erschien. Im Westen Deutschlands standen die Wehrwirtschaftsführer von gestern ganz schnell wieder ganz oben, nahmen die alten Führungspositionen in der Wirtschaft wieder ein, als Aufsichtsratsvorsitzende, Geschäftsführer etc. Und auch dem gesellschaftlichen Wiederaufstieg der Wirtschaftsbosse des Dritten Reiches stand nichts im Wege. Eben noch als Mitwirkende am größten Genozid der Geschichte vor Gericht, wurden sie schnell geachtete Glieder der bundesrepublikanischen Elite, wurden mit Bundesverdienstkreuzen und Ehrendoktorhüten überhäuft. Bütefisch wurde nach seiner vorzeitigen Entlassung 1951 Aufsichtsratsmitglied der Firma Ruhrchemie AG. Eine unerträgliche Entwicklung nicht nur für alle die, die den NS-Vernichtungsapparat überlebt hatten. (PK)
Mehr über die Karrieren verurteilter IG-Farben-Bosse erfahren sie im Filmclip dieser NRhZ-Ausgabe: "Der würgende Tod - BAYER forscht für den Umweltschutz - Das geheime Patent für die V-Kampfstoffe".
Online-Flyer Nr. 159 vom 13.08.2008
Vor 60 Jahren Kriegsverbrecher-Prozess gegen IG Farben-Bosse
Danach Karrieren und Bundesverdienstkreuz
Von Eberhard Rondholz
Heinrich Bütefisch –
im Nürnberger Prozess
Quelle: KAOS-Archiv
Heinrich Lübke
Ob den Verleihern im Bundesprädidialamt bekannt war, mit welcher Begründung der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler zwei Jahrzehnte zuvor dem SS-Obersturmbannführer und Wehrwirtschaftsführer Heinrich Bütefisch das Ritterkreuz zum Kriegsverdienstkreuz verliehen hatte, ist nicht überliefert. Zwar ist anzunehmen, dass ihnen aus dem Lebenslauf und Werdegang des Beliehenen zumindest dies bekannt war: dass er am 30. Juli 1948 vom Nürnberger Militärtribunal wegen seines rücksichtslosen Einsatzes in Auschwitz als Kriegsverbrecher zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war, von denen er nur drei Jahre absitzen musste, um dann Aufsichtsratsmitglied der Firma Ruhrchemie AG zu werden. So durfte man im Bundesprädidialamt, wohl nicht ganz zu Unrecht, davon ausgegangen sein, dass dieser Fleck auf seiner längst wieder weißen Weste mittlerweile vergessen war.
Bütefischs Pech:
Am 19. März 1964 jedenfalls legte der aus der DDR als Sachverständiger geladene Wirtschaftshistoriker Prof. Jürgen Kuczynski von der Berliner Humboldt-Universität beim Frankfurter Auschwitzprozess ein Gutachten über "Die Verflechtung sicherheitspolizeilicher und wirtschaftlicher Interessen bei der Einrichtung und im Betrieb des KZ Auschwitz und seiner Nebenlager" vor, in dem von der Rolle die Rede war, die der frisch dekorierte Bundesverdienstkreuzträger Bütefisch in seiner Eigenschaft als IG-Farben-Boss bei der Ausbeutung der Arbeitskraft jüdischer KZ-Häftlinge zum Wohl der deutschen Chemieindustrie gespielt hatte. Und da riet man dem Bütefisch dringend, das Bundesverdienstkreuz wieder zurückzugeben, bevor das Bundespräsidialamt es ihm abzunehmen gezwungen sein werde.
Der Prozess, in dem Heinrich Bütefisch im Juli 1948 Kriegsverbrecher verurteilt wurde, ist als „Fall sechs“ der Nürnberger Nachfolgeprozesse in die Geschichte eingegangen, „case Farben“ nannten ihn die Amerikaner auch. Die Nachfolgeprozesse fanden im Anschluss an den noch von den vier alliierten Großmächten gemeinsam geführten Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher statt - vor einem US-Militärtribunal. Angeklagt waren in diesen Prozessen NS-Täter aus der zweiten Reihe und aus ausgewählten Tätergruppen - Diplomaten und Generäle, Ärzte, Juristen und Industrielle.
Giftgas und Sklavenarbeit
Was die Anklage den IG Farben-Bossen vorwarf, war eine Reihe von schweren und schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter: Sklavenarbeit, die Bereitstellung von Giftgas zur Vernichtung versklavter Personen in den KZ, medizinische Menschenversuche, Raub und Plünderung, Misshandlung, Folterung und Ermordung von versklavten Menschen.
Wer war diese IG Farben? Ein in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts aus einer Reihe großer Chemiefabriken wie BASF, BAYER u.a. verschmolzener Konzern, zu seiner Zeit das größte Chemieunternehmen der Welt. Und ohne die IG Farben, so sagte Heinrich Bütefisch zu Recht vor dem Militärtribunal aus, insbesondere ohne die IG-Produktion auf den Gebieten des synthetischen Gummis und der Treibstoffe, wäre es für Deutschland ausgeschlossen gewesen, einen Krieg zu führen. Vor allem auf dem Treibstoffsektor war die Wehrmacht zu hundert Prozent auf die Konzernproduktion angewiesen. So hatte die IG Farben auch keine Probleme, sich für ihre kriegswichtige Produktion mit Zwangsarbeitern zu versorgen, und was lag näher als die Verlegung eines Teils der Produktion in die unmittelbare Nachbarschaft des größten Sklaven-Reservoirs des NS-Staates, des Konzentrationslagers Auschwitz.
Gefangene in einer der Baracken von Auschwitz-Birkenau
Quelle: www.annefrank.org
Die KZ-Häftlinge arbeiteten in den IG-Farben-Betrieben unter erbärmlichen Bedingungen, bei Hungerrationen. Wer nicht mehr arbeitsfähig war, der wurde abgeschoben und ins Stammlager Auschwitz-Birkenau zurückgeschickt - das hieß im Regelfall: ins Gas. Und das Blausäuregas Zyklon B für die Gaskammern, rund 10.000 Kilo in drei Jahren, das lieferte die Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (DEGESCH), eine 50%ige Tochter des IG Farben-Konzerns. So machte der Konzern seinen Profit mit der Ausbeutung der KZ-Häftlinge ebenso, wie er noch an ihrer Vernichtung verdiente.
Für das Militärtribunal von Nürnberg stellten die Zyklon-B-Lieferungen kein strafbares Delikt dar. Wehrwirtschaftsführer Karl Wurster, IG Farben-Vorstandsmitglied und Verwaltungsrat der DEGESCH, wurde freigesprochen - es wurde ihm Unwissenheit über den Endverbrauchszweck der Blausäure bescheinigt, obwohl doch KZ-Kommandant Rudolf Höss noch kurz zuvor im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher bekundet hatte: „Ich nehme als sicher an, dass diese Firma den Verwendungszweck des gelieferten Zyklon B kannte, da sie dies aus der Tatsache schließen musste, dass das Gas ständig und in großen Mengen für Auschwitz, für die anderen Departements der SS-Truppen nur einmalig oder in Abständen von 6 Monaten bestellt wurde."
Kalter Krieg - milde Richter
Ähnlich milde wie mit dem DEGESCH-Manager Wurster ging das Gericht auch mit den anderen Angeklagten um. Von den 23 leitenden Angestellten der IG Farben wurden am Ende nur 12 zu Haftstrafen von maximal sechs Jahren verurteilt, die anderen 11 wurden freigesprochen. Warum die vielen Freisprüche, die nachsichtigen Urteile und schließlich: die schnelle Begnadigung der Verurteilten - zwei Jahre nach dem Urteil vom 30. Juli 1948 saß keiner von ihnen mehr in Haft? Der Kalte Krieg hatte begonnen, und da waren die erfahrenen NS-Eliten wieder gefragt. Die Westalliierten zählten nicht nur auf die kriegserfahrenen Wehrmachts-Generäle beim Aufbau der Bundeswehr, auch auf Hitlers Wehrwirtschaftsführer von gestern wollte man beim Wiederaufbau einer potenten westdeutschen Industrie nicht verzichten. Zur Kehrtwende der Westalliierten gehörte auch, schnell Gras wachsen zu lassen über die Prozesse von Nürnberg, auch über den „Fall sechs“.
Zwar wurden die wichtigsten Akten der Nürnberger Nachfolge-Prozesse zunächst vom US-Government-Printing-Office in der Reihe "Trials of War Criminals" in englischer Sprache publiziert, zwei Bände mit insgesamt knapp 3.000 Seiten umfasste allein das IG-Farben-Protokoll. Auch war vorgesehen, diesen Band wie all die anderen Dokumenten-Sammlungen der Nürnberger Nachfolgeprozesse den Bürgern der Bundesrepublik in deutscher Sprache zugänglich zu machen - als Beitrag zur „reeducation“. Doch wie schon die milden Urteile gezeigt hatten, passte die Sühne für die NS-Täter der zweiten Garnitur, ob Schreibtischtäter oder General, nicht mehr in das politische Konzept der Alliierten. Mit den Westdeutschen hatten die westlichen Siegermächte längst anderes vor: im beginnenden Kalten Krieg war ihnen die Rolle eines Bollwerks gegen Osten zugewiesen.
Gegen Sozialismus immun machen
Und zu dieser Rolle gehörte, neben dem westdeutschen Wehrbeitrag, auch das Wiedererstarken einer Wirtschaft, die die Westdeutschen gegen alle sozialistischen Versuchungen immun machen sollte. Und um die Fortsetzung deutsch-amerikanischer Geschäfte, nicht zuletzt mit der Chemieindustrie, ging es auch. Das ursprüngliche Ziel der Umerziehung wurde schnell fallen gelassen. So unterblieb auch die ursprünglich vorgesehene Übersetzung der in den USA publizierten Originaldokumente der Nürnberger Nachfolgeprozesse in die deutsche Sprache. Auch der IG-Farben-Prozess wurde so nicht das Lehrstück, das er hätte werden können. Fand er schon zum Zeitpunkt seiner Durchführung nur denkbar geringes öffentliches Interesse, geriet er im Westen Deutschlands schnell ganz in Vergessenheit.
Anders in der DDR, wo 1970 im Deutschen Verlag der Wissenschaften wenigstens eine kleine Auswahl der Prozessdokumente erschien. Im Westen Deutschlands standen die Wehrwirtschaftsführer von gestern ganz schnell wieder ganz oben, nahmen die alten Führungspositionen in der Wirtschaft wieder ein, als Aufsichtsratsvorsitzende, Geschäftsführer etc. Und auch dem gesellschaftlichen Wiederaufstieg der Wirtschaftsbosse des Dritten Reiches stand nichts im Wege. Eben noch als Mitwirkende am größten Genozid der Geschichte vor Gericht, wurden sie schnell geachtete Glieder der bundesrepublikanischen Elite, wurden mit Bundesverdienstkreuzen und Ehrendoktorhüten überhäuft. Bütefisch wurde nach seiner vorzeitigen Entlassung 1951 Aufsichtsratsmitglied der Firma Ruhrchemie AG. Eine unerträgliche Entwicklung nicht nur für alle die, die den NS-Vernichtungsapparat überlebt hatten. (PK)
Mehr über die Karrieren verurteilter IG-Farben-Bosse erfahren sie im Filmclip dieser NRhZ-Ausgabe: "Der würgende Tod - BAYER forscht für den Umweltschutz - Das geheime Patent für die V-Kampfstoffe".
Online-Flyer Nr. 159 vom 13.08.2008