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Arbeit und Soziales
Fünf EU-Staaten erhöhen Mindestlöhne
Deutschland weiter rückwärts gerichtet
Von Hans-Dieter Hey
Lobbyisten gegen Mindestlöhne
Ein Vertreter solcher Glaubenssätze ist Prof. Dr. Dr. Wolfgang Franz, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Über Franz' Veröffentlichungen darf sich nicht nur die Wirtschaft und die Lobbyisten-Vereinigung und arbeitgeberfinanzierte „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) aus Köln öfter freuen. Dort und anderswo vertritt er unbeirrt, dass ihm gesetzliche Mindestlöhne ein Gräuel und zudem schädlich für neue Arbeitsplätze sind. So jedenfalls ist sein Glaubenssatz. In einem Interview am 1. März mit dem Fernsehsender RBB bedauerte Franz zwar, dass der reale Konsum geschrumpft sei. Mit gesunkenen Nettoeinkommen in den letzten Jahren oder einem fehlenden gesetzlichen Mindestlohn bringt er das allerdings nicht in Verbindung.
Kölner DGB-Chef Uellenberg-van Dawen: Im Einsatz für den Mindestlohn
Dieser schlichte Gedankengang liegt offenbar auch Kanzlerin Angela Merkel fern. Sie findet in Franz eine Unterstützung ihrer Politik des „weiter so", die uns beispielsweise im Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich nicht wesentlich weitergebracht hat. Am 1. März noch forderte Franz im Fernsehsender RBB von Merkel einen „erbitterten Widerstand" gegen einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn – und damit gegen 70 Prozent der Bevölkerung, die ihn wollen. Bereits im Jahr 2006 hatten sich Franz und drei weitere Kollegen der „Wirtschaftsweisen" – von bösen Zungen gelegentlich auch als Kaffeesatzleser bezeichnet – gegen ihren Kollegen Prof. Dr. Peter Bofinger durchgesetzt. Der fordert nach Jahren der Stagnation eine deutliche Steigerung der Löhne und die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, um den Binnenmarkt zu beleben, wenn der Export jetzt nachlässt.
Hinzulernen – Fehlanzeige
Die Erfolge französischer Wirtschaftspolitik, die im Gegensatz zu Deutschland trotz eines gesetzlichen Mindestlohns, trotz Verzicht auf derbe Nettolohn-Einbußen und schmerzhafte Einschnitte im Sozialversicherungsrecht gesamtwirtschaftlich seit 1999 erfolgreicher war als die von Deutschland, werden hierzulande von vielen einfach ignoriert. So ist – gemessen an dem Standard der Internationalen Arbeitsorganisation ILO – in Frankreich die Arbeitslosigkeit von 10,8 auf 7,5 Prozent gesunken, in Deutschland von 8,6 auf 8,3 Prozent. Die Richtung der Erfolgsentwicklung ist also sehr eindeutig. Noch klarer fiel die Beschäftigungsaufnahme aus. In Frankreich betrug sie bis zum 1. Quartal 2008 über 9 Prozent, in Deutschland lediglich 4,6 Prozent. Das Bruttosozialprodukt ist in der gleichen Zeit in Frankreich um 20 Prozent, in Deutschland lediglich um 15 Prozent gestiegen. Ein Teil davon ist eindeutig auf die Exilstenzsicherung durch einen gesetzlichen Mindestlohn zurück zu führen, der zur Zeit 7,81 EUR ausmacht. Unsere Nachbarn sind nämlich davon überzeugt, „dass die Kombination von Arbeitszeitreduzierung-Mindestlohn-Kombilohn in Frankreich Jobs geschaffen hat." Dies hat zu einer kräftigen Binnennachfrage und zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Einkommen geführt, als bei uns - so das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).
Mindestlöhne in Europa erhöht
Seit Beginn diesen Jahres wurden in fünf Ländern die Mindestlöhne angehoben, in manchen sogar gleich zweimal - wie in den Niederlanden und in Belgien. In den westeuropäischen Ländern liegt er jetzt bei durchschnittlich 8,30 EUR, in Luxemburg erreicht er 9,30 EUR, in Großbritannien liegt er (ohne die letzten Wechselkursverluste) bei etwas mehr als 8 EUR.
In den Ländern Belgien, Frankreich und Luxemburg wird der Mindestlohn sogar regelmäßig an die Preisentwicklung angepasst.
Auch die osteuropäischen Länder schließen an die „alten EU-Länder" an, zu denen Portugal mit 2,55 EUR und Griechenland mit 3,28 EUR zählen. Die Löhne dort wie auch die Löhne in Osteuropa spiegeln allerdings die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung und die Kosten für die Lebenshaltung wieder. Rumänien hat beispielsweise einen Mindest-Stundenlohn von 0,65 EUR. In den Ländern Polen, Bulgarien und Rumänien wurden die Mindestlöhne zwischen 2007 und 2008 zwischen 20 und 30 Prozent angehoben. In Slowenien stieg er Anfang März diesen Jahres auf 3,28 EUR. Auch in diesen Ländern finden also regelmäßige Anpassungen statt.
In anderen Ländern gerechter: Mindestlohn ist eine Frage der Verteilung
In Österreich gibt es zwar keinen gesetzlichen Stundenlohn, die Arbeitgeberverbände und die Tarifvertragsparteien haben jedoch eine allgemeine Lohnuntergrenze von 1.000 Euro im Monat vertraglich festgeschrieben. Der Rest der EU-Länder hat so hohe Löhne, dass sie auf Mindestlöhne verzichten können, wie beispielsweise Schweden, Dänemark oder Finnland. Dort hat die wesentlich stärkere Tarifbindung eine Bedeutung, die in Deutschland seit Jahren sinkt.
Ob ein gesetzlicher Mindestlohn in der nächsten Legislaturperiode politisch durchgesetzt werden kann, scheint äußerst fraglich. Nach dem „Gesetz der Trägheit der Masse" – das wohl auch für die Wählerschaft zu gelten scheint – könnte trotz Erstarken der neuen Linken nämlich wieder ein Große Koalition bevorstehen, von der die Physikerin Angela Merkel profitiert. Mit ihrer Politik des „weiter so" würde sich die Lohnspaltung in der Gesellschaft weiter auf einer „schiefen Ebene" bewegen und gesetzliche Mindestlöhne auf den Sanktnimmerleinstag verschieben. (HDH)
Online-Flyer Nr. 163 vom 10.09.2008
Fünf EU-Staaten erhöhen Mindestlöhne
Deutschland weiter rückwärts gerichtet
Von Hans-Dieter Hey
Lobbyisten gegen Mindestlöhne
Ein Vertreter solcher Glaubenssätze ist Prof. Dr. Dr. Wolfgang Franz, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Über Franz' Veröffentlichungen darf sich nicht nur die Wirtschaft und die Lobbyisten-Vereinigung und arbeitgeberfinanzierte „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) aus Köln öfter freuen. Dort und anderswo vertritt er unbeirrt, dass ihm gesetzliche Mindestlöhne ein Gräuel und zudem schädlich für neue Arbeitsplätze sind. So jedenfalls ist sein Glaubenssatz. In einem Interview am 1. März mit dem Fernsehsender RBB bedauerte Franz zwar, dass der reale Konsum geschrumpft sei. Mit gesunkenen Nettoeinkommen in den letzten Jahren oder einem fehlenden gesetzlichen Mindestlohn bringt er das allerdings nicht in Verbindung.
Kölner DGB-Chef Uellenberg-van Dawen: Im Einsatz für den Mindestlohn
Dieser schlichte Gedankengang liegt offenbar auch Kanzlerin Angela Merkel fern. Sie findet in Franz eine Unterstützung ihrer Politik des „weiter so", die uns beispielsweise im Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich nicht wesentlich weitergebracht hat. Am 1. März noch forderte Franz im Fernsehsender RBB von Merkel einen „erbitterten Widerstand" gegen einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn – und damit gegen 70 Prozent der Bevölkerung, die ihn wollen. Bereits im Jahr 2006 hatten sich Franz und drei weitere Kollegen der „Wirtschaftsweisen" – von bösen Zungen gelegentlich auch als Kaffeesatzleser bezeichnet – gegen ihren Kollegen Prof. Dr. Peter Bofinger durchgesetzt. Der fordert nach Jahren der Stagnation eine deutliche Steigerung der Löhne und die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, um den Binnenmarkt zu beleben, wenn der Export jetzt nachlässt.
Hinzulernen – Fehlanzeige
Die Erfolge französischer Wirtschaftspolitik, die im Gegensatz zu Deutschland trotz eines gesetzlichen Mindestlohns, trotz Verzicht auf derbe Nettolohn-Einbußen und schmerzhafte Einschnitte im Sozialversicherungsrecht gesamtwirtschaftlich seit 1999 erfolgreicher war als die von Deutschland, werden hierzulande von vielen einfach ignoriert. So ist – gemessen an dem Standard der Internationalen Arbeitsorganisation ILO – in Frankreich die Arbeitslosigkeit von 10,8 auf 7,5 Prozent gesunken, in Deutschland von 8,6 auf 8,3 Prozent. Die Richtung der Erfolgsentwicklung ist also sehr eindeutig. Noch klarer fiel die Beschäftigungsaufnahme aus. In Frankreich betrug sie bis zum 1. Quartal 2008 über 9 Prozent, in Deutschland lediglich 4,6 Prozent. Das Bruttosozialprodukt ist in der gleichen Zeit in Frankreich um 20 Prozent, in Deutschland lediglich um 15 Prozent gestiegen. Ein Teil davon ist eindeutig auf die Exilstenzsicherung durch einen gesetzlichen Mindestlohn zurück zu führen, der zur Zeit 7,81 EUR ausmacht. Unsere Nachbarn sind nämlich davon überzeugt, „dass die Kombination von Arbeitszeitreduzierung-Mindestlohn-Kombilohn in Frankreich Jobs geschaffen hat." Dies hat zu einer kräftigen Binnennachfrage und zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Einkommen geführt, als bei uns - so das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).
Mindestlöhne in Europa erhöht
Seit Beginn diesen Jahres wurden in fünf Ländern die Mindestlöhne angehoben, in manchen sogar gleich zweimal - wie in den Niederlanden und in Belgien. In den westeuropäischen Ländern liegt er jetzt bei durchschnittlich 8,30 EUR, in Luxemburg erreicht er 9,30 EUR, in Großbritannien liegt er (ohne die letzten Wechselkursverluste) bei etwas mehr als 8 EUR.
In den Ländern Belgien, Frankreich und Luxemburg wird der Mindestlohn sogar regelmäßig an die Preisentwicklung angepasst.
Auch die osteuropäischen Länder schließen an die „alten EU-Länder" an, zu denen Portugal mit 2,55 EUR und Griechenland mit 3,28 EUR zählen. Die Löhne dort wie auch die Löhne in Osteuropa spiegeln allerdings die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung und die Kosten für die Lebenshaltung wieder. Rumänien hat beispielsweise einen Mindest-Stundenlohn von 0,65 EUR. In den Ländern Polen, Bulgarien und Rumänien wurden die Mindestlöhne zwischen 2007 und 2008 zwischen 20 und 30 Prozent angehoben. In Slowenien stieg er Anfang März diesen Jahres auf 3,28 EUR. Auch in diesen Ländern finden also regelmäßige Anpassungen statt.
In anderen Ländern gerechter: Mindestlohn ist eine Frage der Verteilung
In Österreich gibt es zwar keinen gesetzlichen Stundenlohn, die Arbeitgeberverbände und die Tarifvertragsparteien haben jedoch eine allgemeine Lohnuntergrenze von 1.000 Euro im Monat vertraglich festgeschrieben. Der Rest der EU-Länder hat so hohe Löhne, dass sie auf Mindestlöhne verzichten können, wie beispielsweise Schweden, Dänemark oder Finnland. Dort hat die wesentlich stärkere Tarifbindung eine Bedeutung, die in Deutschland seit Jahren sinkt.
Ob ein gesetzlicher Mindestlohn in der nächsten Legislaturperiode politisch durchgesetzt werden kann, scheint äußerst fraglich. Nach dem „Gesetz der Trägheit der Masse" – das wohl auch für die Wählerschaft zu gelten scheint – könnte trotz Erstarken der neuen Linken nämlich wieder ein Große Koalition bevorstehen, von der die Physikerin Angela Merkel profitiert. Mit ihrer Politik des „weiter so" würde sich die Lohnspaltung in der Gesellschaft weiter auf einer „schiefen Ebene" bewegen und gesetzliche Mindestlöhne auf den Sanktnimmerleinstag verschieben. (HDH)
Online-Flyer Nr. 163 vom 10.09.2008