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Wirtschaft und Umwelt
„Täglich erkranken auch in Deutschland Menschen durch Trinkwasser“
Interview mit Wilfried Soddemann
Von Peter Kleinert
Wilfried Soddemann: „Kläran-
lagen halten Krankheitserreger
nicht zurück.“ | Foto: Privat
Frage: Sie haben sich als ehemaliger Leiter des Staatlichen Umweltamtes Aachen, wo Sie sich immer wieder – offenbar vergeblich – für gesundes Trinkwasser eingesetzt hatten, am Donnerstag mit einem Hilferuf an den früheren Umweltminister Klaus Töpfer gewandt, damit dieser sie persönlich bei Ihrem – bisher offenbar vergeblichen Kampf um reines Trinkwasser unterstützt. Gibt es dafür einen aktuellen Anlass? Wann, wo und warum sind in jüngeren Vergangenheit Menschen durch kontaminiertes Trinkwasser krank geworden?
Antwort: Seit 2003 setze ich mich bei den für Nordrhein-Westfalen und Deutschland zuständigen „Trinkwasser“-Ministerien dafür ein, dass das weltweit beachtete Problem der Viren im Trinkwasser in Deutschland ernst genommen und gelöst wird. Die Antworten der Ministerien sind durchgängig abwiegelnd. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt schrieb mir am 17. Januar 2006: „Zugleich bin ich aber der festen Überzeugung, dass in Deutschland alles getan wird, um eine Ausbreitung von Infektionskrankheiten, insbesondere auch über den Trinkwasserpfad, zu verhindern.“ Das ist eindeutig falsch. Die Trinkwasserrichtlinien der WHO und der USA haben für die Entfernung von Viren in den Wasserwerken hohe Ziele gesteckt, die wir im Regelfall um den Faktor 10.000 verfehlen. Da Politik, Verwaltung und Wasserwerke sich verweigern, habe ich mich an Herrn Professor Töpfer als engagierten und prominenten Multiplikator gewandt, um in der Sache weiterzukommen. Täglich erkranken auch in Deutschland Menschen durch Trinkwasser, mit großen örtlichen wie saisonalen Unterschieden, die von den Strukturen der Wasserversorgung und den Eigenarten der Krankheitserreger abhängen. Im Spätsommer haben Infektionen mit den Wärme liebenden Salmonellen Hochkonjunktur, im Winter erreichen uns im kalten Leitungswasser konservierte Noro- und Rotaviren. Im letzten Winter hatten wir rund 2 Millionen Norovirusinfektionen. Jedes Jahr erleiden eine halbe Million Kleinkinder durch Trinkwasser ausgelöste Rotavirusinfektionen.
Frage: Warum haben Sie anstatt Töpfer nicht seinen aktuellen Nachfolger Sigmar Gabriel angesprochen?
Antwort: Umweltminister Gabriel hat mir noch am 9. Juni 2008 antworten lassen: „Bereits im November 2005 fand im Umweltbundesamt ein internationales Fachgespräch zur Abschätzung des von Viren im Trinkwasser ausgehenden Risikos statt. Die Fachleute waren sich einig, dass in Deutschland aufgrund des praktizierten Multibarrierensystems und der epidemiologischen Situation kein akuter Handlungsbedarf hinsichtlich des Vorkommens von Viren im Trinkwasser besteht und dass die Wasserversorgungsunternehmen in Zusammenarbeit mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst dies im Rahmen einer Risikoabschätzung belegen und dokumentieren sollten.“
Frage: Warum und wie gelangen immer wieder Viren und Bakterien in unser Trinkwasser und verursachen dadurch Erkrankungen?
Antwort: Krankheitserreger sind in den Ausscheidungen von Menschen, wildlebenden und Nutztieren. Kläranlagen halten Krankheitserreger nicht zurück. Bei Starkregen gelangt unbehandeltes Abwasser in die Gewässer. Abwasser gelangt über undichte Kanäle in das Grundwasser. Fäkalien von Tieren gelangen direkt in Umwelt und Gewässer, auch in das Grundwasser. Wasserwerke mit der in Deutschland üblichen veralteten Technik können Krankheitserreger nicht umfassend filtern oder abtöten.
Frage: Sie haben offensichtlich seit Jahren vergeblich für gesundes Trinkwasser in NRW gekämpft. Gibt es Bundesländer, wo es mit dem Trinkwasser besser bestellt ist als in NRW?
Antwort: Wasserversorgung ist Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden. Deshalb können die Strukturen der Wasserversorgung von Ort zu Ort recht unterschiedlich sein. Trinkwasserbedingte Infektionen sind in Hessen und Schleswig-Holstein mit hohen Grundwasseranteilen deutlich seltener als in Sachsen mit einem sehr hohen Anteil von Oberflächenwasser am Trinkwasser.
Frage: Warum erfährt man in den Medien so wenig über trinkwasserbedingte Infektionen?
Antwort: Unsere Gesundheitsämter gehen trinkwasserassoziierten Epidemien regelmäßig nicht nach. Deshalb gibt es auch so gut wie keine Wasserwerke, die „ertappt“ wurden, jedenfalls nicht in unmittelbarer Verbindung zu Erkrankten. Ich kenne nur einen Fall in der Nähe von Neuwied. Dort wurden trinkwasserbedingte Parasiteninfektionen bewiesen. Das Wasser war aus oberflächennahen Brunnen gewonnen und nicht aufbereitet worden.
Das folgende Bild wurde der Homepage unseres Wasserversorgers – der Gemeinde Everswinkel – entnommen. Unser Wasser wird aus solchen Brunnen in der Nähe der Ems gefördert, hat je nach Niederschlägen und Wasserständen wechselnde Anteile von infiltriertem Emswasser mit erheblichem Abwasseranteil (u.a. aus Warendorf und Rheda-Wiedenbrück). Das Wasser wird – wie in Deutschland üblich – nur zur Entfernung von Eisen und Mangan aufbereitet. Dabei ist die Viruseliminationsleistung gleich null. Deshalb müssen Viren im Trinkwasser sein.
Brunnen in Soddemanns Heimatgemeinde Everswinkel mit infiltriertem Ems-
wasser und erheblichem Abwasseranteil | Quelle: Wasserwerk Everswinkel
Frage: Gibt es Vorbilder für Deutschland in anderen europäischen Ländern?
Antwort: Bei der Trinkwasseraufbereitung ist weltweit noch viel zu tun. In der Schweiz, den Niederlanden, in Finnland oder den USA wird das Problem der verbesserungsbedürftigen Trinkwasseraufbereitung offen diskutiert und offensiv angegangen. In einer neuen EU-Trinkwasserrichtlinie werden mit Sicherheit Regelungen zu Viren im Trinkwasser enthalten sein.
Frage: Warum geschieht so etwas nicht auch in deutschen Wasserwerken? Warum werden diese nicht durch die zuständigen Ministerien dazu gezwungen?
Antwort: Ich hatte es schon angesprochen. In Deutschland ist Wasserversorgung Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden. Die Kommunalpolitiker entscheiden, oft wird der Trinkwasserpreis heiß diskutiert. Die Gesundheitsämter bei den Landkreisen und Städten tun den kommunalen Wasserversorgern selten weh. Minister, die regelmäßig auch Landtags- und Bundestagsabgeordnete sind, haben ihre Basis in den Kommunen…
Frage: Sie selbst sind nach Ihrem jahrelangen Einsatz für sauberes Trinkwasser aus Ihrem Amt in Aachen 2005 von der damaligen grünen Umweltministerin Bärbel Höhn nach Düsseldorf zwangsversetzt worden. Durch den monatelangen Streit wurden Sie krank, „auf Dauer dienstunfähig“ und schließlich mit 50 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Was hat man Ihnen vorgeworfen? Wie ist das abgelaufen?
Antwort: Mein Ausscheiden nach 15 Jahren Amtsleitung folgte der typischen Whistleblower-Karriere. Die Stufen der Repressionen steigerten sich, die Begründungen wechselten ständig. Erst wurde mir verboten, die Medien über Trinkwasserprobenahmen zu informieren. Dann folgte der Entzug der dienstlichen Kompetenz für die Wasserversorgung. Da ich von Wasserwerken verweigerte Probenahmen mit Amtshilfe der Polizei durchgesetzt hatte, sollte ich zum Amtsarzt. Nachdem ich die Bediensteten des Amtes über die Vorgänge informiert hatte, wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Kurz vor dem Termin, bei dem die Konsequenzen aus positiven Rotavirusbefunden im Trinkwasser besprochen werden sollten, wurde ich suspendiert. Während der Suspendierung wurde ich dann des Amtes enthoben und zwangsversetzt, diesmal mit der Begründung, es hätte unüberwindbare Probleme mit dem Personalrat gegeben. Amtsenthebung und Zwangsversetzung haben mich depressiv werden lassen.
Soddemann war ihr offenbar zu unbequem
– Grüne Ex-Umweltministerin Bärbel Höhn
Quelle: www.gruene-swisttal.de
Frage: Sie haben trotzdem nicht aufgegeben, z.B. durch Veröffentlichungen und Vorträge für gesundes Trinkwasser zu kämpfen. Haben Sie dafür Verbündete gefunden? Vielleicht sogar in „der Politik“, z.B. bei den Grünen oder der Fraktion DIE LINKE in Berlin?
Antwort: Ich arbeite mit einer Reihe von Wissenschaftlern und Ärzten zusammen, die seit 2004 meine Arbeiten begleiten. Weiterhin arbeite ich in Vereinen mit, die sich des Themas „Umwelt und Gesundheit“ annehmen. Politische Verbündete habe ich noch nicht gefunden.
Frage: Warum erfährt man in den Medien weniger über gesundheitsschädliches Trinkwasser bei uns als in Afrika oder Indien?
Antwort: Unsere Gesundheitsämter gehen trinkwasserassoziierten Epidemien regelmäßig nicht nach. Deshalb gibt es auch so gut wie keine Wasserwerke, die „ertappt“ wurden, jedenfalls nicht in unmittelbarer Verbindung zu Erkrankten. Ich kenne nur einen Fall in der Nähe von Neuwied. Dort wurden trinkwasserbedingte Parasiteninfektionen bewiesen. Das Wasser war aus oberflächennahen Brunnen gewonnen und nicht aufbereitet worden.
Frage: Solange Politik und Wasserwerke nicht bereit sind, in gesundes Trinkwasser zu investieren: Was raten Sie den Menschen? Die können ja nicht wie ich hier auf meinem Journalisten- und Filmemacher-Rentnerplatz auf der türkischen Datca-Halbinsel wöchentlich einmal zu einer der hiesigen Bergquellen fahren und sich dort mit Trinkwasser versorgen.
Antwort: Privat haben meine Frau und ich uns eine Ultrafiltrationsanlage in unser Haus eingebaut. So etwas ist allerdings recht aufwändig und kann nicht der Königsweg sein. Die wirkliche Lösung des Problems kann nur erreicht werden, wenn die Wasserwerke ihren Job machen wie aktuell im Ruhrgebiet. Als Folge der PFT-Diskussionen [1] werden dort jetzt Ultrafiltrationsanlagen gegen Krankheitserreger und Aktivkohlefilter gegen organische Spurenschadstoffe wie PFT gebaut, nach Angaben der Ruhrwasserwerke für
4 Millionen Menschen und 140 Millionen Euro. (PK)
[1] Gemeint ist die seit gut zwei Jahren anhaltende Diskussion über die Belastung der Ruhr mit „Perfluorierten Tensiden” aus der Papier-, Textil- und Metallindustrie. Die Letzten in der Kette zwischen industrieller PFT-Nutzung, Abwassereinleitung und Trinkwassergewinnung sind die Wasserwerke entlang der Ruhr und die Trinkwasserverbraucher. – Die Redaktion.
Nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums an der RWTH Aachen im Jahr 1979 arbeitete Wilfried Soddemann in verschiedenen Behörden des Landes NRW, u.a. im Landesamt für Wasser und Abfall und im Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft. Wasserversorgung, Wasserschutzgebiete und Abfallwirtschaft waren seine Arbeitsbereiche, zuletzt von 1995 bis 2005 als Leiter des Staatlichen Umweltamtes in Aachen. „Der Prophet im eigenen Land hatte es schon seit Menschengedenken NICHT leicht“, kommentiert die Umweltseite www.dugi-ev.de Soddemanns Zwangspensionierung durch Umweltministerin Bärbel Höhn im Jahr 2005. Wir hoffen, dass unser Interview mithelfen kann, seinen Arbeiten zum Durchbruch und zur Anerkennung durch die deutschen Behörden bzw. die Bundesregierung zu verhelfen.
Klaus Töpfer, CDU-Politiker war u.a. Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Minister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, 1998 bis 2006 Unter-Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN), Generaldirektor des Büros der Vereinten Nationen in Nairobi und Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen.
Online-Flyer Nr. 165 vom 24.09.2008
„Täglich erkranken auch in Deutschland Menschen durch Trinkwasser“
Interview mit Wilfried Soddemann
Von Peter Kleinert
Wilfried Soddemann: „Kläran-
lagen halten Krankheitserreger
nicht zurück.“ | Foto: Privat
Antwort: Seit 2003 setze ich mich bei den für Nordrhein-Westfalen und Deutschland zuständigen „Trinkwasser“-Ministerien dafür ein, dass das weltweit beachtete Problem der Viren im Trinkwasser in Deutschland ernst genommen und gelöst wird. Die Antworten der Ministerien sind durchgängig abwiegelnd. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt schrieb mir am 17. Januar 2006: „Zugleich bin ich aber der festen Überzeugung, dass in Deutschland alles getan wird, um eine Ausbreitung von Infektionskrankheiten, insbesondere auch über den Trinkwasserpfad, zu verhindern.“ Das ist eindeutig falsch. Die Trinkwasserrichtlinien der WHO und der USA haben für die Entfernung von Viren in den Wasserwerken hohe Ziele gesteckt, die wir im Regelfall um den Faktor 10.000 verfehlen. Da Politik, Verwaltung und Wasserwerke sich verweigern, habe ich mich an Herrn Professor Töpfer als engagierten und prominenten Multiplikator gewandt, um in der Sache weiterzukommen. Täglich erkranken auch in Deutschland Menschen durch Trinkwasser, mit großen örtlichen wie saisonalen Unterschieden, die von den Strukturen der Wasserversorgung und den Eigenarten der Krankheitserreger abhängen. Im Spätsommer haben Infektionen mit den Wärme liebenden Salmonellen Hochkonjunktur, im Winter erreichen uns im kalten Leitungswasser konservierte Noro- und Rotaviren. Im letzten Winter hatten wir rund 2 Millionen Norovirusinfektionen. Jedes Jahr erleiden eine halbe Million Kleinkinder durch Trinkwasser ausgelöste Rotavirusinfektionen.
Frage: Warum haben Sie anstatt Töpfer nicht seinen aktuellen Nachfolger Sigmar Gabriel angesprochen?
Antwort: Umweltminister Gabriel hat mir noch am 9. Juni 2008 antworten lassen: „Bereits im November 2005 fand im Umweltbundesamt ein internationales Fachgespräch zur Abschätzung des von Viren im Trinkwasser ausgehenden Risikos statt. Die Fachleute waren sich einig, dass in Deutschland aufgrund des praktizierten Multibarrierensystems und der epidemiologischen Situation kein akuter Handlungsbedarf hinsichtlich des Vorkommens von Viren im Trinkwasser besteht und dass die Wasserversorgungsunternehmen in Zusammenarbeit mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst dies im Rahmen einer Risikoabschätzung belegen und dokumentieren sollten.“
Frage: Warum und wie gelangen immer wieder Viren und Bakterien in unser Trinkwasser und verursachen dadurch Erkrankungen?
Antwort: Krankheitserreger sind in den Ausscheidungen von Menschen, wildlebenden und Nutztieren. Kläranlagen halten Krankheitserreger nicht zurück. Bei Starkregen gelangt unbehandeltes Abwasser in die Gewässer. Abwasser gelangt über undichte Kanäle in das Grundwasser. Fäkalien von Tieren gelangen direkt in Umwelt und Gewässer, auch in das Grundwasser. Wasserwerke mit der in Deutschland üblichen veralteten Technik können Krankheitserreger nicht umfassend filtern oder abtöten.
Frage: Sie haben offensichtlich seit Jahren vergeblich für gesundes Trinkwasser in NRW gekämpft. Gibt es Bundesländer, wo es mit dem Trinkwasser besser bestellt ist als in NRW?
Antwort: Wasserversorgung ist Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden. Deshalb können die Strukturen der Wasserversorgung von Ort zu Ort recht unterschiedlich sein. Trinkwasserbedingte Infektionen sind in Hessen und Schleswig-Holstein mit hohen Grundwasseranteilen deutlich seltener als in Sachsen mit einem sehr hohen Anteil von Oberflächenwasser am Trinkwasser.
Frage: Warum erfährt man in den Medien so wenig über trinkwasserbedingte Infektionen?
Antwort: Unsere Gesundheitsämter gehen trinkwasserassoziierten Epidemien regelmäßig nicht nach. Deshalb gibt es auch so gut wie keine Wasserwerke, die „ertappt“ wurden, jedenfalls nicht in unmittelbarer Verbindung zu Erkrankten. Ich kenne nur einen Fall in der Nähe von Neuwied. Dort wurden trinkwasserbedingte Parasiteninfektionen bewiesen. Das Wasser war aus oberflächennahen Brunnen gewonnen und nicht aufbereitet worden.
Das folgende Bild wurde der Homepage unseres Wasserversorgers – der Gemeinde Everswinkel – entnommen. Unser Wasser wird aus solchen Brunnen in der Nähe der Ems gefördert, hat je nach Niederschlägen und Wasserständen wechselnde Anteile von infiltriertem Emswasser mit erheblichem Abwasseranteil (u.a. aus Warendorf und Rheda-Wiedenbrück). Das Wasser wird – wie in Deutschland üblich – nur zur Entfernung von Eisen und Mangan aufbereitet. Dabei ist die Viruseliminationsleistung gleich null. Deshalb müssen Viren im Trinkwasser sein.
Brunnen in Soddemanns Heimatgemeinde Everswinkel mit infiltriertem Ems-
wasser und erheblichem Abwasseranteil | Quelle: Wasserwerk Everswinkel
Frage: Gibt es Vorbilder für Deutschland in anderen europäischen Ländern?
Antwort: Bei der Trinkwasseraufbereitung ist weltweit noch viel zu tun. In der Schweiz, den Niederlanden, in Finnland oder den USA wird das Problem der verbesserungsbedürftigen Trinkwasseraufbereitung offen diskutiert und offensiv angegangen. In einer neuen EU-Trinkwasserrichtlinie werden mit Sicherheit Regelungen zu Viren im Trinkwasser enthalten sein.
Frage: Warum geschieht so etwas nicht auch in deutschen Wasserwerken? Warum werden diese nicht durch die zuständigen Ministerien dazu gezwungen?
Antwort: Ich hatte es schon angesprochen. In Deutschland ist Wasserversorgung Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden. Die Kommunalpolitiker entscheiden, oft wird der Trinkwasserpreis heiß diskutiert. Die Gesundheitsämter bei den Landkreisen und Städten tun den kommunalen Wasserversorgern selten weh. Minister, die regelmäßig auch Landtags- und Bundestagsabgeordnete sind, haben ihre Basis in den Kommunen…
Frage: Sie selbst sind nach Ihrem jahrelangen Einsatz für sauberes Trinkwasser aus Ihrem Amt in Aachen 2005 von der damaligen grünen Umweltministerin Bärbel Höhn nach Düsseldorf zwangsversetzt worden. Durch den monatelangen Streit wurden Sie krank, „auf Dauer dienstunfähig“ und schließlich mit 50 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Was hat man Ihnen vorgeworfen? Wie ist das abgelaufen?
Antwort: Mein Ausscheiden nach 15 Jahren Amtsleitung folgte der typischen Whistleblower-Karriere. Die Stufen der Repressionen steigerten sich, die Begründungen wechselten ständig. Erst wurde mir verboten, die Medien über Trinkwasserprobenahmen zu informieren. Dann folgte der Entzug der dienstlichen Kompetenz für die Wasserversorgung. Da ich von Wasserwerken verweigerte Probenahmen mit Amtshilfe der Polizei durchgesetzt hatte, sollte ich zum Amtsarzt. Nachdem ich die Bediensteten des Amtes über die Vorgänge informiert hatte, wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Kurz vor dem Termin, bei dem die Konsequenzen aus positiven Rotavirusbefunden im Trinkwasser besprochen werden sollten, wurde ich suspendiert. Während der Suspendierung wurde ich dann des Amtes enthoben und zwangsversetzt, diesmal mit der Begründung, es hätte unüberwindbare Probleme mit dem Personalrat gegeben. Amtsenthebung und Zwangsversetzung haben mich depressiv werden lassen.
Soddemann war ihr offenbar zu unbequem
– Grüne Ex-Umweltministerin Bärbel Höhn
Quelle: www.gruene-swisttal.de
Antwort: Ich arbeite mit einer Reihe von Wissenschaftlern und Ärzten zusammen, die seit 2004 meine Arbeiten begleiten. Weiterhin arbeite ich in Vereinen mit, die sich des Themas „Umwelt und Gesundheit“ annehmen. Politische Verbündete habe ich noch nicht gefunden.
Frage: Warum erfährt man in den Medien weniger über gesundheitsschädliches Trinkwasser bei uns als in Afrika oder Indien?
Antwort: Unsere Gesundheitsämter gehen trinkwasserassoziierten Epidemien regelmäßig nicht nach. Deshalb gibt es auch so gut wie keine Wasserwerke, die „ertappt“ wurden, jedenfalls nicht in unmittelbarer Verbindung zu Erkrankten. Ich kenne nur einen Fall in der Nähe von Neuwied. Dort wurden trinkwasserbedingte Parasiteninfektionen bewiesen. Das Wasser war aus oberflächennahen Brunnen gewonnen und nicht aufbereitet worden.
Frage: Solange Politik und Wasserwerke nicht bereit sind, in gesundes Trinkwasser zu investieren: Was raten Sie den Menschen? Die können ja nicht wie ich hier auf meinem Journalisten- und Filmemacher-Rentnerplatz auf der türkischen Datca-Halbinsel wöchentlich einmal zu einer der hiesigen Bergquellen fahren und sich dort mit Trinkwasser versorgen.
Antwort: Privat haben meine Frau und ich uns eine Ultrafiltrationsanlage in unser Haus eingebaut. So etwas ist allerdings recht aufwändig und kann nicht der Königsweg sein. Die wirkliche Lösung des Problems kann nur erreicht werden, wenn die Wasserwerke ihren Job machen wie aktuell im Ruhrgebiet. Als Folge der PFT-Diskussionen [1] werden dort jetzt Ultrafiltrationsanlagen gegen Krankheitserreger und Aktivkohlefilter gegen organische Spurenschadstoffe wie PFT gebaut, nach Angaben der Ruhrwasserwerke für
4 Millionen Menschen und 140 Millionen Euro. (PK)
[1] Gemeint ist die seit gut zwei Jahren anhaltende Diskussion über die Belastung der Ruhr mit „Perfluorierten Tensiden” aus der Papier-, Textil- und Metallindustrie. Die Letzten in der Kette zwischen industrieller PFT-Nutzung, Abwassereinleitung und Trinkwassergewinnung sind die Wasserwerke entlang der Ruhr und die Trinkwasserverbraucher. – Die Redaktion.
Nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums an der RWTH Aachen im Jahr 1979 arbeitete Wilfried Soddemann in verschiedenen Behörden des Landes NRW, u.a. im Landesamt für Wasser und Abfall und im Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft. Wasserversorgung, Wasserschutzgebiete und Abfallwirtschaft waren seine Arbeitsbereiche, zuletzt von 1995 bis 2005 als Leiter des Staatlichen Umweltamtes in Aachen. „Der Prophet im eigenen Land hatte es schon seit Menschengedenken NICHT leicht“, kommentiert die Umweltseite www.dugi-ev.de Soddemanns Zwangspensionierung durch Umweltministerin Bärbel Höhn im Jahr 2005. Wir hoffen, dass unser Interview mithelfen kann, seinen Arbeiten zum Durchbruch und zur Anerkennung durch die deutschen Behörden bzw. die Bundesregierung zu verhelfen.
Klaus Töpfer, CDU-Politiker war u.a. Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Minister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, 1998 bis 2006 Unter-Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN), Generaldirektor des Büros der Vereinten Nationen in Nairobi und Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen.
Online-Flyer Nr. 165 vom 24.09.2008