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Die Dokumentation: Fragen und Antworten Teil 2
„68er Köpfe“
Von der Arbeiterfotografie und Christian Heinrici
Mit ihrer Ausstellung legt die Arbeiterfotografie ein eindrucksvolles Dokument der Rebellion vor – damals wie heute. In dem hier veröffentlichten Fragenkatalog geben die Portraitierten Auskunft über ihre Motivationen, Aktivitäten, Ereignisse, die sie besonders geprägt haben, Ziele, Wirkung und Rezeption der 68er Jahre. Denn allen dieses Jahr von vielen Mainstream-Medien hervorgequakten Unkenrufen zum Trotz, diese Generation hat etwas vorzuweisen: Einen wichtigen Schritt zu mehr Emanzipation, Demokratisierung, Offenheit und Transparenz auf breiter gesellschaftlicher Ebene.
Hängung der dokumentierten Portraits in der Ausstellungshalle der Alten Feuerwache in Köln | Foto: Arbeiterfotografie
„68er Köpfe“ hat ohne Zweifel zeitdokumentarischen Wert, doch die Fragen und die Antworten der Exponenten weisen in die Gegenwart und in die Zukunft, die es noch zu gestalten gilt. Die Ausstellung mit Fotografien von Anneliese Fikentscher, Senne Glanschneider, Hans-Dieter Hey, Andreas Neumann, Karin Richert und Gabriele Senft, hat auch der Kinder- und Enkelgeneration etwas zu sagen und wird hoffentlich noch in anderen Zusammenhängen zu sehen sein.
Die NRhZ zeigt in den kommenden Ausgaben weitere Fotografien aus „68er Köpfe“ und in diesem zweiten Teil einige Antworten auf den Fragenkatalog der Fotografen. Lesen Sie dazu auch die Biographien der Portraitierten in Fotogalerie aus der NRhZ 167.
„Nein! Wir woll’n nicht Eure Welt!“
Klaus der Geiger
Foto: Senne Glanschneider
1. Was war damals (um 1968) persönlicher Auslöser, dein Umfeld und deine Hauptaktivität?
Persönlicher Auslöser: Vietnam-Krieg und die Politisierung des Jungvolks. Ich war damals so eine Art Dozent an der SUNYaB (Buffalo) und UCSD (SanDiego). An der UCSD lehrten auch Herbert Marcuse, Angela Davis und Reinhard Lettau. Ich war in den Music Departments beschäftigt.
Foto: Senne Glanschneider
2. Was ist für dich ein für die 68er-Zeit besonders typisches persönliches Erlebnis?
Die Studenten-Unruhen, z.B. auch „People's Park“ in San Francisco, was nicht direkt mit dem Vietnam-Krieg zu tun hatte, sondern mit der vom Staat angeordneten Zerstörung eines von der Bevölkerung angelegten Parks in San Francisco. Da gab es Tote! Die Drogen-Erfahrungen (Marihuana und LSD). Die Rock-Musik-Erfahrung
3. Was war damals das Wichtigste, was es deiner Meinung nach zu erreichen galt?
High sein, frei sein, und ich will dabei sein!
4. Was hat die 68er-Bewegung tatsächlich erreicht?
Schon in dem Sinne wie bei 3. hat sich seitdem schon so einiges getan, bis heute.
Foto: Senne Glanschneider
5. Welches sind wesentliche Ziele, bei denen du ein Scheitern der 68er-Bewegung siehst? Und wie kam es dazu?
Aber wenn Utopien verwirklicht werden, fallen Späne, und nicht zu knapp. Dafür sorgen die Machthaber der „Silent Majority“
6. Womit ist damals versucht worden, die 68er-Bewegung zu Fall zu bringen?
Mit der Angst vor Freiheitsdrang, vor der Anarchie, mit allmählichen und ständigen Preis-Erhöhungen
7. Womit wird heute im nachhinein versucht, die Auswirkungen der 68er-Bewegung kaputt zu machen?
Mit genau denselben Methoden wie bei 6.
8. Wo und wie siehst du für heute die Notwendigkeit einer ähnlichen Bewegung wie 1968? Was möchtest du der heute jungen Generation vermitteln?
Das Geld hat einen zu hohen Stellenwert heute. Damals war „Ohne Moos nix los“ Dumpfbacken-Scheiß – ist es eigentlich heute auch noch. Das sollte man als Alt-68er deutlich machen.
9. Was gibt es sonst noch, was dir wichtig ist, zum Ausdruck zu bringen?
Das Paradies ist hier. Und im Paradies sind wir. Wir müssen es uns nur nicht selber ständig kaputt machen!
„Wachgerüttelt“
Gunter Demnig
Foto: Karin Richert
1. Was war damals (um 1968) persönlicher Auslöser, dein Umfeld und deine Hauptaktivität?
Mein Geschichtsunterricht war mit dem Ende der Weimarer Republik zu Ende gegangen – Nachillfe bekam ich dann im CÀ IRA bei Vorträgen von Rudi Dutschke und Gaston Salvatorei. Ich begann mein Kunststudium an der HdK (Hochschule der Künste) in Berlin – die politische Situation übertrug sich auch auf die Ausbildung. Unser Prof. Kaufmann hat auch Studenten, die sich fast nur politisch engagierten, das Testat gegeben. Meine Reaktion war eine Darstellung der Amerikanischen Flagge... allerdings waren die Stars durch Totenköpfe ersetzt.
2. Was ist für dich ein für die 68er-Zeit besonders typisches persönliches Erlebnis?
Dieses Tafelbild habe ich dann umgesetzt als Installation in meinem Atelier in Berlin-Kreuzberg, ein Eckladen, in die Schaufensterscheibe – 3 Tage später war ich verhaftet wegen „Verunglimpfung einer ausländischen Flagge“ – ein ziemlich unangenehmes Procedere. Als Rechtsberater hatte ich dann Otto Schily. Aber Ankläger hätte damals sowieso nur die amerikanische Botschaft sein können – ich habe nie wieder etwas davon gehört.
„Verunglimpfung einer ausländischen Flagge“ | Foto: Karin Richert
3. Was war damals das Wichtigste, was es deiner Meinung nach zu erreichen galt?
Eine globale Solidarität unter den Völkern – natürlich der Stop dieses wahnsinnigen Krieges in Vietnam – David gegen Goliath. Und grundsätzlich gegen jeden Krieg.
4. Was hat die 68er-Bewegung tatsächlich erreicht?
Sicherlich endlich mal die Beschäftigung mit unserer Deutschen Vergangenheit, und ganz persönlich kann ich sagen: Ohne diese Auseinandersetzung gäbe es von mir nicht das Projekt STOLPERSTEINE.
5. Welches sind wesentliche Ziele, bei denen du ein Scheitern der 68er-Bewegung siehst? Und wie kam es dazu?
Die krassen Unterschiede zwischen Hartz IV und den Managergehältern sind ungerecht und im Grunde unerträglich, aber kaum jemand regt sich wirklich darüber auf
6. Womit ist damals versucht worden, die 68er-Bewegung zu Fall zu bringen?
Wir mussten uns oft den Satz anhören: Geht doch in den Osten! Ohne überhaupt zuzuhören, was wir eigentlich meinten und den „real existierenden Sozialismus“ nicht meinten und nicht wollten.
7. Womit wird heute im nachhinein versucht, die Auswirkungen der 68er-Bewegung kaputt zu machen?
Der Ansatz der 68er wird oft in einem Atemzug mit der RAF genannt, aber an diese Form der Gewalt haben wir nie gedacht.
Gunter Demnig in seinem Kölner Atelier | Foto: Karin Richert
8. Wo und wie siehst du für heute die Notwendigkeit einer ähnlichen Bewegung wie 1968? Was möchtest Du der heute jungen Generation vermitteln?
Die historische Situation ist nicht vergleichbar, das Schweigen der Elterngeneration gibt es so nicht mehr. Aber bei dem Projekt STOLPERSTEINE sind immer wieder Schüler sehr aktiv – sie wollen wissen: Wie konnte das im „Land der Dichter und Denker“ geschehen? Und die Folgerung: So etwas in der Zukunft zu verhindern!
9. Was gibt es sonst noch, was dir wichtig ist, zum Ausdruck zu bringen?
Ehrlichkeit bei der Aufarbeitung der Vergangenheit; eine Dokumentation ohne einen Pranger.
„Ablehnung von Obrigkeit, aller Ismen und Zwänge“
Hans-Günther Obermaier
Foto: Senne Glanschneider
1. Was war damals (um 1968) persönlicher Auslöser, dein Umfeld und deine Hauptaktivität?
Autoritäres Umfeld, Arbeitermilieu, ein prügelnder Vater, anstrengende Schul- und Lehrzeit; also eine „schwere Kindheit“ waren Anlass, sich zu politisieren, um wenigstens geistige Freiheit zu erlangen. Auf Ostermärschen, Protestkonzerten fanden sich Gleichgesinnte.
2. Was ist für dich ein für die 68er-Zeit besonders typisches persönliches Erlebnis?
Meine wichtigsten Erlebnisse waren 1967 der Umzug nach Köln zur neuen Arbeitsstelle und vor allem die Heirat, Wohnungssuche, Familiengründung und die Kunst noch nebenher. Bis auf KVB-Gleisbesetzung war da wenig Zeit für Protest.
3. Was war damals das Wichtigste, was es deiner Meinung nach zu erreichen galt?
Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung für alle! Bezeichnenderweise sind diese Wunschprojektionen noch heute Wahlkampfparolen.
Foto: Senne Glanschneider
4. Was hat die 68er-Bewegung tatsächlich erreicht?
Trotz der riesigen Menge blanken Unsinns und Blödsinns, der damals verzapft wurde, ist ein selbstbewusstes, ungezwungenes und auch misstrauisches Völkchen geboren worden. Das gilt besonders auch für die damals sich in Bewegung setzende Frauenemanzipation und den Feminismus!
5. Welches sind wesentliche Ziele, bei denen du ein Scheitern der 68er-Bewegung siehst? Und wie kam es dazu?
Die „hohen“Ziele sind nicht erreicht worden, weil die Weltpolitik nicht in Bonn, sondern bei der Nato, in Washington und in Moskau gemacht wurde. Eine dauerhafte Friedensbewegung ist geblieben.
6. Womit ist damals versucht worden, die 68er-Bewegung zu Fall zu bringen?
Die Kopf-durch-die-Wand-Typen der RAF haben die guten Botschaften der 68er ins Gegenteil verkehrt. Die Revolution war nicht mehr friedlich. Sie erzeugten Angst.
7. Womit wird heute im nachhinein versucht, die Auswirkungen der 68er-Bewegung kaputt zu machen?
Die Globalisierung macht die Reichen reicher, und die 68er Ideen sättigen nicht – weder geistig noch körperlich! Sogenannte „schlaue“ 68er schreiben heute in Büchern ihre und unsere Vergangenheit kaputt.
8. Wo und wie siehst du für heute die Notwendigkeit einer ähnlichen Bewegung wie 1968? Was möchtest du der heute jungen Generation vermitteln?
Foto: Senne Glanschneider
Geschichte wiederholt sich nicht. Mut und Freude am Widerspruch und die Besinnung auf eigene Stärken sind mein Lebensrezept. Aber die junge Generation ist besser als heute oft beschrieben. Sie braucht keinen Rat von uns Alten.
9. Was gibt es sonst noch, was dir wichtig ist, zum Ausdruck zu bringen?
Obwohl ich seit 1963 die Peking-Rundschau und Peking-Illustrierte abonniert hatte, wurde ich damals kein Maoist und kein Stamokap-Anhänger. Ich rate allen jungen Leuten, immer auch zwischen den Zeilen zu lesen und alle Nachrichten kritisch zu betrachten.
„Es sieht ganz so aus, als wärst Du frei...“
Eusebius Wirdeier
Foto: Hans-Dieter Hey
1. Was war damals (um 1968) persönlicher Auslöser, dein Umfeld und deine Hauptaktivität?
Der gewaltsame und sinnlose Tod von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 und das Attentat auf Rudi Dutschke am Karfreitag 1968. Und eine ganze Menge alter brauner Kram, der betrachtet werden musste und mit dem wir aufräumen wollten. Mein Weg ins Reich der Freiheit führte zunächst in die Kunst...
Aktionsobjekt „Es sieht ganz danach aus, als wärst Du frei“ – gebaut und fotografiert von Eusebius Wirdeier '73 bei einer Aktion mit KunststudentInnen in den Kölner Werkschulen | Foto: Hans-Dieter Hey
2. Was ist für dich ein für die 68er-Zeit besonders typisches persönliches Erlebnis?
Die Armeen der Warschauer-Pakt-Staaten marschierten in die sozialistische Tschechoslowakei ein und servierten die Regierung Dubcek ab. Das knirschte ganz heftig in meinem Kopf, und ich ging vor der Handelsmission der UDSSR demonstrieren. Faszinierend war die öffentliche Debatte auf dem Kölner Neumarkt, die spontan aufflammte. Ab da war ich „Sponti“ und undogmatisch.
3. Was war damals das Wichtigste, was es deiner Meinung nach zu erreichen galt?
Im Kern die Forderungen von 1789: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – beziehungsweise Geschwisterlichkeit. Gleichheit, Gleichberechtigung war und ist mir sehr wichtig.
4. Was hat die 68er-Bewegung tatsächlich erreicht?
Eine ganze Menge – und doch ist die Welt nach wie vor nicht in Ordnung. Gemessen am Mief der 1950er und 60er Jahre ist vieles leichter geworden. Anderes ist allerdings schwieriger. Junge Leute haben beispielsweise heute schlechtere ökonomische Bedingungen als wir damals.
5. Welches sind wesentliche Ziele, bei denen du ein Scheitern der 68er-Bewegung siehst? Und wie kam es dazu?
Wir haben es in unseren alternativen ökonomischen Versuchen nicht geschafft, die private Aneignung von kollektiv erwirtschafteten Werten abzuschaffen. Die damaligen Alternativbetriebe sind heute in Einzelbesitz. Zins und Zinseszins haben die Oberhand behalten.
6. Womit ist damals versucht worden, die 68er-Bewegung zu Fall zu bringen?
Mit Bestechung und Einschüchterung, „Zuckerbrot und Peitsche“, das funktioniert immer weiter.
7. Womit wird heute im nachhinein versucht, die Auswirkungen der 68er-Bewegung kaputt zu machen?
Wenn in der 68er Bewegung formulierte wichtige Ziele zugunsten von Machterhalt aufgegeben werden. Wer andere Länder von Berlin aus mit Waffengewalt zum Guten führen will, wird mittelfristig scheitern und das gefährden, was in den fünfundvierzig Jahren „verschlafener Bonner Republik“ bewahrt worden war: Frieden. Ich nenne nur den Kosovo und den Hindukusch.
Foto: Hans-Dieter Hey
8. Wo und wie siehst du für heute die Notwendigkeit einer ähnlichen Bewegung wie 1968? Was möchtest du der heute jungen Generation vermitteln?
Die junge Generation wird selbst herausfinden (müssen), was wichtig ist. Ich bin da ganz zuversichtlich. Es gab vor ein paar Monaten zum Beispiel in Köln erfrischende und freche Aktionen, bei denen der öffentliche Raum feiernd und protestierend eingenommen wurde, zumindest vorübergehend. Man probierte aus, wie weit man gehen kann und was „auf der anderen Seite“ als Botschaft ankommt: „Prendiamo la città – Nehmen wir uns die Stadt!“
9. Was gibt es sonst noch, was dir wichtig ist, zum Ausdruck zu bringen?
In der Bescheidenheit zeigt sich der Meister. Ich habe meine Zeichen gesetzt.
Online-Flyer Nr. 169 vom 22.10.2008
Die Dokumentation: Fragen und Antworten Teil 2
„68er Köpfe“
Von der Arbeiterfotografie und Christian Heinrici
Mit ihrer Ausstellung legt die Arbeiterfotografie ein eindrucksvolles Dokument der Rebellion vor – damals wie heute. In dem hier veröffentlichten Fragenkatalog geben die Portraitierten Auskunft über ihre Motivationen, Aktivitäten, Ereignisse, die sie besonders geprägt haben, Ziele, Wirkung und Rezeption der 68er Jahre. Denn allen dieses Jahr von vielen Mainstream-Medien hervorgequakten Unkenrufen zum Trotz, diese Generation hat etwas vorzuweisen: Einen wichtigen Schritt zu mehr Emanzipation, Demokratisierung, Offenheit und Transparenz auf breiter gesellschaftlicher Ebene.
Hängung der dokumentierten Portraits in der Ausstellungshalle der Alten Feuerwache in Köln | Foto: Arbeiterfotografie
„68er Köpfe“ hat ohne Zweifel zeitdokumentarischen Wert, doch die Fragen und die Antworten der Exponenten weisen in die Gegenwart und in die Zukunft, die es noch zu gestalten gilt. Die Ausstellung mit Fotografien von Anneliese Fikentscher, Senne Glanschneider, Hans-Dieter Hey, Andreas Neumann, Karin Richert und Gabriele Senft, hat auch der Kinder- und Enkelgeneration etwas zu sagen und wird hoffentlich noch in anderen Zusammenhängen zu sehen sein.
Die NRhZ zeigt in den kommenden Ausgaben weitere Fotografien aus „68er Köpfe“ und in diesem zweiten Teil einige Antworten auf den Fragenkatalog der Fotografen. Lesen Sie dazu auch die Biographien der Portraitierten in Fotogalerie aus der NRhZ 167.
„Nein! Wir woll’n nicht Eure Welt!“
Klaus der Geiger
Foto: Senne Glanschneider
1. Was war damals (um 1968) persönlicher Auslöser, dein Umfeld und deine Hauptaktivität?
Persönlicher Auslöser: Vietnam-Krieg und die Politisierung des Jungvolks. Ich war damals so eine Art Dozent an der SUNYaB (Buffalo) und UCSD (SanDiego). An der UCSD lehrten auch Herbert Marcuse, Angela Davis und Reinhard Lettau. Ich war in den Music Departments beschäftigt.
Foto: Senne Glanschneider
2. Was ist für dich ein für die 68er-Zeit besonders typisches persönliches Erlebnis?
Die Studenten-Unruhen, z.B. auch „People's Park“ in San Francisco, was nicht direkt mit dem Vietnam-Krieg zu tun hatte, sondern mit der vom Staat angeordneten Zerstörung eines von der Bevölkerung angelegten Parks in San Francisco. Da gab es Tote! Die Drogen-Erfahrungen (Marihuana und LSD). Die Rock-Musik-Erfahrung
3. Was war damals das Wichtigste, was es deiner Meinung nach zu erreichen galt?
High sein, frei sein, und ich will dabei sein!
4. Was hat die 68er-Bewegung tatsächlich erreicht?
Schon in dem Sinne wie bei 3. hat sich seitdem schon so einiges getan, bis heute.
Foto: Senne Glanschneider
5. Welches sind wesentliche Ziele, bei denen du ein Scheitern der 68er-Bewegung siehst? Und wie kam es dazu?
Aber wenn Utopien verwirklicht werden, fallen Späne, und nicht zu knapp. Dafür sorgen die Machthaber der „Silent Majority“
6. Womit ist damals versucht worden, die 68er-Bewegung zu Fall zu bringen?
Mit der Angst vor Freiheitsdrang, vor der Anarchie, mit allmählichen und ständigen Preis-Erhöhungen
7. Womit wird heute im nachhinein versucht, die Auswirkungen der 68er-Bewegung kaputt zu machen?
Mit genau denselben Methoden wie bei 6.
8. Wo und wie siehst du für heute die Notwendigkeit einer ähnlichen Bewegung wie 1968? Was möchtest du der heute jungen Generation vermitteln?
Das Geld hat einen zu hohen Stellenwert heute. Damals war „Ohne Moos nix los“ Dumpfbacken-Scheiß – ist es eigentlich heute auch noch. Das sollte man als Alt-68er deutlich machen.
9. Was gibt es sonst noch, was dir wichtig ist, zum Ausdruck zu bringen?
Das Paradies ist hier. Und im Paradies sind wir. Wir müssen es uns nur nicht selber ständig kaputt machen!
„Wachgerüttelt“
Gunter Demnig
Foto: Karin Richert
1. Was war damals (um 1968) persönlicher Auslöser, dein Umfeld und deine Hauptaktivität?
Mein Geschichtsunterricht war mit dem Ende der Weimarer Republik zu Ende gegangen – Nachillfe bekam ich dann im CÀ IRA bei Vorträgen von Rudi Dutschke und Gaston Salvatorei. Ich begann mein Kunststudium an der HdK (Hochschule der Künste) in Berlin – die politische Situation übertrug sich auch auf die Ausbildung. Unser Prof. Kaufmann hat auch Studenten, die sich fast nur politisch engagierten, das Testat gegeben. Meine Reaktion war eine Darstellung der Amerikanischen Flagge... allerdings waren die Stars durch Totenköpfe ersetzt.
2. Was ist für dich ein für die 68er-Zeit besonders typisches persönliches Erlebnis?
Dieses Tafelbild habe ich dann umgesetzt als Installation in meinem Atelier in Berlin-Kreuzberg, ein Eckladen, in die Schaufensterscheibe – 3 Tage später war ich verhaftet wegen „Verunglimpfung einer ausländischen Flagge“ – ein ziemlich unangenehmes Procedere. Als Rechtsberater hatte ich dann Otto Schily. Aber Ankläger hätte damals sowieso nur die amerikanische Botschaft sein können – ich habe nie wieder etwas davon gehört.
„Verunglimpfung einer ausländischen Flagge“ | Foto: Karin Richert
3. Was war damals das Wichtigste, was es deiner Meinung nach zu erreichen galt?
Eine globale Solidarität unter den Völkern – natürlich der Stop dieses wahnsinnigen Krieges in Vietnam – David gegen Goliath. Und grundsätzlich gegen jeden Krieg.
4. Was hat die 68er-Bewegung tatsächlich erreicht?
Sicherlich endlich mal die Beschäftigung mit unserer Deutschen Vergangenheit, und ganz persönlich kann ich sagen: Ohne diese Auseinandersetzung gäbe es von mir nicht das Projekt STOLPERSTEINE.
5. Welches sind wesentliche Ziele, bei denen du ein Scheitern der 68er-Bewegung siehst? Und wie kam es dazu?
Die krassen Unterschiede zwischen Hartz IV und den Managergehältern sind ungerecht und im Grunde unerträglich, aber kaum jemand regt sich wirklich darüber auf
6. Womit ist damals versucht worden, die 68er-Bewegung zu Fall zu bringen?
Wir mussten uns oft den Satz anhören: Geht doch in den Osten! Ohne überhaupt zuzuhören, was wir eigentlich meinten und den „real existierenden Sozialismus“ nicht meinten und nicht wollten.
7. Womit wird heute im nachhinein versucht, die Auswirkungen der 68er-Bewegung kaputt zu machen?
Der Ansatz der 68er wird oft in einem Atemzug mit der RAF genannt, aber an diese Form der Gewalt haben wir nie gedacht.
Gunter Demnig in seinem Kölner Atelier | Foto: Karin Richert
8. Wo und wie siehst du für heute die Notwendigkeit einer ähnlichen Bewegung wie 1968? Was möchtest Du der heute jungen Generation vermitteln?
Die historische Situation ist nicht vergleichbar, das Schweigen der Elterngeneration gibt es so nicht mehr. Aber bei dem Projekt STOLPERSTEINE sind immer wieder Schüler sehr aktiv – sie wollen wissen: Wie konnte das im „Land der Dichter und Denker“ geschehen? Und die Folgerung: So etwas in der Zukunft zu verhindern!
9. Was gibt es sonst noch, was dir wichtig ist, zum Ausdruck zu bringen?
Ehrlichkeit bei der Aufarbeitung der Vergangenheit; eine Dokumentation ohne einen Pranger.
„Ablehnung von Obrigkeit, aller Ismen und Zwänge“
Hans-Günther Obermaier
Foto: Senne Glanschneider
1. Was war damals (um 1968) persönlicher Auslöser, dein Umfeld und deine Hauptaktivität?
Autoritäres Umfeld, Arbeitermilieu, ein prügelnder Vater, anstrengende Schul- und Lehrzeit; also eine „schwere Kindheit“ waren Anlass, sich zu politisieren, um wenigstens geistige Freiheit zu erlangen. Auf Ostermärschen, Protestkonzerten fanden sich Gleichgesinnte.
2. Was ist für dich ein für die 68er-Zeit besonders typisches persönliches Erlebnis?
Meine wichtigsten Erlebnisse waren 1967 der Umzug nach Köln zur neuen Arbeitsstelle und vor allem die Heirat, Wohnungssuche, Familiengründung und die Kunst noch nebenher. Bis auf KVB-Gleisbesetzung war da wenig Zeit für Protest.
3. Was war damals das Wichtigste, was es deiner Meinung nach zu erreichen galt?
Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung für alle! Bezeichnenderweise sind diese Wunschprojektionen noch heute Wahlkampfparolen.
Foto: Senne Glanschneider
4. Was hat die 68er-Bewegung tatsächlich erreicht?
Trotz der riesigen Menge blanken Unsinns und Blödsinns, der damals verzapft wurde, ist ein selbstbewusstes, ungezwungenes und auch misstrauisches Völkchen geboren worden. Das gilt besonders auch für die damals sich in Bewegung setzende Frauenemanzipation und den Feminismus!
5. Welches sind wesentliche Ziele, bei denen du ein Scheitern der 68er-Bewegung siehst? Und wie kam es dazu?
Die „hohen“Ziele sind nicht erreicht worden, weil die Weltpolitik nicht in Bonn, sondern bei der Nato, in Washington und in Moskau gemacht wurde. Eine dauerhafte Friedensbewegung ist geblieben.
6. Womit ist damals versucht worden, die 68er-Bewegung zu Fall zu bringen?
Die Kopf-durch-die-Wand-Typen der RAF haben die guten Botschaften der 68er ins Gegenteil verkehrt. Die Revolution war nicht mehr friedlich. Sie erzeugten Angst.
7. Womit wird heute im nachhinein versucht, die Auswirkungen der 68er-Bewegung kaputt zu machen?
Die Globalisierung macht die Reichen reicher, und die 68er Ideen sättigen nicht – weder geistig noch körperlich! Sogenannte „schlaue“ 68er schreiben heute in Büchern ihre und unsere Vergangenheit kaputt.
8. Wo und wie siehst du für heute die Notwendigkeit einer ähnlichen Bewegung wie 1968? Was möchtest du der heute jungen Generation vermitteln?
Foto: Senne Glanschneider
Geschichte wiederholt sich nicht. Mut und Freude am Widerspruch und die Besinnung auf eigene Stärken sind mein Lebensrezept. Aber die junge Generation ist besser als heute oft beschrieben. Sie braucht keinen Rat von uns Alten.
9. Was gibt es sonst noch, was dir wichtig ist, zum Ausdruck zu bringen?
Obwohl ich seit 1963 die Peking-Rundschau und Peking-Illustrierte abonniert hatte, wurde ich damals kein Maoist und kein Stamokap-Anhänger. Ich rate allen jungen Leuten, immer auch zwischen den Zeilen zu lesen und alle Nachrichten kritisch zu betrachten.
„Es sieht ganz so aus, als wärst Du frei...“
Eusebius Wirdeier
Foto: Hans-Dieter Hey
1. Was war damals (um 1968) persönlicher Auslöser, dein Umfeld und deine Hauptaktivität?
Der gewaltsame und sinnlose Tod von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 und das Attentat auf Rudi Dutschke am Karfreitag 1968. Und eine ganze Menge alter brauner Kram, der betrachtet werden musste und mit dem wir aufräumen wollten. Mein Weg ins Reich der Freiheit führte zunächst in die Kunst...
Aktionsobjekt „Es sieht ganz danach aus, als wärst Du frei“ – gebaut und fotografiert von Eusebius Wirdeier '73 bei einer Aktion mit KunststudentInnen in den Kölner Werkschulen | Foto: Hans-Dieter Hey
2. Was ist für dich ein für die 68er-Zeit besonders typisches persönliches Erlebnis?
Die Armeen der Warschauer-Pakt-Staaten marschierten in die sozialistische Tschechoslowakei ein und servierten die Regierung Dubcek ab. Das knirschte ganz heftig in meinem Kopf, und ich ging vor der Handelsmission der UDSSR demonstrieren. Faszinierend war die öffentliche Debatte auf dem Kölner Neumarkt, die spontan aufflammte. Ab da war ich „Sponti“ und undogmatisch.
3. Was war damals das Wichtigste, was es deiner Meinung nach zu erreichen galt?
Im Kern die Forderungen von 1789: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – beziehungsweise Geschwisterlichkeit. Gleichheit, Gleichberechtigung war und ist mir sehr wichtig.
4. Was hat die 68er-Bewegung tatsächlich erreicht?
Eine ganze Menge – und doch ist die Welt nach wie vor nicht in Ordnung. Gemessen am Mief der 1950er und 60er Jahre ist vieles leichter geworden. Anderes ist allerdings schwieriger. Junge Leute haben beispielsweise heute schlechtere ökonomische Bedingungen als wir damals.
5. Welches sind wesentliche Ziele, bei denen du ein Scheitern der 68er-Bewegung siehst? Und wie kam es dazu?
Wir haben es in unseren alternativen ökonomischen Versuchen nicht geschafft, die private Aneignung von kollektiv erwirtschafteten Werten abzuschaffen. Die damaligen Alternativbetriebe sind heute in Einzelbesitz. Zins und Zinseszins haben die Oberhand behalten.
6. Womit ist damals versucht worden, die 68er-Bewegung zu Fall zu bringen?
Mit Bestechung und Einschüchterung, „Zuckerbrot und Peitsche“, das funktioniert immer weiter.
7. Womit wird heute im nachhinein versucht, die Auswirkungen der 68er-Bewegung kaputt zu machen?
Wenn in der 68er Bewegung formulierte wichtige Ziele zugunsten von Machterhalt aufgegeben werden. Wer andere Länder von Berlin aus mit Waffengewalt zum Guten führen will, wird mittelfristig scheitern und das gefährden, was in den fünfundvierzig Jahren „verschlafener Bonner Republik“ bewahrt worden war: Frieden. Ich nenne nur den Kosovo und den Hindukusch.
Foto: Hans-Dieter Hey
8. Wo und wie siehst du für heute die Notwendigkeit einer ähnlichen Bewegung wie 1968? Was möchtest du der heute jungen Generation vermitteln?
Die junge Generation wird selbst herausfinden (müssen), was wichtig ist. Ich bin da ganz zuversichtlich. Es gab vor ein paar Monaten zum Beispiel in Köln erfrischende und freche Aktionen, bei denen der öffentliche Raum feiernd und protestierend eingenommen wurde, zumindest vorübergehend. Man probierte aus, wie weit man gehen kann und was „auf der anderen Seite“ als Botschaft ankommt: „Prendiamo la città – Nehmen wir uns die Stadt!“
9. Was gibt es sonst noch, was dir wichtig ist, zum Ausdruck zu bringen?
In der Bescheidenheit zeigt sich der Meister. Ich habe meine Zeichen gesetzt.
Online-Flyer Nr. 169 vom 22.10.2008