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Aktueller Online-Flyer vom 24. November 2024  

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Inland
Bahnchef Mehdorn bleibt stur gegenüber dem „Zug der Erinnerung“
Schon 100.000 Euro kassiert
Von Hans Georg und Peter Kleinert

Während die französischen Staatsbahnen ihre Mitschuld an der Deportation von jüdischen Menschen aus Frankreich in die deutschen KZs eingestanden und für die Ausstellung „11.000 Kinder“ ihre Bahnhöfe kostenlos zur Verfügung stellten, erhebt 70 Jahre nach dem Beginn dieser Massentransporte der Deutschen Reichsbahn deren Nachfolgeunternehmen Deutsche Bahn AG Gebühren für das Gedenken an die NS-Opfer. Sie wurden auch vom "Zug der Erinnerung" verlangt, der am Samstag in den Bahnhof Oranienburg bei Berlin einlief.
mehdorn 
Sogar Ehrensenator
der Uni Heidelberg –    
Bahnchef Hartmut
Mehdorn | Quelle:
www.uni-heidelberg.de
In Oranienburg befand sich eines der ersten Konzentrationslager. Der Schriftsteller Erich Mühsam wurde dort wie tausende andere Häftlinge ermordet, darunter auch Kinder und Jugendliche. Später wurden zehntausende Häftlinge über den Bahnhof Oranienburg geschleust und in das nahe gelegene KZ Sachsenhausen verschleppt. Und auch in den letzten Kriegstagen hatte die Deutsche Reichsbahn ihre Oranienburger Bahnhofsanlagen für den Abtransport von KZ-Häftlingen aus Buchenwald zur Verfügung gestellt. Sie mussten für die Firma Siemens Zwangsarbeit leisten. Zahlreiche Beschäftigte der Stadt lebten von diesem NS-Lagersystem, dessen Wirkung bis heute zu spüren ist: Die NPD verfügt in Oranienburg über zwei Stadtratsmandate und über einen nicht unerheblichen Einfluss in der Region Oberhavel.
 
Initiative Elftausend Kinder auf dem Frankfurter Hbf vor einem Jahr
Initiative Elftausend Kinder auf dem Frankfurter Hbf vor
einem Jahr | Foto: Dietmar Treber

 
Ausgerechnet für das Gedenken an die NS-Opfer in Oranienburg entstehen dem "Zug der Erinnerung" auch jetzt wieder Kosten, die vom Vorstand der Deutschen Bahn erhoben werden. Mit der Begründung, dass die DB-AG keine Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn sei, hatte Bahnchef Mehdorn über Jahre auch der Ausstellung zur Erinnerung an die Deportation der 11.000 meist jüdischen französischen Kinder seine Bahnhöfe verweigert und eine Verantwortung „seines“ Unternehmens für die Verschleppung von etwa 3 Millionen Menschen mit Hilfe der Deutschen Reichsbahn in die Konzentrations- und Vernichtungslager. zurückgewiesen.
 
Auftakt
 
Anlass des Gedenkens in Oranienburg an diesem Wochenende waren die Pogrome vom Oktober und November 1938. In den letzten Oktobertagen vor 70 Jahren hatte die Berliner Regierung mehrere zehntausend Polen aus Deutschland ausgewiesen, die jüdischer Herkunft waren. Ohne Vorankündigung wurden die Menschen auf deutsche Bahnhöfe getrieben und dort von der Reichsbahn an die polnische Grenze deportiert. Die Ereignisse werden von Historikern als "Auftakt zur Vernichtung" [1] bezeichnet, da bereits bei den antislawischen und antisemitischen Pogromen Todesopfer zu beklagen waren. Kurz darauf ließ die NS-Regierung jüdische Religionsstätten plündern und rief zur Verfolgung der bereits stigmatisierten jüdischen Bevölkerung in Deutschland auf.
 
100.000 Euro
 
Um der Opfer dieser Ereignisse zu gedenken, hatte sich die Bürgerinitiative, die den "Zug der Erinnerung" durch Deutschland fahren lässt, frühzeitig an den Vorstandsvorsitzenden der Bahn AG, Hartmut Mehdorn, gewandt und um Verzicht auf Trassen- und Stationsgebühren gebeten. Am 26. September antwortete Dr. Otto Wiesheu (Vorstand Wirtschaft und Politik), es habe sich an der „Notwendigkeit der Erhebung von Trassen- und Stationsentgelten nichts geändert". Für die zurückliegenden Gedenkstätten musste der "Zug der Erinnerung" an die historischen Erben der Deutschen Reichsbahn bereits über 100.000 Euro zahlen.[2] Auf einen erneuten Appell an den Bahnvorstand vom 29. Oktober, wegen des Gedenkens in Oranienburg großzügig zu sein und die jetzt anfallenden Gebühren zurückzuerstatten, antworteten Mehdorn und Wiesheu bis Redaktionsschluss nicht.
 
Erfolglos
 
Ebenfalls unbeantwortet blieben mehrere Schreiben an den Bundesverkehrsminister Tiefensee. Er war am 4. September und am 22. Oktober gebeten worden, die Bürgerinitiative bei dem kommenden Gedenken auf dem Bahnhof Oranienburg finanziell zu unterstützen. „Die Ausgaben müssen wir aus privaten Spenden bestreiten, die für die Unterstützung der Überlebenden besser verwendet werden könnten", schrieb die Bürgerinitiative.[3] Sie ließ sich am Samstag in Oranienburg von Vertretern israelischer und polnischer Hilfsorganisationen über die sozialen und finanziellen Probleme der Überlebenden informieren. Nach übereinstimmenden Berichten ehemaliger KZ-Häftlinge reichen die finanziellen Mittel, die den letzten Überlebenden zur Verfügung stehen, oft nicht aus, um die Spätfolgen der deutschen Ausrottungspolitik zu lindern. Auch Appelle an die deutsche Regierung, diesen Opfern weitere Mittel zukommen zu lassen, bleiben weitgehend erfolglos.
 
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos | www.koufogiorgos.de
 
"Bund der Generationen"
 
Bei der Oranienburger Gedenkfeier am "Zug der Erinnerung" waren Überlebende der NS-Deportationen mit der Deutschen Reichsbahn aus Polen, Israel und Deutschland anwesend. Diplomatische Vertreter mehrerer Staaten, die während der NS-Zeit okkupiert waren, kamen zur Gedenkveranstaltung, um die Opfer ihrer Länder zu ehren. Unter dem Motto "Bund der Generationen" soll die Oranienburger Ausstellung in den nächsten Monaten in zwei historischen Güterwagen auf eine Fahrt durch 70 Städte in Deutschland, der Schweiz, Österreicha und Tschechiens gehen. Dabei werden Lebensläufe von Holocaust-Opfern vorgestellt, um die Erinnerung an die Gräueltaten der Nazis auch in der jungen Generation wach zu halten. (PK)

 
[1] Jerzy Tomaszewski: Auftakt zur Vernichtung. Die Vertreibung polnischer Juden aus Deutschland im Jahre 1938, Osnabrück 2002
[2] s. dazu Keinen Cent und Zentralbahnhof Berlin
[3] "Nichts geändert"; www.zug-der-erinnerung.eu



Der Frankfurter Autor Hartmut Barth-Engelbart hatte Bahnchef Mehdorn schon Anfang des Jahres wegen seiner Haltung gegenüber dem „Zug der Erinnerung“ das folgende Gedicht in der NRhZ gewidmet: 
 
Die Mutter der DB-AG
hat für die letzte Reise
von über 5 Millionen Menschen
die vollen Preise
einkassiert.
 
Nur Kinder bis zu 14 Jahren
sind für den halben Preis
ins Gas gefahren.
Familienfreundlich
rechnete die Bahn ganz groß-
zügig unsre Kleinsten
nicht mal mit:
Babys fuhren kostenlos.
Dass viele in den Viehwaggons
schon auf der Fahrt krepiert
sind, hat die Bahn nicht intressiert.
Ob Lebend- oder Todgewicht –
das ändert doch den Fahrpreis nicht.
 
Und darum wurd’ die Reichsbahn
auch nicht gleich
ganz so reich.


Mehr in den NRhZ-Nummern 25, 28, 42 und 131, dazu  www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57384, dort u.a. das EXTRA-Dossier Elftausend Kinder, und unter www.zug-der-erinnerung.eu


Online-Flyer Nr. 172  vom 12.11.2008



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