NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 23. November 2024  

Fenster schließen

Globales
Das gelobte Land?
Obama, Emanuel und Israel
Von John V. Whitbeck

In der ersten großen Personalentscheidung seiner Administration ernannte der designierte Präsident Barack Obama den Kongressabgeordneten Rahm Emanuel zu seinem Stabschef. Rahm Emanuel ist israelischer Staatsbürger und Veteran der israelischen Armee. Die israelische Zeitung Haaretz berichtet, sein Vater sei während der Nakba Mitglied in Menachim Begins Irgun-Truppe gewesen.


Emanuel Rahm Regierung USA Berater Obamas
Er ist eine Botschaft – Rahm Emanuel
Quelle: www.house.gov
Er gab seinem Sohn den Namen eines „getöteten Lehi-Kämpfers“ – eines Mitglieds der Terrororganisation „Stern“ von Yitzhak Shamir, die nicht nur für Gräueltaten an Palästinensern verantwortlich war, sondern auch für das Bombenattentat auf das King David-Hotel und die Ermordung des UNO-Vermittlers Graf Folke Bernadotte.
 
Bereits am folgenden Tag reagierte „Arab News“ (Jeddah) und schrieb in seinem Leitartikel: „Macht euch keine allzu großen Hoffnungen – Emanuel ist sein Stabschef und das ist eine Botschaft. (…) Weit davon entfernt Israel herauszufordern, könnte das neue Team genauso Pro-Israel sein, wie das vorangegangene.“
 
Das deutete sich schon lange an. Während seines Wahlkampfes hat Obama Israel zum wiederholten Mal bedingungslose Treue geschworen. Unvergesslich ist seine Grußadresse an die Nationalversammlung des AIPAC, die der israelische Friedensaktivist Uri Avnery als eine Rede beschrieb, „die alle Rekorde der Kriecherei gebrochen hat“.
Uri Avnery
                                                                
Es war schon immer einfacher sich vorzustellen, dass Amerika einen schwarzen Präsidenten wählt, als dass irgendein amerikanischer Präsident die Unabhängigkeit seines Landes von israelischer Dominanz erklärt.
 
Uri Avnery:
„Alle Rekorde der Kriecherei gebrochen“
Quelle: NRhZ-Archiv 
 
Dennoch ist die Wahl Barack Hussein Obamas für die USA von großem Gewinn. Seine Eloquenz, seine Geschichte, seine Hautfarbe und sein Mittelname könnten die über eine Milliarde Muslime in der Welt in den Bann ziehen, die heute gegenüber den USA zum großen Teil Verachtung und Hass empfinden. Sie könnten Amerika wieder mit Aufgeschlossenheit gegenübertreten und ihm die Chance geben, sich in ihren Augen und Herzen zu rehabilitieren. Nicht zufällig würde sich auch die Zahl der Jihadisten verringern, die bereit sind ihr Leben zu opfern, um dem gehassten Empire einen Schlag zu versetzen.
 
Die tiefe Verachtung und der Hass, die die muslimische Welt gegenüber den USA empfindet, wurzeln in Amerikas bedingungsloser Unterstützung für das Unrecht, das den Palästinensern angetan wurde und wird. Dies muss wohl als das Kernproblem der Außenpolitik der USA und ihrer nationalen Sicherheit in den letzten Jahren gesehen werden.
 
Botschaft der Verachtung
 
Warum aber möchte dieser brillante Obama mit seiner ersten Personalentscheidung den Muslimen eine derartige Botschaft der Verachtung senden? Warum möchte er die muslimische Welt ihrer Hoffnung berauben (und sei sie auch noch so bescheiden) und ihr bei der ersten Gelegenheit eine Ohrfeige verpassen?

Obama Camp Arifjan Kuwait Foto: Jim Hinnant
Obama zu Besuch bei „den Muslimen“ und bei „den Jungs“ im „Camp Arifjan“ in Kuwait | Foto: Jim Hinnant
 
Es wird bereits gemunkelt, dass die nächste Botschaft der Verachtung folgt – die Nominierung von Dennis Ross als “Sonderbeauftragten für Frieden im Mittleren Osten”. Ross ist bekannt als einer, für den Israel immer zuerst kommt, der während der 12 Amtsjahre von Bush Senior und Clinton dafür Sorge trug, dass die US-Politik gegenüber den Palästinensern keinen Millimeter von der Politik Israel abwich, dass es keinerlei Fortschritt gibt in Richtung Frieden, und der seitdem den Washingtoner Think Tank, das Institut für Nahostpolitik, einen Ableger von AIPAC leitet.
 
Doch sollte man ja meist auch einen Silberstreifen in den dunkelsten Wolken suchen. Wir können ihn finden und benennen.
 
Warten auf Godot
 
Seit Jahrzehnten „wartet“ die palästinensische Führung „auf Godot“. Sie wartet darauf, dass die US-Regierung endlich das Richtige tut (sei es auch nur aus Eigeninteresse) und Israel zwingt, das Völkerrecht und die UNO-Resolutionen zu respektieren und den Palästinensern einen bescheidenen Ministaat auf einem kleinen Stück der Erde zugesteht, die ihnen gehörte.

Dies war nie eine realistische Hoffnung. Sie konnte und wird nicht realisiert werden. Es könnte also heilsam sein, nicht noch weitere acht Tage, geschweige denn acht Jahre zu verlieren und sich zum Narren zu machen, während noch mehr palästinensisches Land konfisziert wird, weitere jüdische Kolonien entstehen und Straßen, die nur von Juden benutzt werden dürfen; sich nicht weiterhin der Illusion hinzugeben, der charmante Obama – auch wenn er in anderer Beziehung durchaus bewundernswert sein mag – würde zur Einsicht kommen und das Richtige tun.

Netanyahu Arafat World Economic Forum in Davos '97
Arafat und Netanjahu auf Weltwirtschaftsgipfel in Davos 1997
Foto: World Economic Forum
 
Es ist an der Zeit, dass die Palästinenser die Initiative ergreifen, die Tagesordnung neu bestimmen und den einzig möglichen Weg beschreiten. Hinzu kommt, dass Israel im Februar die neue Knesset wählt. Bibi Netanjahu, dessen Wahl zum Ministerpräsidenten von den meisten Umfragen und Koalitionskalkulationen vorausgesagt wird, hat eine (wenn nicht gar die einzige) Tugend. Er ist absolut ehrlich, denn er äußert nicht mal den (selbst verlogenen) Wunsch nach Schaffung eines palästinensischen „Staates“ (sei er auch noch so bescheiden und nicht mal einem Bantustan ähnlich) oder nach diesbezüglichen Verhandlungen (selbst wenn diese endlos und trügerisch wären). Wenn Netanjahu wieder an die Macht gelangt, dann wird die Tür zuschlagen, dann wird die Illusion einer „Zweistaaten-Lösung“ hinter dem Horizont verschwinden.
 
Nur mit gewaltlosen Mitteln
 
Es wäre ein Segen und eine Befreiung für die palästinensische Seele und Sehnsucht. Nach einer langen, kostspieligen und schmerzhaften Ablenkung, könnte die palästinensische Führung zu Grundprinzipien zurückkehren und sich endlich dem Ziel widmen, einen demokratischen, nicht rassistischen und nicht sektiererischen Staat in ganz Israel/Palästina zu schaffen mit gleichen Rechten für all seine Bewohner.
 
Dieses gerechte Ziel kann und muss ausschließlich mit gewaltlosen Mitteln verfolgt werden. Wenn das Ziel darin bestünde, eine entschlossene und mächtige Siedlerbewegung – die darauf aus ist, dein Land zu stehlen und zu besetzen (und es von dir und deinesgleichen zu säubern) – davon zu überzeugen, den Plan fallen zu lassen und zu verschwinden, dann wäre ein gewaltloser Kampf Selbstmord. Wenn das Ziel aber darin bestünde volle Bürgerrechte zu erlangen in einem demokratischen, nicht rassistischen Staat (ähnlich der Bürgerrechtsbewegung in den USA oder der Antiapartheidbewegung in Südafrika), dann wäre Gewaltlosigkeit der einzige Weg. Gewalt wäre völlig unangebracht und kontraproduktiv. Die moralisch makellose Methode wäre gleichzeitig die effektive. Der ethisch richtige Weg wäre der einzige Weg.
 
Die Mauer bei Bethlehem Graffiti Foto: Pawel  Ryszawa
Graffiti an der Mauer bei Bethlehem            
Foto: Pawel  Ryszawa
Kein amerikanischer Präsident – schon gar nicht ein Barack Obama – könnte Rassismus und Apartheid billigen und sich gegen Demokratie und Gleichberechtigung stellen, vor allem wenn Demokratie und Gleichberechtigung mit gewaltlosen Mitteln erstrebt werden. Niemand könnte das so einfach, nirgends. Und es wäre doch offensichtlich, die Zeit würde auslaufen für das ermüdende Spiel eines fortwährenden „Friedensprozesses“, der nur dafür herhalten soll Entscheidungen endlos hinauszuschieben (während gleichzeitig „neue Fakten vor Ort“ geschaffen werden).
 
40 Jahre nach Martin Luther King
 
Demokratie und Gleichberechtigung sind weder einfach noch schnell zu erlangen. Vierzig Jahre sind vergangen seit an jenem Abend vor seiner Ermordung, Martin Luther King laut erklärte, er habe den Gipfel des Berges erreicht und das gelobte Land gesehen, bevor Barack Obama zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. (…) Sechsundvierzig Jahre sind vergangen zwischen der formalen Etablierung der Apartheid und der Wahl Nelson Mandelas zum Präsidenten einer demokratischen und nicht-rassistischen “Regenbogen-Nation”. Die Hoffnung besteht, dass die Transformation in Israel/Palästina wesentlich schneller vollzogen werden könnte, aber es ist auch klar, dass die Älteren unter uns das gelobte Land nicht erreichen werden.
 
Wenn jedoch das gelobte Land – der demokratische Staat mit Gleichberechtigung für all seine Bewohner – klar erkannt und erstrebt wird, können wir zuversichtlich sein, dass eines Tages Israel/Palästina den tränenreichen Jubel eines „Mandela-Faktors“ oder eines „Obama-Faktors“ erleben wird. Wir könnten wieder auf das moralische Potential hoffen, das in dem Land und in den Menschen steckt, darauf, dass die dort lebenden Juden, Muslime und Christen endlich ihr gelobtes Land erreichen. (PK)

 
John V. Whitbeck, US-Amerikanischer Völkerrechtler, lebt und arbeitet heute in Saudi Arabien und Frankreich. Er war Berater der palästinensischen Führung bei Friedensverhandlungen und schreibt für viele arabische, israelische und internationale Medien.
Er ist zu erreichen unter: jvwhitbeck (at) awalnet.net.sa

Übersetzung aus dem Englischen mit nur minimalen Kürzungen
von Doris Pumphrey. Den Originaltext finden Sie auf „Counterpunch“

Online-Flyer Nr. 172  vom 12.11.2008



Startseite           nach oben