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Kultur und Wissen
Das symbolistische Frühwerk von Jeanne Mammen in Bonn
Die Qualen des "Heiligen Antonius"
Von Georg Giesing
Ein Selbstportrait Jeanne Mammen
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Im August Macke Haus in Bonn wird derzeit "Das symbolistische Frühwerk" von Jeanne Mammen gezeigt. In den einschlägigen Kompendien der Kunstgeschichte hat diese Künstlerin ihren Platz noch nicht gefunden. Ein Versäumnis!
Kurt Tucholsky widmete der 1890 in Berlin geborenen Malerin seine anerkennende Aufmerksamkeit: "Die zarten duftigen Aquarelle, die Sie in Magazinen und Witzblättern veröffentlichen, überragen das undisziplinierte Geschmier der meisten Ihrer Zunftkollegen derart, dass man Ihnen eine kleine Liebeserklärung schuldig ist. Ihre Figuren fassen sich sauber an, sie sind anmutig und derb dabei, und sie springen mit Haut und Haaren aus dem Papier..."
Jeanne Mammen um 1910 in Brüssel
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Tucholsky reflektierte hier die "Realistische Periode" der jungen Künstlerin, die in den 20ger und frühen 30ger Jahren des letzten Jahrhundert in Berlin zwischen Kiez und Boulevard flanierte, mit Einfühlungsvermögen, klarem Blick und spitzem Bleistift die Lebedamen, Zuhälter, Kinder, die Schickeria im Theater, auf der Pferderennbahn, die Pärchen im Biergarten und die Transvestiten, Vamps, Lesben und Balletteusen in den Kneipen, festhielt.
1900 verkaufte Vater Gustav Mammen, ein liberaler Kosmopolit, seine Schriftgießerei in Berlin und zog nach Paris, wo er eine Glasbläserei übernahm. Vierzehn Jahre später floh er mit seiner Familie nach Holland. Nationalismus und Chauvinismus hatten Hochkonjunktur. Kurz vor Kriegsbeginn, Europa brannte. Mit dem letzten Zug gelang es den Mammens Frankreich noch vor Kriegsausbruch zu verlassen. Völlig mittellos kam Jeanne Mammen 1915/16 nach Berlin. Sie lebte zunächst von Aufträgen für Modezeitungen und Kinoplakaten.
Ihre Kindheit in der großbürgerlichen Familie in Paris verlief relativ sorglos. Jeanne interessierte sich für französische Literatur, sie studierte mit einer ihrer Schwestern Kunst, zunächst in Paris und dann in Brüssel. Sie las viel, zeichnete und malte schon als Kind. Unter anderem inspiriert von Zola und Flaubert, entstand ein künstlerisches Frühwerk, das jetzt in gut 50 farbigen Blättern im August Macke Haus in Bonn ausgestellt wird. Im Zentrum der Sammlung stehen Bilder mit Motiven zu Flauberts "Versuchung des Heiligen Antonius".
Entstanden sind die rätselhaften, phantastischen Illustrationen während und nach Mammens Studienzeit an der Academie Royale des Beaux Arts in Brüssel.
Die Bilder im August Macke Haus, meistens Gouachen und Aquarelle, sind das Fundament ihres späteren Werkes. Da gibt es große Themen: Tod und Teufel, Lust und Ekstase. Leidenschaftliche Bilderwelten, fantastisch und komplex. Exotische Schönheiten und der sich quälende (arme) "Heilige Antonius", der sich gegen weltlich-erotischen Versuchungen stemmt.
Bald steht der Besucher der gut dokumentierten und einfühlsam präsentierten Bilderwelt aus der Weimarer Zeit vor Exponaten, die einen thematischen Bezug zu den aktuellen Aufgeregtheiten des Jahres 2006 haben. Da sitzt ein hinduistischer Gott in tranceartigem Gebet. Umringt von Wesen aus dem Höllenreich. Ein Buddha wird bedrängt von verzerrten Gestalten, Masken, Fratzen, grotesken Fabelwesen und einer nackten, dunkelhäutigen Schönheit. Überall monströse Kreaturen, die Assoziationen zu Max Ernst und Hieronymus Bosch aufkommen lassen. Spannung beziehen diese Bilder aus den Gegensätzen. Leben und Tod. Die Schöne und die Biester. Erotische Körper und immer wieder der dürre, sich quälende Eremit, der "Heilige Antonius".
Studentin Jeanne Mammen
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Die glatte Provokation, Blasphemie pur, der bedauernswerte Heilige, der sich windet vor dem Christenkreuz, an dem eine nackte, erotische Schönheit hängt. Wohlbemerkt, da hängt nicht der nackte Christengott, Wundmale sind nicht erkennbar, es ist ein schöner, bloßer Frauenkörper, nur ein wenig umweht von einem Schleier, verziert durch eine Korsage und Stiefelletten. - Ein Hindugott, Buddha und der Mann aus dem Morgenland, ein göttliches Trio, und Erotik ist immer mit im Spiel.
Es bleibt, fast 100 Jahre nach Entstehung dieser frühen Bilder, Respekt und Wertschätzung für eine Künstlerin, die während der NS-Diktatur keine Publikationsmöglichkeiten hatte, 1976 in Berlin starb und ein interessantes, neu zu entdeckendes Werk hinterließ.
Den Gestaltern der Ausstellung, die nach der Ausstellung "Femme Flaneur" im Jahre 2004 erneut einen guten Platz für die Bilder der Künstlerin Jeanne Mammen schafften, gebührt Dank. Mit der Ausstellung wird gezeigt, was Kunst ist, darf und der Betrachter bestens vertragen kann.
Fast schon eine Warnung in den Stimmungsgewittern dieser Wochen ist ein kleines, unauffälliges Bild von Jeanne Mammen, es zeigt den "Narr am Galgen." Zeitgemäßer geht es kaum! Siehe auch nachfolgende Fotogalerie.
Jeanne Mammen: "Das symbolistische Frühwerk 1908 - 1914
Ausstellungsdauer 3. Februar - 7. März 2006
Bonn, Bornheimer Straße 96
Di - Frei 14.30 - 18.00 Uhr
Sa/So/Feiertage 11.00 - 17.00 Uhr
www.august-macke-haus.de
www.jeanne-mammen.de
Die Versuchung des Buddha (1.Fassung)
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Die Versuchung des Buddha (2.Fassung)
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Der Narr am Galgen
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Frau am Kreuz
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Online-Flyer Nr. 32 vom 21.02.2006
Das symbolistische Frühwerk von Jeanne Mammen in Bonn
Die Qualen des "Heiligen Antonius"
Von Georg Giesing
Ein Selbstportrait Jeanne Mammen
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Im August Macke Haus in Bonn wird derzeit "Das symbolistische Frühwerk" von Jeanne Mammen gezeigt. In den einschlägigen Kompendien der Kunstgeschichte hat diese Künstlerin ihren Platz noch nicht gefunden. Ein Versäumnis!
Kurt Tucholsky widmete der 1890 in Berlin geborenen Malerin seine anerkennende Aufmerksamkeit: "Die zarten duftigen Aquarelle, die Sie in Magazinen und Witzblättern veröffentlichen, überragen das undisziplinierte Geschmier der meisten Ihrer Zunftkollegen derart, dass man Ihnen eine kleine Liebeserklärung schuldig ist. Ihre Figuren fassen sich sauber an, sie sind anmutig und derb dabei, und sie springen mit Haut und Haaren aus dem Papier..."
Jeanne Mammen um 1910 in Brüssel
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Tucholsky reflektierte hier die "Realistische Periode" der jungen Künstlerin, die in den 20ger und frühen 30ger Jahren des letzten Jahrhundert in Berlin zwischen Kiez und Boulevard flanierte, mit Einfühlungsvermögen, klarem Blick und spitzem Bleistift die Lebedamen, Zuhälter, Kinder, die Schickeria im Theater, auf der Pferderennbahn, die Pärchen im Biergarten und die Transvestiten, Vamps, Lesben und Balletteusen in den Kneipen, festhielt.
1900 verkaufte Vater Gustav Mammen, ein liberaler Kosmopolit, seine Schriftgießerei in Berlin und zog nach Paris, wo er eine Glasbläserei übernahm. Vierzehn Jahre später floh er mit seiner Familie nach Holland. Nationalismus und Chauvinismus hatten Hochkonjunktur. Kurz vor Kriegsbeginn, Europa brannte. Mit dem letzten Zug gelang es den Mammens Frankreich noch vor Kriegsausbruch zu verlassen. Völlig mittellos kam Jeanne Mammen 1915/16 nach Berlin. Sie lebte zunächst von Aufträgen für Modezeitungen und Kinoplakaten.
Ihre Kindheit in der großbürgerlichen Familie in Paris verlief relativ sorglos. Jeanne interessierte sich für französische Literatur, sie studierte mit einer ihrer Schwestern Kunst, zunächst in Paris und dann in Brüssel. Sie las viel, zeichnete und malte schon als Kind. Unter anderem inspiriert von Zola und Flaubert, entstand ein künstlerisches Frühwerk, das jetzt in gut 50 farbigen Blättern im August Macke Haus in Bonn ausgestellt wird. Im Zentrum der Sammlung stehen Bilder mit Motiven zu Flauberts "Versuchung des Heiligen Antonius".
Entstanden sind die rätselhaften, phantastischen Illustrationen während und nach Mammens Studienzeit an der Academie Royale des Beaux Arts in Brüssel.
Die Bilder im August Macke Haus, meistens Gouachen und Aquarelle, sind das Fundament ihres späteren Werkes. Da gibt es große Themen: Tod und Teufel, Lust und Ekstase. Leidenschaftliche Bilderwelten, fantastisch und komplex. Exotische Schönheiten und der sich quälende (arme) "Heilige Antonius", der sich gegen weltlich-erotischen Versuchungen stemmt.
Bald steht der Besucher der gut dokumentierten und einfühlsam präsentierten Bilderwelt aus der Weimarer Zeit vor Exponaten, die einen thematischen Bezug zu den aktuellen Aufgeregtheiten des Jahres 2006 haben. Da sitzt ein hinduistischer Gott in tranceartigem Gebet. Umringt von Wesen aus dem Höllenreich. Ein Buddha wird bedrängt von verzerrten Gestalten, Masken, Fratzen, grotesken Fabelwesen und einer nackten, dunkelhäutigen Schönheit. Überall monströse Kreaturen, die Assoziationen zu Max Ernst und Hieronymus Bosch aufkommen lassen. Spannung beziehen diese Bilder aus den Gegensätzen. Leben und Tod. Die Schöne und die Biester. Erotische Körper und immer wieder der dürre, sich quälende Eremit, der "Heilige Antonius".
Studentin Jeanne Mammen
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Die glatte Provokation, Blasphemie pur, der bedauernswerte Heilige, der sich windet vor dem Christenkreuz, an dem eine nackte, erotische Schönheit hängt. Wohlbemerkt, da hängt nicht der nackte Christengott, Wundmale sind nicht erkennbar, es ist ein schöner, bloßer Frauenkörper, nur ein wenig umweht von einem Schleier, verziert durch eine Korsage und Stiefelletten. - Ein Hindugott, Buddha und der Mann aus dem Morgenland, ein göttliches Trio, und Erotik ist immer mit im Spiel.
Es bleibt, fast 100 Jahre nach Entstehung dieser frühen Bilder, Respekt und Wertschätzung für eine Künstlerin, die während der NS-Diktatur keine Publikationsmöglichkeiten hatte, 1976 in Berlin starb und ein interessantes, neu zu entdeckendes Werk hinterließ.
Den Gestaltern der Ausstellung, die nach der Ausstellung "Femme Flaneur" im Jahre 2004 erneut einen guten Platz für die Bilder der Künstlerin Jeanne Mammen schafften, gebührt Dank. Mit der Ausstellung wird gezeigt, was Kunst ist, darf und der Betrachter bestens vertragen kann.
Fast schon eine Warnung in den Stimmungsgewittern dieser Wochen ist ein kleines, unauffälliges Bild von Jeanne Mammen, es zeigt den "Narr am Galgen." Zeitgemäßer geht es kaum! Siehe auch nachfolgende Fotogalerie.
Jeanne Mammen: "Das symbolistische Frühwerk 1908 - 1914
Ausstellungsdauer 3. Februar - 7. März 2006
Bonn, Bornheimer Straße 96
Di - Frei 14.30 - 18.00 Uhr
Sa/So/Feiertage 11.00 - 17.00 Uhr
www.august-macke-haus.de
www.jeanne-mammen.de
Die Versuchung des Buddha (1.Fassung)
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Die Versuchung des Buddha (2.Fassung)
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Der Narr am Galgen
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Frau am Kreuz
Foto: Copyrigth - VG Bild-Kunst Bonn
Online-Flyer Nr. 32 vom 21.02.2006