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Aktueller Online-Flyer vom 22. November 2024  

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Lokales
Teilweise unmenschliche Verhältnisse
Zahltag XXL!
Von Hans-Dieter Hey

Die Klagen über die Kölner ARGE wollen einfach nicht aufhören. Erneut protestieren Erwerbslose bis zum Freitag gegen die in der Öffentlichkeit als „Einzellfälle“ verniedlichten Probleme, die ihnen offenbar immer massiver in den Weg gestellt werden. Seit Montag, dem 1. Dezember haben sie sich öffentlichen Raum innerhalb der ARGE erkämpft, um zu protestieren und um sich durch ihre eigenen ARGE-Profis beraten zu lassen. Köln ist kein Einzelfall, wie sich herumgesprochen haben dürfte. 

Plakat vom Zahltag
Quelle: Zahltag
Noch kann man sich gegen Bescheide und ungerechte Behandlung der Arbeitsagenturen wehren, auch wenn die schwarz-rote Regierung von Angela Merkel und Franz-Walter Steinmeier die Hürden für die geknebelten Rechtsuchenden wieder erhöht hat. Und noch sind die Erfolgsaussichten gut, wie die Erwerbslosen-Beratungsstelle Tacheles e.V. aus Wuppertal meint und bezieht sich dabei auf Untersuchungen der Bundesagentur für Arbeit. Widersprüchen gegen Bescheide werde bundesweit in 60 Prozent der Fälle ganz oder teilweise stattgegeben, ein deutlicher Erfolg des Widerstandes gegen Hartz IV. Die Hälfte der Widerspruchsbescheide der ARGEn seien einfach rechtswidrig. Darin sind nicht einmal die Widersprüche enthalten, die die ARGEn im Verlauf der Verfahren anerkennen, weil sie ein negatives Urteil erwarten. Insgesamt – so Tacheles – lägen die Erfolge zwischen 70 und 80 Prozent.


Hinweis für jene, die noch nichts verstanden haben

Teilweise unmenschliche Verhältnisse


Dem System Hartz IV scheint von Beginn an Menschverachtung in die Wiege gelegt worden zu sein. Bei Widersprüchen handelt es sich nicht um „Peanuts“, sondern um Existenzen  bedrohende Verwaltungsakte, denen oft Drohungen und Einschüchterungen voran gehen. Auch ab 1. Januar wurden die Bedingungen zu Hartz IV durch die Bundesregierung in vielen Punkten deutlich verschärft. Dieses grundsätzliche Problem sehen auch immer mehr Juristen, wie zum Beispiel Dr. Alexandra Unkelbach aus Bonn, die Menschen helfen will, „sich gegen die teilweise unmenschlichen Verhältnisse, gerade im SGB II, XII und V Bereich zu wehren“, heißt es auf ihrer Webseite.

Statt die Verwaltungseffektivität im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern, wird gegen die vorgegangen, die ihr Recht suchen. Nach Erkenntnissen von Tacheles werden Widerspruchsführer zum Beispiel in die ARGEn geladen, um sie „unter Darlegung der Sach- und Rechtslage zur Rücknahme des Widerspruchs zu bewegen.” Doch das stehe nicht im Gesetz und sei deshalb rechtswidrig. Dieser Hinweis solle vor allem minderjährige Erwerbslose schützen, von der ARGE über den Tisch gezogen zu werden.

Erst entrechtet...

Lebensmittelgutscheine gehören zu den Sachleistungen und sind nur in Ausnahmefällen möglich, wie zum Beispiel bei Drogen-, Alkoholmissbrauch oder Unwirtschaftlichkeit. Oft sei aber unpünktliche oder teilweise Zahlung der ARGE die Ursache dafür, so Kölner Erwerbslose in Aktion e.V. „Umso frecher und ehrabschneidender ist es, wenn selbst in solchen Fällen immer wieder der Lebensmittelgutschein zum Einsatz kommt und damit den Betroffenen eines der drei Kriterien unterstellt wird“.


Forderungen mit Weihnachtsliedern und Arbeitslosenfrühstück

In einem Fall aus Köln wurde eine Mieterhöhung nicht gewährt, weil die ARGE „nicht rückständig für die Miete aufkommen würde. Doch dies lag an dem Kompetenzwirrwarr zwischen ARGE und Arbeitsamt. Dabei hat die ARGE das Problem auf das Arbeitsamt und das Arbeitsamt wieder auf die ARGE geschoben“, heißt es aus dem Mund des Betroffenen, der jetzt die Differenz jetzt aus seinem Regelsatz von 351 Euro monatlich zahlen muss.

Ein Erwerbsloser aus Wesseling wollte sich mit einer Eingliederungshilfe selbständig machen und sollte mit Zustimmung der „Lenkungsgruppe“ der ARGE in seiner Selbständigkeit unterstützt werden und einen Zuschuss zu einem Kredit erhalten. Seit August hat er keinen einzigen Cent erhalten und musste sich bei Freunden verschulden, um zu überleben. Und gefragt nach einem Rechtsanwalt, meinte er: „Ich habe keinen Rechtsanwalt, ich habe gar kein Geld mehr. Ich habe Widerspruch eingelegt, und die haben überhaupt nicht gelesen, was ich geschrieben habe.“ Jetzt hat er 2.000 Euro minus auf dem Konto.

In einem weiteren Fall obsiegte ein Erwerbsloser gegen die ARGE, bekam aber trotzdem kein Geld. Stattdessen übte diese weiter Druck auf ihn aus und zwang ihn in einen 1-Euro-Job und eine sogenannte Fortbildung, bei der nicht einmal der ARGE bekannt war, wer dort die Geschäftsführung innehatte. Trotzdem sollte er unterschreiben, dass er seine persönlichen Daten an eine Organisation freigeben sollte, die niemand kennt. Das scheint besonders bedenklich, weil nach Mitteilung des Kölner Erwerbslosen-Anzeiger vom Dezember 2008 die Staatsanwaltschaft in einem anderen Fall gegen den Maßnahmeträger „Jobprofil“ wegen Vorteilsnahme und Bestechung ermittelt. Da ist es natürlich für die ARGE ungünstig, wenn ihr Verantwortliche von Maßnahmeträgern gar nicht bekannt sind.

...dann beschnüffelt

Besonders widerwärtig scheinen sich auch die sogenannten „Schnüffeldienste“ gegenüber Erwerbslosen zu verhalten. Eine Sprecherin der Protestierenden warnte: „Wenn euch ein Schnüffeldienst angekündigt wird oder ihr Besuch bekommt, dann wendet Euch sofort an eine der Hilfsadressen.“ In einem Fall wollte eine Mitarbeiterin dieses ARGE-Dienstes angeblich nur einen neuen Heizstrahler begutachten, dann aber offenbar rechtswidrig die ganze Wohnung durchsuchen. Und als die Erwerbslose sich weigerte, habe sie sich „erheblichen Ärger eingehandelt“. Die Veranstalter von „Zahltag“ weisen darauf hin, dass die Vorgehensweise der ARGEn oft rechtswidrig sei, weil sich Sozialdienste anmelden müssten, um einen Termin zu vereinbaren. Außerdem müsse ein ausreichender rechtlicher Grund für den Besuch vorliegen.


Filmvorführung in der Kölner ARGE
Fotos: arbeiterfotografie.com


Ein Beispiel, wie mit Menschen in diesem Lande umgegangen wird, ist auch die Geschichte vom „Emely“, die während eines Streiks bei Kaiser’s in Berlin rausgeflogen war und der von der Berliner ARGE vorgeworfen wurde, dies dadurch provoziert zu haben, dass sie sich nicht  zur Streikbrecherin machen ließ. 31 Jahre hatte sie bei Kaiser’s gearbeitet. Ihre Geschichte und einen Ausschnitt aus einem Dokumentarfilm dazu können unsere Leserinnen und Leser in unserer Rubrik Filmclip sehen. Dieser sowie andere Filmbeiträge zu Emmelys Geschichte wurden von den Veranstaltern in der ARGE gezeigt.

Das Repressionssystem scheint auch bei Mitarbeitern der ARGE Spuren zu hinterlassen: Arbeitsunlust macht sich dort breit. Vor allem in der Vorzeige-Agentur Köln als einer der größten seien die Krankheitszeiten hoch.  „Teilweise bis zur Hälfte der Leute sind krank“, heißt es aus internen Quellen. Einer habe besonders „die Schnauze voll von dem Laden, und wie dort mit den Leuten umgesprungen wird. Vor allem die Umstrukturierung durch Berger behagt mir überhaupt nicht“. Und die sogenannte Umstrukturierung der Unternehmensberatung Roland Berger hat offensichtlich mit zu den gegenwärtigen Problemen beigetragen.


Gegen Rekrutierungen in Schule und ARGE  
Foto: Bundeswehr wegtreten
An diesem Montag forderten sie ihre Rechte unter Geigenbegleitung mit Weihnachtsliedern ein, z.B. nach dem Lied O Tannenbaum: „Jetzt stürmt gemeinsam in das Haus – und holt euch eure Kohle raus. Sie schikanier'n euch jeden Tag – Bald ist es Schluss mit dieser Plag." Unterstützung kam vom Arbeitslosenzentrum ALSO aus Oldenburg. Dabei war auch die „Dokumentationsstelle für soziale Ausgrenzung“. Sie hat offenbar gut damit zu tun, entsprechende Fälle zu dokumentieren. Androhung Ordnungsgeld und Ordnungshaft, Leistungsentzug bei einem Herzkrankem wegen Verweigerung schädlicher Arbeit, Sperrzeitverhängung für über einen Kriegsdienstverweigerer wegen Verweigerung der Arbeit in einem Rüstungsbetrieb sind Beispiele, die erfasst und ausgewertet werden.

Die Aktion „Zahltag“ ist inzwischen eine bundesweit agierende Aktionsform „von unmittelbarer, kollektiver Selbstermächtigung und -verteidigung gegen einen fortwährenden sozialen Angriff von oben. In Zusammenarbeit mit antirassistischen, antimilitaristischen und antifaschistischen Gruppen“ werde sie in Köln fortgesetzt, so die Veranstalter. Am Dienstagmorgen sperrte „Zahltag“ und „Bundeswehr wegtreten“ symbolisch die Zugangswege zur ARGE wegen anhaltender Rekrutierungsversuche der ARGEn und in Schulen ab. Von den Aktionen wird vermutlich noch mehr zu hören sein. (PK)

Online-Flyer Nr. 175  vom 03.12.2008



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