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Lokales
Künstler Bijl feiert Banker und verbannt dafür Else Lasker-Schüler
Kulturkampf an der Wupper?
Von Hajo Jahn

Wenn der Kurzsichtige besser sehen möchte geht er zum Optiker. Ist seine Kurzsichtigkeit juristisch begründet, bringt keine Brille Einsicht. Die richtige Sicht auf Else Lasker-Schüler lässt sich in ihrer Geburtsstadt Wuppertal selbst von der BEK nicht verordnen, und die ist dort beheimatet. Die Dichterin ist zwar in alle Weltsprachen übersetzt, doch bis heute in ihrer Vaterstadt „nicht angekommen“. Was 1993 die FAZ behauptete, hat noch immer Gültigkeit. Das beweist die aktuelle Auseinandersetzung an der Wupper.
Bijl
Will Else Lasker-Schüler nicht in der Nähe seines Banker-Denkmals haben - Guillaume Bijl | Quelle: www.klara.be

Wie sonst nur dem „unbekannten Soldaten“ ist ausgerechnet 2008, dem Jahr der globalen Bankenkrise, an der Herzogstraße in Wuppertal dem unbekannten Banker ein Denkmal gesetzt worden. In einer naturalistischen Skulptur lässt der belgische Künstler Guillaume Bijl einen jungen erfolgstrunkenen Broker übermütig Handstand machen. Titel des Kunstwerks: „Ein neuer erfolgreicher Tag“. In der Plastik pure Ironie zu suchen, hieße Bijl zuviel der Ehre erweisen. Entstand doch der Entwurf noch vor der Wirtschaftskrise. Und wer hat schon je gehört, dass sich eine Bank – hier die Sparda – selbst auf die Schippe nimmt?
 
Der Erfolg, den der Professor an der Kunstakademie Münster in dem “Denk-Mal“ darstellt, fällt auch auf ihn selbst zurück. Seit aus seinem preisgekrönten Entwurf Realität wurde, beansprucht Herr Bijl Gestaltungshoheit über die Umgebung am „Kasinokreisel“ in Elberfeld. Ihn und seine Freunde scheint es nicht zu kümmern, dass damit zugleich seinem Wuppertaler Kollegen Heinz Velten eine Art Berufsverbot erteilt wird: Velten ist dort nämlich die Einlassung eines Zitats von Else Lasker-Schüler im Pflaster untersagt worden – pikanterweise an der Mündung jener Straße, an der die Dichterin geboren wurde und wo sie ihre antisemitisch belastete Kindheit verbracht hat.
 
„Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten.“- Was hätte wohl der Lasker-Schüler-Fan Karl Kraus, von dem dieser Satz stammt, gesagt angesichts der Provinzposse im Wupper-Tal? Sie beweist einmal mehr, dass nicht nur der Prophet, sondern auch der Künstler/die Künstlerin im eigenen Land wenig bis nichts gelten.
 
Nochmal ins Exil?
 
Der Belgier Bijl weiß Gerhard Finckh auf seiner Seite. Der stammt zwar auch nicht aus Wuppertal, ist dort jedoch Leitender Museumsdirektor. Beide zusammen würden die Dichterin ein zweites Mal ins Exil schicken, wenn es bei der jetzigen Entscheidung bliebe. Guillaume Bijl bekam für seinen ausgewählten Entwurf viel Geld, zugesprochen von einer Jury, in der Dr.Gerhard Finckh der Experte war. Das von ihm geleitete Wuppertaler von der Heydt-Museum liegt in der Verlängerung der Herzogstraße. Es ist eher untertrieben, wenn man Finckh nachsagen würde, er habe sich eindeutig politisch korrekt verhalten als es um die Umwidmung des nach dem „Nazi-Bankier“ (Bild am Sonntag) benannten Eduard von der Heydt-Kulturpreis ging. Das Museum bezieht seine internationale Geltung aus der exzellenten Sammlung des NSDAP-Barons. Und auch eine 5-Millionen-DM-Stiftungsspende für das Museum stammt aus dem Vermögen des gebürtigen Wuppertalers mit Schweizer Pass. Für Uneinsichtige war und ist Eduard von der Heydt bis heute ein Ehrenmann. Ganz anders Else Lasker-Schüler:
Else Lasker-Schüler














Else Lasker-Schüler
Quelle: NRhZ-Archiv


Sie war Jüdin, ihr Lebensweg unordentlich, ihr Verhalten exzentrisch. Das alles sieht man in der bürgerlichen Weltordnung einem Mann eher nach als einer Frau. Hinzu kommt ihre spätere Berühmtheit, die wie ein großer Vorwurf wirkt – und wer mag schon Vorwürfe? Das gilt ebenso für Großmütigkeit: Obwohl sie ins Exil vertrieben wurde, hatte Else Lasker-Schüler ihr letztes Buch „Mein blaues Klavier“ 1943 den Freundinnen und Freunden in Deutschland gewidmet - „in Treue“.
 
Bereits Jahrzehnte zuvor hatte sie ihrer Vaterstadt ein wunderbares expressionistisches Schauspiel gewidmet: „Die Wupper“. Das Geschenk wurde nicht wirklich angenommen und die Premiere in Wuppertal bei der Eröffnung des Schauspielhauses 1966 verschoben. Die Ratsmehrheit glaubte das „erotische“ Werk dem damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke in vorauseilendem Gehorsam nicht zumuten zu dürfen. Seinen Wuppertalern hielt auch Jahre später ein Ratsherr die „unkeusche Jüdin“ für nicht zumutbar. Mit dieser Formulierung begründete er seine Ablehnung, als es um die Benennung eines Gymnasiums (heute Gesamtschule) nach der Dichterin ging.
 
Zweifelhafter Urheberrechtsschutz
 
Die Partei „Die Linke“ hatte trotz der unfreundlichen Gemengelage versucht, den Eduard von der Heydt-Kulturpreis vom Täternamen zu befreien und umzubenennen auf den Namen des Nazi-Opfers Else Lasker-Schüler. Dem Ansinnen war - voraussehbar - klägliches Scheitern beschieden. Unbeeindruckt davon unternehmen nunmehr die Stadtverordneten von Bündnis 90/Die Grünen einen erneuten Anlauf, die so offensichtlich ungeliebte Dichterin zu ehren und sie, die über die Schweiz nach Palästina emigrieren musste, vermehrt ins Bewusstsein der Bevölkerung zurückzubringen. Die Ablehnung des Else Lasker-Schüler-Zitats am so genannten „Kasinokreisel“ möchten die Grünen aufheben.
 
Sparda-Kunstpreis
Soll vor Else Lasker-Schüler geschützt
werden: Bijls tüchtiger Banker
Quelle: www.wuppertal.de
In einer Presseveröffentlichung heißt es: Mit Verwunderung hat die Ratsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN die Erläuterungen des von der Heydt-Museums zur Ablehnung eines aufgemalten Satzes von Else-Lasker Schüler an der Kasinokreuzung zur Kenntnis genommen. In der Sitzung der Bezirksvertretung Elberfeld am 3. Dezember hatte eine Vertreterin des von der Heydt-Museums ausgeführt, bei der Gestaltung des Umfelds handele es sich um eine ästhetische Frage. Die Skulptur von Guillaume Bijl sei ortsbezogen. Der Künstler habe bestimmte Elemente vom Platz aufgegriffen, z.B. die Finanzgeschäfte und die Quadrate der Fenster des Hochhauses. Selbst die rechteckigen Rosenbeete und die Sonnenschirme des nahe liegenden Cafés wurden zur Begründung der Ablehnung herangezogen. Der Künstler habe Urheberrechtsschutz.
 
Ein Journalist brachte es auf den Punkt: „Wie konnte es dazu kommen, dass in diesen Tagen direkt neben dem Männchen ein acht Meter hoher Weihnachtsbaum aufgestellt wurde, der mit seiner sich nach oben verjüngenden Kontur dessen Formensprache dreist zertrümmert und mit seinem Lichterglanz die filigrane Komposition des kubischen Platzgesamtkunstwerks kackfrech überstrahlt?“
 
„Eine Bannmeile um das Kunstwerk ist nicht akzeptabel“, so Fraktionssprecherin Gerta Siller. „Für die bündnisgrüne Ratsfraktion ist selbstverständlich, dass bei der Gestaltung des Umfeldes behutsam vorgegangen wird. Eine Veränderungssperre für das Umfeld ist grotesk. Wer will festlegen, wie weit eine solche Schutzzone geht? Wir wollen keinen Kulturkampf am Kasinokreisel entfachen, sondern das Gespräch mit Herrn Finckh suchen und ihn bitten, alternative Vorschläge für die Platzierung des aufgemalten Satzes in der Elberfelder Innenstadt zu machen.“
 
Preisträger und Plagiator?
 
Der jährlich ausgelobte Sparda-Kunstpreis NRW ist mit 100.000 Euro dotiert und wendet sich hauptsächlich an Künstler aus Nordrhein-Westfalen, die mit ihren Skulpturen „dem öffentlichen Raum ein eigenständiges Profil“ geben wollen. Die Skulptur von Guillaume Bijl wurde in einem Wettbewerb ausgewählt und ihre Realisierung von der Sparda finanziert. Realisiert knapp 50 Meter entfernt von dem Denkmal für die Dichterin, die in Sonntagsreden gern als „größte Tochter der Stadt“ gefeiert wird. Ihr Geburtshaus Herzogstraße 29 wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Schwer beschädigt, aber immerhin erhalten blieb das Gebäude Herzogstr. 42, in dem sie die ersten Monate ihrer Ehe mit Berthold Lasker verbrachte, dem Bruder des einzigen deutschen Schachweltmeisters Emanuel Lasker. Dennoch darf das von dem Wuppertaler Maler und Grafiker Heinz Velten in Form eines sich windenden Drachens vorgeschlagene Else Lasker-Schüler-Zitat nicht in der Nachbarschaft des Handstand-Bankers und des ELS-Denkmals auf das Straßenpflaster angebracht werden. Dabei ist das Else Lasker-Schüler-Denkmal Jahrzehnte älter als die in Wuppertal heftig umstrittene Bijl-Skulptur. Selbst die Tatsache, dass die Dichterin hier 1869 geboren wurde, ist kein Argument gegen die Urheberrechts-Ansprüche des belgischen Künstlers. Die Urheberrechte anderer Künstler scheinen Guillaume Bijl auch sonst gleichgültig zu sein. Auf die gleich zweifachen Plagiatsvorwürfe seines Münsteraner Akademiekollegen Timm Ulrich reagiert der Belgier mit Nichtbeachtung.
 
Wer Spaß daran hat findet im Internet ironische Bürgerkommentare über die Kunst des Guillaume Bijl in Münster. Wir ersparen uns entsprechende Veröffentlichungen, weil spätestens an dieser Stelle der Leser einen Anspruch auf das umstrittene Else Lasker-Schüler-Zitat hat, das nicht auf das Pflaster gemalt werden darf. Vielleicht sitzen ja zu viele (Ober-)Lehrer in den Entscheidungsgremien; denn grammatikalisch ist der Satz nicht ganz korrekt. Dafür voller Poesie. Werbewirksamer als alle PR-Prosa und Handstandskunst. Voila:
 
„Ich bin verliebt in meine Stadt und bin stolz auf seine Schwebebahn, ein Eisengewinde, ein stählerner Drachen, wendet und legt er sich mit vielen Bahnhofköpfen und sprühenden Augen über den schwarz gefärbten Fluss.“ (PK)

Online-Flyer Nr. 181  vom 21.01.2009



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