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Arbeit und Soziales
Reformdebatten im DGB
Zukunft ohne Perspektive
Von Franz Kersjes
DGB-Vorsitzender 1949 bis 1951:
Hans Böckler | Quelle: DGB-Archiv
Eine aufgezwungene Struktur
Umstritten waren Aufbau und Struktur der deutschen Gewerkschaften schon bei ihrer Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Besatzungsmächte bestimmten das Modell. Für die Gründung eines DGB als Mitgliedergewerkschaft ähnlich wie in Österreich und vielen anderen Ländern gab es damals keine Chance, weil die Alliierten für Deutschland keine
zentralen Gewalten wünschten. Schon am 3. Juni 1946 hatte der Alliierte Kontrollrat für Deutschland seine Anweisung Nr. 31 über die Entwicklung von Gewerkschaftsverbänden erlassen. Damit wurde den Gewerkschaften zwar der Weg zu größeren Zusammenschlüssen freigegeben, gleichzeitig jedoch die Auflage zur Bildung von Industriegewerkschaften gemacht. Viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter waren dagegen der Auffassung, dass alle Kräfte in einer gemeinsamen Organisation zusammengefasst werden müssten, damit ihre politischen, ökonomischen und sozialen Forderungen bessere Chancen auf Durchsetzung erhielten.
Der offiziellen Geschichtsschreibung des DGB zufolge wurden die modernen deutschen Einheitsgewerkschaften auf dem DGB-Gründungskongress 1949 in München geschaffen. Tatsächlich erhielt der DGB als Dachorganisation aber die Verfassung eines eher lockeren Bundes von 16 autonomen Industrie- und Berufsgewerkschaften. Das Resultat, nämlich die Schwächung der Gewerkschaften, war gewollt: Es sollte ein geschlossener gewerkschaftlicher
Widerstand gegen die Wiederherstellung kapitalistischer Verhältnisse verhindert werden.
Sparmaßnahmen statt Reformen
Die gewerkschaftlichen Strukturen wurden in den folgenden Jahren mehrfach verändert. Das gilt besonders für das vergangene Jahrzehnt, in dem tief greifende Veränderungen im DGB und in seinen Mitgliedsgewerkschaften stattgefunden haben. Ein wesentlicher Grund für die Veränderungen lag in den Mitgliederverlusten und den dadurch verursachten sinkenden Beitragseinnahmen. Die Zahl der Einzelgewerkschaften im DGB hat sich durch Fusionen auf inzwischen nur noch acht Organisationen verringert. Bedeutsam war vor allem der Zusammenschluss von ÖTV, Postgewerkschaft, HBV, IG Medien und DAG zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) im Jahr 2001.
Im DGB wurde häufiger über Reformen diskutiert, ohne dass auch geklärt wurde, wie es zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen den Einzelgewerkschaften und ihrem Dachverband kommen könnte. Schließlich wurde Ende 1993 der für den Reformprozess eingeführte Begriff „Reorganisation“ als Titel für ein Sparpapier der DGB-Bundesvorstandsverwaltung gewählt. Im Grunde wurde der Begriff „Reform“ missbraucht. Um wirkliche Reformen, nämlich grundlegende Umgestaltungen, ging es selten. Es ging um Sparkonzepte, finanzielle Einschnitte und Leistungsabbau. Es sollte eine Rückbesinnung auf so genannte Kernaufgaben erfolgen, indem durch Beschlüsse des DGB-Bundeskongresses 1994 die Personengruppen Angestellte und Arbeiter aus der Satzung gestrichen, Vorstände und Bundesausschuss verkleinert, jährliche Kreisdelegiertenkonferenzen abgeschafft wurden. Es folgte ein erheblicher Stellenabbau, der neben den Landesbezirksverwaltungen auch die DGB-Kreise personell dezimierte. Dem Rückzug der Einzelgewerkschaften mit hauptamtlich besetzten Stellen aus der Fläche folgten Einsparungen beim DGB. Aus 139 DGB-Kreisen wurden 94 Regionen; aus zwölf DGB-Landesbezirken wurden neun Bezirke, indem man die Landesbezirke Niedersachsen-Bremen und Sachsen-Anhalt, Hessen und Thüringen sowie Rheinland-Pfalz und Saar zusammenlegte.
Aspekte einer neuen Organisationsstruktur
Die Vorsitzenden der acht Einzelgewerkschaften haben sich zusammen mit dem DGB-Vorsitzenden Michael Sommer im Herbst 2008 auf Eckpunkte für eine grundlegende Strukturreform des Deutschen Gewerkschaftsbundes verständigt. Künftig will der Dachverband der Gewerkschaften in allen 429 Landkreisen und kreisfreien Städten vertreten sein. Die bislang 9 Bezirke, die jeweils für ein Bundesland oder mehrere Bundesländer zuständig sind, werden, so ist es geplant, weiter bestehen. Es wird allerdings geprüft, ob die Bezirke Sachsen und Berlin-Brandenburg eigenständig bleiben oder mit anderen Bezirken fusioniert werden. Aus den 88 Regionen will man Unterbezirke bilden. Die dazu notwendigen Satzungsänderungen sollen auf dem nächsten ordentlichen DGB-Kongress im Mai 2010 verabschiedet werden. Danach wird der DGB-Bundesvorstand nur noch aus vier, statt bisher fünf Mitgliedern bestehen. Die Mitgliedsgewerkschaften werden auch künftig 12 Prozent ihrer Beitragseinnahmen an den DGB abführen. Der bisher von ihnen finanzierte Solidaritätsfonds wird künftig aus den DGB-Einnahmen gespeist. Weiterhin werden 40 Prozent der DGB-Mittel für den Rechtsschutz
eingesetzt. Die noch bestehenden und hauptamtlich besetzten 88 Regionen sollen bis spätestens 2014 abgeschafft werden. Über 400 der insgesamt mehr als 700 Beschäftigten im DGB sind davon betroffen. Sie sind erheblich verunsichert, weil sie nicht wissen, wo und unter welchen Bedingungen sie künftig arbeiten werden. Zuständig für den Personaleinsatz sind dann die neun Bezirke.
DGB-Vorsitzender seit 2002: Michael Sommer | Quelle: www.spd-biberach.de
Die Bezirke werden, wie erwähnt, in Zukunft in Unterbezirke gegliedert werden. Diese Unterbezirke sind integrale Bestandteile der Bezirke und werden aus der bestehenden dritten Organisationsebene (DGB-Regionen) entwickelt. Die Aufgabe der Unterbezirke wird dann im Wesentlichen in der politischen Vertretung des DGB in Regierungsbezirken und vergleichbaren
politischen Gliederungen bestehen. Zur Führung der Unterbezirke sollen die Bezirkskonferenzen (!) hauptamtliche Vorsitzende wählen. Sie gehören dann zum Bezirksvorstand. Es soll also keine Wahlkonferenzen in den Unterbezirken geben.
Mehr Fragen als Antworten
In allen 313 Landkreisen und den 116 kreisfreien Städten werden künftig DGB-Kreis- bzw. Stadtverbände gebildet. Deren ehrenamtlich tätigen Vorstände sollen aus den Vertretern der im jeweiligen Gebiet aktiven DGB-Einzelgewerkschaften und einem gewählten Vorsitzenden bestehen. Unklar ist bislang, wer sie benennt oder wählt und wie eine Einbindung in die
DGB-Politik erfolgen soll. Die vereinbarten Vorschläge für eine Strukturreform werfen mehr Fragen als Antworten auf. Wo sollen beispielsweise die ehrenamtlichen Vorsitzenden in den Landkreisen und kreisfreien Städten herkommen, wenn es schon in den Einzelgewerkschaften wachsende Probleme bei der Besetzung von Gremien und Vorständen gibt? Wie sollen Unterbezirke, Bezirke und die Bundesvorstandsverwaltung personell ausgestattet werden? Mit der Verteilung des bestehenden Mangels an Ressourcen in den Ebenen sind die Aufgaben der Zukunft kaum zu lösen. Zwar sollen die Einzelgewerkschaften auch künftig 12 Prozent ihrer Beitragseinnahmen an den DGB abführen. Da es aber immer weniger Gewerkschaftsmitglieder gibt, sinken auch die Einnahmen. Die Mitgliederzahl ist zwischen 1991 und 2007 dramatisch von 11,8 auf 6,44 Millionen gesunken.
Sämtliche Satzungsänderungen sollen auf dem DGB-Bundeskongress im Mai 2010 beschlossen und in der folgenden Zeit umgesetzt werden. Die Vorstände der DGB-Regionen, die alle einen/eine hauptamtliche/n Vorsitzende/n haben, müssen nach Ablauf der jetzigen Legislaturperiode im Sinne von § 12 der bestehenden DGB-Satzung im Herbst 2009 neu gewählt
werden. Es könnte sein, dass sie dann nur noch kurze Zeit arbeiten können bis die Beschlüsse des nächsten DGB-Bundeskongresses wirksam werden.
Warum Veränderungen nur in den Ebenen?
Die Gewerkschaften wollen schlagkräftiger und politisch durchsetzungsfähiger werden. Durch die Zusammenarbeit zwischen DGB und Einzelgewerkschaften werden eine starke Präsenz nach außen und Synergien angestrebt. Gemeinsam sollen sich alle Beteiligten stärker als bisher um gewerkschaftsübergreifende organisationspolitische Ziele kümmern. Vor allem soll dies für öffentliche Auftritte des DGB als die gewerkschaftliche Stimme gelten. Jedoch kann dies nicht nur ein Ziel für die Gewerkschaften in den Ebenen sein. Wollen die Verantwortlichen auf Bundes-, Landes- und Bezirksebene etwa ansonsten weitermachen wie bisher? Das wäre Wahnsinn, denn: Es gibt besonders auf zentraler Ebene der acht Einzelgewerkschaften und beim DGB Abteilungen für Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Bildungsarbeit, Personal, Öffentlichkeitsarbeit, Frauen, Jugend, Senioren, usw., usw. Sie alle existieren weitgehend nebeneinander, tun fast alle das Gleiche und klagen über Personalmangel. Selbstverständlich sind alle wichtig. Jeder ist wichtiger als der andere. Und wer kümmert sich unmittelbar um die Mitglieder?
Die aktuell vorgeschlagene Strukturreform für den DGB reicht keineswegs aus. Damit gewinnen die Gewerkschaften keine Zukunft. Dringend notwendig ist eine umfassende Organisationsreform mit dem Ziel, alle Gewerkschaftsmitglieder und solche, die es werden könnten, in einer einzigen Einheitsgewerkschaft mit Berufs- und Branchenfachbereichen zu vereinigen. Wenn die verantwortlichen Funktionäre und Gremien das nicht schaffen, istder weitere Bedeutungsverlust der deutschen Gewerkschaften unaufhaltsam. (PK)
Übersicht Gewerkschaften:
Deutscher Gewerkschaftsbund
8 Gewerkschaften mit 6,4 Millionen Mitgliedern
- IG Metall (2,3 Mio.)
- Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (2,2 Mio.)
- IG Bergbau, Chemie, Energie (713.000)
- IG BAU (352.000)
- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (249.000)
- Transnet (239.000)
- Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (208.000)
- Gewerkschaft der Polizei (168.000)
Deutscher Beamtenbund (dbb)
40 Einzelgewerkschaften mit 1,28 Mio. Mitgliedern (920.000 Beamte und
360.000 Tarifbeschäftigte)
darunter eigenständig aktiv:
- Verkehrsgewerkschaft GDBA (43.000)
- Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer GDL (34.000)
Christlicher Gewerkschaftsbund Deutschlands (CGB)
15 Mitgliedsverbände mit 278.000 Mitgliedern
- darunter 11 mit weniger als 10.000 Mitgliedern (6 davon mit weniger als
2.000 Mitgliedern)
- tarifpolitisch aktiv im Wesentlichen
Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) (94.000)
DHV – Die Berufsgewerkschaft (80.000)
Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen (GÖD) (51.000)
Berufsgewerkschaften
13 Verbände mit eigenen Tarifverträgen – bedeutsam im Wesentlichen:
- Marburger Bund (108.000)
- Deutscher Journalistenverband (DJV) (40.000)
- Verband medizinischer Fachberufe (VMF) (28.000)
- Unabhängige Flugbegleiter Organisation (Ufo) (8.700)
- Vereinigung Cockpit (8.200)
- Gewerkschaft der Flugsicherung (2.700)
Quelle: WSI-Tarifarchiv, Angaben der Gewerkschaften, www.oeckl-online.de
Franz Kersjes ist Herausgeber der Welt der Arbeit im Internet und war von 1980 bis 1989 Vorsitzender der IG Druck und Papier und von 1989 bis 2001 Vorsitzender der IG Medien im Landesbezirk Nordrhein-Westfalen. Von 1999 bis 2001 war er Mitglied der Gründungsorganisation "Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft". - www.weltderarbeit.de
Online-Flyer Nr. 184 vom 11.02.2009
Reformdebatten im DGB
Zukunft ohne Perspektive
Von Franz Kersjes
DGB-Vorsitzender 1949 bis 1951:
Hans Böckler | Quelle: DGB-Archiv
Umstritten waren Aufbau und Struktur der deutschen Gewerkschaften schon bei ihrer Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Besatzungsmächte bestimmten das Modell. Für die Gründung eines DGB als Mitgliedergewerkschaft ähnlich wie in Österreich und vielen anderen Ländern gab es damals keine Chance, weil die Alliierten für Deutschland keine
zentralen Gewalten wünschten. Schon am 3. Juni 1946 hatte der Alliierte Kontrollrat für Deutschland seine Anweisung Nr. 31 über die Entwicklung von Gewerkschaftsverbänden erlassen. Damit wurde den Gewerkschaften zwar der Weg zu größeren Zusammenschlüssen freigegeben, gleichzeitig jedoch die Auflage zur Bildung von Industriegewerkschaften gemacht. Viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter waren dagegen der Auffassung, dass alle Kräfte in einer gemeinsamen Organisation zusammengefasst werden müssten, damit ihre politischen, ökonomischen und sozialen Forderungen bessere Chancen auf Durchsetzung erhielten.
Der offiziellen Geschichtsschreibung des DGB zufolge wurden die modernen deutschen Einheitsgewerkschaften auf dem DGB-Gründungskongress 1949 in München geschaffen. Tatsächlich erhielt der DGB als Dachorganisation aber die Verfassung eines eher lockeren Bundes von 16 autonomen Industrie- und Berufsgewerkschaften. Das Resultat, nämlich die Schwächung der Gewerkschaften, war gewollt: Es sollte ein geschlossener gewerkschaftlicher
Widerstand gegen die Wiederherstellung kapitalistischer Verhältnisse verhindert werden.
Sparmaßnahmen statt Reformen
Die gewerkschaftlichen Strukturen wurden in den folgenden Jahren mehrfach verändert. Das gilt besonders für das vergangene Jahrzehnt, in dem tief greifende Veränderungen im DGB und in seinen Mitgliedsgewerkschaften stattgefunden haben. Ein wesentlicher Grund für die Veränderungen lag in den Mitgliederverlusten und den dadurch verursachten sinkenden Beitragseinnahmen. Die Zahl der Einzelgewerkschaften im DGB hat sich durch Fusionen auf inzwischen nur noch acht Organisationen verringert. Bedeutsam war vor allem der Zusammenschluss von ÖTV, Postgewerkschaft, HBV, IG Medien und DAG zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) im Jahr 2001.
Im DGB wurde häufiger über Reformen diskutiert, ohne dass auch geklärt wurde, wie es zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen den Einzelgewerkschaften und ihrem Dachverband kommen könnte. Schließlich wurde Ende 1993 der für den Reformprozess eingeführte Begriff „Reorganisation“ als Titel für ein Sparpapier der DGB-Bundesvorstandsverwaltung gewählt. Im Grunde wurde der Begriff „Reform“ missbraucht. Um wirkliche Reformen, nämlich grundlegende Umgestaltungen, ging es selten. Es ging um Sparkonzepte, finanzielle Einschnitte und Leistungsabbau. Es sollte eine Rückbesinnung auf so genannte Kernaufgaben erfolgen, indem durch Beschlüsse des DGB-Bundeskongresses 1994 die Personengruppen Angestellte und Arbeiter aus der Satzung gestrichen, Vorstände und Bundesausschuss verkleinert, jährliche Kreisdelegiertenkonferenzen abgeschafft wurden. Es folgte ein erheblicher Stellenabbau, der neben den Landesbezirksverwaltungen auch die DGB-Kreise personell dezimierte. Dem Rückzug der Einzelgewerkschaften mit hauptamtlich besetzten Stellen aus der Fläche folgten Einsparungen beim DGB. Aus 139 DGB-Kreisen wurden 94 Regionen; aus zwölf DGB-Landesbezirken wurden neun Bezirke, indem man die Landesbezirke Niedersachsen-Bremen und Sachsen-Anhalt, Hessen und Thüringen sowie Rheinland-Pfalz und Saar zusammenlegte.
Aspekte einer neuen Organisationsstruktur
Die Vorsitzenden der acht Einzelgewerkschaften haben sich zusammen mit dem DGB-Vorsitzenden Michael Sommer im Herbst 2008 auf Eckpunkte für eine grundlegende Strukturreform des Deutschen Gewerkschaftsbundes verständigt. Künftig will der Dachverband der Gewerkschaften in allen 429 Landkreisen und kreisfreien Städten vertreten sein. Die bislang 9 Bezirke, die jeweils für ein Bundesland oder mehrere Bundesländer zuständig sind, werden, so ist es geplant, weiter bestehen. Es wird allerdings geprüft, ob die Bezirke Sachsen und Berlin-Brandenburg eigenständig bleiben oder mit anderen Bezirken fusioniert werden. Aus den 88 Regionen will man Unterbezirke bilden. Die dazu notwendigen Satzungsänderungen sollen auf dem nächsten ordentlichen DGB-Kongress im Mai 2010 verabschiedet werden. Danach wird der DGB-Bundesvorstand nur noch aus vier, statt bisher fünf Mitgliedern bestehen. Die Mitgliedsgewerkschaften werden auch künftig 12 Prozent ihrer Beitragseinnahmen an den DGB abführen. Der bisher von ihnen finanzierte Solidaritätsfonds wird künftig aus den DGB-Einnahmen gespeist. Weiterhin werden 40 Prozent der DGB-Mittel für den Rechtsschutz
eingesetzt. Die noch bestehenden und hauptamtlich besetzten 88 Regionen sollen bis spätestens 2014 abgeschafft werden. Über 400 der insgesamt mehr als 700 Beschäftigten im DGB sind davon betroffen. Sie sind erheblich verunsichert, weil sie nicht wissen, wo und unter welchen Bedingungen sie künftig arbeiten werden. Zuständig für den Personaleinsatz sind dann die neun Bezirke.
DGB-Vorsitzender seit 2002: Michael Sommer | Quelle: www.spd-biberach.de
Die Bezirke werden, wie erwähnt, in Zukunft in Unterbezirke gegliedert werden. Diese Unterbezirke sind integrale Bestandteile der Bezirke und werden aus der bestehenden dritten Organisationsebene (DGB-Regionen) entwickelt. Die Aufgabe der Unterbezirke wird dann im Wesentlichen in der politischen Vertretung des DGB in Regierungsbezirken und vergleichbaren
politischen Gliederungen bestehen. Zur Führung der Unterbezirke sollen die Bezirkskonferenzen (!) hauptamtliche Vorsitzende wählen. Sie gehören dann zum Bezirksvorstand. Es soll also keine Wahlkonferenzen in den Unterbezirken geben.
Mehr Fragen als Antworten
In allen 313 Landkreisen und den 116 kreisfreien Städten werden künftig DGB-Kreis- bzw. Stadtverbände gebildet. Deren ehrenamtlich tätigen Vorstände sollen aus den Vertretern der im jeweiligen Gebiet aktiven DGB-Einzelgewerkschaften und einem gewählten Vorsitzenden bestehen. Unklar ist bislang, wer sie benennt oder wählt und wie eine Einbindung in die
DGB-Politik erfolgen soll. Die vereinbarten Vorschläge für eine Strukturreform werfen mehr Fragen als Antworten auf. Wo sollen beispielsweise die ehrenamtlichen Vorsitzenden in den Landkreisen und kreisfreien Städten herkommen, wenn es schon in den Einzelgewerkschaften wachsende Probleme bei der Besetzung von Gremien und Vorständen gibt? Wie sollen Unterbezirke, Bezirke und die Bundesvorstandsverwaltung personell ausgestattet werden? Mit der Verteilung des bestehenden Mangels an Ressourcen in den Ebenen sind die Aufgaben der Zukunft kaum zu lösen. Zwar sollen die Einzelgewerkschaften auch künftig 12 Prozent ihrer Beitragseinnahmen an den DGB abführen. Da es aber immer weniger Gewerkschaftsmitglieder gibt, sinken auch die Einnahmen. Die Mitgliederzahl ist zwischen 1991 und 2007 dramatisch von 11,8 auf 6,44 Millionen gesunken.
Sämtliche Satzungsänderungen sollen auf dem DGB-Bundeskongress im Mai 2010 beschlossen und in der folgenden Zeit umgesetzt werden. Die Vorstände der DGB-Regionen, die alle einen/eine hauptamtliche/n Vorsitzende/n haben, müssen nach Ablauf der jetzigen Legislaturperiode im Sinne von § 12 der bestehenden DGB-Satzung im Herbst 2009 neu gewählt
werden. Es könnte sein, dass sie dann nur noch kurze Zeit arbeiten können bis die Beschlüsse des nächsten DGB-Bundeskongresses wirksam werden.
Warum Veränderungen nur in den Ebenen?
Die Gewerkschaften wollen schlagkräftiger und politisch durchsetzungsfähiger werden. Durch die Zusammenarbeit zwischen DGB und Einzelgewerkschaften werden eine starke Präsenz nach außen und Synergien angestrebt. Gemeinsam sollen sich alle Beteiligten stärker als bisher um gewerkschaftsübergreifende organisationspolitische Ziele kümmern. Vor allem soll dies für öffentliche Auftritte des DGB als die gewerkschaftliche Stimme gelten. Jedoch kann dies nicht nur ein Ziel für die Gewerkschaften in den Ebenen sein. Wollen die Verantwortlichen auf Bundes-, Landes- und Bezirksebene etwa ansonsten weitermachen wie bisher? Das wäre Wahnsinn, denn: Es gibt besonders auf zentraler Ebene der acht Einzelgewerkschaften und beim DGB Abteilungen für Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Bildungsarbeit, Personal, Öffentlichkeitsarbeit, Frauen, Jugend, Senioren, usw., usw. Sie alle existieren weitgehend nebeneinander, tun fast alle das Gleiche und klagen über Personalmangel. Selbstverständlich sind alle wichtig. Jeder ist wichtiger als der andere. Und wer kümmert sich unmittelbar um die Mitglieder?
Die aktuell vorgeschlagene Strukturreform für den DGB reicht keineswegs aus. Damit gewinnen die Gewerkschaften keine Zukunft. Dringend notwendig ist eine umfassende Organisationsreform mit dem Ziel, alle Gewerkschaftsmitglieder und solche, die es werden könnten, in einer einzigen Einheitsgewerkschaft mit Berufs- und Branchenfachbereichen zu vereinigen. Wenn die verantwortlichen Funktionäre und Gremien das nicht schaffen, istder weitere Bedeutungsverlust der deutschen Gewerkschaften unaufhaltsam. (PK)
Übersicht Gewerkschaften:
Deutscher Gewerkschaftsbund
8 Gewerkschaften mit 6,4 Millionen Mitgliedern
- IG Metall (2,3 Mio.)
- Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (2,2 Mio.)
- IG Bergbau, Chemie, Energie (713.000)
- IG BAU (352.000)
- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (249.000)
- Transnet (239.000)
- Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (208.000)
- Gewerkschaft der Polizei (168.000)
Deutscher Beamtenbund (dbb)
40 Einzelgewerkschaften mit 1,28 Mio. Mitgliedern (920.000 Beamte und
360.000 Tarifbeschäftigte)
darunter eigenständig aktiv:
- Verkehrsgewerkschaft GDBA (43.000)
- Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer GDL (34.000)
Christlicher Gewerkschaftsbund Deutschlands (CGB)
15 Mitgliedsverbände mit 278.000 Mitgliedern
- darunter 11 mit weniger als 10.000 Mitgliedern (6 davon mit weniger als
2.000 Mitgliedern)
- tarifpolitisch aktiv im Wesentlichen
Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) (94.000)
DHV – Die Berufsgewerkschaft (80.000)
Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen (GÖD) (51.000)
Berufsgewerkschaften
13 Verbände mit eigenen Tarifverträgen – bedeutsam im Wesentlichen:
- Marburger Bund (108.000)
- Deutscher Journalistenverband (DJV) (40.000)
- Verband medizinischer Fachberufe (VMF) (28.000)
- Unabhängige Flugbegleiter Organisation (Ufo) (8.700)
- Vereinigung Cockpit (8.200)
- Gewerkschaft der Flugsicherung (2.700)
Quelle: WSI-Tarifarchiv, Angaben der Gewerkschaften, www.oeckl-online.de
Franz Kersjes ist Herausgeber der Welt der Arbeit im Internet und war von 1980 bis 1989 Vorsitzender der IG Druck und Papier und von 1989 bis 2001 Vorsitzender der IG Medien im Landesbezirk Nordrhein-Westfalen. Von 1999 bis 2001 war er Mitglied der Gründungsorganisation "Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft". - www.weltderarbeit.de
Online-Flyer Nr. 184 vom 11.02.2009