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Kultur und Wissen
1848/1849: Franz Raveaux und die Anfänge des alternativen Karnevals
Urstunk – Teil 1
Von Klaus Schmidt
Wenn aufmüpfige Karnevalisten in Gestalt von Priestern oder Mönchen daherkamen, verspotteten sie die bereits unter Autoritätsverlust leidende Kirche – und zusätzlich auch den Stadtrat, der das „jecke Treiben“ vergeblich verbot. Doch auch ohne solchen Mummenschanz machte der Karneval des Volkes die Etablierten nervös.
Das „Jauchzen des besoffenen Pöbels“
Ein auswärtiger Besucher, der Münchener Hofrat und Reiseschriftsteller Albert Klebe, notierte 1800 naserümpfend: „Alle Wirtshäuser ertönten von Musik und Gläserklang und dem Brüllen und Jauchzen des besoffenen Pöbels. Man sah hier nichts als Fuhrleute mit schmutzigen Kitteln, mit verzerrten Larven und lang herunterhängenden Haaren von Werg oder Flachs, Bauern in plumper, schmutziger Tracht, schmierige Caminfeger und
„Flachsperücken und Nasenungeheuer“
So dürften sie ausgesehen haben...
Foto: Neva Micheva
altväterlich gekleidete Weiber. In diesem von Tabak, Punsch und Ausdünstungen duftenden Tumult trieb sich der Pöbel mit Entzücken herum.“
Verständnisvoller äußert sich zwei Jahre später ein Kölner Zeitgenosse in der Tageszeitung „Der Beobachter“: „In den Häuschen und Hütten der niederen und ärmeren Classe wird die Geschichte der Fastnachts-Farcen erzählt. Die unermesslichen Perücken von Flachs und Werg, die Nasen-Ungeheuer, mit allen Farben bemalt, und mit hundert Auswüchsen besetzt, die Zwittermasken, aus denen weder Geschlecht, noch Vaterland, noch Stand herauszurathen ist, werden in diesen Hütten geboren. Während mancher Goldpapier-König und mancher Sultan, zu dessen Talar ein Schlafrock und zu dessen Turban eine Serviette geliehen werden soll, ausgebrütet wird, ist kein Brod im Hause. Bettzeug, Kleider und Hausrath werden versetzt, um während drey Tagen zu geniessen, was seit einem Jahr entbehrt ward.“
Die von der Französischen Revolution propagierte Idee der Gleichheit hinterlässt wenigstens im Karneval ihre Spuren in der Domstadt. Standes- und Klassenunterschiede werden für einige Tage überspielt, Kontakte über soziale Gegensätze hinweg geknüpft. „Die Häuser stehen den Masken offen“, bemerkt der Kölner Zeitgenosse, „sie werden mit Höflichkeit empfangen. Mancher würde nie einen Fuß unter ein Dach setzen, wo er jetzt maskiert an den Theetisch oder an die Tafel gezogen wird. Vielleicht sieht mancher mit einem Blick, was er durch jahrelanges Forschen nicht entdeckt haben würde.“
Hanswurst contra „Held Karneval“
Europa 1815: Napoleon hat abgewirtschaftet. Auf dem Wiener Kongress wird der europäische Kuchen neu verteilt. Österreich und Preußen geben den Ton an. Die Preußen erhalten das Rheinland. Nicht alle Kölner sind begeistert. Der Bankier Schaafhausen meint, man habe da in eine „ärm Famillich“ hineingeheiratet. Nicht wenige trauern, wenn nicht den Franzosen, so doch den Idealen der Französischen Revolution nach, die am preußischen Krückstock ihr Ende gefunden hat.
Wenn nun ein Kölner im Jahr 1816 einen pommerschen Dragoner auf offener Straße ein „ekelich fies ussjeqwetsch Zetronejeseech“ nennt, kann der Dragoner zwar das Gefühl haben, er sei beleidigt worden, seinem Vorgesetzten aber nicht erklären, wieso. Und wenn im Karneval E – L – F skandiert wird, kann ein preußischer Spitzel das mit der offiziellen Erklärung zur Kenntnis nehmen, es hieße „ei – lustig – fröhlich!“ – oder auch mit der Auskunft, die Zahl elf sei seit dem Tod von 11.000 Kölner Jungfrauen traditionell. Nicht beweisen aber kann er, dass die Karnevalisten mit ELF in Wirklichkeit egalité, liberté und fraternité meinen.
Vorbild: Illustration aus der niederdeutschen
Fassung des „Narrenschiffs“
Die beliebte Karnevalsfigur des mittelalterliche Reimsprecher Bellengeck – so genannt wegen seines bunten Kleids und seiner klingenden Schellen – gewinnt jetzt eine besondere Bedeutung. Ihm verwandt ist der „Hanswurst“, eine ebenfalls mittelalterliche Figur, bekannt aus Sebastian Brants „Narrenschiff“. Diese beiden sind samt Masken und Mummereien nicht nur für die Obrigkeit, sondern auch für die ordnungsliebenden Bürger beunruhigend. In gehöriger Distanz zum wilden Treiben des „rohen Pöbels“ und seinen „ekelhaften Masken“ gibt es deshalb seit 1823 einen wohlgeordneten Maskenzug. Im Festwagen besteigt der gekrönte „Held Karneval“ den Zug, mehrspännige Wagen folgen – der Kölner Rosenmontagszug wird geboren!
1836: Dä Zoch kütt (Ausschnitt Neumarkt, Köln) | Gemälde: Simon Meister
Mit kummervollem Schaudern blickt der Stadtrat, Kunstsammler und Oberkarnevalist Matthias Joseph de Noël auf die früheren Zeiten zurück, in denen ein „alle verbindendes Volksfest“ nicht mehr zustande kommen wollte: „Die Gebildeten ergötzten sich in Privatzirkeln. Die Ungebildeten dagegen zogen in sinnloser, oft ekelhafter Vermummung auf den Straßen umher, und entfernten durch ihr wüstes Benehmen die Ersteren immer mehr von der öffentlichen Theilnahme.“
Lustig-schwungvolle Planung: Festordnendes Komitee 1823 – 6. von links Unternehmer und Oberjeck H. v. Wittgenstein | Quelle: Farina Archiv
Ein „Festordnendes Komitee“ stößt 1825 einen Seufzer der Erleichterung aus: „Gottlob: die organisierten Maskenzüge haben Gemeinheit und ekelhafte Vermummung von den Straßen verscheucht.“ Freiherr von Ingersleben, der Oberpräsident der Rheinprovinz, sieht das genauso: „Seit der Restauration Deutschlands“ schreibt er dem preußischen Innenminister nach Berlin, „haben sich die Reichen und Wohlhabenden der Sache wieder bemächtigt und ihr eine ordnungsgemäße Form gegeben, welche zugleich für die
Hanswurst auf Trauer-Flugblatt wegen
verbotenem Rosenmontagszug 1831
arbeitenden Klassen nicht ohne bedeutenden Vortheil ist.“ Um welchen Vorteil es sich dabei handeln soll, verrät der Oberpräsident nicht.
Im Revolutionsjahr 1830 [1] kann das närrische Treiben des Volkes nur hinter verschlossenen Türen stattfinden. Man singt „Noch ist der Karneval nicht verloren“ nach der Melodie des freiheitsliebenden Nachbarvolkes („Noch ist Polen nicht verloren“). Der Hanswurst wird in Ketten durch die Straßen geführt. Demokratische Forderungen werden in der Folgezeit immer lauter, auch im Karneval.
[1] Im Juli 1830 kam es zur Revolution gegen die reaktionäre Politik Karls X. in Paris, mit starken Auswirkungen auf andere Teile Europas, wie einige deutsche Staaten, Polen, Italien und das „Vereinigte Königreich der Niederlande“.
Online-Flyer Nr. 185 vom 18.02.2009
1848/1849: Franz Raveaux und die Anfänge des alternativen Karnevals
Urstunk – Teil 1
Von Klaus Schmidt
Wenn aufmüpfige Karnevalisten in Gestalt von Priestern oder Mönchen daherkamen, verspotteten sie die bereits unter Autoritätsverlust leidende Kirche – und zusätzlich auch den Stadtrat, der das „jecke Treiben“ vergeblich verbot. Doch auch ohne solchen Mummenschanz machte der Karneval des Volkes die Etablierten nervös.
Das „Jauchzen des besoffenen Pöbels“
Ein auswärtiger Besucher, der Münchener Hofrat und Reiseschriftsteller Albert Klebe, notierte 1800 naserümpfend: „Alle Wirtshäuser ertönten von Musik und Gläserklang und dem Brüllen und Jauchzen des besoffenen Pöbels. Man sah hier nichts als Fuhrleute mit schmutzigen Kitteln, mit verzerrten Larven und lang herunterhängenden Haaren von Werg oder Flachs, Bauern in plumper, schmutziger Tracht, schmierige Caminfeger und
„Flachsperücken und Nasenungeheuer“
So dürften sie ausgesehen haben...
Foto: Neva Micheva
Verständnisvoller äußert sich zwei Jahre später ein Kölner Zeitgenosse in der Tageszeitung „Der Beobachter“: „In den Häuschen und Hütten der niederen und ärmeren Classe wird die Geschichte der Fastnachts-Farcen erzählt. Die unermesslichen Perücken von Flachs und Werg, die Nasen-Ungeheuer, mit allen Farben bemalt, und mit hundert Auswüchsen besetzt, die Zwittermasken, aus denen weder Geschlecht, noch Vaterland, noch Stand herauszurathen ist, werden in diesen Hütten geboren. Während mancher Goldpapier-König und mancher Sultan, zu dessen Talar ein Schlafrock und zu dessen Turban eine Serviette geliehen werden soll, ausgebrütet wird, ist kein Brod im Hause. Bettzeug, Kleider und Hausrath werden versetzt, um während drey Tagen zu geniessen, was seit einem Jahr entbehrt ward.“
Die von der Französischen Revolution propagierte Idee der Gleichheit hinterlässt wenigstens im Karneval ihre Spuren in der Domstadt. Standes- und Klassenunterschiede werden für einige Tage überspielt, Kontakte über soziale Gegensätze hinweg geknüpft. „Die Häuser stehen den Masken offen“, bemerkt der Kölner Zeitgenosse, „sie werden mit Höflichkeit empfangen. Mancher würde nie einen Fuß unter ein Dach setzen, wo er jetzt maskiert an den Theetisch oder an die Tafel gezogen wird. Vielleicht sieht mancher mit einem Blick, was er durch jahrelanges Forschen nicht entdeckt haben würde.“
Hanswurst contra „Held Karneval“
Europa 1815: Napoleon hat abgewirtschaftet. Auf dem Wiener Kongress wird der europäische Kuchen neu verteilt. Österreich und Preußen geben den Ton an. Die Preußen erhalten das Rheinland. Nicht alle Kölner sind begeistert. Der Bankier Schaafhausen meint, man habe da in eine „ärm Famillich“ hineingeheiratet. Nicht wenige trauern, wenn nicht den Franzosen, so doch den Idealen der Französischen Revolution nach, die am preußischen Krückstock ihr Ende gefunden hat.
Wenn nun ein Kölner im Jahr 1816 einen pommerschen Dragoner auf offener Straße ein „ekelich fies ussjeqwetsch Zetronejeseech“ nennt, kann der Dragoner zwar das Gefühl haben, er sei beleidigt worden, seinem Vorgesetzten aber nicht erklären, wieso. Und wenn im Karneval E – L – F skandiert wird, kann ein preußischer Spitzel das mit der offiziellen Erklärung zur Kenntnis nehmen, es hieße „ei – lustig – fröhlich!“ – oder auch mit der Auskunft, die Zahl elf sei seit dem Tod von 11.000 Kölner Jungfrauen traditionell. Nicht beweisen aber kann er, dass die Karnevalisten mit ELF in Wirklichkeit egalité, liberté und fraternité meinen.
Vorbild: Illustration aus der niederdeutschen
Fassung des „Narrenschiffs“
1836: Dä Zoch kütt (Ausschnitt Neumarkt, Köln) | Gemälde: Simon Meister
Mit kummervollem Schaudern blickt der Stadtrat, Kunstsammler und Oberkarnevalist Matthias Joseph de Noël auf die früheren Zeiten zurück, in denen ein „alle verbindendes Volksfest“ nicht mehr zustande kommen wollte: „Die Gebildeten ergötzten sich in Privatzirkeln. Die Ungebildeten dagegen zogen in sinnloser, oft ekelhafter Vermummung auf den Straßen umher, und entfernten durch ihr wüstes Benehmen die Ersteren immer mehr von der öffentlichen Theilnahme.“
Lustig-schwungvolle Planung: Festordnendes Komitee 1823 – 6. von links Unternehmer und Oberjeck H. v. Wittgenstein | Quelle: Farina Archiv
Ein „Festordnendes Komitee“ stößt 1825 einen Seufzer der Erleichterung aus: „Gottlob: die organisierten Maskenzüge haben Gemeinheit und ekelhafte Vermummung von den Straßen verscheucht.“ Freiherr von Ingersleben, der Oberpräsident der Rheinprovinz, sieht das genauso: „Seit der Restauration Deutschlands“ schreibt er dem preußischen Innenminister nach Berlin, „haben sich die Reichen und Wohlhabenden der Sache wieder bemächtigt und ihr eine ordnungsgemäße Form gegeben, welche zugleich für die
Hanswurst auf Trauer-Flugblatt wegen
verbotenem Rosenmontagszug 1831
Im Revolutionsjahr 1830 [1] kann das närrische Treiben des Volkes nur hinter verschlossenen Türen stattfinden. Man singt „Noch ist der Karneval nicht verloren“ nach der Melodie des freiheitsliebenden Nachbarvolkes („Noch ist Polen nicht verloren“). Der Hanswurst wird in Ketten durch die Straßen geführt. Demokratische Forderungen werden in der Folgezeit immer lauter, auch im Karneval.
[1] Im Juli 1830 kam es zur Revolution gegen die reaktionäre Politik Karls X. in Paris, mit starken Auswirkungen auf andere Teile Europas, wie einige deutsche Staaten, Polen, Italien und das „Vereinigte Königreich der Niederlande“.
Online-Flyer Nr. 185 vom 18.02.2009