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Wirtschaft und Umwelt
Interview zur Wiener Studie über den Elektrosmog der Mobilfunkindustrie
Eine falsche Fälschung?
Von Dr. Günter Baumgart
Professor Dr. Franz Adlkofer
Quelle: gigaherz.ch
„PROVOkant“: Herr Profeswsor Adlkofer, wie sind Sie selbst in die in Rede stehenden Studien an der Wiener Medizinischen Universität eingebunden?
Prof. Adlkofer: Die erste der beiden in die Kritik geratenen Untersuchungen - 2005 in Mutation Research publiziert - wurde im Rahmen des von der EU geförderten REFLEX-Projektes durchgeführt, das ich organisiert und koordiniert habe. Was die zweite Untersuchung angeht, die die Ergebnisse des REFLEX-Projektes bestätigte und erweiterte, so war ich an deren Planung und anschließend an der Sichtung und Auswertung der Ergebnisse beteiligt. Letztere wurden 2008 in den International Archives of Occupational and Environmental Health publiziert. Diese Untersuchung wurde u. a. auch von der Stiftung VerUm finanziell gefördert, deren Geschäftsführer ich bin.
Welche Schlüsse lassen diese Studien zu?
Beide sprechen dafür, dass die Strahlung der bei uns bisher genutzten Mobilfunkfrequenzen menschliche Zellen irreversibel schädigen kann, und zwar auch dann, wenn ihre Intensität unterhalb der geltenden Grenzwerte liegt. Allerdings, dass darf dabei nicht verschwiegen werden: Es handelt sich dabei zunächst um isolierte Zellen, die im Reagenzglas der Strahlung ausgesetzt wurden. Studien über die möglichen Folgen auf Zellen im Verband des menschlichen Organismus liegen noch nicht vor.
Sollten wir dann solche Schädigungen überhaupt ernst nehmen?
Ich denke schon. Wir tun das im Hinblick auf krebsfördernde Toxine in vielen Fällen ja auch. Schäden der von uns festgestellten Art stellen bei der Krebsentstehung den ersten Schritt dar in der Umwandlung einer normalen Zelle in eine Krebszelle. Dieser Schritt ist indes nur dann „erfolgreich“, wenn die so geschädigte Zelle den Gegenmaßnahmen der zahlreichen Abwehrsysteme des menschlichen Körpers entgeht.
Wäre es bei allen Einschränkungen also nicht übertrieben zu sagen, Mobilfunkstrahlung besäße ein kanzerogenes Potenzial?
Nein. Unsere Forschungsergebnisse belegen das. Sollte sich nämlich herausstellen, dass nach der Bestrahlung vergleichbare Veränderungen auch im Gesamtorganismus des Menschen auftreten, steht zu befürchten, dass dies gesundheitliche Folgen haben wird. Mit großer Wahrscheinlichkeit könnte z. B. davon ausgegangen werden, dass bei Mobilfunknutzern in schätzungsweise 20 bis 30 Jahren mittels epidemiologischer Untersuchungen ein erhöhtes Hirntumor-Risiko festgestellt wird. Erste Hinweise dafür, dass es so kommen könnte, hat man bereits nach 10-jähriger Nutzungsdauer erhalten. Da gegenwärtig an die 90 Prozent der Bevölkerung - darunter vor allem Kinder und Jugendliche! - Mobilfunknutzer sind, wäre selbst ein geringer Risikoanstieg von großer gesundheitspolitischer Bedeutung. Die Öffentlichkeit sollte darüber informiert werden. Denn nur so vermag sie sich vor möglichen Risiken zu schützen. Und nur so kann sie auch von den Verantwortlichen in Industrie und Politik die möglichst rasche Aufklärung der Zusammenhänge durch eine unabhängige Forschung einfordern.
Werden Ihre Erkenntnisse durch andere, auch internationale Studien gestützt?
Ja, unsere Befunde stehen im Einklang mit den Ergebnissen zahlreicher meist neuerer Untersuchungen, die die Veränderung in Struktur und Funktion von Genen in menschlichen und tierischen Zellen bestätigen. Dies wurde vor kurzem selbst von dem hoch angesehenen Wissenschaftsmagazin „Science“ eingeräumt. Zu Resultaten, die mit den unsrigen vergleichbar sind, gelangten u. a. auch Prof. Schär von der Universität Basel und Prof. Xu von der chinesischen Zheijiang Universität. Von beiden erhielt ich darüber entsprechende persönliche Mitteilungen, da die Ergebnisse bis anhin noch nicht publiziert wurden.
Von Forschungseinrichtungen, die der Industrie zumindest nahe stehen, werden die Bürger jedoch auf entsprechende Anfragen hin eher beruhigt.
Diese Forschungseinrichtungen gehen davon aus, dass die bestehenden Grenzwerte, die von der Wärmewirkung der Mobilfunkstrahlung abgeleitet sind, einen zuverlässigen Schutz der Bevölkerung vor Strahlenschäden darstellen. Sie leugnen dabei die Existenz so genannter athermischer Wirkungen weit unterhalb der Grenzwerte.
Effekte elektromagnetischer Strahlung, die über die Wärmewirkung hinausgehen bzw. parallel zu ihr auftreten?
So ist es. Gerade diese sind aber nach unserer Überzeugung beispielsweise für die beobachteten Gen-Schädigungen verantwortlich. Zugegeben, die bestehende Datenlage könnte widersprüchlicher kaum sein. Zu den technischen Problemen, mit denen die Wissenschaft in diesem Forschungsbereich konfrontiert ist, kommt noch das der Abhängigkeit der Forschung von der Finanzierung, genauer: von ihrer Förderung durch die Industrie und wohl auch durch den Staat. Industrienahe Forschungseinrichtungen ziehen es vor, nicht in ihr Konzept passende Forschungsergebnisse zu ignorieren und, wenn sich das auf Dauer nicht durchhalten lässt, sie - wie die unsrigen - als fehlerbehaftet oder gar als gefälscht darzustellen.
Sie geben das Stichwort, auf den eigentlichen Anlass für dieses Interview zurückzukommen. Durch eine Veröffentlichung im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ wurde der Vorwurf bekannt, man habe an der Medizinischen Universität Wien die Ergebnisse von Studien manipuliert, welche die Möglichkeit einer zellschädigenden Wirkung von Mobilfunkstrahlung erkunden sollten. Wie und von wem soll gefälscht worden sein?
Der Fälschungsvorwurf richtet sich gegen eine technische Assistentin des Labors an der Universität, in dem die Untersuchungen zur biologischen Wirkung der Mobilfunkstrahlung durchgeführt wurden, und natürlich indirekt auch an die für die Aufsicht verantwortlichen Wissenschaftler wie z. B. an mich. Wir seien letztlich zu dumm gewesen, um zu erkennen, dass wir hinters Licht geführt wurden.
Gab es denn eine wie immer geartete Manipulation?
Die erwähnte Laborantin hat sich im April 2008 tatsächlich einer Datenmanipulation schuldig gemacht. Allerdings in einem Fall, der mit der Mobilfunkforschung überhaupt nichts zu tun hat. Das ist aktenkundig geklärt. Unzulässigerweise hat man aber daraus abgeleitet, dass sie auch die Ergebnisse früher durchgeführter Untersuchungen zur Mobilfunkstrahlung gefälscht haben könnte.
Ohne jeden Anhaltspunkt?
Man nahm den Verdacht für Gewissheit, als sich herausstellte, dass in einem Laborbuch der Laborantin die Zahlencodes mehrerer Experimente eingetragen waren. Und man glaubte sich noch sicherer, nachdem 2008 von einer Kollegin dieser Laborantin bemerkt worden war, wie leicht die Verschlüsselung zu überlisten ist. Man nahm ganz einfach an, dass die Laborantin den Trick mit der Codeentschlüsselung längst gekannt haben müsste. Hinzu kommt ein ziemlich aggressives Schreiben eines Wissenschaftlers aus Deutschland an die Universität. In ihm wird behauptet, die Überprüfung der Statistik in den von mir genannten zwei Publikationen hätten eindeutige Beweise für eine Fälschung ergeben. Diese Behauptung mag die Vorverurteilung der Laborantin verstärkt haben. Ihrer Beteuerung, dass sie zu Unrecht verdächtigt werde, hat man keinen Glauben mehr geschenkt. Überzeugt von einer kriminellen Energie der Laborantin, die ich persönlich in langjähriger Zusammenarbeit als außergewöhnlich begabt und zuverlässig kennen und schätzen gelernt hatte, ging man recht schnell an die Öffentlichkeit, und dies ohne jede Rücksprache mit deren inzwischen aus Altersgründen emeritierten Vorgesetzten.
Wäre es überhaupt möglich gewesen, allein bei Kenntnis des Generator-Codes die Studien-Ergebnisse auf die behauptete Weise zu manipulieren?
Es trifft zu, dass die Kenntnis des Codes das Ergebnis der Auswertung der Daten so sehr beeinflussen kann, dass die Ergebnisse wertlos werden. In Wien wurde die maschinelle Codierung jedoch um eine laborinterne Codierung ergänzt. Sollte der maschinelle Code also wirklich bekannt gewesen sein, hätte noch immer der laborinterne Code einer Manipulation bei der Datenauswertung im Wege gestanden. Es gibt aber einige Hinweise dafür, dass die Laborantin die Kenntnis des Codes auch gar nicht benötigte, weil sie aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung im Umgang mit der Testmethode immer sehr rasch erkannte, ob die zu untersuchende Probe strahlenexponiert war oder nicht. Sollte dies zutreffen, was noch zu klären sein wird, spräche dies keinesfalls gegen die Laborantin, obwohl es ebenfalls nicht ohne Folgen für die Datenauswertung gewesen wäre. Es wäre eher ein zusätzlicher, wenn auch nur subjektiver Hinweis darauf, dass die Mobilfunkstrahlung die Gene in isolierten menschlichen Zellen tatsächlich schädigen kann.
Angenommen, die beschuldigte Laborantin hätte wirklich manipuliert. Welche Folgen würde dies für die Studien haben, an denen Sie beteiligt waren?
Wenn die Laborantin die Daten tatsächlich manipuliert hätte, betrachtete ich die Wiener Forschungsergebnisse über biologische Wirkungen der Mobilfunkstrahlung als wertlos, und ich hätte nicht den geringsten Einwand gegen eine Rücknahme der Publikationen. Dies habe ich den Herausgebern der betroffenen wissenschaftlichen Journale auch persönlich mitgeteilt. Ganz unabhängig von den Vorgängen in Wien gibt es in der wissenschaftlichen Literatur inzwischen jedoch so viele Hinweise auf eine mögliche gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung durch die Mobilfunkstrahlung, dass ich selbst bei Berechtigung der Manipulationsvorwürfe keinen Grund sähe, von meiner kritischen Beurteilung des Mobilfunks abzuweichen. Die Forschungsergebnisse aus Wien stellen doch nur den Gipfel jenes Eisbergs dar, der, was den Stand des Wissens angeht, gegenwärtig zum großen Teil noch unter Wasser liegt.
Wie bekannt wurde, hat der Rektor der Medizinischen Universität den Fall zur unparteiischen Untersuchung an eine Ethikkommission übergeben. Was ist dabei heraus gekommen?
Meines Wissens hat sich der Ethikrat damit zweimal beschäftigt, einmal unter dem Vorsitz eines juristischen Mitarbeiters eines großen Telekommunikationsunternehmens in Österreich, und - nach Protest der Betroffenen - ein zweites Mal unter neutralem Vorsitz. Während bei der ersten Sitzung die Fälschung der Ergebnisse durch die Laborantin angeblich nachgewiesen wurde, kann davon bei der zweiten Sitzung keine Rede sein. Als Mitautor der Studie habe ich verlangt, dass ich das Protokoll dieser Sitzung einsehen darf, bevor ich mich entscheide, ob ich mit der Rückziehung der beiden Publikationen einverstanden bin. Dieser Forderung ist man nachgekommen. Das Protokoll, das ich nur unter Aufsicht vor Ort einsehen konnte, vermittelt den Eindruck, dass man sich objektiv und professionell bemüht hat herauszufinden, was wirklich geschehen ist. Es liefert aber nach meiner Beurteilung keinerlei Beleg für eine Fälschung. Es stellt vielmehr eine weitgehende Rehabilitation der betroffenen Laborantin und ihrer Arbeitsgruppe dar. Erstaunlicherweise wird dieses Protokoll von der Universität als geheim eingestuft und deshalb der Öffentlichkeit vorenthalten.
Eine Fälschung wissenschaftlicher Studienergebnisse ist nach allgemeinem Verständnis eigentlich eine kriminelle Handlung. Wäre es nicht ein Fall für den Staatsanwalt?
Die Fälschung in einer wissenschaftlichen Arbeit sicher nachzuweisen, was Voraussetzung für die Einschaltung des Staatsanwaltes gewesen wäre, ist in der Tat ein schwieriges Unterfangen. Obwohl es zahlreiche Fälle gibt, in denen dies gelungen ist. Beim jetzigen Stand der Aufklärung im Wiener Verdachtsfall stellt sich eher die Frage nach den wahren Gründen, die die Medizinische Universität Wien veranlassten, mit Anschuldigungen an die Öffentlichkeit zu treten, die die Vernichtung wichtiger wissenschaftlicher Forschungsergebnisse zum Ziel haben, und dabei die Zerstörung der Reputation der an den Publikationen beteiligten Wissenschaftler billigend in Kauf nahmen. Dieser Skandal ist somit kein Fall für den Staatsanwalt, was in der Tat zur gewünschten Aufklärung der wirklichen Zusammenhänge führen würde. Es wäre ein Gegenstand für ein Gerichtsverfahren. In einem solchen müsste darüber geurteilt werden, ob bei einer derartig dürftigen Beweislage die dadurch bewirkte Verleumdung von Wissenschaftlern noch rechtens ist.
Sicherlich steht in diesem konkreten Fall aber auch für die Mobilfunkindustrie einiges auf dem Spiel.
Die Mobilfunkindustrie geht offensichtlich davon aus, dass Publikationen wie die unsrigen ihre wirtschaftlichen Interessen schädigen und dass sie sich dagegen mit allen Mitteln zur Wehr setzen muss. Zu dieser Vorgehensweise sieht sie sich berechtigt, weil es zahlreiche Wissenschaftler gibt, die ihr bereitwillig bestätigen, dass die von uns aus unseren Forschungsergebnissen gezogenen Schlussfolgerungen unsinnig seien. Dass diese Wissenschaftler, die im Verlauf vieler Jahre mehr oder weniger von finanziellen und sonstigen Vergünstigungen abhängig geworden sind, den Blick für Realitäten zum eigenen Vorteil verloren haben könnten, wird offensichtlich von der Industrie nicht erkannt. Man bedient sich ihrer, um Störendes aus dem Weg zu räumen, was sich schließlich kurzfristig fast immer als erfolgreich erweist, langfristig aber - auch für die Industrie! - verheerende Folgen haben könnte. Siehe z. B. die Probleme der Asbest- und der Tabakindustrie!
Sie verweisen auf den möglichen Einfluss finanzieller Vergünstigungen auf die Sicht bestimmter Wissenschaftler. Mal andersherum gefragt: Welche Interessen könnten Kritiker des Mobilfunks wie Sie dazu veranlassen, vielleicht sogar Studien zu manipulieren, nur um ihre Position erhärten zu können?
Mobilfunkkritiker müssen grundsätzlich davon ausgehen, dass ihre Forschungsarbeiten nicht gefördert werden und dass sie deshalb keine Chance haben, ihre Forschungsideen je zu verwirklichen. Dass sie sich durch ihre Arbeit den Ruf einhandeln, dumme, verblendete, uneinsichtige Wichtigtuer zu sein, die die Beunruhigung der Bevölkerung zur Selbstdarstellung nutzen, bietet wohl kaum einen Ausgleich für fehlende Forschungsmittel. Die Frage nach der Motivation kann darum sehr breit gefächert beantwortet werden: Das reicht - mal ganz theoretisch gesehen - von Eitelkeit über Ehrgeiz bis zum Verantwortungsbewusstsein für die Allgemeinheit.
Für den Laien ist es schwer zu beurteilen, welche der einander widerstreitenden wissenschaftlichen Meinungen zur Problematik Mobilfunk der Wahrheit näher kommt.
Das ist auch kein Wunder. Denn selbst unter den „Experten“ bestehen dazu noch mehr Fragen als Antworten. Man sollte darum der Öffentlichkeit auch und gerade auf diesem Gebiet die Wahrheit sagen: Wir haben gegenwärtig keine Ahnung, wie der seit 10 Jahren laufende Feldversuch über biologische Wirkungen der Mobilfunkstrahlung eines Tages ausgehen wird – ob mit der Erkenntnis, dass wieder einmal viel Lärm um nichts gemacht wurde, oder mit einer gesundheitspolitischen Katastrophe.
Sie nennen unseren inzwischen vom Mobilfunk geprägten Alltag einen Feldversuch?
Ja, beim gegenwärtigen Wissensstand kann man das nicht anders bezeichnen.
Sollte deshalb lieber die Devise gelten: Im Zweifel gegen das Risiko?
Diese Frage betrifft das Abwägen zwischen dem möglichen Nutzen, der beim Mobilfunk offensichtlich ist, und dem möglichen Schaden, der erst in ferner Zukunft eintreten wird - oder vielleicht auch nicht. Die Antwort ist trotz dieser Unsicherheit: Ja! Die Gewichtung der wissenschaftlichen Ergebnisse spricht nämlich gegenwärtig sehr viel mehr zu Gunsten der Empfehlung und Durchsetzung von Vorsorgemaßnahmen als dagegen. Entwarnung, wie sie von offizieller Seite betrieben wird, ist bei dieser Sachlage völlig fehl am Platze. Darüber sollte die Bevölkerung aufgeklärt werden.
Auch wenn wirtschaftliche Interessen davon berührt werden?
Ja, auch dann. Doch unsere Forschungsergebnisse zielen keineswegs darauf ab, der Mobilfunkindustrie wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Wir sehen doch auch: Der Siegeszug des mobilen Telefonierens wird nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Auch wegen der vielfältigen damit verbundenen Vorteile für den Einzelnen. Und dies leider selbst dann nicht, wenn ein damit verbundenes gesundheitliches Risiko eines Tages erwiesen sein sollte. Es täte deshalb Not, die Mobilfunktechnik an die Bedürfnisse des menschlichen Organismus anzupassen, wofür es durchaus praktikable Vorstellungen gibt. Wenn aber dem umgekehrten Weg weiterhin der Vorzug eingeräumt wird, nämlich der Anpassung des Menschen an die Mobilfunktechnik, dann ist nicht auszuschließen, dass dieses Vorgehen - wie schon angesprochen - in eine gesundheitspolitische Katastrophe führt...
...wofür dann Industrie, Wissenschaft und Politik gemeinsam verantwortlich zu machen wären?
Ja. Deshalb kann ich nur nochmals unterstreichen: Allein eine Forschung, die von Entwickler, Produzenten und Betreiber, aber auch von den politischen Verfechtern des jeweiligen technischen Projekts wirklich unabhängig ist, vermag dessen Risiken mit einiger Sicherheit abzuklären. Das heißt nicht, dass die darin arbeitenden Wissenschaftler etwa schlauer seien als ihre Kollegen z. B. in der Industrieforschung. Aber befangene Richter sind auch nicht dümmer, als ihre Kollegen. Sie kommen jedoch bekanntlich für das laufende Gerichtsverfahren nicht in Frage.
Herr Professor Adlkofer, wir danken Ihnen für das sehr offene Gespräch!
Prof. Dr. med. Franz Adlkofer, Jahrgang 1935, ist seit 1992 Geschäftsführer und seit 2002 Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung VerUm, Stiftung für Verhalten und Umwelt, mit Sitz in München. Nach seiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Biochemie in München habilitierte er sich 1974 am Klinikum Steglitz der Freien Universität Berlin für das Fach Innere Medizin. Sein besonderes Interesse gilt der Erforschung von Krankheiten, die durch Verhalten und Umwelt mit verursacht werden. Bis 2004 hielt er Vorlesungen an der Freien Universität Berlin zu Themen aus diesem Forschungsbereich. Von 1976 bis 1992 war Prof. Adlkofer in der Industrie tätig. Prof. Adlkofer organisierte und koordinierte zwischen 1999 und 2004 das von der EU-Kommission geförderte Forschungsvorhaben REFLEX, an dem sich 11 wissenschaftliche Einrichtungen aus 7 europäischen Ländern beteiligten, um die biologischen Wirkungen elektromagnetischer Felder weiter zu erforschen. (PK)
Das Interview haben wir mit Genehmigung des verantwortlichen Redakteurs Dr. Günter Baumgart aus der Vierteljahreszeitschrift „PROVOkant“ übernommen. Mehr über dieses vor zwei Jahren gegründete Projekt unter www.provokant.net
Der hier angesprochene SPIEGEL-Artikel erschien am 26.05.2008. Ebenfalls mit der Mobilfunk-Berichterstattung des Nachrichtenmagazins hat sich die Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e.V. befasst. Mehr in NRhZ 97 “Mobilfunk“ und NRhZ 98 “Journalismus – im Dienst der Herrschenden“.
Online-Flyer Nr. 188 vom 11.03.2009
Interview zur Wiener Studie über den Elektrosmog der Mobilfunkindustrie
Eine falsche Fälschung?
Von Dr. Günter Baumgart
Professor Dr. Franz Adlkofer
Quelle: gigaherz.ch
Prof. Adlkofer: Die erste der beiden in die Kritik geratenen Untersuchungen - 2005 in Mutation Research publiziert - wurde im Rahmen des von der EU geförderten REFLEX-Projektes durchgeführt, das ich organisiert und koordiniert habe. Was die zweite Untersuchung angeht, die die Ergebnisse des REFLEX-Projektes bestätigte und erweiterte, so war ich an deren Planung und anschließend an der Sichtung und Auswertung der Ergebnisse beteiligt. Letztere wurden 2008 in den International Archives of Occupational and Environmental Health publiziert. Diese Untersuchung wurde u. a. auch von der Stiftung VerUm finanziell gefördert, deren Geschäftsführer ich bin.
Welche Schlüsse lassen diese Studien zu?
Beide sprechen dafür, dass die Strahlung der bei uns bisher genutzten Mobilfunkfrequenzen menschliche Zellen irreversibel schädigen kann, und zwar auch dann, wenn ihre Intensität unterhalb der geltenden Grenzwerte liegt. Allerdings, dass darf dabei nicht verschwiegen werden: Es handelt sich dabei zunächst um isolierte Zellen, die im Reagenzglas der Strahlung ausgesetzt wurden. Studien über die möglichen Folgen auf Zellen im Verband des menschlichen Organismus liegen noch nicht vor.
Sollten wir dann solche Schädigungen überhaupt ernst nehmen?
Ich denke schon. Wir tun das im Hinblick auf krebsfördernde Toxine in vielen Fällen ja auch. Schäden der von uns festgestellten Art stellen bei der Krebsentstehung den ersten Schritt dar in der Umwandlung einer normalen Zelle in eine Krebszelle. Dieser Schritt ist indes nur dann „erfolgreich“, wenn die so geschädigte Zelle den Gegenmaßnahmen der zahlreichen Abwehrsysteme des menschlichen Körpers entgeht.
Wäre es bei allen Einschränkungen also nicht übertrieben zu sagen, Mobilfunkstrahlung besäße ein kanzerogenes Potenzial?
Nein. Unsere Forschungsergebnisse belegen das. Sollte sich nämlich herausstellen, dass nach der Bestrahlung vergleichbare Veränderungen auch im Gesamtorganismus des Menschen auftreten, steht zu befürchten, dass dies gesundheitliche Folgen haben wird. Mit großer Wahrscheinlichkeit könnte z. B. davon ausgegangen werden, dass bei Mobilfunknutzern in schätzungsweise 20 bis 30 Jahren mittels epidemiologischer Untersuchungen ein erhöhtes Hirntumor-Risiko festgestellt wird. Erste Hinweise dafür, dass es so kommen könnte, hat man bereits nach 10-jähriger Nutzungsdauer erhalten. Da gegenwärtig an die 90 Prozent der Bevölkerung - darunter vor allem Kinder und Jugendliche! - Mobilfunknutzer sind, wäre selbst ein geringer Risikoanstieg von großer gesundheitspolitischer Bedeutung. Die Öffentlichkeit sollte darüber informiert werden. Denn nur so vermag sie sich vor möglichen Risiken zu schützen. Und nur so kann sie auch von den Verantwortlichen in Industrie und Politik die möglichst rasche Aufklärung der Zusammenhänge durch eine unabhängige Forschung einfordern.
Werden Ihre Erkenntnisse durch andere, auch internationale Studien gestützt?
Ja, unsere Befunde stehen im Einklang mit den Ergebnissen zahlreicher meist neuerer Untersuchungen, die die Veränderung in Struktur und Funktion von Genen in menschlichen und tierischen Zellen bestätigen. Dies wurde vor kurzem selbst von dem hoch angesehenen Wissenschaftsmagazin „Science“ eingeräumt. Zu Resultaten, die mit den unsrigen vergleichbar sind, gelangten u. a. auch Prof. Schär von der Universität Basel und Prof. Xu von der chinesischen Zheijiang Universität. Von beiden erhielt ich darüber entsprechende persönliche Mitteilungen, da die Ergebnisse bis anhin noch nicht publiziert wurden.
Von Forschungseinrichtungen, die der Industrie zumindest nahe stehen, werden die Bürger jedoch auf entsprechende Anfragen hin eher beruhigt.
Diese Forschungseinrichtungen gehen davon aus, dass die bestehenden Grenzwerte, die von der Wärmewirkung der Mobilfunkstrahlung abgeleitet sind, einen zuverlässigen Schutz der Bevölkerung vor Strahlenschäden darstellen. Sie leugnen dabei die Existenz so genannter athermischer Wirkungen weit unterhalb der Grenzwerte.
Effekte elektromagnetischer Strahlung, die über die Wärmewirkung hinausgehen bzw. parallel zu ihr auftreten?
So ist es. Gerade diese sind aber nach unserer Überzeugung beispielsweise für die beobachteten Gen-Schädigungen verantwortlich. Zugegeben, die bestehende Datenlage könnte widersprüchlicher kaum sein. Zu den technischen Problemen, mit denen die Wissenschaft in diesem Forschungsbereich konfrontiert ist, kommt noch das der Abhängigkeit der Forschung von der Finanzierung, genauer: von ihrer Förderung durch die Industrie und wohl auch durch den Staat. Industrienahe Forschungseinrichtungen ziehen es vor, nicht in ihr Konzept passende Forschungsergebnisse zu ignorieren und, wenn sich das auf Dauer nicht durchhalten lässt, sie - wie die unsrigen - als fehlerbehaftet oder gar als gefälscht darzustellen.
Sie geben das Stichwort, auf den eigentlichen Anlass für dieses Interview zurückzukommen. Durch eine Veröffentlichung im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ wurde der Vorwurf bekannt, man habe an der Medizinischen Universität Wien die Ergebnisse von Studien manipuliert, welche die Möglichkeit einer zellschädigenden Wirkung von Mobilfunkstrahlung erkunden sollten. Wie und von wem soll gefälscht worden sein?
Der Fälschungsvorwurf richtet sich gegen eine technische Assistentin des Labors an der Universität, in dem die Untersuchungen zur biologischen Wirkung der Mobilfunkstrahlung durchgeführt wurden, und natürlich indirekt auch an die für die Aufsicht verantwortlichen Wissenschaftler wie z. B. an mich. Wir seien letztlich zu dumm gewesen, um zu erkennen, dass wir hinters Licht geführt wurden.
Gab es denn eine wie immer geartete Manipulation?
Die erwähnte Laborantin hat sich im April 2008 tatsächlich einer Datenmanipulation schuldig gemacht. Allerdings in einem Fall, der mit der Mobilfunkforschung überhaupt nichts zu tun hat. Das ist aktenkundig geklärt. Unzulässigerweise hat man aber daraus abgeleitet, dass sie auch die Ergebnisse früher durchgeführter Untersuchungen zur Mobilfunkstrahlung gefälscht haben könnte.
Ohne jeden Anhaltspunkt?
Man nahm den Verdacht für Gewissheit, als sich herausstellte, dass in einem Laborbuch der Laborantin die Zahlencodes mehrerer Experimente eingetragen waren. Und man glaubte sich noch sicherer, nachdem 2008 von einer Kollegin dieser Laborantin bemerkt worden war, wie leicht die Verschlüsselung zu überlisten ist. Man nahm ganz einfach an, dass die Laborantin den Trick mit der Codeentschlüsselung längst gekannt haben müsste. Hinzu kommt ein ziemlich aggressives Schreiben eines Wissenschaftlers aus Deutschland an die Universität. In ihm wird behauptet, die Überprüfung der Statistik in den von mir genannten zwei Publikationen hätten eindeutige Beweise für eine Fälschung ergeben. Diese Behauptung mag die Vorverurteilung der Laborantin verstärkt haben. Ihrer Beteuerung, dass sie zu Unrecht verdächtigt werde, hat man keinen Glauben mehr geschenkt. Überzeugt von einer kriminellen Energie der Laborantin, die ich persönlich in langjähriger Zusammenarbeit als außergewöhnlich begabt und zuverlässig kennen und schätzen gelernt hatte, ging man recht schnell an die Öffentlichkeit, und dies ohne jede Rücksprache mit deren inzwischen aus Altersgründen emeritierten Vorgesetzten.
Wäre es überhaupt möglich gewesen, allein bei Kenntnis des Generator-Codes die Studien-Ergebnisse auf die behauptete Weise zu manipulieren?
Es trifft zu, dass die Kenntnis des Codes das Ergebnis der Auswertung der Daten so sehr beeinflussen kann, dass die Ergebnisse wertlos werden. In Wien wurde die maschinelle Codierung jedoch um eine laborinterne Codierung ergänzt. Sollte der maschinelle Code also wirklich bekannt gewesen sein, hätte noch immer der laborinterne Code einer Manipulation bei der Datenauswertung im Wege gestanden. Es gibt aber einige Hinweise dafür, dass die Laborantin die Kenntnis des Codes auch gar nicht benötigte, weil sie aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung im Umgang mit der Testmethode immer sehr rasch erkannte, ob die zu untersuchende Probe strahlenexponiert war oder nicht. Sollte dies zutreffen, was noch zu klären sein wird, spräche dies keinesfalls gegen die Laborantin, obwohl es ebenfalls nicht ohne Folgen für die Datenauswertung gewesen wäre. Es wäre eher ein zusätzlicher, wenn auch nur subjektiver Hinweis darauf, dass die Mobilfunkstrahlung die Gene in isolierten menschlichen Zellen tatsächlich schädigen kann.
Angenommen, die beschuldigte Laborantin hätte wirklich manipuliert. Welche Folgen würde dies für die Studien haben, an denen Sie beteiligt waren?
Wenn die Laborantin die Daten tatsächlich manipuliert hätte, betrachtete ich die Wiener Forschungsergebnisse über biologische Wirkungen der Mobilfunkstrahlung als wertlos, und ich hätte nicht den geringsten Einwand gegen eine Rücknahme der Publikationen. Dies habe ich den Herausgebern der betroffenen wissenschaftlichen Journale auch persönlich mitgeteilt. Ganz unabhängig von den Vorgängen in Wien gibt es in der wissenschaftlichen Literatur inzwischen jedoch so viele Hinweise auf eine mögliche gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung durch die Mobilfunkstrahlung, dass ich selbst bei Berechtigung der Manipulationsvorwürfe keinen Grund sähe, von meiner kritischen Beurteilung des Mobilfunks abzuweichen. Die Forschungsergebnisse aus Wien stellen doch nur den Gipfel jenes Eisbergs dar, der, was den Stand des Wissens angeht, gegenwärtig zum großen Teil noch unter Wasser liegt.
Wie bekannt wurde, hat der Rektor der Medizinischen Universität den Fall zur unparteiischen Untersuchung an eine Ethikkommission übergeben. Was ist dabei heraus gekommen?
Meines Wissens hat sich der Ethikrat damit zweimal beschäftigt, einmal unter dem Vorsitz eines juristischen Mitarbeiters eines großen Telekommunikationsunternehmens in Österreich, und - nach Protest der Betroffenen - ein zweites Mal unter neutralem Vorsitz. Während bei der ersten Sitzung die Fälschung der Ergebnisse durch die Laborantin angeblich nachgewiesen wurde, kann davon bei der zweiten Sitzung keine Rede sein. Als Mitautor der Studie habe ich verlangt, dass ich das Protokoll dieser Sitzung einsehen darf, bevor ich mich entscheide, ob ich mit der Rückziehung der beiden Publikationen einverstanden bin. Dieser Forderung ist man nachgekommen. Das Protokoll, das ich nur unter Aufsicht vor Ort einsehen konnte, vermittelt den Eindruck, dass man sich objektiv und professionell bemüht hat herauszufinden, was wirklich geschehen ist. Es liefert aber nach meiner Beurteilung keinerlei Beleg für eine Fälschung. Es stellt vielmehr eine weitgehende Rehabilitation der betroffenen Laborantin und ihrer Arbeitsgruppe dar. Erstaunlicherweise wird dieses Protokoll von der Universität als geheim eingestuft und deshalb der Öffentlichkeit vorenthalten.
Eine Fälschung wissenschaftlicher Studienergebnisse ist nach allgemeinem Verständnis eigentlich eine kriminelle Handlung. Wäre es nicht ein Fall für den Staatsanwalt?
Die Fälschung in einer wissenschaftlichen Arbeit sicher nachzuweisen, was Voraussetzung für die Einschaltung des Staatsanwaltes gewesen wäre, ist in der Tat ein schwieriges Unterfangen. Obwohl es zahlreiche Fälle gibt, in denen dies gelungen ist. Beim jetzigen Stand der Aufklärung im Wiener Verdachtsfall stellt sich eher die Frage nach den wahren Gründen, die die Medizinische Universität Wien veranlassten, mit Anschuldigungen an die Öffentlichkeit zu treten, die die Vernichtung wichtiger wissenschaftlicher Forschungsergebnisse zum Ziel haben, und dabei die Zerstörung der Reputation der an den Publikationen beteiligten Wissenschaftler billigend in Kauf nahmen. Dieser Skandal ist somit kein Fall für den Staatsanwalt, was in der Tat zur gewünschten Aufklärung der wirklichen Zusammenhänge führen würde. Es wäre ein Gegenstand für ein Gerichtsverfahren. In einem solchen müsste darüber geurteilt werden, ob bei einer derartig dürftigen Beweislage die dadurch bewirkte Verleumdung von Wissenschaftlern noch rechtens ist.
Sicherlich steht in diesem konkreten Fall aber auch für die Mobilfunkindustrie einiges auf dem Spiel.
Die Mobilfunkindustrie geht offensichtlich davon aus, dass Publikationen wie die unsrigen ihre wirtschaftlichen Interessen schädigen und dass sie sich dagegen mit allen Mitteln zur Wehr setzen muss. Zu dieser Vorgehensweise sieht sie sich berechtigt, weil es zahlreiche Wissenschaftler gibt, die ihr bereitwillig bestätigen, dass die von uns aus unseren Forschungsergebnissen gezogenen Schlussfolgerungen unsinnig seien. Dass diese Wissenschaftler, die im Verlauf vieler Jahre mehr oder weniger von finanziellen und sonstigen Vergünstigungen abhängig geworden sind, den Blick für Realitäten zum eigenen Vorteil verloren haben könnten, wird offensichtlich von der Industrie nicht erkannt. Man bedient sich ihrer, um Störendes aus dem Weg zu räumen, was sich schließlich kurzfristig fast immer als erfolgreich erweist, langfristig aber - auch für die Industrie! - verheerende Folgen haben könnte. Siehe z. B. die Probleme der Asbest- und der Tabakindustrie!
Sie verweisen auf den möglichen Einfluss finanzieller Vergünstigungen auf die Sicht bestimmter Wissenschaftler. Mal andersherum gefragt: Welche Interessen könnten Kritiker des Mobilfunks wie Sie dazu veranlassen, vielleicht sogar Studien zu manipulieren, nur um ihre Position erhärten zu können?
Mobilfunkkritiker müssen grundsätzlich davon ausgehen, dass ihre Forschungsarbeiten nicht gefördert werden und dass sie deshalb keine Chance haben, ihre Forschungsideen je zu verwirklichen. Dass sie sich durch ihre Arbeit den Ruf einhandeln, dumme, verblendete, uneinsichtige Wichtigtuer zu sein, die die Beunruhigung der Bevölkerung zur Selbstdarstellung nutzen, bietet wohl kaum einen Ausgleich für fehlende Forschungsmittel. Die Frage nach der Motivation kann darum sehr breit gefächert beantwortet werden: Das reicht - mal ganz theoretisch gesehen - von Eitelkeit über Ehrgeiz bis zum Verantwortungsbewusstsein für die Allgemeinheit.
Für den Laien ist es schwer zu beurteilen, welche der einander widerstreitenden wissenschaftlichen Meinungen zur Problematik Mobilfunk der Wahrheit näher kommt.
Das ist auch kein Wunder. Denn selbst unter den „Experten“ bestehen dazu noch mehr Fragen als Antworten. Man sollte darum der Öffentlichkeit auch und gerade auf diesem Gebiet die Wahrheit sagen: Wir haben gegenwärtig keine Ahnung, wie der seit 10 Jahren laufende Feldversuch über biologische Wirkungen der Mobilfunkstrahlung eines Tages ausgehen wird – ob mit der Erkenntnis, dass wieder einmal viel Lärm um nichts gemacht wurde, oder mit einer gesundheitspolitischen Katastrophe.
Sie nennen unseren inzwischen vom Mobilfunk geprägten Alltag einen Feldversuch?
Ja, beim gegenwärtigen Wissensstand kann man das nicht anders bezeichnen.
Sollte deshalb lieber die Devise gelten: Im Zweifel gegen das Risiko?
Diese Frage betrifft das Abwägen zwischen dem möglichen Nutzen, der beim Mobilfunk offensichtlich ist, und dem möglichen Schaden, der erst in ferner Zukunft eintreten wird - oder vielleicht auch nicht. Die Antwort ist trotz dieser Unsicherheit: Ja! Die Gewichtung der wissenschaftlichen Ergebnisse spricht nämlich gegenwärtig sehr viel mehr zu Gunsten der Empfehlung und Durchsetzung von Vorsorgemaßnahmen als dagegen. Entwarnung, wie sie von offizieller Seite betrieben wird, ist bei dieser Sachlage völlig fehl am Platze. Darüber sollte die Bevölkerung aufgeklärt werden.
Auch wenn wirtschaftliche Interessen davon berührt werden?
Ja, auch dann. Doch unsere Forschungsergebnisse zielen keineswegs darauf ab, der Mobilfunkindustrie wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Wir sehen doch auch: Der Siegeszug des mobilen Telefonierens wird nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Auch wegen der vielfältigen damit verbundenen Vorteile für den Einzelnen. Und dies leider selbst dann nicht, wenn ein damit verbundenes gesundheitliches Risiko eines Tages erwiesen sein sollte. Es täte deshalb Not, die Mobilfunktechnik an die Bedürfnisse des menschlichen Organismus anzupassen, wofür es durchaus praktikable Vorstellungen gibt. Wenn aber dem umgekehrten Weg weiterhin der Vorzug eingeräumt wird, nämlich der Anpassung des Menschen an die Mobilfunktechnik, dann ist nicht auszuschließen, dass dieses Vorgehen - wie schon angesprochen - in eine gesundheitspolitische Katastrophe führt...
...wofür dann Industrie, Wissenschaft und Politik gemeinsam verantwortlich zu machen wären?
Ja. Deshalb kann ich nur nochmals unterstreichen: Allein eine Forschung, die von Entwickler, Produzenten und Betreiber, aber auch von den politischen Verfechtern des jeweiligen technischen Projekts wirklich unabhängig ist, vermag dessen Risiken mit einiger Sicherheit abzuklären. Das heißt nicht, dass die darin arbeitenden Wissenschaftler etwa schlauer seien als ihre Kollegen z. B. in der Industrieforschung. Aber befangene Richter sind auch nicht dümmer, als ihre Kollegen. Sie kommen jedoch bekanntlich für das laufende Gerichtsverfahren nicht in Frage.
Herr Professor Adlkofer, wir danken Ihnen für das sehr offene Gespräch!
Prof. Dr. med. Franz Adlkofer, Jahrgang 1935, ist seit 1992 Geschäftsführer und seit 2002 Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung VerUm, Stiftung für Verhalten und Umwelt, mit Sitz in München. Nach seiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Biochemie in München habilitierte er sich 1974 am Klinikum Steglitz der Freien Universität Berlin für das Fach Innere Medizin. Sein besonderes Interesse gilt der Erforschung von Krankheiten, die durch Verhalten und Umwelt mit verursacht werden. Bis 2004 hielt er Vorlesungen an der Freien Universität Berlin zu Themen aus diesem Forschungsbereich. Von 1976 bis 1992 war Prof. Adlkofer in der Industrie tätig. Prof. Adlkofer organisierte und koordinierte zwischen 1999 und 2004 das von der EU-Kommission geförderte Forschungsvorhaben REFLEX, an dem sich 11 wissenschaftliche Einrichtungen aus 7 europäischen Ländern beteiligten, um die biologischen Wirkungen elektromagnetischer Felder weiter zu erforschen. (PK)
Das Interview haben wir mit Genehmigung des verantwortlichen Redakteurs Dr. Günter Baumgart aus der Vierteljahreszeitschrift „PROVOkant“ übernommen. Mehr über dieses vor zwei Jahren gegründete Projekt unter www.provokant.net
Der hier angesprochene SPIEGEL-Artikel erschien am 26.05.2008. Ebenfalls mit der Mobilfunk-Berichterstattung des Nachrichtenmagazins hat sich die Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e.V. befasst. Mehr in NRhZ 97 “Mobilfunk“ und NRhZ 98 “Journalismus – im Dienst der Herrschenden“.
Online-Flyer Nr. 188 vom 11.03.2009