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Aktueller Online-Flyer vom 27. Dezember 2024  

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Aktuelles
Katastrophaler Einsturz des Kölner Stadtarchivs
Vergangenheit verschüttet – Fragen offen
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

Am Dienstag, 3. März, kurz nach 14 Uhr, ist auf der Severinstraße das Kölner Stadtarchiv eingestürzt. Einen Zusammenhang mit dem in Köln hoch umstrittenen U-Bahn-Bau hat die KVB allerdings noch vor der Bergung von möglichen Opfern und natürlich erst recht vor jeder Untersuchung der Ursachen strikt abgestritten. Eine Sprecherin sagte bereits um 15 Uhr im Nachrichtensender ntv, in den letzten Monaten hätten gar keine Arbeiten stattgefunden, die im Zusammenhang mit dem Einsturz stehen könnten. Damit scheint die offizielle Erklärungslinie der nächsten Wochen und Monate wohl schon vorgegeben zu sein, jedenfalls, was die KVB betrifft.

Als erstes „Bauopfer" der U-Bahn-Aufwühlung ist im Severinsviertel noch der „Schiefe Turm von Kölle" in lebhafter Erinnerung, dem die NRhZ aufgrund seiner "Wiederaufrichtung" einen herzlichen Nachruf gewidmet hat. Turm wieder gerade, alles im Lot – dieser magische Aberglauben ist heute nachmittag vielleicht aber doch in sich zusammengestürzt. Die Internetseite der KVB war stundenlang nach dem Einsturz nicht erreichbar, vielleicht ein technischer Zufall. Ihr sogenanntes Informationsbüro auf der Severinstraße hatte die KVB schon vor Monaten geschlossen. Erboste Anwohner, verärgerte Geschäftsleute und uneingeladene Journalisten waren mit ihren meist kritischen Fragen den überforderten KVB-MitarbeiterInnen auf die Dauer wohl zu lästig.


Zwei Vermisste und mehr als tausend Jahre Kölner Stadtgeschichte unter den Trümmern | Foto: Raimond Spekking/Wikipedia

Unrat gewittert

Offenbar hatte man bei der KVB im Hinblick auf die unkalkulierbaren Risiken der jahrelangen Bauzeit schon Unrat gewittert und sich eben einfach "vor Ort" vorsorglich davongemacht. Fragen beantwortet die KVB erfahrungsgemäß schon bei Alltagsärgernissen wie etwa den Umgangsweisen des Kontrollpersonals höchst ungern, und nun ist, wie die eilige Erstreaktion der KVB-Sprecherin verdeutlichte, erst recht Abwiegeln angesagt.

Andererseits, so meinte ein erfahrenes  ehemaliges Mitglied des Sanierungsbeirats im Severinsviertel gesprächsweise, sei das „schwach konstruierte" Gebäude des Stadtarchivs vielleicht einfach auch den "Tonnen von Archivalien", die es beherbergte, nicht mehr gerecht geworden. Über einige Medien wird nun bereits die halboffizielle Erklärungsvariante ausgegeben, eingetretenes „Grundwasser" sei schuld am Einsturz.
 
„Hinweisen nicht nachgegangen“
 
Ein ehemaliger Archivar erinnert sich allerdings, dass bereits vor einem Jahr „im Zusammenhang mit dem U-Bahn-Bau Risse bemerkt wurden“. „Entsprechenden Hinweisen“ sei man bei den dafür zuständigen Stellen aber „offenbar nicht sorgfältig genug nachgegangen“.

All dies bleibt bis zum Abschluß hoffentlich transparenter Untersuchungen natürlich Spekulation, die hier im Viertel allerdings im Straßen- und Kneipengespräch schon kräftig ins Kraut schießen. Die offiziellen Erklärungen der KVB stoßen bei den vom U-Bahn-Bau unterschiedlich betroffenen Bewohnern des Severinsviertels mindestens zurzeit ohnehin auf Skepsis.  Manche Journalisten beschweren sich zudem über mangelnden Zugang zum Ort des „events". Die Informationspolitik der Behörden, die KVB allen voran, sei jedenfalls eine „Katastrophe" und auf „Mauern" angelegt, meinte mir gegenüber ein Reporterkollege.  Freilich dient die Absperrung des Einsturzortes natürlich den Bergungs- und Rettungsarbeiten, und letztlich auch dem Schutz vor Sensationslustigen und deren Sicherheit selber. Allerdings wird die, wie im Falle des gekippten Kirchturms selbstverständlich wieder voll zahlungspflichtige Kölner Öffentlichkeit darauf achten müssen, dass nicht auch über ihren berechtigten Informationsanspruch  eine „Totalsperre" verhängt wird.

1.000 Jahre Stadtgeschichte verschüttet
 
Fest stand jedenfalls beim Redaktionsschluß dieser NRhZ-Ausgabe, dass nach dem Einsturz des Archivs und von zwei Nachbarhäusern drei Menschen vermisst und unter den Trümmern gesucht wurden. Im Archiv selbst, das als das bedeutendste Deutschlands gilt, sollen sich etwa 28.000 Regalmeter Akten, Urkunden und Handschriften befunden haben, die bis zu tausend und mehr Jahre alt sind und von Heinrich Böll und Jens Hagen über Karl Marx bis zu Albertus Magnus reichen. Schon deshalb ist zu wünschen, dass die Wahrheit über die Ursachen des Einsturzes ungehindert zutage kommen wird und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. (PK).

Online-Flyer Nr. 187  vom 03.03.2009



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