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Warum ging man in Köln nicht so vorsichtig vor wie in der Leipziger Innenstadt?
Kein Einsturz bei Auerbachs Keller
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Tunnelbohrer „Leonie" wühlt unter Leipzig – ohne Schaden anzurichten
Quelle: www.citytunnelleipzig.de © Freistaat Sachsen
In Leipzig hatte Sicherheit Vorrang
Nicht eine live vorgeführte Katastrophen-Reality stand bei „nano“ im Vordergrund, sondern kompetente Hintergrundinformation. Die zeigte vor allem auf, dass im Gegensatz zu Köln anderwärtig bereits Vorsorgemaßnahmen mit Erfolg durchexerziert worden sind, Einsturzgefahren durch U-Bahn-Bauten zu verhindern. Das hat man in Leipzig zum Beispiel, anders als in Köln, erst 2008 zuwege gebracht. Auch dort hat sich ein gigantischer Tunnelbohrer, „Leonie" genannt, durch den Untergrund gefressen. Mit ihrem neun Meter Durchmesser großen Bohrkopf schob „Leonie" alles beiseite, was dem U-Bahn-Tunnel im Wege lag.
Doch kein Haus in der dicht bebauten Leipziger Innenstadt wankte oder senkte sich mehr als um Millimeterbruchteile ab. Kein schiefer Kirchturm, kein eingestürztes Stadtarchiv, keine Toten vor allem trüben die Bilanz der mittlerweile abgeschlossenen Leipziger U-Bahn-Bohrung. Denn bevor „Leonie" ihren Hunger auf Stein und Geröll stillen durfte, betteten die Leipziger die Häuserzeilen ihrer Innenstadt erst einmal mit penibler Sorgfalt vorsorglich auf ein Sicherheitspolster, um das Absacken der Hochbauten und damit jede Einsturzgefahr von vornherein zu verhindern. Die Leipziger Lösung klingt vielleicht zunächst befremdlich banal: „Zementinjektion" – aber sie war und ist ausgesprochen effizient. „Mit Betoninjektionen wird die Einsturzstelle zur Zeit stabilisiert“, konnte „nano" am 4. März aus Köln berichten. Ja, warum nicht vorher, wäre es nicht vor dem Kölner Tunnelvortrieb möglich gewesen, ähnlich zu handeln wie die Leipziger?
Schutzkissen vor „Leonie“
„Leonie“ wartete noch auf ihren Einsatz, da bohrten Leipzigs Untergrund- Spezialisten von mehreren Schächten aus Kanäle unter die umliegenden Gebäude. Darin wurden Rohre verlegt, mit Austrittsöffnungen auf jeden halben Meter. Durch diese Öffnungen wurde schließlich der Flüssigzement von Spezialisten in den Erdboden gepresst, mit einem Druck von über 12 bar. Da reichen schon einige Liter Zement, um ein Gebäude sachte um ein paar Millimeter anzuheben, ein „Sicherheitspolster“ unter das Fundament zu pumpen. „Man kalibriert, sagt man dazu, das ist natürlich eine ganz vorsichtige, filigrane Sache“, erläuterte Experte Kersten Schneider das Verfahren in der „nano“-Sendung. Erst als die Häuserzeilen über dem ausersehenen Untertunnelungsbereich auf solche Weise vorsichtig auf das „Zementkissen“ gesetzt waren, durfte die gefräßige „Leonie“ mit ihrer Wühlarbeit beginnen.
„Leonies“ Pendent in Köln: Schildvortriebsmaschine der „geplanten“
Nord-Süd-Stadtbahn | Foto: Raimond Spekking
Beim Pyramidenbau gelernt
Doch das war und ist noch lang nicht alles. Zwar hat „Leonie“ schon seit drei Monaten zu Ende gewühlt, ihre Einzelteile werden derzeit sogar an Liebhaber versteigert, während die U-Bahnstrecke im vorgebohrten Tunnel nun fertiggestellt wird. Kein einziges Gebäude in der Leipziger Innenstadt hat sich mehr als um Millimeterbruchteile gesenkt, hat Bauschäden aufzuweisen, ist kippgefährdet. Aber den peniblen Sachsen ist dreifache Sicherheit anscheinend lieber als doppelte. So haben sie ausgeklügeltes Meßsystem installiert, um auch längst nach Abschluß der Tunnelarbeiten die Hochbauten auf ihrem Zementpolster unter Beobachtung zu halten.
Messexperte Ralf Dietrich zu „nano“: „In diesem Umfang ist das deutschlandweit nach meiner Erkenntnis einmalig. Es werden im Endbauzustand circa 2.500 Meßstellen an der Oberfläche in den Gebäuden, an den Gebäuden installiert werden, die während der Baumaßnahme täglich beobachtet werden.“
Von den Ägyptern lernen heißt siegen lernen, dachten sich die Leipziger wohl. Sie nutzten eine modernisierte Variante des Verfahrens der „kommunizierenden Röhren“, mit dem bereits die Pharaonen einen Schiefstand ihrer Pyramiden verhinderten. Schließlich wollten sie ordnungsgemäß ins Jenseits; so etwas wie einen Schiefen Turm von Köln hätten sie nicht durchgehen lassen.
Alte Schulpyhsik plus hitec
In die Röhre geguckt in Köln: U-Bahn-Bau-
stelle bei St. Maria im Kapitol
Foto: Norbert Schnitzler
Das Verfahren lassen wir uns durch die „nano“-Experten vereinfacht so erklären: „Verbindet man mehrere Röhren durch einen Schlauch, nimmt die Meßflüssigkeit in allen Röhren die gleiche Füllhöhe ein. Dieses Niveau bleibt gleich, auch, wenn eine der Röhren abgesenkt oder angehoben wird. Die Verschiebung kann man an der Röhre ablesen.“ Vielen Dank, davon hatten wir in Schulphysik schon mal gehört, es aber wohl wieder vergessen. Die Leipziger Spezialisten aber nicht – sie installierten die antike Wissenschaft, upgedatet durch moderne Hightech, in den Gebäudezeilen entlang der untertunnelten Strecke. Alle vierzig Sekunden sendet jede der 2.500 Meßstellen einen Wert an die Zentrale, notfalls kann Zement nachgepumpt werden. Was bisher aber nicht notwendig war. Obgleich das Meßsystem durch Einsatz von Drucksensoren eine Genauigkeit von 0,25 Millimetern erreicht und mithin hauchdünnste Differenzen registriert.
Der Leipziger U-Bahnbau begann mit ersten Vorbereitungen 2005, die KVB wühlt seit 2004 auf der Nord-Süd-Strecke. Frage nur: Wäre es nicht möglich gewesen, sich einmal mit den Leipziger Ansätzen vertraut zu machen?
Deutliche Worte vom Verbandschef der Prüfingenieure
Das hätte auch der Geschäftsführer des Verbandes der Prüfingenieure für Bautechnik in Berlin, Dipl. Ing. Manfred Tiedemann, für begrüßenswert gehalten. Tiedemann, ein graubebärtetes Standbild von Solidität und Seriosität, wollte im Interview mit „nano“ die Kölner Verantwortlichen aus der Entfernung nicht direkt kritisieren. Er zeigte sich aber „beeindruckt“ von der Sorgfalt und Innovation der Leipziger Vorgehensweise, „und die hätte eigentlich gerne auch in Köln gleichartig angewendet werden sollen“. Ja, so dezent kann man es auch formulieren.
Bisher ist noch einiges mehr auf der
Strecke der geplanten Nord-Süd-Stadtbahn
geblieben | Graphik: qualle/C. Heinrici
Aber der Bauingenieur denkt über pure Technik hinaus. Ein Strukturproblem sieht er in Entwicklungen, die öffentliche Bauprojekte von der Entscheidungsseite her nachhaltig beeinträchtigen. Insbesondere führe eine fehlgeleitete Interpretation von Begrifflichkeiten wie Deregulierung, Entbürokratisierung, Liberalisierung“ nicht nur zur personellen Ausdünnung, sondern vor allem zu Kompetenzverlust in der Bauverwaltung und Bauaufsicht. „Wir müssen leider feststellen, daß viele Dienststellen mittlerweile nicht mehr durch fachkompetente Baufachleute, Bauingenieure besetzt wird/werden, sondern eher durch Juristen und Ökonomen, die die Problematik von anderer Seite angehen und nicht von der fachlichen Seite“, meinte Tiedemann. Das bedeute: „Kompetenz bleibt auf der Strecke“ – und damit vielleicht auch ein Stück Sicherheit öffentlicher, aber wie „privat“ betriebener Bauvorhaben. Dagegen helfe nur die Wiedergewinnung der Erkenntnis: „Kontrolle, kompetente Kontrolle an den entscheidenden Schaltstellen ist durch nichts, aber auch durch gar nichts, zu ersetzen.“
Und woran lag’s in Köln? „Schicksal“, das nur durch „Hellseherei“ hätte ergründet werden können, wie eilfertige Apologeten in dieser Stadt meinen? Der Verbandschef der Prüfingenieure gab im Gespräch mit „nano“ hierzu eine klare Einschätzung: „Ich glaube, es kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß der Bau des U-Bahn-Tunnels und des benachbarten Schachtes ursächlich für dieses Unglück gewesen ist.“ (PK)
Online-Flyer Nr. 188 vom 11.03.2009
Warum ging man in Köln nicht so vorsichtig vor wie in der Leipziger Innenstadt?
Kein Einsturz bei Auerbachs Keller
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Tunnelbohrer „Leonie" wühlt unter Leipzig – ohne Schaden anzurichten
Quelle: www.citytunnelleipzig.de © Freistaat Sachsen
In Leipzig hatte Sicherheit Vorrang
Nicht eine live vorgeführte Katastrophen-Reality stand bei „nano“ im Vordergrund, sondern kompetente Hintergrundinformation. Die zeigte vor allem auf, dass im Gegensatz zu Köln anderwärtig bereits Vorsorgemaßnahmen mit Erfolg durchexerziert worden sind, Einsturzgefahren durch U-Bahn-Bauten zu verhindern. Das hat man in Leipzig zum Beispiel, anders als in Köln, erst 2008 zuwege gebracht. Auch dort hat sich ein gigantischer Tunnelbohrer, „Leonie" genannt, durch den Untergrund gefressen. Mit ihrem neun Meter Durchmesser großen Bohrkopf schob „Leonie" alles beiseite, was dem U-Bahn-Tunnel im Wege lag.
Doch kein Haus in der dicht bebauten Leipziger Innenstadt wankte oder senkte sich mehr als um Millimeterbruchteile ab. Kein schiefer Kirchturm, kein eingestürztes Stadtarchiv, keine Toten vor allem trüben die Bilanz der mittlerweile abgeschlossenen Leipziger U-Bahn-Bohrung. Denn bevor „Leonie" ihren Hunger auf Stein und Geröll stillen durfte, betteten die Leipziger die Häuserzeilen ihrer Innenstadt erst einmal mit penibler Sorgfalt vorsorglich auf ein Sicherheitspolster, um das Absacken der Hochbauten und damit jede Einsturzgefahr von vornherein zu verhindern. Die Leipziger Lösung klingt vielleicht zunächst befremdlich banal: „Zementinjektion" – aber sie war und ist ausgesprochen effizient. „Mit Betoninjektionen wird die Einsturzstelle zur Zeit stabilisiert“, konnte „nano" am 4. März aus Köln berichten. Ja, warum nicht vorher, wäre es nicht vor dem Kölner Tunnelvortrieb möglich gewesen, ähnlich zu handeln wie die Leipziger?
Schutzkissen vor „Leonie“
„Leonie“ wartete noch auf ihren Einsatz, da bohrten Leipzigs Untergrund- Spezialisten von mehreren Schächten aus Kanäle unter die umliegenden Gebäude. Darin wurden Rohre verlegt, mit Austrittsöffnungen auf jeden halben Meter. Durch diese Öffnungen wurde schließlich der Flüssigzement von Spezialisten in den Erdboden gepresst, mit einem Druck von über 12 bar. Da reichen schon einige Liter Zement, um ein Gebäude sachte um ein paar Millimeter anzuheben, ein „Sicherheitspolster“ unter das Fundament zu pumpen. „Man kalibriert, sagt man dazu, das ist natürlich eine ganz vorsichtige, filigrane Sache“, erläuterte Experte Kersten Schneider das Verfahren in der „nano“-Sendung. Erst als die Häuserzeilen über dem ausersehenen Untertunnelungsbereich auf solche Weise vorsichtig auf das „Zementkissen“ gesetzt waren, durfte die gefräßige „Leonie“ mit ihrer Wühlarbeit beginnen.
„Leonies“ Pendent in Köln: Schildvortriebsmaschine der „geplanten“
Nord-Süd-Stadtbahn | Foto: Raimond Spekking
Beim Pyramidenbau gelernt
Doch das war und ist noch lang nicht alles. Zwar hat „Leonie“ schon seit drei Monaten zu Ende gewühlt, ihre Einzelteile werden derzeit sogar an Liebhaber versteigert, während die U-Bahnstrecke im vorgebohrten Tunnel nun fertiggestellt wird. Kein einziges Gebäude in der Leipziger Innenstadt hat sich mehr als um Millimeterbruchteile gesenkt, hat Bauschäden aufzuweisen, ist kippgefährdet. Aber den peniblen Sachsen ist dreifache Sicherheit anscheinend lieber als doppelte. So haben sie ausgeklügeltes Meßsystem installiert, um auch längst nach Abschluß der Tunnelarbeiten die Hochbauten auf ihrem Zementpolster unter Beobachtung zu halten.
Messexperte Ralf Dietrich zu „nano“: „In diesem Umfang ist das deutschlandweit nach meiner Erkenntnis einmalig. Es werden im Endbauzustand circa 2.500 Meßstellen an der Oberfläche in den Gebäuden, an den Gebäuden installiert werden, die während der Baumaßnahme täglich beobachtet werden.“
Von den Ägyptern lernen heißt siegen lernen, dachten sich die Leipziger wohl. Sie nutzten eine modernisierte Variante des Verfahrens der „kommunizierenden Röhren“, mit dem bereits die Pharaonen einen Schiefstand ihrer Pyramiden verhinderten. Schließlich wollten sie ordnungsgemäß ins Jenseits; so etwas wie einen Schiefen Turm von Köln hätten sie nicht durchgehen lassen.
Alte Schulpyhsik plus hitec
In die Röhre geguckt in Köln: U-Bahn-Bau-
stelle bei St. Maria im Kapitol
Foto: Norbert Schnitzler
Der Leipziger U-Bahnbau begann mit ersten Vorbereitungen 2005, die KVB wühlt seit 2004 auf der Nord-Süd-Strecke. Frage nur: Wäre es nicht möglich gewesen, sich einmal mit den Leipziger Ansätzen vertraut zu machen?
Deutliche Worte vom Verbandschef der Prüfingenieure
Das hätte auch der Geschäftsführer des Verbandes der Prüfingenieure für Bautechnik in Berlin, Dipl. Ing. Manfred Tiedemann, für begrüßenswert gehalten. Tiedemann, ein graubebärtetes Standbild von Solidität und Seriosität, wollte im Interview mit „nano“ die Kölner Verantwortlichen aus der Entfernung nicht direkt kritisieren. Er zeigte sich aber „beeindruckt“ von der Sorgfalt und Innovation der Leipziger Vorgehensweise, „und die hätte eigentlich gerne auch in Köln gleichartig angewendet werden sollen“. Ja, so dezent kann man es auch formulieren.
Bisher ist noch einiges mehr auf der
Strecke der geplanten Nord-Süd-Stadtbahn
geblieben | Graphik: qualle/C. Heinrici
Und woran lag’s in Köln? „Schicksal“, das nur durch „Hellseherei“ hätte ergründet werden können, wie eilfertige Apologeten in dieser Stadt meinen? Der Verbandschef der Prüfingenieure gab im Gespräch mit „nano“ hierzu eine klare Einschätzung: „Ich glaube, es kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß der Bau des U-Bahn-Tunnels und des benachbarten Schachtes ursächlich für dieses Unglück gewesen ist.“ (PK)
Online-Flyer Nr. 188 vom 11.03.2009