SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Arbeit und Soziales
Die Geburt des „Sozialschmarotzers" aus dem Geiste des Staatsrassismus
Der gewollte Feind
Von Michael Wolf
Politik als Krieg
Seit etlichen Jahren hat die Stigmatisierung und Diskriminierung von Arbeitslosen als „Sozialschmarotzer" in Politik und Medien wieder Hochkonjunktur. Kenner der Materie sind davon nicht überrascht. Denn für sie ist dies nichts Neues, weil seit Bestehen des Wohlfahrtsstaats Arbeitslose immer wieder als arbeitsunwillige Müßiggänger und Schmarotzer denunziert worden sind. Und doch signalisiert meines Erachtens die in den letzten Jahren erneut aufgeflammte Kampagne gegen Arbeitslose und insbesondere gegen sogenannte Hartz-IV-Empfänger eine neue Qualität. Hinter ihr verbirgt sich mehr als eine der üblichen und in Konjunkturen verlaufenden Debatten über Sozialleistungsmißbrauch. Sie ist, so meine These, Ausdruck eines sozialen Krieges, der gegen die zum innerstaatlichen Feind erklärten Arbeitslosen geführt wird. Diese Formulierung mag Ihnen womöglich etwas martialisch vorkommen, aber sie reflektiert im Grunde bloß, warum ich meine Ausführungen unter den Titel gestellt habe „Der gewollte Feind. Die Geburt des 'Sozialschmarotzers' aus dem Geiste des Staatsrassismus". Ich knüpfe damit an Überlegungen an, die einerseits von Carl Schmitt und Georgio Agamben und andererseits von Michel Foucault vorgetragen worden sind.
Es ist nicht genügend Zeit, um diesen Referenzhintergrund auszuleuchten. Zum besseren Verständnis der von mir hier benutzten Begriffe seien aber drei Gedankenschnipsel erwähnt: Erstens, Schmitt, der Theoretiker des „totalen Staates", geht davon aus, daß aufgrund der prinzipiell permanent existierenden Bedrohung der öffentlichen „Ruhe, Sicherheit und Ordnung" der Ausnahmezustand der Normalfall des Staates sei. Dies habe zur Konsequenz, daß die Bestimmung eines „inneren Feindes" und die damit einhergehende „Unterscheidung von Freund und Feind" zu einem Konstitutivum des Staates als politischer Einheit wird. Zweitens, diesen Gedanken radikalisiert Agamben, indem ihm nicht, wie Schmitt, das Freund-Feind-Schema als Leitidee des Politischen gilt, sondern die Trennung zwischen dem nackten Leben (zoé) und der politischen Existenz (bíos) eines Menschen, zwischen dessen natürlichem Dasein und seinem rechtlichem Sein. Auf diese Weise kommt Agamben eine Entwicklung in den Blick, vor der auch Demokratien nicht gefeit sind: der Ausnahmezustand wird zum herrschenden Paradigma des Regierens. Dadurch gerät die ursprüngliche Struktur des Politischen zunehmend in eine „Zone der Ununterscheidbarkeit". Drittens, mit dieser Vereinnahmung des Lebens durch die politische Macht kommt zugleich ein Phänomen ins Spiel, dessen Bezeichnung mißverständlich sein könnte und das deswegen eines erläuternden Hinweises bedarf: der „Staatsrassismus". Hierbei handelt es sich mit Foucault, für den Politik nur eine Chiffre ist für den mit anderen Mitteln fortgesetzte Krieg, zunächst nicht um einen Rassismus biologischer, sondern kriegerischer oder politischer Art, wiewohl sich beide Arten überlagern können. Das heißt, es ist die Rede von einem Rassismus, bei dem soziale Gruppen entlang sozialer Marker als Gegner oder Feind mit dem Zweck konstituiert werden, diese zu bekämpfen und auszugrenzen. Dabei kann es sich ebenso gut um Ausländer und Obdachlose handeln wie um Arbeitslose.
Die wahren Parasiten?
Quelle: arbeiterfotografie
Kleine Parasitologie
Bevor ich mich nun etwas eingehender mit der Funktion des Schmähworts „Sozialschmarotzer" im politischen Machtkampf befassen werde, halte ich es für angebracht, sich zuerst der Vokabel selbst zuzuwenden, um deutlich zu machen, daß a) die Vokabel 'Schmarotzer', bei der es sich bekanntlich um eine Verdeutschung von 'Parasit' handelt, ursprünglich eine neutrale Bedeutung besaß, daß b) es kein Leben ohne Parasiten gibt und daß c) es eine Frage der Perspektive ist, wer eigentlich ein Parasit ist.
Ad a) Ursprünglich, das heißt zu Zeiten der attischen Demokratie, bezeichnete man mit 'Parasit' einen von der Gemeinde gewählten hochgeachteten Beamten, der an der Seite (pará) des Priesters am Opfermahl teilnahm und mit diesem gemeinsam Speisen (sĩtos) einnahm. Erst später erhielt die zunächst wertfreie Bedeutung 'Tischgenosse' einen abwertenden Beigeschmack: Aus dem wegen seiner Verdienste um das Gemeinwesen auf Staatskosten gespeisten Mann wurde die Figur des ungebetenen Gastes, der sich als Schmeichler auf Kosten seines Wirtes eine freie Mahlzeit zu verschaffen suchte. Im Sinne des 'auf Kosten anderer leben' wird die Vokabel bis heute gebraucht. Allerdings sind die Formen hierbei, in denen Parasiten beziehungsweise Schmarotzer vorkommen, entsprechend der jeweiligen Kultur, Wirtschaftsweise und Herrschaftsordnung verschieden. So hebt heute die Rede vom „Sozialschmarotzer" allgemein auf Personen ab, die sich Einkommensvorteile verschaffen durch den Bezug von wohlfahrtsstaatlichen Unterstützungsleistungen, ohne daß diesen Leistungen eine entsprechende Gegenleistung gegenübersteht.
Ad b) Spätestens mit dem Einzug des Begriffs des Parasiten in die Naturwissenschaften und der Entstehung einer eigenen Disziplin, der Parasitologie, zeigte sich, daß es kein Leben ohne Parasiten gibt. Es gibt Parasiten unter den Bakterien, den Pflanzen, den Tieren und selbstredend auch unter den Menschen. In Anspielung auf Thomas Hobbes´ „Der Mensch ist des Menschen Wolf" veranlaßte dies Michel Serres zu dem Bonmot: „Der Mensch ist des Menschen Laus." Bedauerlicherweise hat die Erkenntnis, daß es kein parasitenfreies Leben gibt, nicht wesentlich die Einsicht befördert, daß die Verwirklichung des Traums von absoluter Reinheit etwas Totalitäres an sich hat und letztlich den Tod allen Lebens nach sich zieht.
Ad c) Wenn menschliche Parasiten als Personen betrachtet werden, die von den Früchten anderer schmarotzen, dann ist unklar, wer eigentlich von dieser Charakterisierung betroffen ist. Zwar sind im massenmedial geprägten Bild der öffentlichen Meinung es zumeist diejenigen, die ein Einkommen beziehen, ohne hierfür arbeiten zu müssen, nämlich die 'unechten' Arbeitslosen, das heißt die Arbeitslosen, von denen angenommen wird, daß sie eigentlich arbeiten könnten, es aber nicht wollten und statt dessen lieber Transfereinkommen beziehen: die „Arbeitsunwilligen", „Drückeberger", „Faulenzer", „Müßiggänger", die „Sozialschmarotzer" eben. Für Saint-Simon, den Frühsozialisten, und viele andere in seiner Nachfolge war indes klar, daß dieses Bild eine „verkehrte Welt" darstelle, weil diejenigen, die damit betraut sind, die öffentlichen Angelegenheiten zu verwalten, die eigentlichen, die wirklichen Parasiten seien. Denn sie beraubten die Armen, um den Reichtum der Reichen zu vermehren, und sie seien beauftragt, die „Vergehen der kleinen Sünder" zu bestrafen. So gesehen dienen projektive Parasitenvorwürfe auch dem Verschleiern der Frage, wer eigentlich wen ausnutzt und mißbraucht.
Arbeitslose: der innerstaatliche Feind
Lassen Sie mich nun etwas genauer auf die These eingehen, daß die jüngst geführte Debatte über Sozialleistungsmißbrauch ein Ausdruck ist der „innerstaatlichen Feinderklärung" gegenüber den auf wohlfahrtsstaatliche Unterstützungsleistungen angewiesenen Arbeitslosen, deren Makel ja nicht darin besteht, daß sie ohne Arbeit sind, sondern daß sie es sind oder (unterstelltermaßen) sein wollen, obwohl sie es sich nicht leisten können wie etwa aristokratische, couponschneidende oder politisch ausgemusterte Rentiers, die allesamt über Einkünfte verfügen, die es ihnen erlauben, den Lebensunterhalt ohne Arbeit zu bestreiten.
Um die eigentliche Bedeutung der Mißbrauchskampagne ermessen zu können, mit der die Arbeitslosen pauschal als parasitäre Existenzen diffamiert und diskriminiert und gegen den Arbeitsfleiß und die Ordentlichkeit der übrigen Bevölkerung gesetzt werden, ist man gehalten, sich das Projekt der neoliberalen Rekonstruktion der Gesellschaft zu vergegenwärtigen. Dieses zielt nicht nur auf eine Neudefinition des Verhältnisses von Staat und Ökonomie, sondern auch auf eine des Sozialen, nach der erstens als sozial nur noch das gilt, was Arbeit schafft, nach der zweitens jede Arbeit besser ist als keine und nach der drittens der Staat berechtigt ist, gegen all jenes vorzugehen, was es einem Arbeitskraftbesitzer erlauben würde, nicht zu arbeiten, ohne dies sich leisten zu können. Daß hierbei dem Schleifen des Wohlfahrtsstaats beziehungsweise dessen Umbau zum Workfare State eine Schlüsselstellung zukommt, läßt sich nicht nur ablesen an den von den neoliberalen „Evangelisten des Marktes" (Dixon) vertretenen Ideologien, sondern auch an deren Politikprogrammen. Die Programmatik des „aktivierenden Sozialstaats", insbesondere in der Gestalt der sogenannten Hartz-Gesetze, ist hierfür ein beredtes Beispiel.
Worum es den in Politik und Verwaltung Verantwortlichen für die mit den Hartz-Gesetzen auf den Weg gebrachte Reform der Arbeits(markt)- und Sozialpolitik geht, ist bekanntlich ordnungspolitisch die Aufrechterhaltung und Stärkung einer arbeitsethischen Gesinnung, fiskalpolitisch die Entlastung des Haushalts durch Ausgabenreduktion, arbeitspolitisch die Etablierung und Förderung des Niedriglohnsektors und sozialpolitisch die Etablierung eines Workfare-Regimes, bei dem die Gewährung staatlicher Unterstützungsleistungen abhängig gemacht wird von der Gegenleistung der Hilfeempfänger, jedwede Arbeit anzunehmen und individuelles Wohlverhalten zu zeigen. Übersehen wird bei der Problematisierung der genannten Reform aber durchweg deren staatspolitische Dimension. Diese gerät allerdings in den Wahrnehmungshorizont, wenn man mit Foucault bereit ist, anzuerkennen, daß „unterhalb der Formel des Gesetzes" das Geschrei des Krieges sich wiederfinden läßt, der unsere Gesellschaft durchzieht und zweiteilt in einen Krieg der Rassen: „hier die einen und dort die anderen, […] die Herren und jene, die ihnen unterworfen sind, die Reichen und die Armen".
Betrachtet man in diesem Licht zum Beispiel das unsägliche, „Report vom Arbeitsmarkt im Sommer 2005" genannte Pamphlet, für das der ehemalige Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement verantwortlich zeichnet und in dem Arbeitslose pauschal der „Abzocke" bezichtigt werden und mit dem gewissermaßen die Lunte gelegt wurde für eine von den Print- und Rundfunkmedien geführte Hetze gegen Arbeitslose, so läßt sich dies ohne größere Schwierigkeit als das deuten, was es ist: als Bestandteil einer psychologischen Kriegsführung gegen die Arbeitslosen. Bedeutsam an dem sogenannten „Report" für die Plausibilisierung der These vom sozialen Krieg gegen die Arbeitslosen ist insbesondere, daß der den Arbeitslosen hierin nachgesagte Sozialleistungsmißbrauch in zweifacher Weise dramatisiert wird: zum einen auf der Inhaltsebene, indem auf der Grundlage eines gewollt unklaren Mißbrauchsbegriffs durch eine unzulässige und tendenziöse Verallgemeinerung besonders spektakulärer Fälle das Mißbrauchsausmaß, und zwar wider besseres Wissen, maßlos übertrieben wird, und zum anderen auf der Formebene, indem die angeblichen Mißbrauchstäter durch die Denkgifte streuende Charakterisierung als „Parasiten" entmenschlicht und zu innerstaatlichen Feinden verfremdet werden. Feinde, die gefährlich sind für den Bestand dieser Gesellschaft. Dies wird allein schon durch die Verwendung der Vokabel 'Parasit' zum Ausdruck gebracht. Denn Parasiten gelten als Ungeziefer, als Schädlinge, die Krankheiten und Seuchen mit sich bringen und denen man nur beizukommen ist, indem man sie radikal ausmerzt.
Unverkennbar ist hier die Annäherung an die Propagandasprache des Nationalsozialismus, die keineswegs als situativ-zufällige Entgleisung charakterisiert und auch nicht als biologisierende Metaphorik abgetan werden kann, wie geschehen mit dem Hinweis, es sei „[n]atürlich […] völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen". Der einschränkende Hinweis erfolgte genau genommen nur, um den 'parasitären' Arbeitslosen als noch verwerflicher darzustellen als den tierischen Parasiten, da jener sich im Gegensatz zu diesem nicht instinktiv verhalte, sondern aufgrund einer bewußten Willensentscheidung. Denn schließlich sei „Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen gesteuert".
Obwohl sich derartige Sprachanleihen wegen ihres menschenverachtenden Charakters verbieten, erfreuen sie sich offensichtlich aber doch einer gewissen Beliebtheit, da sie ein probates Mittel zu sein scheinen, das Problem der „propagandistischen Präparierung der Feinderklärung" zu lösen: nämlich die Sichtbarmachung, Identifikation und insbesondere die „Versinnlichung der Teilpopulation, die ausgegrenzt und ausgebürgert werden soll". Sind die Arbeitslosen erst einmal als Sündenböcke markiert, denen als 'Störer' all jenes angelastet werden kann, was von der Bevölkerung als Mißstand empfunden wird, so sinkt die Hemmschwelle, die Arbeitslosen als mit Rechten ausgestattete Personen wahrzunehmen und zu behandeln. An die Stelle der Unterscheidung zwischen Bourgeois und Citoyen tritt die Reduzierung des politischen auf den biologischen Körper, weswegen so jemand wie der damalige DaimlerChrysler-Vorsitzende Robert J. Eaton auch wieder unverblümt sagen kann, was ein Apologet des reinen Marktes denkt: "Die Schwachen müssen sich verändern oder sterben" – Worte, die ob ihrer schlichten Klarheit keiner Interpretation bedürfen. (HDH)
Online-Flyer Nr. 189 vom 18.03.2009
Die Geburt des „Sozialschmarotzers" aus dem Geiste des Staatsrassismus
Der gewollte Feind
Von Michael Wolf
Politik als Krieg
Seit etlichen Jahren hat die Stigmatisierung und Diskriminierung von Arbeitslosen als „Sozialschmarotzer" in Politik und Medien wieder Hochkonjunktur. Kenner der Materie sind davon nicht überrascht. Denn für sie ist dies nichts Neues, weil seit Bestehen des Wohlfahrtsstaats Arbeitslose immer wieder als arbeitsunwillige Müßiggänger und Schmarotzer denunziert worden sind. Und doch signalisiert meines Erachtens die in den letzten Jahren erneut aufgeflammte Kampagne gegen Arbeitslose und insbesondere gegen sogenannte Hartz-IV-Empfänger eine neue Qualität. Hinter ihr verbirgt sich mehr als eine der üblichen und in Konjunkturen verlaufenden Debatten über Sozialleistungsmißbrauch. Sie ist, so meine These, Ausdruck eines sozialen Krieges, der gegen die zum innerstaatlichen Feind erklärten Arbeitslosen geführt wird. Diese Formulierung mag Ihnen womöglich etwas martialisch vorkommen, aber sie reflektiert im Grunde bloß, warum ich meine Ausführungen unter den Titel gestellt habe „Der gewollte Feind. Die Geburt des 'Sozialschmarotzers' aus dem Geiste des Staatsrassismus". Ich knüpfe damit an Überlegungen an, die einerseits von Carl Schmitt und Georgio Agamben und andererseits von Michel Foucault vorgetragen worden sind.
Es ist nicht genügend Zeit, um diesen Referenzhintergrund auszuleuchten. Zum besseren Verständnis der von mir hier benutzten Begriffe seien aber drei Gedankenschnipsel erwähnt: Erstens, Schmitt, der Theoretiker des „totalen Staates", geht davon aus, daß aufgrund der prinzipiell permanent existierenden Bedrohung der öffentlichen „Ruhe, Sicherheit und Ordnung" der Ausnahmezustand der Normalfall des Staates sei. Dies habe zur Konsequenz, daß die Bestimmung eines „inneren Feindes" und die damit einhergehende „Unterscheidung von Freund und Feind" zu einem Konstitutivum des Staates als politischer Einheit wird. Zweitens, diesen Gedanken radikalisiert Agamben, indem ihm nicht, wie Schmitt, das Freund-Feind-Schema als Leitidee des Politischen gilt, sondern die Trennung zwischen dem nackten Leben (zoé) und der politischen Existenz (bíos) eines Menschen, zwischen dessen natürlichem Dasein und seinem rechtlichem Sein. Auf diese Weise kommt Agamben eine Entwicklung in den Blick, vor der auch Demokratien nicht gefeit sind: der Ausnahmezustand wird zum herrschenden Paradigma des Regierens. Dadurch gerät die ursprüngliche Struktur des Politischen zunehmend in eine „Zone der Ununterscheidbarkeit". Drittens, mit dieser Vereinnahmung des Lebens durch die politische Macht kommt zugleich ein Phänomen ins Spiel, dessen Bezeichnung mißverständlich sein könnte und das deswegen eines erläuternden Hinweises bedarf: der „Staatsrassismus". Hierbei handelt es sich mit Foucault, für den Politik nur eine Chiffre ist für den mit anderen Mitteln fortgesetzte Krieg, zunächst nicht um einen Rassismus biologischer, sondern kriegerischer oder politischer Art, wiewohl sich beide Arten überlagern können. Das heißt, es ist die Rede von einem Rassismus, bei dem soziale Gruppen entlang sozialer Marker als Gegner oder Feind mit dem Zweck konstituiert werden, diese zu bekämpfen und auszugrenzen. Dabei kann es sich ebenso gut um Ausländer und Obdachlose handeln wie um Arbeitslose.
Die wahren Parasiten?
Quelle: arbeiterfotografie
Kleine Parasitologie
Bevor ich mich nun etwas eingehender mit der Funktion des Schmähworts „Sozialschmarotzer" im politischen Machtkampf befassen werde, halte ich es für angebracht, sich zuerst der Vokabel selbst zuzuwenden, um deutlich zu machen, daß a) die Vokabel 'Schmarotzer', bei der es sich bekanntlich um eine Verdeutschung von 'Parasit' handelt, ursprünglich eine neutrale Bedeutung besaß, daß b) es kein Leben ohne Parasiten gibt und daß c) es eine Frage der Perspektive ist, wer eigentlich ein Parasit ist.
Ad a) Ursprünglich, das heißt zu Zeiten der attischen Demokratie, bezeichnete man mit 'Parasit' einen von der Gemeinde gewählten hochgeachteten Beamten, der an der Seite (pará) des Priesters am Opfermahl teilnahm und mit diesem gemeinsam Speisen (sĩtos) einnahm. Erst später erhielt die zunächst wertfreie Bedeutung 'Tischgenosse' einen abwertenden Beigeschmack: Aus dem wegen seiner Verdienste um das Gemeinwesen auf Staatskosten gespeisten Mann wurde die Figur des ungebetenen Gastes, der sich als Schmeichler auf Kosten seines Wirtes eine freie Mahlzeit zu verschaffen suchte. Im Sinne des 'auf Kosten anderer leben' wird die Vokabel bis heute gebraucht. Allerdings sind die Formen hierbei, in denen Parasiten beziehungsweise Schmarotzer vorkommen, entsprechend der jeweiligen Kultur, Wirtschaftsweise und Herrschaftsordnung verschieden. So hebt heute die Rede vom „Sozialschmarotzer" allgemein auf Personen ab, die sich Einkommensvorteile verschaffen durch den Bezug von wohlfahrtsstaatlichen Unterstützungsleistungen, ohne daß diesen Leistungen eine entsprechende Gegenleistung gegenübersteht.
Ad b) Spätestens mit dem Einzug des Begriffs des Parasiten in die Naturwissenschaften und der Entstehung einer eigenen Disziplin, der Parasitologie, zeigte sich, daß es kein Leben ohne Parasiten gibt. Es gibt Parasiten unter den Bakterien, den Pflanzen, den Tieren und selbstredend auch unter den Menschen. In Anspielung auf Thomas Hobbes´ „Der Mensch ist des Menschen Wolf" veranlaßte dies Michel Serres zu dem Bonmot: „Der Mensch ist des Menschen Laus." Bedauerlicherweise hat die Erkenntnis, daß es kein parasitenfreies Leben gibt, nicht wesentlich die Einsicht befördert, daß die Verwirklichung des Traums von absoluter Reinheit etwas Totalitäres an sich hat und letztlich den Tod allen Lebens nach sich zieht.
Ad c) Wenn menschliche Parasiten als Personen betrachtet werden, die von den Früchten anderer schmarotzen, dann ist unklar, wer eigentlich von dieser Charakterisierung betroffen ist. Zwar sind im massenmedial geprägten Bild der öffentlichen Meinung es zumeist diejenigen, die ein Einkommen beziehen, ohne hierfür arbeiten zu müssen, nämlich die 'unechten' Arbeitslosen, das heißt die Arbeitslosen, von denen angenommen wird, daß sie eigentlich arbeiten könnten, es aber nicht wollten und statt dessen lieber Transfereinkommen beziehen: die „Arbeitsunwilligen", „Drückeberger", „Faulenzer", „Müßiggänger", die „Sozialschmarotzer" eben. Für Saint-Simon, den Frühsozialisten, und viele andere in seiner Nachfolge war indes klar, daß dieses Bild eine „verkehrte Welt" darstelle, weil diejenigen, die damit betraut sind, die öffentlichen Angelegenheiten zu verwalten, die eigentlichen, die wirklichen Parasiten seien. Denn sie beraubten die Armen, um den Reichtum der Reichen zu vermehren, und sie seien beauftragt, die „Vergehen der kleinen Sünder" zu bestrafen. So gesehen dienen projektive Parasitenvorwürfe auch dem Verschleiern der Frage, wer eigentlich wen ausnutzt und mißbraucht.
Arbeitslose: der innerstaatliche Feind
Lassen Sie mich nun etwas genauer auf die These eingehen, daß die jüngst geführte Debatte über Sozialleistungsmißbrauch ein Ausdruck ist der „innerstaatlichen Feinderklärung" gegenüber den auf wohlfahrtsstaatliche Unterstützungsleistungen angewiesenen Arbeitslosen, deren Makel ja nicht darin besteht, daß sie ohne Arbeit sind, sondern daß sie es sind oder (unterstelltermaßen) sein wollen, obwohl sie es sich nicht leisten können wie etwa aristokratische, couponschneidende oder politisch ausgemusterte Rentiers, die allesamt über Einkünfte verfügen, die es ihnen erlauben, den Lebensunterhalt ohne Arbeit zu bestreiten.
Um die eigentliche Bedeutung der Mißbrauchskampagne ermessen zu können, mit der die Arbeitslosen pauschal als parasitäre Existenzen diffamiert und diskriminiert und gegen den Arbeitsfleiß und die Ordentlichkeit der übrigen Bevölkerung gesetzt werden, ist man gehalten, sich das Projekt der neoliberalen Rekonstruktion der Gesellschaft zu vergegenwärtigen. Dieses zielt nicht nur auf eine Neudefinition des Verhältnisses von Staat und Ökonomie, sondern auch auf eine des Sozialen, nach der erstens als sozial nur noch das gilt, was Arbeit schafft, nach der zweitens jede Arbeit besser ist als keine und nach der drittens der Staat berechtigt ist, gegen all jenes vorzugehen, was es einem Arbeitskraftbesitzer erlauben würde, nicht zu arbeiten, ohne dies sich leisten zu können. Daß hierbei dem Schleifen des Wohlfahrtsstaats beziehungsweise dessen Umbau zum Workfare State eine Schlüsselstellung zukommt, läßt sich nicht nur ablesen an den von den neoliberalen „Evangelisten des Marktes" (Dixon) vertretenen Ideologien, sondern auch an deren Politikprogrammen. Die Programmatik des „aktivierenden Sozialstaats", insbesondere in der Gestalt der sogenannten Hartz-Gesetze, ist hierfür ein beredtes Beispiel.
Worum es den in Politik und Verwaltung Verantwortlichen für die mit den Hartz-Gesetzen auf den Weg gebrachte Reform der Arbeits(markt)- und Sozialpolitik geht, ist bekanntlich ordnungspolitisch die Aufrechterhaltung und Stärkung einer arbeitsethischen Gesinnung, fiskalpolitisch die Entlastung des Haushalts durch Ausgabenreduktion, arbeitspolitisch die Etablierung und Förderung des Niedriglohnsektors und sozialpolitisch die Etablierung eines Workfare-Regimes, bei dem die Gewährung staatlicher Unterstützungsleistungen abhängig gemacht wird von der Gegenleistung der Hilfeempfänger, jedwede Arbeit anzunehmen und individuelles Wohlverhalten zu zeigen. Übersehen wird bei der Problematisierung der genannten Reform aber durchweg deren staatspolitische Dimension. Diese gerät allerdings in den Wahrnehmungshorizont, wenn man mit Foucault bereit ist, anzuerkennen, daß „unterhalb der Formel des Gesetzes" das Geschrei des Krieges sich wiederfinden läßt, der unsere Gesellschaft durchzieht und zweiteilt in einen Krieg der Rassen: „hier die einen und dort die anderen, […] die Herren und jene, die ihnen unterworfen sind, die Reichen und die Armen".
Betrachtet man in diesem Licht zum Beispiel das unsägliche, „Report vom Arbeitsmarkt im Sommer 2005" genannte Pamphlet, für das der ehemalige Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement verantwortlich zeichnet und in dem Arbeitslose pauschal der „Abzocke" bezichtigt werden und mit dem gewissermaßen die Lunte gelegt wurde für eine von den Print- und Rundfunkmedien geführte Hetze gegen Arbeitslose, so läßt sich dies ohne größere Schwierigkeit als das deuten, was es ist: als Bestandteil einer psychologischen Kriegsführung gegen die Arbeitslosen. Bedeutsam an dem sogenannten „Report" für die Plausibilisierung der These vom sozialen Krieg gegen die Arbeitslosen ist insbesondere, daß der den Arbeitslosen hierin nachgesagte Sozialleistungsmißbrauch in zweifacher Weise dramatisiert wird: zum einen auf der Inhaltsebene, indem auf der Grundlage eines gewollt unklaren Mißbrauchsbegriffs durch eine unzulässige und tendenziöse Verallgemeinerung besonders spektakulärer Fälle das Mißbrauchsausmaß, und zwar wider besseres Wissen, maßlos übertrieben wird, und zum anderen auf der Formebene, indem die angeblichen Mißbrauchstäter durch die Denkgifte streuende Charakterisierung als „Parasiten" entmenschlicht und zu innerstaatlichen Feinden verfremdet werden. Feinde, die gefährlich sind für den Bestand dieser Gesellschaft. Dies wird allein schon durch die Verwendung der Vokabel 'Parasit' zum Ausdruck gebracht. Denn Parasiten gelten als Ungeziefer, als Schädlinge, die Krankheiten und Seuchen mit sich bringen und denen man nur beizukommen ist, indem man sie radikal ausmerzt.
Unverkennbar ist hier die Annäherung an die Propagandasprache des Nationalsozialismus, die keineswegs als situativ-zufällige Entgleisung charakterisiert und auch nicht als biologisierende Metaphorik abgetan werden kann, wie geschehen mit dem Hinweis, es sei „[n]atürlich […] völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen". Der einschränkende Hinweis erfolgte genau genommen nur, um den 'parasitären' Arbeitslosen als noch verwerflicher darzustellen als den tierischen Parasiten, da jener sich im Gegensatz zu diesem nicht instinktiv verhalte, sondern aufgrund einer bewußten Willensentscheidung. Denn schließlich sei „Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen gesteuert".
Obwohl sich derartige Sprachanleihen wegen ihres menschenverachtenden Charakters verbieten, erfreuen sie sich offensichtlich aber doch einer gewissen Beliebtheit, da sie ein probates Mittel zu sein scheinen, das Problem der „propagandistischen Präparierung der Feinderklärung" zu lösen: nämlich die Sichtbarmachung, Identifikation und insbesondere die „Versinnlichung der Teilpopulation, die ausgegrenzt und ausgebürgert werden soll". Sind die Arbeitslosen erst einmal als Sündenböcke markiert, denen als 'Störer' all jenes angelastet werden kann, was von der Bevölkerung als Mißstand empfunden wird, so sinkt die Hemmschwelle, die Arbeitslosen als mit Rechten ausgestattete Personen wahrzunehmen und zu behandeln. An die Stelle der Unterscheidung zwischen Bourgeois und Citoyen tritt die Reduzierung des politischen auf den biologischen Körper, weswegen so jemand wie der damalige DaimlerChrysler-Vorsitzende Robert J. Eaton auch wieder unverblümt sagen kann, was ein Apologet des reinen Marktes denkt: "Die Schwachen müssen sich verändern oder sterben" – Worte, die ob ihrer schlichten Klarheit keiner Interpretation bedürfen. (HDH)
Online-Flyer Nr. 189 vom 18.03.2009