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Frei nach Kishons „Der Blaumilchkanal“ – eine von der Realität eingeholte Satire
Die Windradrose
Von Monika Blankenberg und Christian Heinrici
Köln ist ohne Zweifel die bedeutendste Stadt am Rhein. Bonn ist nicht viel mehr als eine verlassene Bundestagsruine und Düsseldorf taugt bestenfalls zum Feindbild. Köln ist nicht nur die bedeutendste Stadt am Rhein, sondern überhaupt. Nur eines fehlt ihr, ein offizieller Titel. Aber, wie soll man Köln endlich die verdiente Poleposition unter DEN Weltstädten der Welt sichern?!
Solchen oder ähnlichen Gedanken hing auch Fritz Schneider nach. Fritz arbeitete im Kölner Rathaus, in einer äußerst wichtigen und verantwortungsvollen Schlüsselposition. Er, er allein war im Baudezernat im Besitz des einzigen, spezialangefertigten, vierfarbigen Windrosenstempels. Fritz hatte die Befugnis, die Windrose auf die Bau- und Straßenpläne zu stempeln. Sie zeigte die genaue Himmelsrichtung an. Dazu brauchte man Sachverstand. Schließlich mussten all diese Pläne nachher von Bauingenieuren und natürlich den Arbeitern korrekt umgesetzt werden. Gerade in letzter Zeit gab es einen riesigen Wust von Bauplänen, die sich in seinem Büro stapelten. Ja, in Köln griff die Planungswut um sich. Deren Folge, die Bauwut hatte Fritz auch auf die „andere“ Rheinseite nach Deutz verschlagen, wo er jetzt im neuerrichteten technischen Rathaus saß, wirklich eine Errungenschaft und das eigentliche Gehirn der Stadt, die Schaltzentrale, wo alle Fäden bei der Verwaltung zusammenliefen.
Technisches Rathaus in Köln-Deutz: Hier kann man ja nur auf „krumme Gedanken“ kommen | Foto: Elke Wetzig
Fritz schaute sehnsüchtig aus dem Fenster und betrachtete verträumt die Silhouette des Doms, des Museums Ludwig und der Altstadt. Dort wartete seine Frau auf ihn. Er liebte seine Frau sehr, obwohl sie ständig kritisierte, dass er in seinem Leben wohl nie etwas Großes und Bedeutendes schaffen würde, sondern eben nur ein kleiner Verwaltungsangestellter sei. Leider war seine Frau von einem enormen Geltungsbedürfnis besessen und verschlang regelmäßig Frauenzeitschriften, die sich mit jeder Kleinigkeit aus dem Leben der First Ladies beschäftigen. Nach solcher Lektüre saß sie auf dem Sofa, den Blick in die Ferne gerichtet und träumte davon, wie es sei, die Gattin eines bedeutenden Mannes zu sein.
Fritz seufzte tief und sah auf seine Armbanduhr. Gleich hatte er Feierabend, er würde sich wie immer zur Hauptverkehrszeit über die überlastete Brücke quälen müssen. Er seufzte noch tiefer. Zweimal täglich kollabierte in Köln der Verkehr. Trotzdem wurden zur Zeit, es war die Ära der großen Sparmaßnahmen, alle wichtigen verkehrstechnischen Um- und Ausbauprojekte abgelehnt. In der Stadtkasse tummelten sich die Pleitegeier und die kleinen Bürger demonstrierten ständig und forderten Gelder für Sozialprojekte. Pah, Soziales!
Eine so bedeutende Metropole wie Köln hatte höhere Aufgaben, als das Durchfüttern einer großen Zahl von Sozialschmarotzern. Die wenigen öffentlichen Gelder gehörten sinnvoller angelegt. Zum Beispiel in sein persönliches Lieblingsprojekt, den Bau der Nord-Süd-U-Bahn. Fritz schaute auf den Plan, der ausgebreitet auf seinem Schreibtisch lag. In bester zeichnerischer Qualität sah er diese wichtigste aller städtischen Verkehrsachsen vor sich.
So sah Fritz Schneiders Stempel wohl aus...
Grafik: Heinrici
Er kannte jedes Detail auswendig. Doch auf dem Schmuckstück klebte ein leuchtend pinkfarbener Post-it-Zettel mit der Aufschrift „mangels Geld auf Eis gelegt!!!“. Mit drei Ausrufungszeichen. Wie konnte man nur. Wütend nahm er seinen Stempel, da der Aufdruck der Windrose noch fehlte, und zum ersten Mal in seiner Verwaltungsangestelltenlaufbahn brachte er den Stempel nicht behutsam auf, sondern knallte die Windrose wütend in die untere rechte Ecke des Papiers. Er würde diesen Plan mit nach Hause nehmen um ihn zum wiederholten Male in aller Ruhe zu studieren. Es war heiß, es war Feierabend, Fritz Schneider beendete seinen Arbeitstag.
90 Stauminuten später öffnete er entnervt die Wohnungstür. Seine Frau begrüßte ihn mit den Worten „Na, endlich ausgestempelt für heute?! Das Essen ist schon fast kalt…“ Auf dem Esstisch lag eine aufgeschlagene Frauenzeitschrift. Ein Artikel über die Laugenbrezel-Backversuche von Laura Bush.
Um 22:00 Uhr erklärte Fritz Schneider seiner Frau, er sei hundemüde und gehe zu Bett. Er nahm seinen Bauplan und ging ins Schlafzimmer. Als Frau Schneider um Mitternacht folgte, fand sie ihren Ehemann bedeckt mit der riesigen Zeichnung und unruhig schlafend vor. Als sie am nächsten Dienstagmorgen, um 9:00 Uhr erwachte, war ihr Fritz, wie sie vermutete, schon in seinem Büro. Na, ja, es war alles wie immer, oder?!
Nicht ganz. Fritz Schneider wurde in dieser Nacht von Alpträumen geplagt. Um 1:17 Uhr war er schweißgebadet aufgewacht. Zuerst war er in seinem Traum durch einen dunklen Tunnel gerauscht, er sah nur Tunnel und Dunkelheit, doch wie immer war am Ende des Tunnels ein gleißend helles Licht. Und aus diesem Licht trat seine Frau, die zu ihm sprach: „Fritz, du bist auserkoren, etwas Großes zu erschaffen, etwas Einzigartiges!“ Er hielt sich beide Ohren zu, aber die Stimme flüsterte stetig den gleichen Satz. Wir alle wissen, wie hauchdünn in unseren Hirnen die Grenze zwischen Intelligenz und Größenwahn ist. In Fritz Schneiders Kopf nistete sich eine unglaubliche Erkenntnis ein und ließ ihn schlagartig hellwach werden. Nur er konnte das Einzigartige vollbringen, seine Frau würde stolz auf ihn sein, aber er musste sofort damit beginnen! Noch ganz entrückt und euphorisch faltete er leise den Plan über den Bau der Nord-Süd-U-Bahn, zog sich an und verließ die Wohnung.
Auf der Großbaustelle am Heumarkt kratzten sich die Arbeiter morgens um 7 Uhr ratlos die Köpfe. Über Nacht waren sowohl der leistungsfähigste Presslufthammer, als auch sämtliche Absperrgitter spurlos verschwunden. Der Bauleiter erstattete unverzüglich Anzeige wegen Diebstahls, die Polizei vernahm sofort die anwesenden Arbeiter.
Foto: Conrad Nutschan
Zur gleichen Zeit stand der Verkehr auf der Cäcilienstrasse, der Zufahrtsstrasse zur Deutzer Brücke still. Wild hupende Autofahrer beschwerten sich bei der eiligst herbeigerufenen Polizeistreife darüber, dass der Bürger mal wieder nicht informiert worden sei.
Die Streifenpolizisten registrierten eine riesige, ordnungsgemäß abgesperrte Baustelle über alle Spuren und zuckten ratlos mit den Schultern. Ab 8:00 Uhr gab es bereits einen Rückstau des Verkehres bis zum Melatenfriedhof. Fahrrad-Polizisten versuchten verzweifelt das Verkehrsaufkommen zu kontrollieren und vergrößerten mit widersprüchlichen Umleitungsvorschlägen das Chaos noch zusätzlich. Auch ist der durchschnittliche Kölner Autofahrer zur Hauptverkehrszeit nicht besonders umgänglich, geschweige denn geduldig. Viele ließen ihre Wagen an Ort und Stelle stehen und machten sich zu Fuß auf den Weg zum Arbeitsplatz, da auch jeder fürchten musste bei Zuspätkommen eben diesen zu verlieren.
„Anti-Terrortruppen“ landen am Rhein
Um 9:00 Uhr war die Innenstadt total blockiert von wild geparkten Autos. Der eiligst herbeigerufene Polizeichef vermutete mehrere Autobomben, benachrichtigte das Innen- und Verteidigungsministerium vom offensichtlichen Versuch eines terroristischen Angriffes auf den Kölner Dom und beantragte sofortige militärische Unterstützung. Um die Mittagszeit wimmelte es in Köln von Mitgliedern des Bundesgrenzschutzes, GSG 9, KSK-Soldaten und anderen Anti-Terror-Einheiten. Die erste Panzerbrigade rückte an. Im Wege stehende Kraftfahrzeuge wurden kommentarlos überrollt. Am Abend sollte der Notdienst deutscher KFZ-Versicherer eine Nachtschicht ansetzen. Der Dom wurde hermetisch abgeriegelt, der Zugverkehr im gesamten Kölner Umland eingestellt. Das Kölner Zentrum wurde im Verlaufe des weiteren Tages mit Bombensuchkommandos abgesucht, zahlreiche verdächtige Personen festgenommen. Vorsichtshalber kamen auch Drogenhunde zum Einsatz.
Derweil hörte man ununterbrochen das „Ra-ta-ta-ta“ eines Presslufthammers aus dem mittlerweile beachtlichen Graben der Baustelle. Um die Mittagszeit kappte der Arbeiter eine Hauptschlagader des städtischen Telefonnetzes, was ihn jedoch unbeeindruckt ließ.
Online-Flyer Nr. 191 vom 01.04.2009
Frei nach Kishons „Der Blaumilchkanal“ – eine von der Realität eingeholte Satire
Die Windradrose
Von Monika Blankenberg und Christian Heinrici
Köln ist ohne Zweifel die bedeutendste Stadt am Rhein. Bonn ist nicht viel mehr als eine verlassene Bundestagsruine und Düsseldorf taugt bestenfalls zum Feindbild. Köln ist nicht nur die bedeutendste Stadt am Rhein, sondern überhaupt. Nur eines fehlt ihr, ein offizieller Titel. Aber, wie soll man Köln endlich die verdiente Poleposition unter DEN Weltstädten der Welt sichern?!
Solchen oder ähnlichen Gedanken hing auch Fritz Schneider nach. Fritz arbeitete im Kölner Rathaus, in einer äußerst wichtigen und verantwortungsvollen Schlüsselposition. Er, er allein war im Baudezernat im Besitz des einzigen, spezialangefertigten, vierfarbigen Windrosenstempels. Fritz hatte die Befugnis, die Windrose auf die Bau- und Straßenpläne zu stempeln. Sie zeigte die genaue Himmelsrichtung an. Dazu brauchte man Sachverstand. Schließlich mussten all diese Pläne nachher von Bauingenieuren und natürlich den Arbeitern korrekt umgesetzt werden. Gerade in letzter Zeit gab es einen riesigen Wust von Bauplänen, die sich in seinem Büro stapelten. Ja, in Köln griff die Planungswut um sich. Deren Folge, die Bauwut hatte Fritz auch auf die „andere“ Rheinseite nach Deutz verschlagen, wo er jetzt im neuerrichteten technischen Rathaus saß, wirklich eine Errungenschaft und das eigentliche Gehirn der Stadt, die Schaltzentrale, wo alle Fäden bei der Verwaltung zusammenliefen.
Technisches Rathaus in Köln-Deutz: Hier kann man ja nur auf „krumme Gedanken“ kommen | Foto: Elke Wetzig
Fritz schaute sehnsüchtig aus dem Fenster und betrachtete verträumt die Silhouette des Doms, des Museums Ludwig und der Altstadt. Dort wartete seine Frau auf ihn. Er liebte seine Frau sehr, obwohl sie ständig kritisierte, dass er in seinem Leben wohl nie etwas Großes und Bedeutendes schaffen würde, sondern eben nur ein kleiner Verwaltungsangestellter sei. Leider war seine Frau von einem enormen Geltungsbedürfnis besessen und verschlang regelmäßig Frauenzeitschriften, die sich mit jeder Kleinigkeit aus dem Leben der First Ladies beschäftigen. Nach solcher Lektüre saß sie auf dem Sofa, den Blick in die Ferne gerichtet und träumte davon, wie es sei, die Gattin eines bedeutenden Mannes zu sein.
Fritz seufzte tief und sah auf seine Armbanduhr. Gleich hatte er Feierabend, er würde sich wie immer zur Hauptverkehrszeit über die überlastete Brücke quälen müssen. Er seufzte noch tiefer. Zweimal täglich kollabierte in Köln der Verkehr. Trotzdem wurden zur Zeit, es war die Ära der großen Sparmaßnahmen, alle wichtigen verkehrstechnischen Um- und Ausbauprojekte abgelehnt. In der Stadtkasse tummelten sich die Pleitegeier und die kleinen Bürger demonstrierten ständig und forderten Gelder für Sozialprojekte. Pah, Soziales!
Eine so bedeutende Metropole wie Köln hatte höhere Aufgaben, als das Durchfüttern einer großen Zahl von Sozialschmarotzern. Die wenigen öffentlichen Gelder gehörten sinnvoller angelegt. Zum Beispiel in sein persönliches Lieblingsprojekt, den Bau der Nord-Süd-U-Bahn. Fritz schaute auf den Plan, der ausgebreitet auf seinem Schreibtisch lag. In bester zeichnerischer Qualität sah er diese wichtigste aller städtischen Verkehrsachsen vor sich.
So sah Fritz Schneiders Stempel wohl aus...
Grafik: Heinrici
90 Stauminuten später öffnete er entnervt die Wohnungstür. Seine Frau begrüßte ihn mit den Worten „Na, endlich ausgestempelt für heute?! Das Essen ist schon fast kalt…“ Auf dem Esstisch lag eine aufgeschlagene Frauenzeitschrift. Ein Artikel über die Laugenbrezel-Backversuche von Laura Bush.
Um 22:00 Uhr erklärte Fritz Schneider seiner Frau, er sei hundemüde und gehe zu Bett. Er nahm seinen Bauplan und ging ins Schlafzimmer. Als Frau Schneider um Mitternacht folgte, fand sie ihren Ehemann bedeckt mit der riesigen Zeichnung und unruhig schlafend vor. Als sie am nächsten Dienstagmorgen, um 9:00 Uhr erwachte, war ihr Fritz, wie sie vermutete, schon in seinem Büro. Na, ja, es war alles wie immer, oder?!
Nicht ganz. Fritz Schneider wurde in dieser Nacht von Alpträumen geplagt. Um 1:17 Uhr war er schweißgebadet aufgewacht. Zuerst war er in seinem Traum durch einen dunklen Tunnel gerauscht, er sah nur Tunnel und Dunkelheit, doch wie immer war am Ende des Tunnels ein gleißend helles Licht. Und aus diesem Licht trat seine Frau, die zu ihm sprach: „Fritz, du bist auserkoren, etwas Großes zu erschaffen, etwas Einzigartiges!“ Er hielt sich beide Ohren zu, aber die Stimme flüsterte stetig den gleichen Satz. Wir alle wissen, wie hauchdünn in unseren Hirnen die Grenze zwischen Intelligenz und Größenwahn ist. In Fritz Schneiders Kopf nistete sich eine unglaubliche Erkenntnis ein und ließ ihn schlagartig hellwach werden. Nur er konnte das Einzigartige vollbringen, seine Frau würde stolz auf ihn sein, aber er musste sofort damit beginnen! Noch ganz entrückt und euphorisch faltete er leise den Plan über den Bau der Nord-Süd-U-Bahn, zog sich an und verließ die Wohnung.
Auf der Großbaustelle am Heumarkt kratzten sich die Arbeiter morgens um 7 Uhr ratlos die Köpfe. Über Nacht waren sowohl der leistungsfähigste Presslufthammer, als auch sämtliche Absperrgitter spurlos verschwunden. Der Bauleiter erstattete unverzüglich Anzeige wegen Diebstahls, die Polizei vernahm sofort die anwesenden Arbeiter.
Foto: Conrad Nutschan
Die Streifenpolizisten registrierten eine riesige, ordnungsgemäß abgesperrte Baustelle über alle Spuren und zuckten ratlos mit den Schultern. Ab 8:00 Uhr gab es bereits einen Rückstau des Verkehres bis zum Melatenfriedhof. Fahrrad-Polizisten versuchten verzweifelt das Verkehrsaufkommen zu kontrollieren und vergrößerten mit widersprüchlichen Umleitungsvorschlägen das Chaos noch zusätzlich. Auch ist der durchschnittliche Kölner Autofahrer zur Hauptverkehrszeit nicht besonders umgänglich, geschweige denn geduldig. Viele ließen ihre Wagen an Ort und Stelle stehen und machten sich zu Fuß auf den Weg zum Arbeitsplatz, da auch jeder fürchten musste bei Zuspätkommen eben diesen zu verlieren.
„Anti-Terrortruppen“ landen am Rhein
Derweil hörte man ununterbrochen das „Ra-ta-ta-ta“ eines Presslufthammers aus dem mittlerweile beachtlichen Graben der Baustelle. Um die Mittagszeit kappte der Arbeiter eine Hauptschlagader des städtischen Telefonnetzes, was ihn jedoch unbeeindruckt ließ.
Online-Flyer Nr. 191 vom 01.04.2009