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Kultur und Wissen
"Antisemitismus und Islamophobie – ein Vergleich"
„Erinnern alleine reicht nicht…“
Von Hans-Werner Kummerow

„Erinnern alleine reicht nicht…“ – Auch so könnte man die Auseinandersetzung überschreiben, die die Autoren in ihrem Buch austragen. Denn offensichtlich verhindert die Erinnerungskultur um den Holocaust nicht, dass der Antisemitismus weiterlebt und neue Formen von Rassismus am Horizont aufscheinen. Etwa das Feindbild Islam. Aber gerade das Thema Islamfeindlichkeit scheint jene aufzuschrecken, die sich eingerichtet haben im Wohnzimmer der rückwärtsgewandten Betrachtung der Geschichte – ohne etwaige Erkenntnisse auf die Gegenwart zu beziehen. Dieser Prozess ist mit diesem Buch nicht mehr aufzuhalten.

Prof. Faruk Sen - verglich die Verfolgung 
der Türken mit der der Juden
Quelle: www.bezreg-arnsberg.nrw.de
In fast regelmäßigen Abständen ergibt sich die Diskussion, ob die heute feststellbare Islamfeindlichkeit mit dem Antisemitismus früherer Zeiten vergleichbar sei. Meist aufgeregt und schnell unsachlich kochen die Polemiken hoch. Unvergleichlichkeitsdogmen werden formuliert, Tabus beschworen sowie vermeintliche Tabus gebrochen und mit viel Verve und vergleichsweise wenig Sachverstand an Moral und Political Correctness appelliert. All dies dient nicht der Klärung.
 
Ängste, Unverständnis, Unwissen
 
Auch als sich das renommierte Zentrum für Antisemitismusforschung in seinem Jahrbuch 2008 und auf Tagungen mit diesen Fragestellungen befasste, erntete es vorgefasste Ablehnung statt sachdienlicher Auseinandersetzung. Der Streit deutet auf tief sitzende Ängste einerseits, und ebenso tief sitzendes Unverständnis und Unwissen andererseits hin. Haben wir die richtigen Lehren aus der deutschen Geschichte gezogen? Welche genau sind dies? Was wurde nicht erkannt? Und vor allem: Warum gelingt es uns so schlecht, uns antisemitische Muster außerhalb des Nationalsozialismus zu vergegenwärtigen? Und wie kommen wir dazu zu glauben, dass wir heute davor gefeit seien, andere zu diskriminieren – ja gar zu verachten und schließlich zu entmenschlichen?
 
Parallelen und Unterschiede
 
Dieser Fragenstrang bildet eine Grundlinie in dem Buch von Sabine Schiffer und Constantin Wagner „Antisemitismus und Islamophobie – ein Vergleich“, das im Sommer 2009 im HWK-Verlag erscheint. Ein zweiter Fragenstrang betrifft die nüchterne Analyse und den Vergleich des antisemitischen Diskurses – vor allem Ende des 19. Jahrhunderts – mit dem antiislamischen von heute. In der Zusammenschau der jeweiligen Argumentationslinien und der Polemiken bzw. Verbalattacken ergeben sich sowohl Parallelen, etwa die Argumente der Synagogen- und Moscheebaustreitigkeiten, als auch Unterschiede, etwa in Bezug auf eine mehr oder weniger eingebildete globale Gefahr durch die jeweils dämonisierte Gruppe.

Neben diesen historisch ausgerichteten Diskursanalysen beschäftigen sich die Autoren aber auch mit vielen aktuellen Diskussionen. Weder wird der Fall des ehemaligen Direktors des Zentrums für Türkeistudien Prof. Dr. Faruk Sen ausgespart, noch der sich zuspitzende Judenhass unter einigen Muslimen, wie auch der zunehmende Muslimhass unter einigen Juden. Auch der Nahostkonflikt als neuralgischer Punkt für Polarisierungen wird in seiner Funktion für die eine oder andere Argumentation mit einbezogen – denn gegenseitige Ressentiments speisen sich einerseits immer aus einem “wahren Kern“ und andererseits aus den darum herum konstruierten Mythen, Verschwörungstheorien und Dämonisierungen, die teils gewollt sind, teils auf Missverständnissen beruhen, wie die Autoren aufzeigen.
 
Aktuelle Situation in Deutschland
 
Der Hauptfokus des Buches liegt aber auf der aktuellen Situation in Deutschland und auf den Wirkungen, die die immer aggressiver werdenden Verbalattacken auf einzelne Gruppenmitglieder haben. Dabei gelingt es nachzuvollziehen, dass Zuspitzungen und Diskriminierungen sich nicht im luftleeren Raum entwickeln, sondern das Produkt eines komplexen Wechselspiels im täglichen Miteinander und den alles überlagernden öffentlichen Diskursen sind. Ohne die Akteure ihrer Verantwortung für die dann vollzogenen Handlungen zu entheben, eröffnen die Autoren jedoch eine Perspektive auf mögliche Ansätze zur Bearbeitung der entstandenen Vorurteile. Dazu führen sie am Schluss des Buches und sozusagen als Ausblick auf eine mögliche Zukunft eine Reihe von Beispielen an, die durch ihre Existenz alleine belegen, dass die künstlich aufgebauten Grenzen überwindbar sind.

Ohne Schönfärberei, aber auch ohne Dramatisierung und trotzdem höchst interessant und oft spannend, tragen die Autoren auf 288 Seiten alles Relevante zum Thema zusammen. Sie zeichnen ein menschliches Bild von Konflikten und erklären Zusammenhänge, die eigentlich auf der Hand liegen, aber oft von kontraproduktiver Aufgeregtheit überdeckt werden. Es gehört zur Pflichtlektüre derer, die sich ernsthaft mit den Themen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Rassismus, Gruppendynamik, diskriminierende Diskurse und Feindbilder auseinandersetzen wollen. (PK)
 
Das Buch erscheint im Sommer 2009 im HWK-Verlag in der 'Reihe Bücher, die unsere Weltsicht verändern', ISBN 978-3-937245-05-8, Ladenpreis 24,80 €

Das Autorenteam
Dr. Sabine Schiffer: Nach dem Studium der Sprachwissenschaft, Promotion zur Islamdarstellung in den Medien. Vorträge, Seminare und Publikationen zu gesellschaftsrelevanten Themen wie Medienbildung, Diskriminierende Diskurse, Kriegspropaganda und Fragen der Vierten und einer erstarkenden Fünften Gewalt. Gründung und Leitung des Instituts für Medienverantwortung. 
Constantin Wagner: Doppelstudium Soziologie / Religionswissenschaft in Frankfurt a.M. und Genf mit den Schwerpunkten soziale Teilhabe und Ausschließungsprozesse sowie Religions- und Migrationssoziologie. Er arbeitet zum Thema „soziale Funktionen des Islam-Diskurses in Deutschland“.

Online-Flyer Nr. 196  vom 06.05.2009



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