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Aktueller Online-Flyer vom 27. Dezember 2024  

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Inland
Sinus-Milieu-Studie „Diskriminierung im Alltag“
Gleichbehandlung???
Von Hanne Schweitzer

Der Mann wollte sich bei Aldi an der Kasse vordrängen. Als er merkte, dass ich es merkte und nicht damit einverstanden war, sagt er zu seiner Frau: „Die Alte meint, sie ist jetzt an der Reihe“. Wirklich, ich hab` gedacht, ich platze, so sauer war ich. Ich habe tief Luft geholt, den Mann angekuckt und laut zu ihm gesagt: „Sie sagen zu mir Alte. Aber Vorsicht junger Mann. Entweder Sie sterben oder Sie werden auch mal so alt wie ich!“


Eine alte Frau wehrt sich. Das passiert immer häufiger. Im öffentlichen Raum, bei den Banken, bei den Behörden, sogar bei den Ärzten. Die Diskriminierung wegen des Lebensalters hat hierzulande mittlerweile ein solches Ausmaß erreicht, dass immer mehr Leute nicht länger bereit sind, sie widerspruchslos hinzunehmen. Das betrifft die 29Jährige, die angeblich zu jung als Büroleiterin ist genauso, wie diejenigen, die jahrelang als Rentnerberg und Kostenexplosion diffamiert wurden. Seit Jahrzehnten haben über 50Jährige keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt, und gegenwärtige wie künftige RentnerInnen werden exorbitant durch die Leistungskürzungen und Beitragerhöhungen des Gesundheits- und Rentensystems belastet.
 
Von der EU erzwungen
 
Nicht etwa freiwillig, sondern von der EU erzwungen, wurde in der Bundesrepublik 2006 ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz erlassen. Darin ist auch das Diskriminierungsmerkmal „Alter“ enthalten. Justitiabel sind laut Gesetz aber lediglich Altersdiskriminierungen im Arbeitsleben; und bei privaten Versicherungen wenn diese NICHT versicherungsmathematisch belegen können, dass eine aus Altersgründen von der Norm abweichende Prämienhöhe berechtigt ist. In allen anderen Fällen ist die Diskriminierung wegen des Lebensalters noch immer erlaubt: Kein Mietwagen mehr ab 70, keine Geräte bei der Metro leasen ab 65, nicht beim Kinderschutzbund Köln ehrenamtlich drei Tage in der Woche arbeiten wenn über 40, keinen Studienkredit wenn über 35, kein BAFÖG über 30. Auch in den öffentlichen Debatten wird munter diskriminiert. Müntefering, damals 69, begrüßte den Verzicht von Andrea Ypsilanti auf die SPD-Spitzenkandidatur in Hessen mit den Worten: „Ihre Entscheidung macht den Weg frei für eine Verjüngung (...).“ Ypsilanti ist 51.
 
Alte gelten als „Randfiguren“
 
Ältere Menschen, welches Alter auch immer damit gemeint sein mag, ältere Menschen werden hierzulande benachteiligt und diskriminiert. Zu diesem Befund kommt auch die jüngste Sinus-Milieu-Studie „Diskriminierung im Alter“. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes basieren auf der Befragung von 2.600 repräsentativ ausgesuchten Frauen und Männern aus der Deutsch sprechenden Gesamtbevölkerung. Egal ob Mann oder Frau, egal wie alt, welche Auffassung vom Leben, oder welche Lebensweise sie sich leisten konnten: Sie waren sich einig: Die Alten gelten als „Randfiguren“. Sie müssen in „armseligen Heimen“ leben, mit wenig Geld auskommen, haben „Schwierigkeiten, das Kleingedruckte lesen zu können“, und die moderne Technik überfordert sie. Im Arbeitsleben gelten sie als nicht mehr lern- und leistungsfähig: „Ab 45 bekommst Du keinen Job mehr, wenn Du Dich bewirbst“. Frauen klagen über „fast Topmodel-Anforderungen - je faltiger, desto chancenloser“ - oder über ihre traumatische Erfahrung, aus dem Job gedrängt zu werden.

Folge: Die Jüngeren der Befragten haben regelrecht Angst davor alt zu werden. Das ist verständlich. Jeder Diskriminierung liegt eine Bewertung darüber zugrunde, wie der „Mensch“ zu sein hat. Derzeit und hierzulande gilt, dass man möglichst männlich, weiß, deutsch, heterosexuell, gesund, nicht arbeitslos, unter 40 und möglichst gut betucht sein sollte. Wer ist das schon? Den meisten Älteren winkt die Altersarmut heftig zu.
 
Und die Bundestagsabgeordneten?
 
Auf die Frage, welche Gruppe hierzulande am allermeisten benachteiligt ist, nannten die Befragten an allererster Stelle die „Sozial Schwachen“. Damit gemeint war die zunehmende Benachteiligung von Arbeitslosen, Hartz-IV-EmpfängerInnen, Ein-Euro-JobberInnen, SozialrentnerInnen, KassenpatientInnen, Alleinerziehenden und Kinderreichen. Dazu muss man wissen: In der EU-Charta der Menschenrechte sind Diskriminierungen wegen der sozialen Herkunft und des Vermögens zwar verboten, leider hat die Charta, wie alle anderen Chartas auch, keine Rechtsverbindlichkeit. Und weil Papier bekanntlich geduldig ist, steht sogar im Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), dass auch Benachteiligen in Bezug auf „den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste“ unzulässig ist. Der Haken dabei: Das gilt, so haben es die Abgeordneten des Bundestags 2006 entschieden, ausdrücklich nicht für das Diskriminierungsmerkmal „Alter“ und natürlich auch nicht für das klassenspezifische Merkmal „Armut“. 


Fotos: Hanne Schweitzer
 
84% der befragten Frauen und 70% der Männer hielten es für einen Skandal, dass von Altersarmut in erster Linie Frauen betroffen sind. 74% nannten als vordringliche politische Aufgabe die Schaffung von Arbeitsplätzen, 66% den Schutz der sozialen Sicherheitssysteme. 39% forderten mehr Umwelt- und Klimaschutz, 37% bessere Lebensbedingungen für behinderte Menschen, ebenfalls 37% wollten gleiche Bildungs- und Berufschancen für alle, und zwar unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Hautfarbe.
 
Weil aber nur sieben Prozent der Befragten mehr Schutz vor Diskriminierung für Menschen islamischen Glaubens forderten, und nur vier Prozent mehr Schutz für Homosexuelle, wollten, regten sich die Lobbyisten dieser Gruppen auf. „In der Bevölkerung gibt es derzeit kein relevantes Potential für eine fortschrittliche Antidiskriminierungspolitik.“ „Man kann erschüttert sein über die Befunde der Studie, die der deutschen Bevölkerung eine extrem diskriminierende Einstellung attestieren“, oder „Diskriminierung – na und?“ hieß es in den Kommentaren. Diese Auslassungen beruhen auf der politisch korrekten aber falschen Vorstellung, dass Diskriminierung nur das ist, was im Gesetz steht.
 
„Überflüssiger Luxus“
 
In Irland regten die Autoren einer ähnlichen Studie schon 2008 an, „Arbeitslosigkeit“ als Merkmal für Diskriminierung anzuerkennen. So konkret drücken sich bundesdeutsche Soziologen nicht (mehr) aus. Die Autoren der Sinus-Studie formulierten es so: „Die heutige Antidiskriminierungspolitik und insbesondere auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz haben ein Akzeptanzproblem, weil sie sich nicht der „eigentlichen“ Probleme und Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft annehmen, so wie sie die große Mehrheit sieht (also die wachsende Armut in Deutschland, die Benachteiligung der sozial Schwachen), sondern weil sie sich auf ungeliebte Randgruppen (wie Ausländer, Homosexuelle, Fremdreligiöse) konzentrieren. Diese Art von Antidiskriminierungspolitik wird von vielen als „überflüssiger Luxus“ empfunden, der außerdem noch Geld kostet, das anderswo – etwa im Bildungs- und Gesundheitsbereich – viel dringender gebraucht würde.“
 
P.S.: Am 12. Mai 2009 haben sich fünf Unternehmen und zwei Verbände vor unser aller Familienministerin Ursula v.d. Leyen zu ihrer Verantwortung bei der Gestaltung des demografischen Wandels bekannt. Sie haben eine sogenannte Berliner Erklärung unterzeichnet. Mit von der Partie sind: AXA Konzern AG, GALERIA Kaufhof GmbH, Pfizer Deutschland GmbH, TÜV Rheinland: Für die Immobilienwirtschaft bekannte sich die Plan Plus Faktor Entwicklungsgesellschaft mbH zur Verantwortung. Auch zwei Verbände haben unterschrieben. Der Internationale Bustouristik Verband e.V. und - der Berufsverband deutscher Soziologinnen und Soziologen e.V. (PK) 
 
Sinus-Milieu-Studie Diskriminierung im Alltag – Wahrnehmung von Diskriminierung und Antidiskriminierungspolitik in unserer Gesellschaft. Sinus Sociovision, Heidelberg, Juli 2008. Vorgestellt von der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes am 2.4.2009. Die Studie kann auf der Webseite der Antidiskriminierungsstelle runtergeladen oder als Druck bestellt werden. Siehe www.antidiskriminierungsstelle.de
 
Hanne Schweitzer ist Journalistin und leitet ehrenamtlich das Kölner Büro gegen Altersdiskriminierung  
Mehr unter: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=3021   Mail: hanne.schweitzer@t-online.de
 
 
 
 

Online-Flyer Nr. 198  vom 20.05.2009



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