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Inland
Nach sechs Wochen Streik und Diffamierung durch "Eliten" und Medien:
Es geht nicht nur um 18 Minuten
Von Mary Ann Christen-Meyer
Der längste Streik im öffentlichen Dienst seit 1926 wird inzwischen in elf Bundesländern geführt. Ein Ende ist nicht absehbar. Ebenso bei Gate Gourmet in Düsseldorf. Der Tarifstreit in der Elektro- und Metallindustrie wurde am Freitag ergebnislos abgebrochen. Die Streikenden an den Uni-Kliniken werden vermutlich ab Donnerstag Verstärkung durch die im Marburger Bund organisierten Ärzte bekommen. Grund für unsere Autorin, einen Blick nicht nur in die Gegenwart, sondern auch in die Vergangenheit zu werfen. Die Redaktion
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Es war einmal...
Es war einmal vor vielen, vielen Jahren. Da gab es ein Land, das nannten sie Deutschland. Dieses Land und seine Vorgänger hatten in vielen Jahrhunderten viele Schlachten geführt. Doch nach dem so genannten Zweiten Weltkrieg, der besonders grausam war, hatten die Bürger erst einmal genug vom Kämpfen. In Deutschland kehrte Ruhe ein.
Im Mai 1949 wurde das Grundgesetz verfasst, an das sich alle Einwohner des Landes zu halten hatten - auch die Regierenden in Bund, Ländern und Kommunen. So lebten sie mehr als 50 Jahre halbwegs friedlich miteinander. Die meisten Menschen hatten Arbeit, verdienten genug zum Leben. Viele konnten sogar durch die Welt reisen oder sich zumindest hierzulande in ihrer Freizeit erholen und vergnügen.
Doch dann geschah etwas Schreckliches. Ganz langsam und von den meisten Bürgern
unbemerkt erschlichen sich einige Menschen durch Versprechen, die sie weder halten wollten noch konnten, hohe Regierungsposten. Sie nannten sich aufgrund ihrer Funktion "Eliten" genau wie die aufgrund ihres Reichtums eigentlich Herrschenden. In Wirklichkeit waren sie clevere, rücksichtslose Menschen, die im Auftrag der Mächtigen die Bürger ausraubten - natürlich auch, um selbst davon zu profitieren. So nahmen sie nach und nach Millionen Menschen die Arbeit weg und sorgten dafür, dass diese Arbeitslosen immer ärmer wurden.
Zwei Eliten - ein Interesse
Die selbsternannten Funktions-Eliten, die nach und nach durch immer neue verlogene Versprechen alle wichtigen Posten in Deutschland besetzten, wurden reicher und reicher. Hingegen sollten die, die noch Arbeit hatten, für immer weniger Geld immer mehr arbeiten. Die Funktions-Eliten aber senkten ihre Steuern und natürlich die der wirklich Reichen, erhöhten ihre Diäten, bekamen zusätzliches Geld von den Macht-Eliten, ohne dass sie dafür überhaupt arbeiten mussten. Sie sollten nur immer wieder neue Gesetze beschließen, die noch mehr Bürger in die Armut trieben und die Reichen noch reicher machten.
Foto: Hans Peter Keul
Eines Tages erkannten jedoch viele Menschen diesen Betrug. Sie hörten einfach auf zu arbeiten - damals nannte man das "streiken". Die beiden Eliten forderten nämlich von vielen Bürgern längere Arbeitszeiten, ohne dafür bezahlen zu wollen. Außerdem wollten sie ihnen auch noch das Urlaubs- und Weihnachtsgeld wegnehmen. So könnten sie noch mehr Leute entlassen, das eingesparte Geld untereinander aufteilen und die Millionen Armen wie Sklaven beschäftigen - dachten sie.
So oder ähnlich könnte der Anfang einer Geschichte in vielen, vielen Jahren lauten.
Nun aber zum Ist-Zustand. Der Streik im öffentlichen Dienst geht inzwischen in die sechste Woche - es ist der längste Streik seit 80 Jahren. Ja, Geschichte wiederholt sich, denn ganz offensichtlich wird der Mensch nicht klüger. Auch 1926 befand sich Deutschland in einer extremen Krise. Die Zahl der Arbeitslosen erreichte einen neuen Höchststand. Drei Jahre später war die Weltwirtschaftskrise da und bescherte Deutschlandüber sechs Millionen Arbeitslose bei einer Einwohnerzahl von rund 62 Millionen.
Medienpropaganda: Doch nur 18 Minuten
Seit Wochen versuchen "unsere Medien" den Bürgern einzureden, dass es doch lediglich um 18 Minuten Mehrarbeit pro Tage gehe. Dafür könnten die Streikenden und ihre Gewerkschaft ver.di doch nicht wochenlang den Müll liegen, die Autobahnen und Straßen einfach zugeschneit bleiben lassen. Und keiner von den in den Medien Verantwortlichen hat mal öffentlich hochgerechnet, dass diese 18 Minuten täglich im Jahr 66 Stunden sind - ohne jede Gegenleistung versteht sich.
66 Stunden bedeuten eine Mehrarbeit von 4 Prozent. Das wiederum bedeutet, dass in der Folge jeder 25ste Arbeitsplatz abgebaut werden kann - und wohl auch soll. Und genau darum geht es. Bleibt ver.di jetzt nicht hart, wird die Arbeitszeit in naher Zukunft noch weiter nach oben verschoben. Das bedeutet auf der einen Seite, dass das Lohnniveau rapide sinken wird, auf der anderen Seite aber auch einen ständigen Abbau von immer mehr Arbeitsplätzen.
"Die Bürger, die von den Auswirkungen des Streiks betroffen sind, sind wütend und fordern das Ende des Streiks. Sie halten ihn für unangemessen, ja, sogar unverschämt", tönen die Medien. Sollte etwas Wahres an diesen "Berichten" sein, wäre es sicher angebracht, den Bürgern nahe zu bringen, dass der Streik auch in ihrem Sinne ist. Denn würden 40 oder gar - wie auch gefordert - 42 Stunden flächendeckend eingeführt - natürlich ohne Lohnausgleich - würde auch die Samstagsarbeit für alle nicht mehr lange auf sich warten lassen. Eine Sechstagewoche also mit dann vermutlich 48 Stunden. Weitere Massenentlassungen, Lohndumping, rapide Zunahme von Armut. Da auch der Verkauf städtischer Wohnungen wie gerade beim jüngsten Beispiel Dresden boomt, werden wohl Containerdörfer entstehen, in denen die Armen gesammelt ihr Dasein fristen dürfen. Sozialwohnungen wird es bald nicht mehr geben.
Foto: Hans Peter Keul
Gewerkschaften und Streikende, die genau das verhindern wollen, werden deshalb öffentlich denunziert. War der Streik um 35 Stunden 1984 noch ein legales Mittel, Forderungen gegenüber den "Arbeitgebern" durchzusetzen, wird der Kampf gegen die 40 Stunden heute als anrüchig, anmaßend, ja, fast als kriminell dargestellt.
Bundesarbeitsgericht: Sympathiestreiks rechtmäßig
Wie sonst kann es möglich sein, dass private Firmen damit beauftragt werden, die Arbeit der im öffentlichen Dienst Streikenden zu verrichten? Wie sonst kann es sein, dass 1-Euro-Jobber unter Androhung der Kürzung des ALG II dazu gezwungen werden, die Arbeit dieser Streikenden zu übernehmen?
Wie sonst kann es sein, dass das Städtische Krankenhaus Duisburg rund 60 Auszubildenden kündigt, weil die sich solidarisch am Streik beteiligt haben? Die Kündigungen sind zwar aufgrund einer Intervention von ver.di wieder zurückgenommen worden - aber dadurch wird das skandalöse Verhalten des öffentlichen Arbeitgebers nicht besser.
Wie sonst kann es sein, dass ein Kölner Amtsgericht auf Antrag des Landschaftsverbandes Rheinland eine einstweilige Verfügung gegen den Streikaufruf von ver.di an die Mitarbeiter erlässt - mit der Begründung, es bestehe "Friedenspflicht"?
Für das Bundesarbeitsgericht ist "Friedenspflicht" kein Grund, auf Solidaritätsstreiks zu verzichten. In seiner Entscheidung vom 21. Dezember 1982 heißt es: "Ein Sympathiestreik zur Unterstützung eines in einem anderen Tarifbereich geführten Arbeitskampfes verstößt nicht gegen die relative tarifliche Friedenspflicht, so dass hierauf ein Anspruch auf Unterlassung nicht gestützt werden kann!"
Foto: Hans Peter Keul
Mittlerweile fordern Vertreter anderer Bundesländer den Rücktritt von Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring, Vorsitzender der Tarifgemeinschaft deutscher Länder.Seit über fünf Wochen rückt der keinen Millimeter von seiner Forderung nach der 40-Stunden-Woche ab. Nachgeben bedeutet für diesen Herrn vermutlich nicht nur Schwäche zeigen. Würde er sich einmal ein wenig mit Psychologie befassen, wüsste er, dass Nachgeben auch ein Zeichen von Stärke sein kann. Nachgeben, das weiß dieser Herr aber zugleich auch, würde für private "Arbeitgeber" heißen, dass diesen Arbeitszeitverlängerungen in der Folge ebenfalls schwer fallen würden. Der Euroverlust, der sich daraus ergäbe, könnte ihn seine Karriere kosten - und den Stand seines Kontos reduzieren statt der Konten seiner "Arbeitnehmer".
Die Vereinbarungen, die diese Geheimbünde im Vorfeld hinter verschlossenen Türen absprechen, in Wohnzimmerkreisen, in Klubs oder eigens dafür vorgesehenen Kneipen, müssen natürlich eingehalten werden. Schließlich hätte diese 40-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst noch andere weitreichende Folgen. Die Gewerkschaften würden noch mehr entmachtet, für den Niedriglohnsektor würden die Tore noch weiter geöffnet, und man könnte endlich die längst geplanten Massenentlassungen vornehmen.
Gegen die Vergrößerung von Armut und Arbeitslosigkeit
Das wiederum hätte eine weitere Vergrößerung des Arbeitslosenheeres zur Folge - ohnehin ein Ziel der beiden so genannten Eliten. Millionen Menschen könnten für einen Euro zwangsverpflichtet werden, was bereits vom Kölner Bürgermeister Josef Müller vorgeschlagen wurde. Oder aber - auch dieser Vorschlag steht im öffentlichen Raum: man könnte sie meistbietend als Tagelöhner versteigern. Wobei das verdiente Geld dann aber keinesfalls in die Taschen der Arbeitenden, sondern in die Kassen der Kommunen, der Länder und am Ende auch der privaten "Arbeitgeber" fließen soll.
Für die Betroffenen soll Hartz IV ausreichen. Auch bei einer 48-Stunden-Woche. Das ergäbe einen Stundenlohn von ca. 2,72 Euro. Bei einem Rentenversicherungsbeitrag von 40 Euro monatlich. Wovon die Arbeitenden dann Fahrtkosten, notwendige Berufskleidung etc. bezahlen sollen, steht in den Sternen.
Eugène Delacroix: Die Freiheit führt das Volk
Foto: NRhZ-Archiv
Bleibt zu hoffen, dass die Streikenden stark bleiben - sonst heißt es: Gute Nacht, Deutschland! Besser: Schaut nach Frankreich! Dort lassen sich Studenten und andere junge Leute von dem angeblich Arbeitsplätze schaffenden Gesetz für Berufsanfänger nicht länger von Regierung und Medien zum Narren halten und beginnen - unterstützt von den Gewerkschaften - massiv Widerstand zu leisten. Die Erinnerung an 1789 und 1968 ist in unserem Nachbarland offenbar noch immer vorhanden.
Online-Flyer Nr. 35 vom 14.03.2006
Nach sechs Wochen Streik und Diffamierung durch "Eliten" und Medien:
Es geht nicht nur um 18 Minuten
Von Mary Ann Christen-Meyer
Der längste Streik im öffentlichen Dienst seit 1926 wird inzwischen in elf Bundesländern geführt. Ein Ende ist nicht absehbar. Ebenso bei Gate Gourmet in Düsseldorf. Der Tarifstreit in der Elektro- und Metallindustrie wurde am Freitag ergebnislos abgebrochen. Die Streikenden an den Uni-Kliniken werden vermutlich ab Donnerstag Verstärkung durch die im Marburger Bund organisierten Ärzte bekommen. Grund für unsere Autorin, einen Blick nicht nur in die Gegenwart, sondern auch in die Vergangenheit zu werfen. Die Redaktion
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Es war einmal...
Es war einmal vor vielen, vielen Jahren. Da gab es ein Land, das nannten sie Deutschland. Dieses Land und seine Vorgänger hatten in vielen Jahrhunderten viele Schlachten geführt. Doch nach dem so genannten Zweiten Weltkrieg, der besonders grausam war, hatten die Bürger erst einmal genug vom Kämpfen. In Deutschland kehrte Ruhe ein.
Im Mai 1949 wurde das Grundgesetz verfasst, an das sich alle Einwohner des Landes zu halten hatten - auch die Regierenden in Bund, Ländern und Kommunen. So lebten sie mehr als 50 Jahre halbwegs friedlich miteinander. Die meisten Menschen hatten Arbeit, verdienten genug zum Leben. Viele konnten sogar durch die Welt reisen oder sich zumindest hierzulande in ihrer Freizeit erholen und vergnügen.
Doch dann geschah etwas Schreckliches. Ganz langsam und von den meisten Bürgern
unbemerkt erschlichen sich einige Menschen durch Versprechen, die sie weder halten wollten noch konnten, hohe Regierungsposten. Sie nannten sich aufgrund ihrer Funktion "Eliten" genau wie die aufgrund ihres Reichtums eigentlich Herrschenden. In Wirklichkeit waren sie clevere, rücksichtslose Menschen, die im Auftrag der Mächtigen die Bürger ausraubten - natürlich auch, um selbst davon zu profitieren. So nahmen sie nach und nach Millionen Menschen die Arbeit weg und sorgten dafür, dass diese Arbeitslosen immer ärmer wurden.
Zwei Eliten - ein Interesse
Die selbsternannten Funktions-Eliten, die nach und nach durch immer neue verlogene Versprechen alle wichtigen Posten in Deutschland besetzten, wurden reicher und reicher. Hingegen sollten die, die noch Arbeit hatten, für immer weniger Geld immer mehr arbeiten. Die Funktions-Eliten aber senkten ihre Steuern und natürlich die der wirklich Reichen, erhöhten ihre Diäten, bekamen zusätzliches Geld von den Macht-Eliten, ohne dass sie dafür überhaupt arbeiten mussten. Sie sollten nur immer wieder neue Gesetze beschließen, die noch mehr Bürger in die Armut trieben und die Reichen noch reicher machten.
Foto: Hans Peter Keul
Eines Tages erkannten jedoch viele Menschen diesen Betrug. Sie hörten einfach auf zu arbeiten - damals nannte man das "streiken". Die beiden Eliten forderten nämlich von vielen Bürgern längere Arbeitszeiten, ohne dafür bezahlen zu wollen. Außerdem wollten sie ihnen auch noch das Urlaubs- und Weihnachtsgeld wegnehmen. So könnten sie noch mehr Leute entlassen, das eingesparte Geld untereinander aufteilen und die Millionen Armen wie Sklaven beschäftigen - dachten sie.
So oder ähnlich könnte der Anfang einer Geschichte in vielen, vielen Jahren lauten.
Nun aber zum Ist-Zustand. Der Streik im öffentlichen Dienst geht inzwischen in die sechste Woche - es ist der längste Streik seit 80 Jahren. Ja, Geschichte wiederholt sich, denn ganz offensichtlich wird der Mensch nicht klüger. Auch 1926 befand sich Deutschland in einer extremen Krise. Die Zahl der Arbeitslosen erreichte einen neuen Höchststand. Drei Jahre später war die Weltwirtschaftskrise da und bescherte Deutschlandüber sechs Millionen Arbeitslose bei einer Einwohnerzahl von rund 62 Millionen.
Medienpropaganda: Doch nur 18 Minuten
Seit Wochen versuchen "unsere Medien" den Bürgern einzureden, dass es doch lediglich um 18 Minuten Mehrarbeit pro Tage gehe. Dafür könnten die Streikenden und ihre Gewerkschaft ver.di doch nicht wochenlang den Müll liegen, die Autobahnen und Straßen einfach zugeschneit bleiben lassen. Und keiner von den in den Medien Verantwortlichen hat mal öffentlich hochgerechnet, dass diese 18 Minuten täglich im Jahr 66 Stunden sind - ohne jede Gegenleistung versteht sich.
66 Stunden bedeuten eine Mehrarbeit von 4 Prozent. Das wiederum bedeutet, dass in der Folge jeder 25ste Arbeitsplatz abgebaut werden kann - und wohl auch soll. Und genau darum geht es. Bleibt ver.di jetzt nicht hart, wird die Arbeitszeit in naher Zukunft noch weiter nach oben verschoben. Das bedeutet auf der einen Seite, dass das Lohnniveau rapide sinken wird, auf der anderen Seite aber auch einen ständigen Abbau von immer mehr Arbeitsplätzen.
"Die Bürger, die von den Auswirkungen des Streiks betroffen sind, sind wütend und fordern das Ende des Streiks. Sie halten ihn für unangemessen, ja, sogar unverschämt", tönen die Medien. Sollte etwas Wahres an diesen "Berichten" sein, wäre es sicher angebracht, den Bürgern nahe zu bringen, dass der Streik auch in ihrem Sinne ist. Denn würden 40 oder gar - wie auch gefordert - 42 Stunden flächendeckend eingeführt - natürlich ohne Lohnausgleich - würde auch die Samstagsarbeit für alle nicht mehr lange auf sich warten lassen. Eine Sechstagewoche also mit dann vermutlich 48 Stunden. Weitere Massenentlassungen, Lohndumping, rapide Zunahme von Armut. Da auch der Verkauf städtischer Wohnungen wie gerade beim jüngsten Beispiel Dresden boomt, werden wohl Containerdörfer entstehen, in denen die Armen gesammelt ihr Dasein fristen dürfen. Sozialwohnungen wird es bald nicht mehr geben.
Foto: Hans Peter Keul
Gewerkschaften und Streikende, die genau das verhindern wollen, werden deshalb öffentlich denunziert. War der Streik um 35 Stunden 1984 noch ein legales Mittel, Forderungen gegenüber den "Arbeitgebern" durchzusetzen, wird der Kampf gegen die 40 Stunden heute als anrüchig, anmaßend, ja, fast als kriminell dargestellt.
Bundesarbeitsgericht: Sympathiestreiks rechtmäßig
Wie sonst kann es möglich sein, dass private Firmen damit beauftragt werden, die Arbeit der im öffentlichen Dienst Streikenden zu verrichten? Wie sonst kann es sein, dass 1-Euro-Jobber unter Androhung der Kürzung des ALG II dazu gezwungen werden, die Arbeit dieser Streikenden zu übernehmen?
Wie sonst kann es sein, dass das Städtische Krankenhaus Duisburg rund 60 Auszubildenden kündigt, weil die sich solidarisch am Streik beteiligt haben? Die Kündigungen sind zwar aufgrund einer Intervention von ver.di wieder zurückgenommen worden - aber dadurch wird das skandalöse Verhalten des öffentlichen Arbeitgebers nicht besser.
Wie sonst kann es sein, dass ein Kölner Amtsgericht auf Antrag des Landschaftsverbandes Rheinland eine einstweilige Verfügung gegen den Streikaufruf von ver.di an die Mitarbeiter erlässt - mit der Begründung, es bestehe "Friedenspflicht"?
Für das Bundesarbeitsgericht ist "Friedenspflicht" kein Grund, auf Solidaritätsstreiks zu verzichten. In seiner Entscheidung vom 21. Dezember 1982 heißt es: "Ein Sympathiestreik zur Unterstützung eines in einem anderen Tarifbereich geführten Arbeitskampfes verstößt nicht gegen die relative tarifliche Friedenspflicht, so dass hierauf ein Anspruch auf Unterlassung nicht gestützt werden kann!"
Foto: Hans Peter Keul
Mittlerweile fordern Vertreter anderer Bundesländer den Rücktritt von Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring, Vorsitzender der Tarifgemeinschaft deutscher Länder.Seit über fünf Wochen rückt der keinen Millimeter von seiner Forderung nach der 40-Stunden-Woche ab. Nachgeben bedeutet für diesen Herrn vermutlich nicht nur Schwäche zeigen. Würde er sich einmal ein wenig mit Psychologie befassen, wüsste er, dass Nachgeben auch ein Zeichen von Stärke sein kann. Nachgeben, das weiß dieser Herr aber zugleich auch, würde für private "Arbeitgeber" heißen, dass diesen Arbeitszeitverlängerungen in der Folge ebenfalls schwer fallen würden. Der Euroverlust, der sich daraus ergäbe, könnte ihn seine Karriere kosten - und den Stand seines Kontos reduzieren statt der Konten seiner "Arbeitnehmer".
Die Vereinbarungen, die diese Geheimbünde im Vorfeld hinter verschlossenen Türen absprechen, in Wohnzimmerkreisen, in Klubs oder eigens dafür vorgesehenen Kneipen, müssen natürlich eingehalten werden. Schließlich hätte diese 40-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst noch andere weitreichende Folgen. Die Gewerkschaften würden noch mehr entmachtet, für den Niedriglohnsektor würden die Tore noch weiter geöffnet, und man könnte endlich die längst geplanten Massenentlassungen vornehmen.
Gegen die Vergrößerung von Armut und Arbeitslosigkeit
Das wiederum hätte eine weitere Vergrößerung des Arbeitslosenheeres zur Folge - ohnehin ein Ziel der beiden so genannten Eliten. Millionen Menschen könnten für einen Euro zwangsverpflichtet werden, was bereits vom Kölner Bürgermeister Josef Müller vorgeschlagen wurde. Oder aber - auch dieser Vorschlag steht im öffentlichen Raum: man könnte sie meistbietend als Tagelöhner versteigern. Wobei das verdiente Geld dann aber keinesfalls in die Taschen der Arbeitenden, sondern in die Kassen der Kommunen, der Länder und am Ende auch der privaten "Arbeitgeber" fließen soll.
Für die Betroffenen soll Hartz IV ausreichen. Auch bei einer 48-Stunden-Woche. Das ergäbe einen Stundenlohn von ca. 2,72 Euro. Bei einem Rentenversicherungsbeitrag von 40 Euro monatlich. Wovon die Arbeitenden dann Fahrtkosten, notwendige Berufskleidung etc. bezahlen sollen, steht in den Sternen.
Eugène Delacroix: Die Freiheit führt das Volk
Foto: NRhZ-Archiv
Bleibt zu hoffen, dass die Streikenden stark bleiben - sonst heißt es: Gute Nacht, Deutschland! Besser: Schaut nach Frankreich! Dort lassen sich Studenten und andere junge Leute von dem angeblich Arbeitsplätze schaffenden Gesetz für Berufsanfänger nicht länger von Regierung und Medien zum Narren halten und beginnen - unterstützt von den Gewerkschaften - massiv Widerstand zu leisten. Die Erinnerung an 1789 und 1968 ist in unserem Nachbarland offenbar noch immer vorhanden.
Online-Flyer Nr. 35 vom 14.03.2006