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Inland
"Geostrategische Debatte“ anlässlich der Weltwirtschaftskrise
BND-Szenarien
Von Hans Georg
BND-Präsident Ernst Uhrlau: "Metamorphose
der Geopolitik"
NRhZ-Archiv
"Eine lang anhaltende globale Krise" könne derzeit nicht ausgeschlossen werden, urteilt der BND, der "Massenarbeitslosigkeit und Wanderungsbewegungen in einem bisher unbekannten Ausmaß" sowie stark eskalierenden Nationalismus und schwerste internationale Spannungen für diesen Fall einkalkuliert. Eine maßgebliche Frage sei, ob es gelinge, Russland an den Westen zu binden, oder ob Moskau zum chinesischen Gegner überlaufe, heißt es in dem Papier über die künftigen globalen Konfliktkonstellationen.
Das asiatische Jahrhundert
Die als "vertraulich" klassifizierte BND-Studie, die sich mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf das globale Mächtegefüge befasst, wird seit dem Frühjahr in Berliner Regierungskreisen diskutiert. Kernaussagen des Papiers werden nun in der Fachzeitschrift "Internationale Politik" referiert - wie es heißt, um "eine geostrategische Debatte in Deutschland anzufachen".[1] "Die Weltwirtschaftskrise", ist in der Vorbemerkung der Zeitschrift zu lesen, "beschleunigt den Anbruch des viel zitierten 'asiatischen Jahrhunderts'. Das globale Machtgleichgewicht verschiebt sich nach Osten."[2] Verschiedene Szenarien zu der Frage, wie diese Verschiebung vonstatten gehen werde, hat der BND in seiner Studie entwickelt. "Wir erleben möglicherweise eine Metamorphose der Geopolitik" [3], resümiert BND-Präsident Ernst Uhrlau die erwarteten folgenschweren Umbrüche im internationalen Staatensystem - unter Rückgriff auf traditionsreiches Vokabular: Erwägungen über "Geopolitik" begleiteten im letzten Jahrhundert die beiden deutschen Versuche, die Weltmacht zu erobern. Nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang außer Gebrauch, erleben sie seit den 1990er Jahren eine Renaissance.
Nach Osten verschoben
"Szenario eins" der BND-Studie geht "von einer Beruhigung der Lage an den Märkten und einer Rückkehr des Vertrauens in die Weltwirtschaft" aus.[4] Zwar könnten die Vereinigten Staaten in diesem Falle wohl ihre Vormachtstellung "noch eine Zeit" halten; doch werde dies "am steten Aufstieg Chinas" laut BND "nichts ändern". "Die Gewichte zwischen den großen Blöcken USA, EU und China" werden sich unvermeidlich "langsam nach Osten" verschieben, sagt der deutsche Auslandsnachrichtendienst voraus. "Szenario eins", mit dessen Eintreten die Autoren selbst nicht rechnen, umfasst wegen des Aufschwungs auch steigende Rohstoffpreise, die bedeutenden Rohstoffexporteuren wie Russland, den arabischen Staaten, Iran und Venezuela erweiterte politische Spielräume verschafften - "mit allen Vor- und Nachteilen", heißt es in dem Papier. Vor allem Venezuela und Russland könnten dies nutzen, um "politisch selbstbewusster aufzutreten", warnt der BND.
Das "China-Szenario"
"Szenario zwei" (das "China-Szenario") gestaltet sich nach Auffassung des BND "wesentlich unangenehmer". Demnach könnten die beispiellosen US-Billionenspritzen völlig verpuffen, es könnten, ausgelöst durch die berüchtigte US-Kreditkarten-Überschuldung, neue "Finanzblasen" platzen und die Wirtschaft noch weiter in den Abgrund reißen. Gelinge es China, seine technologische Aufholjagd trotz der Zusammenbrüche im Westen fortzusetzen, dann werde es "sehr schnell in Asien zur dominierenden Macht aufsteigen". Während die USA "ihren Aktionsradius schon aus Kostengründen schneller als geplant einschränken" müssten, könne Beijing auf Weltebene auftrumpfen. "Je stärker China und je schwächer die USA erscheinen", desto klarer dürften sich viele Staaten "politisch nach Osten ausrichten", fürchtet der BND. Als entscheidend gilt in diesem Fall die Frage, wohin sich Russland wenden wird. Der Auslandsnachrichtendienst hofft, Moskau werde sich nach Westen halten, "um einer Rolle als Juniorpartner des aufsteigenden China zu entgehen". Es sei aber auch denkbar, dass sich Russland "offensiv an Peking anlehne".[5] Dieser Fall beschäftigt die "Strategic Community" in Berlin schon länger; im letzten Jahr spekulierte die Bundesakademie für Sicherheitspolitik bereits offen über eine "drohende bewaffnete Auseinandersetzung" zwischen West (EU, USA) und Ost (China, Russland), wie german-foreign-policy.com berichtete [6].
Weltkriegspotenzial
Während die Geheimdienstler offiziell eine Entwicklung zwischen den Szenarien eins und zwei erwarten, wollen sie auch Tendenzen erkannt haben, die auf "Szenario drei" deuten. Es sagt "eine lang anhaltende globale Krise" voraus, die zu einer weitreichenden Renationalisierung der Weltwirtschaft führe. In der Tat sind die Ein- und Ausfuhren Deutschlands, Chinas und Japans in den vergangenen Monaten dramatisch eingebrochen. Dauere die Krise an, dann könne sich in den Rohstoffländern wegen ausbleibender Exporte "politische Instabilität" ausbreiten. Auch China sei in diesem Fall von "Massenarbeitslosigkeit und Wanderungsbewegungen in einem bisher unbekannten Ausmaß" bedroht. Der BND rechnet damit, dass China - wie überdies auch Russland - dazu übergehen könne, "mit nationalistischen Tönen" innere "Aggressionen nach außen zu lenken", eventuell sogar gegenüber dem Westen. "Es gehört wenig Fantasie dazu, sich die daraus folgenden Konflikte etwa mit den USA auszumalen", heißt es über das Weltkriegspotenzial von "Szenario drei".[7]
Stichwortgeber
Die drei BND-Szenarien verdeutlichen Grundlinien der Debatte, die in Berlin über die weltpolitischen Entwicklungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte geführt wird. Die wenigen Elemente der Studie, die der Öffentlichkeit mitgeteilt wurden, blenden Krisentendenzen innerhalb Deutschlands - auch hier wächst der Nationalismus [8] - ebenso aus wie das außenpolitische Aggressionspotenzial Berlins. Immerhin lässt der Initiator der Studie einiges über hierzulande zu erwartende Entwicklungen erkennen. Nicht einer von den etablierten Berliner Polit-Thinktanks oder eine der großen Stiftungen privater Konzerne haben der Bundesregierung die Studie über die zu erwartenden Verschiebungen im weltweiten Mächtegefüge vorgelegt, sondern der Auslandsgeheimdienst, dessen Einfluss in den letzten zehn Jahren ohnehin deutlich gewachsen ist, wie german-foreign-policy.com berichtete [9]. Als zentrale Stichwortgeber erweisen sich damit einmal mehr nicht das zivile Berliner Establishment, sondern Repressionsbehörden und Spionageapparate. (PK)
[1] Andreas Rinke: Metamorphose der Geopolitik; Internationale Politik, Juni 2009
[2] Die Neuvermessung der Welt; Internationale Politik, Juni 2009
[3] "Die Terrorgefahr steigt vor den Wahlen"; Handelsblatt 01.06.2009
[4], [5] Andreas Rinke: Metamorphose der Geopolitik; Internationale Politik, Juni 2009
[6] s. dazu Bär und Drache
[7] Andreas Rinke: Metamorphose der Geopolitik; Internationale Politik, Juni 2009
[8] s. dazu Nationale Antworten
[9] s. dazu Sicherheitspolitisch verzahnt und Lauschtechnik
Mehr unter http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57556
Online-Flyer Nr. 203 vom 24.06.2009
"Geostrategische Debatte“ anlässlich der Weltwirtschaftskrise
BND-Szenarien
Von Hans Georg
BND-Präsident Ernst Uhrlau: "Metamorphose
der Geopolitik"
NRhZ-Archiv
Das asiatische Jahrhundert
Die als "vertraulich" klassifizierte BND-Studie, die sich mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf das globale Mächtegefüge befasst, wird seit dem Frühjahr in Berliner Regierungskreisen diskutiert. Kernaussagen des Papiers werden nun in der Fachzeitschrift "Internationale Politik" referiert - wie es heißt, um "eine geostrategische Debatte in Deutschland anzufachen".[1] "Die Weltwirtschaftskrise", ist in der Vorbemerkung der Zeitschrift zu lesen, "beschleunigt den Anbruch des viel zitierten 'asiatischen Jahrhunderts'. Das globale Machtgleichgewicht verschiebt sich nach Osten."[2] Verschiedene Szenarien zu der Frage, wie diese Verschiebung vonstatten gehen werde, hat der BND in seiner Studie entwickelt. "Wir erleben möglicherweise eine Metamorphose der Geopolitik" [3], resümiert BND-Präsident Ernst Uhrlau die erwarteten folgenschweren Umbrüche im internationalen Staatensystem - unter Rückgriff auf traditionsreiches Vokabular: Erwägungen über "Geopolitik" begleiteten im letzten Jahrhundert die beiden deutschen Versuche, die Weltmacht zu erobern. Nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang außer Gebrauch, erleben sie seit den 1990er Jahren eine Renaissance.
Nach Osten verschoben
"Szenario eins" der BND-Studie geht "von einer Beruhigung der Lage an den Märkten und einer Rückkehr des Vertrauens in die Weltwirtschaft" aus.[4] Zwar könnten die Vereinigten Staaten in diesem Falle wohl ihre Vormachtstellung "noch eine Zeit" halten; doch werde dies "am steten Aufstieg Chinas" laut BND "nichts ändern". "Die Gewichte zwischen den großen Blöcken USA, EU und China" werden sich unvermeidlich "langsam nach Osten" verschieben, sagt der deutsche Auslandsnachrichtendienst voraus. "Szenario eins", mit dessen Eintreten die Autoren selbst nicht rechnen, umfasst wegen des Aufschwungs auch steigende Rohstoffpreise, die bedeutenden Rohstoffexporteuren wie Russland, den arabischen Staaten, Iran und Venezuela erweiterte politische Spielräume verschafften - "mit allen Vor- und Nachteilen", heißt es in dem Papier. Vor allem Venezuela und Russland könnten dies nutzen, um "politisch selbstbewusster aufzutreten", warnt der BND.
Das "China-Szenario"
"Szenario zwei" (das "China-Szenario") gestaltet sich nach Auffassung des BND "wesentlich unangenehmer". Demnach könnten die beispiellosen US-Billionenspritzen völlig verpuffen, es könnten, ausgelöst durch die berüchtigte US-Kreditkarten-Überschuldung, neue "Finanzblasen" platzen und die Wirtschaft noch weiter in den Abgrund reißen. Gelinge es China, seine technologische Aufholjagd trotz der Zusammenbrüche im Westen fortzusetzen, dann werde es "sehr schnell in Asien zur dominierenden Macht aufsteigen". Während die USA "ihren Aktionsradius schon aus Kostengründen schneller als geplant einschränken" müssten, könne Beijing auf Weltebene auftrumpfen. "Je stärker China und je schwächer die USA erscheinen", desto klarer dürften sich viele Staaten "politisch nach Osten ausrichten", fürchtet der BND. Als entscheidend gilt in diesem Fall die Frage, wohin sich Russland wenden wird. Der Auslandsnachrichtendienst hofft, Moskau werde sich nach Westen halten, "um einer Rolle als Juniorpartner des aufsteigenden China zu entgehen". Es sei aber auch denkbar, dass sich Russland "offensiv an Peking anlehne".[5] Dieser Fall beschäftigt die "Strategic Community" in Berlin schon länger; im letzten Jahr spekulierte die Bundesakademie für Sicherheitspolitik bereits offen über eine "drohende bewaffnete Auseinandersetzung" zwischen West (EU, USA) und Ost (China, Russland), wie german-foreign-policy.com berichtete [6].
Weltkriegspotenzial
Während die Geheimdienstler offiziell eine Entwicklung zwischen den Szenarien eins und zwei erwarten, wollen sie auch Tendenzen erkannt haben, die auf "Szenario drei" deuten. Es sagt "eine lang anhaltende globale Krise" voraus, die zu einer weitreichenden Renationalisierung der Weltwirtschaft führe. In der Tat sind die Ein- und Ausfuhren Deutschlands, Chinas und Japans in den vergangenen Monaten dramatisch eingebrochen. Dauere die Krise an, dann könne sich in den Rohstoffländern wegen ausbleibender Exporte "politische Instabilität" ausbreiten. Auch China sei in diesem Fall von "Massenarbeitslosigkeit und Wanderungsbewegungen in einem bisher unbekannten Ausmaß" bedroht. Der BND rechnet damit, dass China - wie überdies auch Russland - dazu übergehen könne, "mit nationalistischen Tönen" innere "Aggressionen nach außen zu lenken", eventuell sogar gegenüber dem Westen. "Es gehört wenig Fantasie dazu, sich die daraus folgenden Konflikte etwa mit den USA auszumalen", heißt es über das Weltkriegspotenzial von "Szenario drei".[7]
Stichwortgeber
Die drei BND-Szenarien verdeutlichen Grundlinien der Debatte, die in Berlin über die weltpolitischen Entwicklungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte geführt wird. Die wenigen Elemente der Studie, die der Öffentlichkeit mitgeteilt wurden, blenden Krisentendenzen innerhalb Deutschlands - auch hier wächst der Nationalismus [8] - ebenso aus wie das außenpolitische Aggressionspotenzial Berlins. Immerhin lässt der Initiator der Studie einiges über hierzulande zu erwartende Entwicklungen erkennen. Nicht einer von den etablierten Berliner Polit-Thinktanks oder eine der großen Stiftungen privater Konzerne haben der Bundesregierung die Studie über die zu erwartenden Verschiebungen im weltweiten Mächtegefüge vorgelegt, sondern der Auslandsgeheimdienst, dessen Einfluss in den letzten zehn Jahren ohnehin deutlich gewachsen ist, wie german-foreign-policy.com berichtete [9]. Als zentrale Stichwortgeber erweisen sich damit einmal mehr nicht das zivile Berliner Establishment, sondern Repressionsbehörden und Spionageapparate. (PK)
[1] Andreas Rinke: Metamorphose der Geopolitik; Internationale Politik, Juni 2009
[2] Die Neuvermessung der Welt; Internationale Politik, Juni 2009
[3] "Die Terrorgefahr steigt vor den Wahlen"; Handelsblatt 01.06.2009
[4], [5] Andreas Rinke: Metamorphose der Geopolitik; Internationale Politik, Juni 2009
[6] s. dazu Bär und Drache
[7] Andreas Rinke: Metamorphose der Geopolitik; Internationale Politik, Juni 2009
[8] s. dazu Nationale Antworten
[9] s. dazu Sicherheitspolitisch verzahnt und Lauschtechnik
Mehr unter http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57556
Online-Flyer Nr. 203 vom 24.06.2009