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Aktueller Online-Flyer vom 24. November 2024  

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Arbeit und Soziales
Wunderbar – alle haben es gewußt
Vom Versagen der Eliten
Von Heiner Flassbeck

Der Volkswirt Heiner Flassbeck ist ein exzellenter Kenner internationaler ökonomischer Zusammenhänge. Er fällt ein vernichtendes Urteil über neoliberale Eliten, den Casinokapitalismus und die gegenwärtige Krisenpolitik. Offensichtlich will niemand aus der Situation lernen, während der Normalbürger ständig die Zeche zahlen muss. Dieser Artikel erschien in einem jetzt veröffentlichen Buch, herausgegeben von Attac, mit dem Titel: ‘Kapitalismus am Ende?’. Die Redaktion.

Ist es nicht komisch? Wenn man ihren heutigen Worten lauscht, hat man den Eindruck, dass in Deutschland praktisch alle Wirtschaftssachverständigen und alle Wirtschaftspolitiker seit langer Zeit wussten, dass das mit den Finanzmärkten nicht gut gehen kann. Keiner, der sagt, da habe ich mich aber getäuscht, keiner der zugibt, vor ein paar Monaten noch fest an die Effizienz aller Märkte geglaubt zu haben, keiner der für die Privatisierung unserer Renten war, weil nur so auch einfache Menschen an den wunderbaren Gewinnen der Finanzmärkte beteiligt werden könnten, und keiner, der nicht dafür eingetreten wäre, die unsäglichen Heuschrecken aus Deutschland zu vertreiben, die Unternehmen mit hohen Schulden zu beladen, die Arbeitskräfte auszuquetschen und den Kram dann zu verschleudern.


Heiner Flassbeck: Großen Sprüchen nicht
glauben | Foto: H.-D. Hey
 Warum habe ich mich nur so allein gefühlt all die Jahre? Warum hat es einen Aufschrei in Deutschland und anderswo gegeben, als Oskar Lafontaine und Dominique Strauss-Kahn im Januar 1999 gemeinsam in Le Monde und in der ZEIT schrieben, »man müsse für mehr Transparenz sorgen und die Offenlegungsbestimmungen für Finanzinstitute verschärfen« (14. Januar 1999, S. 18)? Warum geiferten die deutschen Medien um die Wette, als ich 1998 vorschlug, genau solche Fälle von Währungsspekulation zu verhindern, die jetzt Island, Ungarn und anderen zum Verhängnis wurden? Warum wurde in Deutschland als Vaterlandsverräter geschmäht, der davon sprach, das marktwirtschaftliche und insbesondere das finanzielle System seien nicht stabil, sondern beide brauchten einen aktiven Staat, um überhaupt funktionieren zu können? Sogar der Sachverständigenrat, die ‚fünf Weisen’, die in 100 Jahren nicht darauf gekommen wären, von sich aus etwas über die Probleme an Finanzmärkten zu schreiben, haben diesmal ihr halbes Gutachten der Krise gewidmet.

Ruf nach dem Staat...

Jetzt, wo alles zusammenzubrechen droht, haben es alle schon immer gewusst. Jetzt greift vor allem in den Vereinigten Staaten der Staat hart und konsequent durch, verstaatlicht praktisch alle großen Banken – und alle jubeln. Man hat erkannt, dass der Markt sich nicht selber heilen kann. Das
System ist instabil. Nur ‚Vater Staat’ kann die Finanzkrise unter Kontrolle bekommen. Dabei waren gerade die USA, was den Glauben an die Finanzmärkte betrifft, immer hochgradig dogmatisch. Erst im Angesicht der Krise handeln sie nun so pragmatisch, wie es schon lange vorher erforderlich gewesen wäre. Vor der Krise dagegen glaubte man bedingungslos an die Kraft der Märkte. Frei nach dem Motto: Die kriegen das von allein hin, die funktionieren und regulieren sich quasi von selbst.

Seit Jahrzehnten weise ich darauf hin, dass das auch im Denken der Liberalen oder Neoliberalen selbst ein systematischer Fehler war: Der berühmte Liberale Friedrich August von Hayek hat die Überlegenheit des marktwirtschaftlichen Systems stets damit begründet, dass hier Millionen von Marktteilnehmern zusammentreffen, die alle über unterschiedliche und voneinander unabhängige Informationen verfügen, die der Markt dann in einen einheitlichen Preis für ein Gut verwandelt. Keine Regierung dieser Welt sei zu einer solchen Effizienz in der Lage.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


Was aber weder in den Wirtschaftswissenschaften noch in der Politik verstanden wurde: Die Kapitalmärkte funktionieren anders als der Handel mit Kartoffeln und Maschinen – wie wir angesichts der gegenwärtigen Finanzmarktkrise eindringlich erleben. Bei den »wirklich großen Spielen« um
Zinsen, Wechselkurse, Aktien, Immobilienpreise und Rohstoffe kommt eine Handvoll privilegierter Akteure zusammen, die alle überhaupt nicht mehr wissen, als der Staat weiß. Alle sind ferngesteuert von ein paar Informationen, die, für jeden zugänglich, permanent über die Bildschirme jagen und von allen Beteiligten in ähnlicher Weise gedeutet werden. Wenn also bestimmte Ereignisse eintreten wie beispielsweise eine Rohstoffpreishausse oder sich irgendwo Zinsdifferenzen zwischen Staaten auf tun, dann springen fast alle Spieler gleichzeitig auf diesen Zug und versuchen, sich eine goldene Nase zu verdienen. Das geht genau so lange gut, bis sie den Preis oder den Wechselkurs so weit weg von dem Wert getrieben haben, den die reale Welt, also die richtigen Menschen, zu verkraften in der Lage sind, bis es nicht mehr geht. Dann kollabiert das ganze Spielsystem, das meist nichts anderes ist als ein Kettenbriefsystem, bei dem jeder versucht, nicht der Letzte zu sein.

...wegen Unfähigkeit der Zocker...

Dieses Spiel im großen Kasino namens Finanzmarkt wird dadurch noch absurder und natürlich riskanter, dass die gierigen Finanzmarktzocker und ihre Banker die eigenen Gewinne dadurch in die Höhe jubeln, dass man den Großteil der Spekulation mit Schulden finanziert. Man leiht sich also zu dem Geld, das man ohnehin schon in der Tasche hat, noch viel mehr Geld dazu und investiert es in Anlagen, die eine etwas höhere Rendite erbringen als der Zins, den man den anderen Banken oder den braven Anlegern zahlt. Das ist der große Hebel, mit dem Banken, Hedgefonds und so genannte Private-Equity-Fonds (die Heuschrecken) die Rendite auf das Eigenkapital in ungeahnte Höhen treiben können, wenn sie nur genügend Kredit bekommen. Das Schlimme ist, dass niemand gesehen hat, dass hier Spiele gespielt werden, bei denen immer der eine nur gewinnen kann, was ein anderer verliert. Wären alle Spekulanten mit dem geliehenen Geld lediglich ins Spielkasino gegangen, wäre der Spuk schnell zu Ende gewesen, ja, man hätte ihnen gar kein Geld geliehen. Die Methode, die Renditen mit Schulden zu heben, funktioniert für das gesamte globale Finanzsystem nur dann eine Weile, wenn alle Spieler bestimmte Objekte fi nden, bei denen sie sich mit einer gewissen Plausibilität einreden können, sie würden hohe Renditen bei geringem Risiko bieten, weil die Preise für immer steigen oder der Wechselkurs immer in eine Richtung geht, weil die Zinsdifferenzen für immer bestehen bleiben.

So ein Objekt war der US-amerikanische Häusermarkt in den letzten zehn Jahren, so ein Objekt war auch Island, weil es scheinbar risikolos hohe Zinsen und eine starke Währung bot. In den 1920er Jahren übernahmen diese Rolle Aktien neu aufgekommener Konsumgüterhersteller und in den 1990er Jahren Aktien der Telekommunikation. Auch Unternehmen mit hohem Eigenkapitalanteil zu kaufen, ist neuerdings beliebt, weil man die Rendite allein dadurch hochjubeln kann, dass man Eigenkapital durch Schulden ersetzt. Letzteres tun so genannte Private-Equity-Firmen, also Unternehmen, die genau das Gegenteil dessen tun, was ihr Name sagt; sie vermindern nämlich systematisch das Eigenkapital, statt solches zur Verfügung zu stellen. Wo war bei dieser Spekulation gegen alle Grundsätze soliden Wirtschaftens die CDU, die in den 1980er Jahren fast kein anderes Thema kannte als die zu niedrige Eigenkapitalquote der deutschen Unternehmen? Wann hätte man aus dieser Ecke gehört, dass wenigstens die steuerliche Freistellung der Veräußerungsgewinne, die ein Herr Eichel umgesetzt hat, sofort wieder rückgängig gemacht werden muss? Das Geschäftsmodell mit den Schulden ist zwar primitiv, kann aber doch kurzfristig hoch profitabel sein. Unterstützer gibt es viele.

...und nichts dazu gelernt

Die ‚Wissenschaft’ hat über Jahre die ‚hohe Effizienz der Kapitalmärkte’ gelobt, die Politik ist wie bei der Rente vor den ‚Werteschaffern’ in den Banken und Versicherungen in die Knie gegangen und die Öffentlichkeit hat sich einreden lassen, wenn man nur spekuliert, bräuchte man eigentlich nicht mehr arbeiten, man würde mit dem schnellen Geschäft an den Finanzmärkten quasi ohne Risiko reich werden. Schließlich haben die Medien diese Kampagne in einer Weise mitgemacht, dass man den Verdacht haben muss, dass einige Spindoktoren daran gut verdient haben. Wie man der deutschen Öffentlichkeit gegen jede Vernunft weisgemacht hat, ihre Rente könnte wegen der Alterung nur mit dem großen Spiel an den Finanzmärkten sicher gemacht werden, war wahrlich genial. Dass auch öffentlich-rechtliche Sender dazu übergegangen sind, jeden Abend mehrfach vor, nach oder in den Nachrichten dümmliche Meldungen aus dem Kasino zu übertragen, spricht Bände. Und noch etwas geht in dem allgemeinen Krisenverständnis vollkommen unter: Deutschland und andere Länder haben mit ihrer Wirtschaftspolitik entscheidend dazu beigetragen, dass die US-amerikanische Hypothekenkrise weltweit streut und andere Länder in eine große Währungskrise geraten sind.
 
Deutschland ist so unmittelbar betroffen, weil es einer der größten Gläubiger auf der Welt ist. Es war mitnichten, wie die deutsche Kanzlerin so gern behauptet, die laxe Geldpolitik der US-amerikanischen Zentralbank, die den Spekulationswahn über den Atlantik getrieben hat. Es waren vielmehr die
deutschen Erfolge beim Gürtel-enger-Schnallen, die die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen und vieler anderer Wirtschaften unterhöhlt und zu den enormen Ungleichgewichten im internationalen Handel beigetragen haben. Nur dadurch sind weit mehr Gläubiger-Schuldner Beziehungen entstanden als jemals zuvor in der Wirtschaftsgeschichte. Nur wenn man selbst ein wichtiger Gläubiger ist, gerät man in Bedrängnis, wenn ein Schuldner über seine Verhältnisse lebt und das geliehene Geld verschleudert. Das ist die besondere Tragik der Geschichte: Der deutsche Normalbürger, der sich die Exporterfolge sozusagen am Mund abgespart hat und den man auch noch quasi zum Spekulieren durch ‚Riestern’ gezwungen hat, muss jetzt auch noch dafür einstehen, dass diejenigen, die seine dadurch entstandenen Ersparnisse unsolide angelegt und verzockt haben, gerettet werden. Haben wir etwas gelernt? Wann wird der erste Minister dieser Regierung eine Gesetzesvorlage vorlegen, die vorsieht, die kapitalgedeckte Rente sofort wieder einzustampfen und zu der guten alten, allein vom Staat und da mit der gesamten Gesellschaft gedeckten, Rente zurückzukehren? Bevor das nicht geschieht, sollte man die Sprüche von der großen Transparenz und von der Reregulierung der Finanzmärkte, die derzeit so wohlfeil sind, einfach nicht glauben. (HDH)

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Robert P. Brenner / Daniela Dahn /Friedhelm Hengsbach / Saskia Sassen u.a.

Kapitalismus am Ende?

Attac: Analysen und Alternativen
Titelgrafik: Jule Axmann/Attac
240 Seiten   (2009)
EUR 14.80   sFr 26.00
ISBN 978-3-89965-350-2


Kurztext: Finanzkrise, Energiekrise, Ressourcenkrieg, Klimawandel, globale Armut... Schafft der globalisierte Kapitalismus sich selbst ab? Ist der Kapitalismus am Ende? Oder ist am Ende alles Kapitalismus?

Online-Flyer Nr. 213  vom 02.09.2009



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