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Globales
Am 11. September vor 36 Jahren wurde eine ganze Demokratie weggebombt
Der CIA-Putsch in Chile
Von Wolfgang Effenberger

Mit Gedenkfeiern haben die USA am achten Jahrestag an die Anschläge vom 11. September 2001 erinnert. Doch weder Präsident Obama noch die üblichen Medien, die über seine Rede berichteten, verloren ein Wort darüber, dass an diesem Tag vor 36 Jahren in Chile eine ganze Demokratie weggebombt wurde. Der von US-Politikern und ihrem Geheimdienst CIA organisierte Putsch hatte weitaus mehr Menschenleben gefordert als die Explosionen in den Zwillingstürmen. – Die Redaktion.

Salvador Allende
Quelle: www.allende-haus.de/
Am 11. September 1973 griffen chilenische Militärs unter Führung von General Augusto Pinochet mit Bombern den Präsidentenpalast Moneda in Santiago de Chile an. Der 1970 frei und demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende verbrannte in den Trümmern. Unter den Bomben endete der Versuch, in dem lateinamerikanischen Staat ein System des demokratischen Sozialismus einzuführen. Mit amerikanischen Segen richtete General Pinochet eine Militär-Diktatur ein, die erst 1989 mit freien Wahlen enden sollte. In dieser Zeit wurden zwischen 5.000 und 30.000 politische Gegner ermordet sowie unzählige Menschen bedroht, gefangen genommen und gefoltert. Etwa 20.000 Chilenen verließen das Land, um den Nachstellungen des Regimes zu entgehen.
 
Der Putsch und die damit verbundene Machtergreifung Pinochets war das Ergebnis einer langen US-Kampagne zur politischen Manipulation und Destabilisierung Chiles. „Wir glaubten“, schreibt Kissinger in seinen Memoiren, „dass ein Sieg Allendes unsere Interessen in der westlichen Hemisphäre gefährden würde.“ Allende sollte verhindert werden, und so spielte die Johnson-Regierung schon bei den Wahlen 1964 Millionen Dollar in die Hände seiner Gegner, um den Wahlsieg des Christdemokraten Eduardo Frei über den sozialistischen Kandidaten Salvador Allende zu garantieren.
 
Finanziert wurden nicht nur Parteien, sondern auch die Bestechung von Abgeordneten und die Manipulation der Medien, wobei wichtig erscheinende Medien gleich aufgekauft wurden. In seinem Buch „Im Namen des Staates - CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste“ bringt der ehemalige SPD-Politiker Andreas von Bülow die Kampagne auf einen knappen Nenner: „Mit rund 7.000 gesteuerten Negativmeldungen und Karikaturen, verbunden mit einer negativen Orchestrierung auch der internationalen Medien, Fälschung von Dokumenten, Aufhetzung der Streitkräfte mit gefälschten Horrormeldungen, Bearbeitung der Gewerkschaften, Spaltung von Parteien: Kurzum, kein Mittel der Wahlbeeinflussung unter der Gürtellinie demokratischen Anstandes wurde außer acht gelassen.“ 
 

„Unsere Interessen gefährdet“ – 
Henry Kissinger
NRhZ-Archiv
Doch Allendes Popularität stieg weiter und 1970 galt er als Favorit für das Präsidentenamt. Nun wurde Chile für die Nixon-Regierung zum Problem und eine Figur auf dem Schachbrett des kalten Krieges. Eine von US-Botschafter Edward Korry empfohlene verdeckte CIA-Operation zur Vorbereitung eines präventiven Militärputsches wurde von Kissinger und CIA-Direktor Helms aus Zeitmangel durch den Krieg in Vietnam abgelehnt. Allende gewann die relative Mehrheit, nicht zuletzt auch wegen des reformistischen Wahlprogramms seiner Unidad Popular. Nun griffen die USA zu anderen Mitteln. Die Methode der verdeckten Operationen rechtfertigte Kissinger: „Zwischen der militärischen Operation und der offiziellen Diplomatie gibt es eine Grauzone, in der unsere Demokratie sich gezwungen sieht, mit feindlichen Gruppen in Konkurrenz zu treten“.
 
Die chilenische Verfassung sah die Vereidigung des gewählten Präsidenten innerhalb von 60 Tagen vor, was Nixon gern verhindern wollte. Seine politischen Überlegungen wurden vermutlich auch von privaten überlagert. Zu den US-Unternehmen, die unter einer Linksregierung starke Einbussen befürchteten, zählte neben ITT und der Chase Manhattan Bank auch der Pepsi-Cola-Konzern. Dessen Chef Donald Kendall war Nixons erster zahlungskräftiger Klient, als dieser nach seiner Wahlniederlage gegen John F. Kennedy 1960 vorübergehend aus der Politik ausgeschieden und in die New Yorker Anwaltskanzlei von John Mitchell - dem späteren US-Justizminister - eingetreten war.
 
Generalstabschef ermordet
 
Um Allendes Amtsantritt in letzter Minute zu verhindern, setzte die CIA auf die rechtsgerichtete Gruppierung “Patria y Libertad“ und stattete sie mit Waffen aus. Durch Unruhen, Entführung und Mord sollte ein Putsch provoziert werden. Man hatte nämlich in der Person des Generalstabschefs René Schneider ein Problem erkannt. Dieser verkörperte die Tradition der verfassungskonformen Nichteinmischung des Militärs. Also entschieden in Washington die Kämpfer für Freiheit, Demokratie und Recht seine Beseitigung mittels eines ihnen genial erscheinenden Planes. Rechtsextreme Offiziere sollten ihn entführen und die Tat Allendes Umfeld anlasten, um so dessen Bestätigung im Kongress zu verhindern. In der Nacht des 19. Oktober wurde erstmals versucht, General Schneider im Anschluss an ein offizielles Abendessen zu entführen. Das scheiterte - der General hatte den Heimweg in einem privaten PKW und nicht in seinem Dienstwagen angetreten. Dieser Misserfolg sorgte für Hektik in der CIA-Zentrale, die sofort ihre Agenten in Santiago ermächtigte, den gedungenen Generalen Roberto Viaux und Camilo Valenzuela noch am gleichen Tag weitere 50.000 Dollar für einen erneuten Entführungsversuch auszuzahlen. Nachdem auch der zweite Versuch gescheitert war, wurde CIA-Direktor Helms von Skepsis ergriffen: „Wir haben Kissinger klar zu machen versucht, dass die Erfolgsaussichten minimal waren. Der Doktor (Kissinger) wollte dennoch mit allen Mitteln weitermachen.“ Am 22. Oktober töteten die Verschwörer General Schneider. Doch die erhofften Folgen blieben nicht nur aus, sondern verkehrten sich ins Gegenteil. Anstatt in Panik auszubrechen solidarisierte sich die Bevölkerung mit Allende, der am 24. Oktober vereidigt wurde. Während Viaux und Valenzuela in Santiago vor ein Militärtribunal gestellt wurden, verlor Kissinger vorübergehend jegliches Interesse „an der Rettung Chiles“. Kein Schatten der gescheiterten Operation sollte auf ihn fallen. Verhängnisvolle Dokumente ließ er aus dem Amtsverkehr ziehen und eine ihm genehme Sicht der Vorgänge aktenkundig machen. Als Sündenbock durfte nun Ex-Botschafter Korry herhalten.
 
Putschvorbereitungen
 
Die Allende-Regierung versuchte in der Folgezeit die versprochenen Reformen umzusetzen. Mit einer Landreform sollte brachliegendes Land enteignet und umverteilt werden. Das traf die Interessen einer der mächtigsten Gruppen, der Großgrundbesitzer. Die Einkommen der unteren Bevölkerungsschichten wurden erhöht und die Schlüsselindustrien, unter anderem die eng mit US-Konzernen verwobenen Kupferhütten, verstaatlicht. Von einem Putschversuch wurden die USA vorerst durch ihr Engagement in Vietnam abgehalten, doch die Vorbereitungen liefen nach der Ermordung Schneiders weiter. Während ein von den USA gegen Chile verhängtes Embargo mit Hilfe der sozialistischen Staaten unterlaufen werden konnte, führten die Manipulation der Kupferpreise und die Streichung der Kredite durch die Weltbank und die Inter-American Bank zu einer ersten Krise. US-Unternehmen boykottierten die Ersatzteilversorgung des Landes, so dass langsam der öffentliche Verkehr zum Erliegen kam. Dann wurden die Lastwagenfahrer zum Generalstreik angestiftet. Aus den daraus resultierenden Engpässen in der Versorgung entwickelte sich Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung. In amerikanischen Supermärkten tauchten vergiftete Trauben aus chilenischen Anbaugebieten auf, was auch diesen Markt zusammenbrechen ließ. Die CIA ließ Bücher gegen Allende schreiben und finanzierte schließlich die "Operation Djakarta", einen Plan zur systematischen Ermordung der Führer von Allendes Volksfront-Regierung. Der Name erinnerte an den bis dahin blutigsten CIA-Erfolg, den Militärputsch von 1965 in Indonesien. Dort war es der CIA gelungen, die von ihr kontrollierte indonesische Armee gegen Präsident Sukarno in Stellung zu bringen. Als die linke “Volksfront“, die stärkste Stütze des Präsidenten, versuchte, die Armeeführung zu entmachten, kam es zum lange geplanten “Gegenschlag“. Hunderttausende Anhänger Sukarnos wurden ermordet. An die Stelle Sukarnos trat General Suharto, ein bedingungsloser Gefolgsmann Washingtons.
 
Pinochet beseitigt Allende
 
Drei Jahre dauerten die Sabotage- und Destabilisierungsaktivitäten in Chile, bis der Nachfolger des ermordeten General Schneider, General Ugarte Augusto Pinochet, den CIA-Putsch durchziehen konnte. Präsident Allende wurde ermordet, das Fußballstadion der Hauptstadt Santiago wurde zum Gefangenenlager für Zehntausende Anhänger des Präsidenten. Tausende Aktivisten linker Parteien und Gewerkschaften wurden von Todeskommandos gejagt und umgebracht. Am Tag vor dem Staatstreich hatte die CIA dem chilenischen Militär Listen mit den Namen von 3.000 hochrangigen und 20.000 mittleren Führern von Gewerkschaften, Studentengruppen, Mieterinitiativen, Bauernkomitees, Bürgerrechtsgruppen und linken politischen Parteien übergeben. Wer nicht aus dem Land fliehen konnte, wurde von den Todesschwadronen gejagt und in den meisten Fällen wohl auch ermordet. Den ehemaligen US-Außenminister Kissinger plagten wegen dieses Ergebnisses nie Zweifel: „Ich sehe nicht ein, dass wir zulassen sollten, dass ein Land marxistisch wird, nur weil die Bevölkerung unzurechnungsfähig ist.“
 
In die Enge geriet der 1923 in Fürth als Sohn einer später in die USA geflüchteten jüdischen Familie geborene Heinz Alfred Kissinger wegen seiner Verwicklung in Menschenrechtsverbrechen der lateinamerikanischen Militärdiktaturen erst als Präsident Bill Clinton nach langem Tauziehen im November 2000 wichtige Geheimakten freigab. Basierend auf diesen und anderen Unterlagen resümierte der britische Autor Christopher Hitchens mit Blick auf den “Komplex Schneider“, Kissinger könne zumindest „der direkten Komplizenschaft bei der Ermordung eines demokratischen Soldaten eines demokratischen, friedlichen Staates“ beschuldigt werden. Am 10. September 2001 erhob denn auch die Familie des 1970 erschossenen Armeechefs Schneider Klage gegen Kissinger vor dem US-Bundesgericht – ohne Erfolg. Auch den Friedensnobelpreis, den er 1973 anlässlich des US-Truppenabzugs aus Vietnam erhalten hatte, durfte er bis heute behalten. Und am 20. Juni 2009 ließ der Experte für Staatsstreiche in einem Gespräch mit der BBC verlauten, dass die USA in der aktuellen Situation zwar noch nicht im Iran eingreifen würden, sollte aber dort der Umsturz misslingen und eine Regierung auf "populärer Basis" nicht installiert werden können, dann "werden wir vielleicht beschließen, dass wir von Außen an einem Regimewechsel im Iran arbeiten müssen". Damit hatte man nach der Wiederwahl Ahmadineschads aber zunächst keinen Erfolg (Siehe NRhZ 206 http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14035
(PK)

Online-Flyer Nr. 214  vom 16.09.2009



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