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Arbeit und Soziales
„Wirtschaftsfrieden" auf Erden - und Gerechtigkeit im Himmelreich? - II
Christliche Gewerkschaften - ein aktueller Streifzug
Von Hans-Dieter Hey
Aufsehen in der Republik erregt eine Fernsehreportage im April 2008. „Das kriegen wir dann auch in 14 Tagen, drei Wochen, dann haben wir dann so was. Das ist dann also kein Problem“, äußerte damals vor versteckter Kamera ein Mitarbeiter des Deutschen Handels- und Industrieangestellten-Verbandes (DHV), der zum Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB) gehört. Gemeint war ein arbeitgeberfreundlicher Tarifvertrag eines verdeckt auftretenden Reporters, der „gegen eine indirekte finanzielle Unterstützung“ die Beschäftigten um ihre Nacht- und Sonntagszulagen oder das Weihnachts- und Urlaubsgeld bringen sollte. Die Beschäftigten hätten nach Auskunft der IG Metall dadurch monatlich bis zu 300 Euro weniger in der Tasche gehabt.
Aufgedeckt wurde die Räuberpistole durch eine Reportage von Report Mainz am 7.4.2008. Auch der Gewerkschaftsbeitrag von DHV-Mitgliedern sollte durch eine „Verantwortungszulage“ des Arbeitgebers „kompensiert“ werden. Der Verdacht, dass der Arbeitgeber eine Gewerkschaft finanziell unterstützte – genauer gesagt: Korruptionsverdacht – stand im Raum. Am 13. Juli 2008 gab es für den DHV eine weitere Klatsche – vom Bundesarbeitsgericht. Das hatte den „christlichen“ Tarifvertrag mit dem atheistischen Deutschen Roten Kreuz in Sachsen für ungültig erklärt, weil dafür die Tariffähigkeit fehlte.
Profitieren von der Schwäche der DGB-Gewerkschaften: Der CGB
Nach außen scheint sich die Evangelische Kirche, die mit ihren Organisationen selbst im Verdacht des Lohndumping steht (siehe unseren Beitrag „Arbeiten für Gotteslohn"), von christlichen Gewerkschaften abzugrenzen. In einer Pressemitteilung des epd vom 17. April 2009 äußert sie sich zur mangelnden Tariffähigkeit des DHV: „Die DHV gehört dem Christlichen Gewerkschaftsbund an, der aber in keiner Verbindung zu den Kirchen steht... Die DGB-Gewerkschaften werfen dem christlichen Gewerkschaftsbund seit Jahren vor, zulasten der Beschäftigten Tarifverträge zu Dumpinglöhnen abzuschließen. Immer wieder wird die Konkurrenz zwischen den DGB-Gewerkschaften und den christlichen Gewerkschaften vor Gerichten ausgefochten.“
Die katholische Kirche hat mit Abgrenzung weniger Probleme. Mit „Die müssen wieder mehr nach vorne“ überschrieb das Kölner Dom-Radio ein Interview mit CGM-Chef Detlef Lutz am 16. Oktober: „Wir basieren auf den Grundsätzen der Katholischen Soziallehre ebenso wie auf denen der Evangelischen Sozialethik. Insgesamt müsste beides eine größere Rolle spielen, um wirklich Antworten finden zu können für die aktuelle Krise.“ Ob arbeitgeberfreundliche Tarifverträge der richtige Weg sind, ist fraglich. Und zwar genau so, ob dies alles etwas mit christlicher Einstellung zu tun hat oder mit einer Klassenauseinandersetzung, die die christlichen Gewerkschaften verweigern.
Dumping-Tarifverträge
Seit 2006 gilt die Christliche Gewerkschaft CGM als Gewerkschaft im Christlichen Gewerkschaftsbund CGB mit ungefähr 3.000 Klein-Tarifverträgen. Unsicheren Schätzungen zufolge hat sie zwischen 28.000 und 280.000 Mitglieder. Deshalb bezieht sie ihre Tariffähigkeit auch nicht wegen der Mitgliederzahl, sondern weil sie zur Durchsetzung ihrer Forderungen – so das Bundesarbeitsgericht – „im nennenswerten Umfang Tarifverträge geschlossen hat.“ Dabei scheint der sich zwiespältig zu verhalten: „Auf der einen Seite beteiligen sie sich da, wo sie einige Mitglieder haben, an Betriebsrats- oder Personalratswahlen und bemühen sich, von IG Metall oder auch ver.di ausgehandelte Tarifabschlüsse per Anschlusstarifvertrag nachzuvollziehen. Auf der anderen Seite schließen die ‚Christlichen’ gerade in Bereichen, in denen sie praktisch keine Mitglieder haben, haufenweise arbeitgeberfreundliche Dumping-Tarifverträge ab“, lautet der Vorwurf der IG-Metall, der die christlichen Gewerkschaften ordentlich in die Grätsche fährt .
EU-Regelungen unterlaufen
Die Politik der Liberalisierung und Flexibilisierung hat es der CGZP ermöglicht, die auf europäischer Ebene vorgegebenen Regelungen „Equal Treatment“ (gleiche Wettbewerbsbedingungen) und „Equal Pay“ (gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit) zu unterlaufen. Die Regelungen sollten in Deutschland dann nicht gelten, wenn für die Branche ein Tarifvertrag vorlag. Der Rechtsanwalt und ehemalige Vorsitzende der IG Medien, Detlev Hensche: „Die CGZP wurde zeitgleich mit Einführung des equal payment und der tarifvertraglichen Abweichungsmöglichkeit gegründet. Die erste Satzung stammt vom 11.12.2002 und wurde unterschrieben von der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM), der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen (GÖD), der Christlichen Gewerkschaft Postservice und Telekommunikation (CGPT), der DHV - Die Berufsgewerkschaft e. V. im CGB und schließlich von dem Verband Deutscher Techniker (VDT).“
Freiheitliche Alternative - für wen?
Im Jahre 2003 – zum Inkrafttreten der Liberalisierung – wurde der erste Tarifvertrag mit der CGZP abgeschlossen. Ergebnis: Ein Einstiegslohn von 5,20 Euro. „Die Unternehmen erkannten schnell, dass es sich lohnte, solche Tarifverträge abzuschließen, weil sie so den im Gesetz formulierten Gleichbehandlungsgrundsatz aushebeln konnten. Inzwischen weist die Leiharbeit die höchste Tarifbindung aller Branchen in Deutschland auf. Die Ausnahme ist zur Regel geworden. Equal Pay und Equal Treatment dagegen, die konsequente Gleichbehandlung von Leiharbeitern im Betrieb, ist graue Theorie geblieben“, schreibt der mit dem ehemaligen Bundeskanzler nicht verwandte Autor Gerhard Schröder in seinem Buch „Fleißig, billig, schutzlos: Leiharbeiter in Deutschland“. Bis zu 800.000 Beschäftigte sind dem Hire und Fire der Leiharbeitsunternehmen ausgeliefert (siehe unseren Beitrag „Hire und Fire")
Lohnverfall Tür und Tor geöffnet
Mit dieser Entwicklung wurde dem Lohnverfall Tür und Tor geöffnet. Teilweise konkurrierten fünf (!) Arbeitgeberverbände um günstige Zeitarbeitstarife. Vor allem hat sich „der AMP (Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister) einen zweifelhaften Ruf erworben, weil er mit den christlichen Gewerkschaften Tarifverträge ausgehandelt hat, die das Niveau der konkurrierenden Abkommen, die die Arbeitgeberverbände iGZ und BZA mit dem DGB vereinbart haben, deutlich unterlaufen“, so Gerhard Schröder in seinem Buch.
CGM-Chef Detlef Lutz auf dem „Thementag" in Köln
CGM-Chef Detlef Lutz gesteht Fehler ein, die den Niedriglohn-Beschäftigten leider nicht helfen: „Wir müssen uns in einem Fall schuldig bekennen. Nach den sogenannten Hartz-IV-Gesetzen, als das Gesetz für ‚moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt‘, die Zeitarbeit, kam, haben wir die Situation falsch eingeschätzt und hier mit einigen Zeitarbeitsunternehmen Tarifverträge gemacht, von denen wir damals der Meinung waren, dass, wenn sie gekündigt werden, wirken sie nicht nach. Die sind gekündigt, wirken aber immer noch nach. Das sind Tarifverträge, die liegen um fünf Euro. Was das angeht, macht man uns diesen Vorwurf zu Recht.“
Inzwischen sind Tarife der Leiharbeitsbranche, die der DGB mit den Konkurrenzgewerkschaften BZA und iGZ verhandelt hatte, ausgelaufen. Verhandlungen finden derzeit nicht statt. Die Zahl der Klagen vor allem des DGB auf gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit hat deshalb deutlich zugenommen. DGB-Betriebsräte werden aufgefordert, im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes die Gleichbehandlung in der Bezahlung durchzusetzen, die Arbeitgebern ein Dorn im Auge sind. Sollte sich zudem noch die Tarifunfähigkeit der CGZP herausstellen, warnt Detlev Hensche schon jetzt vor den Folgen: „Man braucht nicht viel Phantasie, um sich die wirtschaftlichen Folgen der Unwirksamkeit der ‚Tarifverträge‘ der CGZP vor Augen zu führen. Zeitarbeitsunternehmen, die auf die Wirksamkeit der Tarifverträge der CGZP vertraut haben, würde infolge einer rechtskräftigen arbeitsgerichtlichen Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP mit erheblichen nachträglichen Lohnansprüchen ihrer Arbeitnehmer belastet.“
Politisch gefordert
Detlef Lutz von der Christlichen Gewerkschaft Metall zeigt noch in einem weiteren Fall Reue: “Es gibt noch einen zweiten Fall, bei dem noch eine Schwestergewerkschaft von uns, die Christliche Postgewerkschaft, mit der TNT einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, den ich nicht abgeschlossen hätte. Nachdem wir den Postmindestlohn alle unterzeichnet hatten, wurde dann noch mal ein Vertrag mit der TNT abgeschlossen der auf dem Niveau lag, das politisch gefordert war, nämlich 7,50 Euro in der niedrigsten Entgeltgruppe. Eine Last, die wir mit uns rumtragen.“ Politisch gefordert? Da stellt sich tatsächlich die Frage, wer Einfluss auf die Tarifgestaltung hat.
Doch das ist offenbar immer noch nicht die ganze Geschichte. Auch in anderen Tarifbereichen gräbt die CGM den DGB-Gewerkschaften das Wasser ab. Wolfgang Rasten, zweiter Tarifbevollmächtigter der IG-Metall Köln: „Im letzten Jahr hat sich der Landesinnungsverband des KFZ-Gewerbes in NRW als Tarifpartner der IG-Metall nach fast 50järiger Tarifpartnerschaft praktisch aufgelöst. Noch auf dem Totenbett haben sie einen Tarifvertrag mit der CGM gemacht. Die Wochenarbeitszeit wurde verlängert und andere tarifliche Ansprüche wurden verschlechtert.“
Rasten wirft der CGM bei ihrem Vorgehen Methode vor: „Die arbeiten immer so, dass sie fast alles abschreiben, was die IG-Metall vorher in Verhandlungen ausgehandelt hat. Und immer, wenn die Arbeitgeber mit der IG-Metall nicht mehr klarkommen wollen, schließen sie einen Billig-Tarif mit der CGM ab. Ob es das Schlosser-Handwerk ist, Elektro-Handwerk oder im Heiß- und Sanitärhandwerk. Die geben sich immer als Steigbügelhalter für schlechtere Tarifkonditionen her. Das geht immer in Urlaubsabsenkung oder Arbeitszeitverlängerung ohne Bezahlung.“
Vor allem im Osten breit gemacht
Unerhörte Chancen für christliche Gewerkschaften, die den DGB-Gewerkschaften die Nerven raubten, gab es wohl auch an anderer Stelle: „Nach dem Fall der Mauer“ - so Rasten - „haben sich die christlichen Gewerkschaften vor allem im Osten breit gemacht als willfähriger Tarifpartner der dortigen Arbeitgeberverbände. Entweder die Arbeitgeber schaffen sich eine eigene Gewerkschaft oder z.B. die CGM ist am Start.“ Und so hinkt – vor allem auch wegen der hohen Arbeitslosigkeit – der Osten nach 20 Jahren immer noch hinterher. Während man im Westen durchschnittlich 18,22 Euro die Stunde verdient, liegt der Lohn im Osten nur bei 13,51 Euro - trotz 42 Stunden Wochenarbeitszeit, wie das DIW kürzlich feststellte.
Nach dem Fall der Mauer zusammen ge-
wachsen, was nicht zusammen gehört
Fotos/Montage: gesichter zei(ch/g)en
Der Fall der Mauer, die geöffneten Märkte, der immer brutaler werdende Wettbewerb, die immer gnadenlosere Flexibilisierung um Mobilisierung der Beschäftigten und ein zunehmendes Lohn- und Tarifdumping haben mit dazu geführt, die christlichen und „gelben“ Gewerkschaften auf den Plan zu rufen. Es liegt auf der Hand, dass dahinter eine bestimmte Strategie der Arbeitgeber steckt. Diese Entwicklung ist selbst einigen Anhängern der CDU nicht ganz geheuer. Mit einiger Sorge betrachtet deren NRW-Landtagsfraktion Gefahren für die Tarifautonomie. In den „Petersberger Eckpunkten“ vom 9. September 2008 warnte sie vor Pseudogewerkschaften: „Zugleich treten ‚Scheingewerkschaften‘ auf, die ausschließlich oder weitgehend dem Gestaltungsinteresse der Arbeitgeber dienen“. Gleichzeitig forderte sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf, „sich Gewerkschaften anzuschließen, sowie die Arbeitgeber, Arbeitgeberverbänden beizutreten und sich der Tarifbindung nicht zu entziehen.“ Doch welche Gewerkschaften sie meint, hat die CDU nicht gesagt. (PK)
Online-Flyer Nr. 222 vom 04.11.2009
„Wirtschaftsfrieden" auf Erden - und Gerechtigkeit im Himmelreich? - II
Christliche Gewerkschaften - ein aktueller Streifzug
Von Hans-Dieter Hey
Aufsehen in der Republik erregt eine Fernsehreportage im April 2008. „Das kriegen wir dann auch in 14 Tagen, drei Wochen, dann haben wir dann so was. Das ist dann also kein Problem“, äußerte damals vor versteckter Kamera ein Mitarbeiter des Deutschen Handels- und Industrieangestellten-Verbandes (DHV), der zum Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB) gehört. Gemeint war ein arbeitgeberfreundlicher Tarifvertrag eines verdeckt auftretenden Reporters, der „gegen eine indirekte finanzielle Unterstützung“ die Beschäftigten um ihre Nacht- und Sonntagszulagen oder das Weihnachts- und Urlaubsgeld bringen sollte. Die Beschäftigten hätten nach Auskunft der IG Metall dadurch monatlich bis zu 300 Euro weniger in der Tasche gehabt.
Aufgedeckt wurde die Räuberpistole durch eine Reportage von Report Mainz am 7.4.2008. Auch der Gewerkschaftsbeitrag von DHV-Mitgliedern sollte durch eine „Verantwortungszulage“ des Arbeitgebers „kompensiert“ werden. Der Verdacht, dass der Arbeitgeber eine Gewerkschaft finanziell unterstützte – genauer gesagt: Korruptionsverdacht – stand im Raum. Am 13. Juli 2008 gab es für den DHV eine weitere Klatsche – vom Bundesarbeitsgericht. Das hatte den „christlichen“ Tarifvertrag mit dem atheistischen Deutschen Roten Kreuz in Sachsen für ungültig erklärt, weil dafür die Tariffähigkeit fehlte.
Profitieren von der Schwäche der DGB-Gewerkschaften: Der CGB
Nach außen scheint sich die Evangelische Kirche, die mit ihren Organisationen selbst im Verdacht des Lohndumping steht (siehe unseren Beitrag „Arbeiten für Gotteslohn"), von christlichen Gewerkschaften abzugrenzen. In einer Pressemitteilung des epd vom 17. April 2009 äußert sie sich zur mangelnden Tariffähigkeit des DHV: „Die DHV gehört dem Christlichen Gewerkschaftsbund an, der aber in keiner Verbindung zu den Kirchen steht... Die DGB-Gewerkschaften werfen dem christlichen Gewerkschaftsbund seit Jahren vor, zulasten der Beschäftigten Tarifverträge zu Dumpinglöhnen abzuschließen. Immer wieder wird die Konkurrenz zwischen den DGB-Gewerkschaften und den christlichen Gewerkschaften vor Gerichten ausgefochten.“
Die katholische Kirche hat mit Abgrenzung weniger Probleme. Mit „Die müssen wieder mehr nach vorne“ überschrieb das Kölner Dom-Radio ein Interview mit CGM-Chef Detlef Lutz am 16. Oktober: „Wir basieren auf den Grundsätzen der Katholischen Soziallehre ebenso wie auf denen der Evangelischen Sozialethik. Insgesamt müsste beides eine größere Rolle spielen, um wirklich Antworten finden zu können für die aktuelle Krise.“ Ob arbeitgeberfreundliche Tarifverträge der richtige Weg sind, ist fraglich. Und zwar genau so, ob dies alles etwas mit christlicher Einstellung zu tun hat oder mit einer Klassenauseinandersetzung, die die christlichen Gewerkschaften verweigern.
Dumping-Tarifverträge
Seit 2006 gilt die Christliche Gewerkschaft CGM als Gewerkschaft im Christlichen Gewerkschaftsbund CGB mit ungefähr 3.000 Klein-Tarifverträgen. Unsicheren Schätzungen zufolge hat sie zwischen 28.000 und 280.000 Mitglieder. Deshalb bezieht sie ihre Tariffähigkeit auch nicht wegen der Mitgliederzahl, sondern weil sie zur Durchsetzung ihrer Forderungen – so das Bundesarbeitsgericht – „im nennenswerten Umfang Tarifverträge geschlossen hat.“ Dabei scheint der sich zwiespältig zu verhalten: „Auf der einen Seite beteiligen sie sich da, wo sie einige Mitglieder haben, an Betriebsrats- oder Personalratswahlen und bemühen sich, von IG Metall oder auch ver.di ausgehandelte Tarifabschlüsse per Anschlusstarifvertrag nachzuvollziehen. Auf der anderen Seite schließen die ‚Christlichen’ gerade in Bereichen, in denen sie praktisch keine Mitglieder haben, haufenweise arbeitgeberfreundliche Dumping-Tarifverträge ab“, lautet der Vorwurf der IG-Metall, der die christlichen Gewerkschaften ordentlich in die Grätsche fährt .
EU-Regelungen unterlaufen
Die Politik der Liberalisierung und Flexibilisierung hat es der CGZP ermöglicht, die auf europäischer Ebene vorgegebenen Regelungen „Equal Treatment“ (gleiche Wettbewerbsbedingungen) und „Equal Pay“ (gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit) zu unterlaufen. Die Regelungen sollten in Deutschland dann nicht gelten, wenn für die Branche ein Tarifvertrag vorlag. Der Rechtsanwalt und ehemalige Vorsitzende der IG Medien, Detlev Hensche: „Die CGZP wurde zeitgleich mit Einführung des equal payment und der tarifvertraglichen Abweichungsmöglichkeit gegründet. Die erste Satzung stammt vom 11.12.2002 und wurde unterschrieben von der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM), der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen (GÖD), der Christlichen Gewerkschaft Postservice und Telekommunikation (CGPT), der DHV - Die Berufsgewerkschaft e. V. im CGB und schließlich von dem Verband Deutscher Techniker (VDT).“
Freiheitliche Alternative - für wen?
Im Jahre 2003 – zum Inkrafttreten der Liberalisierung – wurde der erste Tarifvertrag mit der CGZP abgeschlossen. Ergebnis: Ein Einstiegslohn von 5,20 Euro. „Die Unternehmen erkannten schnell, dass es sich lohnte, solche Tarifverträge abzuschließen, weil sie so den im Gesetz formulierten Gleichbehandlungsgrundsatz aushebeln konnten. Inzwischen weist die Leiharbeit die höchste Tarifbindung aller Branchen in Deutschland auf. Die Ausnahme ist zur Regel geworden. Equal Pay und Equal Treatment dagegen, die konsequente Gleichbehandlung von Leiharbeitern im Betrieb, ist graue Theorie geblieben“, schreibt der mit dem ehemaligen Bundeskanzler nicht verwandte Autor Gerhard Schröder in seinem Buch „Fleißig, billig, schutzlos: Leiharbeiter in Deutschland“. Bis zu 800.000 Beschäftigte sind dem Hire und Fire der Leiharbeitsunternehmen ausgeliefert (siehe unseren Beitrag „Hire und Fire")
Lohnverfall Tür und Tor geöffnet
Mit dieser Entwicklung wurde dem Lohnverfall Tür und Tor geöffnet. Teilweise konkurrierten fünf (!) Arbeitgeberverbände um günstige Zeitarbeitstarife. Vor allem hat sich „der AMP (Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister) einen zweifelhaften Ruf erworben, weil er mit den christlichen Gewerkschaften Tarifverträge ausgehandelt hat, die das Niveau der konkurrierenden Abkommen, die die Arbeitgeberverbände iGZ und BZA mit dem DGB vereinbart haben, deutlich unterlaufen“, so Gerhard Schröder in seinem Buch.
CGM-Chef Detlef Lutz auf dem „Thementag" in Köln
CGM-Chef Detlef Lutz gesteht Fehler ein, die den Niedriglohn-Beschäftigten leider nicht helfen: „Wir müssen uns in einem Fall schuldig bekennen. Nach den sogenannten Hartz-IV-Gesetzen, als das Gesetz für ‚moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt‘, die Zeitarbeit, kam, haben wir die Situation falsch eingeschätzt und hier mit einigen Zeitarbeitsunternehmen Tarifverträge gemacht, von denen wir damals der Meinung waren, dass, wenn sie gekündigt werden, wirken sie nicht nach. Die sind gekündigt, wirken aber immer noch nach. Das sind Tarifverträge, die liegen um fünf Euro. Was das angeht, macht man uns diesen Vorwurf zu Recht.“
Inzwischen sind Tarife der Leiharbeitsbranche, die der DGB mit den Konkurrenzgewerkschaften BZA und iGZ verhandelt hatte, ausgelaufen. Verhandlungen finden derzeit nicht statt. Die Zahl der Klagen vor allem des DGB auf gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit hat deshalb deutlich zugenommen. DGB-Betriebsräte werden aufgefordert, im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes die Gleichbehandlung in der Bezahlung durchzusetzen, die Arbeitgebern ein Dorn im Auge sind. Sollte sich zudem noch die Tarifunfähigkeit der CGZP herausstellen, warnt Detlev Hensche schon jetzt vor den Folgen: „Man braucht nicht viel Phantasie, um sich die wirtschaftlichen Folgen der Unwirksamkeit der ‚Tarifverträge‘ der CGZP vor Augen zu führen. Zeitarbeitsunternehmen, die auf die Wirksamkeit der Tarifverträge der CGZP vertraut haben, würde infolge einer rechtskräftigen arbeitsgerichtlichen Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP mit erheblichen nachträglichen Lohnansprüchen ihrer Arbeitnehmer belastet.“
Politisch gefordert
Detlef Lutz von der Christlichen Gewerkschaft Metall zeigt noch in einem weiteren Fall Reue: “Es gibt noch einen zweiten Fall, bei dem noch eine Schwestergewerkschaft von uns, die Christliche Postgewerkschaft, mit der TNT einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, den ich nicht abgeschlossen hätte. Nachdem wir den Postmindestlohn alle unterzeichnet hatten, wurde dann noch mal ein Vertrag mit der TNT abgeschlossen der auf dem Niveau lag, das politisch gefordert war, nämlich 7,50 Euro in der niedrigsten Entgeltgruppe. Eine Last, die wir mit uns rumtragen.“ Politisch gefordert? Da stellt sich tatsächlich die Frage, wer Einfluss auf die Tarifgestaltung hat.
Doch das ist offenbar immer noch nicht die ganze Geschichte. Auch in anderen Tarifbereichen gräbt die CGM den DGB-Gewerkschaften das Wasser ab. Wolfgang Rasten, zweiter Tarifbevollmächtigter der IG-Metall Köln: „Im letzten Jahr hat sich der Landesinnungsverband des KFZ-Gewerbes in NRW als Tarifpartner der IG-Metall nach fast 50järiger Tarifpartnerschaft praktisch aufgelöst. Noch auf dem Totenbett haben sie einen Tarifvertrag mit der CGM gemacht. Die Wochenarbeitszeit wurde verlängert und andere tarifliche Ansprüche wurden verschlechtert.“
Rasten wirft der CGM bei ihrem Vorgehen Methode vor: „Die arbeiten immer so, dass sie fast alles abschreiben, was die IG-Metall vorher in Verhandlungen ausgehandelt hat. Und immer, wenn die Arbeitgeber mit der IG-Metall nicht mehr klarkommen wollen, schließen sie einen Billig-Tarif mit der CGM ab. Ob es das Schlosser-Handwerk ist, Elektro-Handwerk oder im Heiß- und Sanitärhandwerk. Die geben sich immer als Steigbügelhalter für schlechtere Tarifkonditionen her. Das geht immer in Urlaubsabsenkung oder Arbeitszeitverlängerung ohne Bezahlung.“
Vor allem im Osten breit gemacht
Unerhörte Chancen für christliche Gewerkschaften, die den DGB-Gewerkschaften die Nerven raubten, gab es wohl auch an anderer Stelle: „Nach dem Fall der Mauer“ - so Rasten - „haben sich die christlichen Gewerkschaften vor allem im Osten breit gemacht als willfähriger Tarifpartner der dortigen Arbeitgeberverbände. Entweder die Arbeitgeber schaffen sich eine eigene Gewerkschaft oder z.B. die CGM ist am Start.“ Und so hinkt – vor allem auch wegen der hohen Arbeitslosigkeit – der Osten nach 20 Jahren immer noch hinterher. Während man im Westen durchschnittlich 18,22 Euro die Stunde verdient, liegt der Lohn im Osten nur bei 13,51 Euro - trotz 42 Stunden Wochenarbeitszeit, wie das DIW kürzlich feststellte.
Nach dem Fall der Mauer zusammen ge-
wachsen, was nicht zusammen gehört
Fotos/Montage: gesichter zei(ch/g)en
Online-Flyer Nr. 222 vom 04.11.2009