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Inland
Ihr Auftrag: Friedenssicherung durch Abschreckung, notfalls Verteidigung
Die Bundeswehrmacht
Von Jürgen Rose
Ursprünglich zu Füßen der Gnadenmutter
im Eifelkloster Himmerod Friedenssicherung
geplant?
Quelle: www.abtei-himmerod.de/
Zugleich fanden die GBU-38-Bomben mit chirurgischer Präzision ihr Ziel – lasergesteuert aus dem Cockpit zweier satellitengestützt navigierender Hochleistungskampfflugzeuge, deren Besatzungen von Fliegerleitoffizieren geführt wurden, die weitab vom Geschehen in der aseptischen Atmosphäre klimatisierter Gefechtsstände an ihren Digitalfunkgeräten und Computermonitoren saßen. Spätestens mit jenem Bombenmassaker waren die Söhne und Enkel, die heutzutage in den Streitkräften der demokratischen Bundesrepublik Deutschland dienen, auf ihrem langen Marsch vom Eifelkloster Himmerod zum Hindukusch dort angekommen, wo ihre Väter und Großväter, welche die Uniform der Großdeutschen Wehrmacht des Dritten Reiches trugen, dereinst aufgehört hatten: nämlich mitten im Krieg.
Was würde Konrad Adenauer heute
Angela Merkel zu Afghanistan sagen?
Quelle: www.auswaertiges-amt.de
Dabei hatten jene Gründungsväter der Bundeswehr, die sich auf Geheiß Konrad Adenauers im Eifelkloster Himmerod einfanden, um die neuen deutschen Streitkräfte zu konzipieren, das genaue Gegenteil im Sinn gehabt. Konstitutiv für den Auftrag der Bundeswehr nämlich sollte die Friedenssicherung durch Abschreckung und, notfalls, Verteidigung sein. Insbesondere Wolf Graf von Baudissin, der Spiritus Rector der Inneren Führung mit ihrem Leitbild vom „Staatsbürger in Uniform“, wollte die zukünftigen Vaterlandsverteidiger vor allem als „Soldaten für den Frieden“ verstanden wissen.
Mandat: Zivil-militärische Zusammenarbeit
Auch als vor mittlerweile neun Jahren der Bundeswehreinsatz im fernen Afghanistan begonnen wurde, sollte dieser jener Maxime folgen und laut Gerhard Schröder eben kein „militärisches Abenteuer“ sein. Politik, Öffentlichkeit und Streitkräfte waren sich damals einig, daß im Rahmen jener „International Security Assistance Force“ (ISAF), die der UN-Sicherheitsrat im Dezember 2001 mandatiert hatte, lediglich „zivil-militärische Zusammenarbeit“, Brunnenbohren, Schul- und Brückenbau unter der Obhut internationaler Schutztruppen, ein bißchen bewaffnete Entwicklungshilfe sozusagen, gefragt sei. Dementsprechend blieb die deutsche Militärmission anfänglich sowohl quantitativ als auch qualitativ sehr limitiert. Lediglich bis zu 1.200 Bundeswehrsoldaten wurden in die Hauptstadt Kabul und deren Umgebung entsandt. Deren Vorgehensweise gestaltete sich eher defensiv, reaktiv, stabilisierend – eben ganz im Sinne des postmodernen Verständnisses vom Soldaten, dessen Auftrag „Schützen, Helfen, Retten“ lautet. Trotz vereinzelten Gegrummels vor allem aus Kreisen konservativer Heeresoffiziere, die immer schon den „Ernstfall Krieg“ propagiert hatten, stieß die Rollenvorstellung von der Bundeswehr als eines „bewaffneten THW“ auch in der Truppe weithin auf Sympathie.
Wandel des offiziellen Einsatzprofils
Erste Risse bekam diese vor allem seitens der politischen Entscheidungsträger inbrünstig gepflegte (Auto-)Suggestion, als die ersten Bundeswehrangehörigen verwundet, verstümmelt, traumatisiert oder gar tot in ihre Heimat zurückkehrten. Aber auch die stetig steigende Zahl ziviler Opfer des eskalierenden Konflikts sorgte für immer nachhaltigere Irritationen. Überraschen konnte dies keineswegs, hatte doch die NATO mit dem Segen des UN-Sicherheitsrats ihre zunächst auf Kabul und Umgebung beschränkte ISAF-Mission bis Oktober 2006 auf das gesamte Land ausgeweitet. Zugleich wurden deutsche Soldaten immer zahlreicher auf den Konfliktschauplatz entsandt – momentan liegt die Mandatsobergrenze bei 4.500. Mit der Expansion des Besatzungsregimes einher ging der Wandel des Einsatzprofils der ISAF hin zu immer offensiveren und kriegerischen Taktiken, die vornehmlich darauf abzielen, den afghanischen Widerstand zu bekämpfen und zu vernichten.
Selbst- und Wählertäuschung
Dessen ungeachtet beschied noch im Juli 2008 der seinerzeit amtierende Verteidigungsminister Franz Josef Jung eine kritische Reporterfrage mit den Worten: „Ich will Ihnen eindeutig widersprechen, daß in Afghanistan Krieg ist – es ist dort eine andere Situation.“ Argumentative Schützenhilfe leistete ihm die damalige Verteidigungsausschußvorsitzende Ulrike Merten von der SPD. Die gab zu Protokoll: „Es ist ganz eindeutig, daß wir in Afghanistan nicht nach Kriegsrecht operieren, es ist kein Krieg, in dem wir dort handeln.“
Während sich die Politik so in Selbst- und Wählertäuschung übte, pflegte das Militär diesbezüglich längst eine deutlichere Sprache. „Auch wenn wir irgendwann sagen können, die Schlachten in Afghanistan oder woanders sind beendet, wird der Kampf gegen den Terrorismus ewig weiter gehen. ... Wir sind stark genug, ... und ... werden den Krieg gegen diesen Feind gewinnen“, hatte Heeresinspekteur Budde schon im Dezember 2006 bekannt. Mochte sich auch in der Halluzination vom Endsieg im ewigen Krieg sprachlogischer Schwachsinn manifestieren, so traf der Verweis auf die kriegerische Realität den Nagel auf den Kopf. Zugleich spiegelte sich in solchen Sentenzen die ganz allmählich, quasi salamischeibchenweise erfolgte Transformation der Bundeswehr von einer Armee für den Frieden zu einer Truppe für den Krieg.
Unter Obama rhetorische Frontbegradigung
Mit der von US-Präsident Obama betriebenen Eskalation des Krieges am Hindukusch wurde auch hierzulande der Ton immer martialischer. „Die bisherige Taktik war hit and run, schießen und wegrennen. Das ist jetzt etwas anders“, ließ der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, im Mai 2009 anläßlich der von der Bundeswehr geführten Offensiven im Raum Kunduz verlauten, bei denen erstmals schwere Waffen in Gestalt von Schützenpanzern Marder und 120 mm-Mörsern eingesetzt wurden. Sein Verteidigungsminister gab derweil markig zu Protokoll: „Jeder, der unsere Soldaten und die unserer Alliierten in Afghanistan angreift, muß wissen, daß er bekämpft und zur Verantwortung gezogen wird.“ Flankiert wurde solch bellizistische Prosa aus deutschem Munde vom Nationalen Sicherheitsberater der USA, James Jones, der anläßlich mehrerer mörderischer US-Luftangriffe auf afghanische Dörfer kommentierte, man könne von den USA nicht erwarten, daß sie mit einer auf den Rücken gebundenen Hand kämpfen würden.
Offenbar stießen in den Reihen der westlichen Verbündeten solche Parolen von jenseits des Atlantiks durchaus auf Widerhall. Denn nach dem Bombenmassaker von Kunduz postulierte Theo Sommer, ehemaliger Leiter des Planungsstabes unter Verteidigungsminister Helmut Schmidt und Edelfeder der ZEIT, prompt: „Wer will, daß die Bundeswehr in Afghanistan bleibt, darf ihr nicht einen Arm auf dem Rücken festbinden.“ Angesichts dessen sah sich Jungs Amtsnachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg schlußendlich zur rhetorischen Frontbegradigung genötigt: In Teilen Afghanistans herrschten „fraglos kriegsähnliche Zustände“ und, so Deutschlands neuer Kriegsminister, er könne jeden Soldaten verstehen, „der sagt: In Afghanistan ist Krieg.“ Völkerrechtlich präzise auf den Punkt brachte Jurist Guttenberg den Sachverhalt mit seiner Verlautbarung, „daß es sich in Teilen Afghanistans um einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt handelt.“
Zur gefügigen Truppe für den Krieg mutiert
Damit hat die von mehreren Bundesregierungen über Jahre geübte Praxis der Realitätsverleugnung ihr Ende gefunden. Zweifellos herrscht Krieg am Hindukusch und ebenso unverkennbar ist die Bundeswehr von einer Armee für den Frieden zur gefügigen Truppe für den Krieg mutiert. Die Ernennung eines kriegserfahrenen Offiziers zum neuen Generalinspekteur der Bundeswehr, dessen Karriere wesentlich durch herausragende Verwendungen im Rahmen von NATO-Operationen auf dem Balkan und in Afghanistan, zuletzt als Chef des Stabes im ISAF-Hauptquartier in Kabul, geprägt ist, mag da nicht mehr verwundern.
Dabei verweisen selbst konservative und extrem NATO-loyale Analysten, wie der in der Wolle gefärbte Atlantiker Lothar Rühl darauf, daß es keinerlei militärische Siegesaussichten gibt und daß folglich „der strategische Rückzug der internationalen Truppen aus Afghanistan in den nächsten Jahren unvermeidlich ist.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. Januar 2010). Ausgangspunkt für einen Friedensschluß oder wenigstens einen unbefristeten Waffenstillstand sind drei historisch-empirisch fundierte Erkenntnisse. „Erstens muß man Frieden mit seinen Feinden schließen. Zweitens muß man zwischen diesen unterscheiden, um keine Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen und die eigenen Kräfte nicht zu verzetteln.“ Und drittens schließlich gilt, daß man „sich mit dem Hauptfeind einigen muß, wenn es nicht gelungen ist ihn niederzuwerfen und kriegsunfähig zu machen“, ein Sieg also nicht erreichbar ist. In den seit dem Einfall in Zentralasien vergangenen acht Jahren sind indes die Erfolgsaussichten für einen solchen militärischen Erfolg nicht etwa besser geworden, sondern kontinuierlich gesunken.
Wende zum Guten durch Afghanistan-Konferenz?
Neben dem bereits erfolgten Strategiewechsel im Hinblick auf die drastisch heruntergeschraubte Zielsetzung des internationalen Engagements, die statt hochtrabender Nation-Building-Ambitionen nurmehr darauf gerichtet ist, die Voraussetzungen für einen gesichtswahrenden Rückzug zu schaffen, gilt es Abschied zu nehmen von hysterischen Bedrohungsvorstellungen über die „radikalislamischen Terrorkrieger“ am Hindukusch. Diesbezüglich muß differenziert werden zwischen autochthonen aufständischen Kämpfern gegen die bis ins Mark korrupte, hochgradig kriminelle Zentralregierung in Kabul und deren Ableger in den Provinzen einerseits und den arabischen Terroristen der Al Qaida. „Auch kann nicht wie bisher einfach vorausgesetzt werden, daß die verschiedenen Taliban und sonstigen Aufständischen für eine Rückkehr von Al Qaida nach Afghanistan kämpfen oder diese auch nur wollten. … Die schematische Gleichsetzung von Afghanistan, Al Qaida, Taliban und Terror ist weder für die Politik im Orient noch für die Strategie in Südwestasien nützlich.“
Da aufgrund der Disparität des afghanischen Widerstandes ein kompetenter und zuverlässiger Partner für Waffenstillstands- oder Friedensverhandlungen nicht verfügbar ist, bleibt der NATO nach Auffassung Rühls im Grunde nur eine einzige realistische Option, um sich aus dem desaströsen Schlamassel am Hindukusch herauszuwinden. Diese basiert auf drei Elementen: „Erstens: Abstützung auf Kräfte mit regionaler Autonomie in einer lockeren Konföderation Afghanistan, verbunden mit der Unterstützung regionaler Milizen. Zweitens: Verzicht auf großangelegte Operationen, deren Erfolg die Aufständischen nur nach Westpakistan drängen und dort die Sicherheit weiter schwächen, das Risiko für den Staat Pakistan weiter erhöhen würde; dies gilt ebenso für die Fortsetzung der Luftangriffe in Pakistan. Drittens: Fortsetzung des Aufbaus der afghanischen Sicherheitskräfte mit Schwerpunkt auf regionalen, möglichst ethnisch homogenen Organisationen.“
Betrachtet man die neue Afghanistan-Strategie, die Kanzlerin Merkel nun mit Verve präsentiert hat, sowie die auf der Londoner Afghanistan-Konferenz gefaßten Beschlüsse, so spricht eher wenig dafür, daß am Hindukusch nunmehr die große Wende zum Guten bevorsteht. Erstens läßt der in Oslo gekürte Friedensfürst Obama die feigen und verheerenden US-Drohnenangriffe auf Pakistan mit gesteigerter Intensität fortführen. Zweitens bedeuten die vollmundigen Zusagen für mehr finanzielle Hilfen für den zivilen Aufbau noch längst nicht, daß die Mittel auch wirklich fließen werden oder überhaupt in sinnvolle und erfolgversprechende Entwicklungsprojekte investiert werden können, solange die westlichen Besatzungsmächte unbeirrt ihren unsinnigen „Krieg gegen den Terror“ weiterführen. Im Übrigen wird auch durch die jüngsten Entscheidungen die extreme Schieflage zwischen dem Ressourcenaufwand für den militärischen und den zivilen Sektor nicht durchgreifend korrigiert.
Das Menetekel von Saigon
Und schließlich sollte ein Blick zurück in die Geschichte alle strategischen Schönfärber Lügen strafen. Denn schon Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist in Südvietnam grundlegend mißlungen, was nun erneut am Hindukusch versucht werden soll. Die Ausbildung von kampfkräftigen und vor allem auch zum Kampf motivierten einheimischen Streitkräften durch ausländische Militärinstrukteure unter den Bedingungen des Krieges ist dortzulande ebenso kläglich gescheitert wie das parallel dazu betriebene Nation Building á la USA. Das Menetekel von Saigon sollte nicht nur dem „Bürgermeister von Kabul“, sondern auch allen siegerpichten Militärschranzen eine eindringliche Warnung sein. (PK)
Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a. D. und als nunmehr freier Staatsbürger ohne Uniform nicht mehr gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen vertritt.
Online-Flyer Nr. 235 vom 03.02.2010
Ihr Auftrag: Friedenssicherung durch Abschreckung, notfalls Verteidigung
Die Bundeswehrmacht
Von Jürgen Rose
Ursprünglich zu Füßen der Gnadenmutter
im Eifelkloster Himmerod Friedenssicherung
geplant?
Quelle: www.abtei-himmerod.de/
Was würde Konrad Adenauer heute
Angela Merkel zu Afghanistan sagen?
Quelle: www.auswaertiges-amt.de
Mandat: Zivil-militärische Zusammenarbeit
Auch als vor mittlerweile neun Jahren der Bundeswehreinsatz im fernen Afghanistan begonnen wurde, sollte dieser jener Maxime folgen und laut Gerhard Schröder eben kein „militärisches Abenteuer“ sein. Politik, Öffentlichkeit und Streitkräfte waren sich damals einig, daß im Rahmen jener „International Security Assistance Force“ (ISAF), die der UN-Sicherheitsrat im Dezember 2001 mandatiert hatte, lediglich „zivil-militärische Zusammenarbeit“, Brunnenbohren, Schul- und Brückenbau unter der Obhut internationaler Schutztruppen, ein bißchen bewaffnete Entwicklungshilfe sozusagen, gefragt sei. Dementsprechend blieb die deutsche Militärmission anfänglich sowohl quantitativ als auch qualitativ sehr limitiert. Lediglich bis zu 1.200 Bundeswehrsoldaten wurden in die Hauptstadt Kabul und deren Umgebung entsandt. Deren Vorgehensweise gestaltete sich eher defensiv, reaktiv, stabilisierend – eben ganz im Sinne des postmodernen Verständnisses vom Soldaten, dessen Auftrag „Schützen, Helfen, Retten“ lautet. Trotz vereinzelten Gegrummels vor allem aus Kreisen konservativer Heeresoffiziere, die immer schon den „Ernstfall Krieg“ propagiert hatten, stieß die Rollenvorstellung von der Bundeswehr als eines „bewaffneten THW“ auch in der Truppe weithin auf Sympathie.
Wandel des offiziellen Einsatzprofils
Erste Risse bekam diese vor allem seitens der politischen Entscheidungsträger inbrünstig gepflegte (Auto-)Suggestion, als die ersten Bundeswehrangehörigen verwundet, verstümmelt, traumatisiert oder gar tot in ihre Heimat zurückkehrten. Aber auch die stetig steigende Zahl ziviler Opfer des eskalierenden Konflikts sorgte für immer nachhaltigere Irritationen. Überraschen konnte dies keineswegs, hatte doch die NATO mit dem Segen des UN-Sicherheitsrats ihre zunächst auf Kabul und Umgebung beschränkte ISAF-Mission bis Oktober 2006 auf das gesamte Land ausgeweitet. Zugleich wurden deutsche Soldaten immer zahlreicher auf den Konfliktschauplatz entsandt – momentan liegt die Mandatsobergrenze bei 4.500. Mit der Expansion des Besatzungsregimes einher ging der Wandel des Einsatzprofils der ISAF hin zu immer offensiveren und kriegerischen Taktiken, die vornehmlich darauf abzielen, den afghanischen Widerstand zu bekämpfen und zu vernichten.
Selbst- und Wählertäuschung
Dessen ungeachtet beschied noch im Juli 2008 der seinerzeit amtierende Verteidigungsminister Franz Josef Jung eine kritische Reporterfrage mit den Worten: „Ich will Ihnen eindeutig widersprechen, daß in Afghanistan Krieg ist – es ist dort eine andere Situation.“ Argumentative Schützenhilfe leistete ihm die damalige Verteidigungsausschußvorsitzende Ulrike Merten von der SPD. Die gab zu Protokoll: „Es ist ganz eindeutig, daß wir in Afghanistan nicht nach Kriegsrecht operieren, es ist kein Krieg, in dem wir dort handeln.“
Während sich die Politik so in Selbst- und Wählertäuschung übte, pflegte das Militär diesbezüglich längst eine deutlichere Sprache. „Auch wenn wir irgendwann sagen können, die Schlachten in Afghanistan oder woanders sind beendet, wird der Kampf gegen den Terrorismus ewig weiter gehen. ... Wir sind stark genug, ... und ... werden den Krieg gegen diesen Feind gewinnen“, hatte Heeresinspekteur Budde schon im Dezember 2006 bekannt. Mochte sich auch in der Halluzination vom Endsieg im ewigen Krieg sprachlogischer Schwachsinn manifestieren, so traf der Verweis auf die kriegerische Realität den Nagel auf den Kopf. Zugleich spiegelte sich in solchen Sentenzen die ganz allmählich, quasi salamischeibchenweise erfolgte Transformation der Bundeswehr von einer Armee für den Frieden zu einer Truppe für den Krieg.
Unter Obama rhetorische Frontbegradigung
Mit der von US-Präsident Obama betriebenen Eskalation des Krieges am Hindukusch wurde auch hierzulande der Ton immer martialischer. „Die bisherige Taktik war hit and run, schießen und wegrennen. Das ist jetzt etwas anders“, ließ der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, im Mai 2009 anläßlich der von der Bundeswehr geführten Offensiven im Raum Kunduz verlauten, bei denen erstmals schwere Waffen in Gestalt von Schützenpanzern Marder und 120 mm-Mörsern eingesetzt wurden. Sein Verteidigungsminister gab derweil markig zu Protokoll: „Jeder, der unsere Soldaten und die unserer Alliierten in Afghanistan angreift, muß wissen, daß er bekämpft und zur Verantwortung gezogen wird.“ Flankiert wurde solch bellizistische Prosa aus deutschem Munde vom Nationalen Sicherheitsberater der USA, James Jones, der anläßlich mehrerer mörderischer US-Luftangriffe auf afghanische Dörfer kommentierte, man könne von den USA nicht erwarten, daß sie mit einer auf den Rücken gebundenen Hand kämpfen würden.
Offenbar stießen in den Reihen der westlichen Verbündeten solche Parolen von jenseits des Atlantiks durchaus auf Widerhall. Denn nach dem Bombenmassaker von Kunduz postulierte Theo Sommer, ehemaliger Leiter des Planungsstabes unter Verteidigungsminister Helmut Schmidt und Edelfeder der ZEIT, prompt: „Wer will, daß die Bundeswehr in Afghanistan bleibt, darf ihr nicht einen Arm auf dem Rücken festbinden.“ Angesichts dessen sah sich Jungs Amtsnachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg schlußendlich zur rhetorischen Frontbegradigung genötigt: In Teilen Afghanistans herrschten „fraglos kriegsähnliche Zustände“ und, so Deutschlands neuer Kriegsminister, er könne jeden Soldaten verstehen, „der sagt: In Afghanistan ist Krieg.“ Völkerrechtlich präzise auf den Punkt brachte Jurist Guttenberg den Sachverhalt mit seiner Verlautbarung, „daß es sich in Teilen Afghanistans um einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt handelt.“
Zur gefügigen Truppe für den Krieg mutiert
Damit hat die von mehreren Bundesregierungen über Jahre geübte Praxis der Realitätsverleugnung ihr Ende gefunden. Zweifellos herrscht Krieg am Hindukusch und ebenso unverkennbar ist die Bundeswehr von einer Armee für den Frieden zur gefügigen Truppe für den Krieg mutiert. Die Ernennung eines kriegserfahrenen Offiziers zum neuen Generalinspekteur der Bundeswehr, dessen Karriere wesentlich durch herausragende Verwendungen im Rahmen von NATO-Operationen auf dem Balkan und in Afghanistan, zuletzt als Chef des Stabes im ISAF-Hauptquartier in Kabul, geprägt ist, mag da nicht mehr verwundern.
Dabei verweisen selbst konservative und extrem NATO-loyale Analysten, wie der in der Wolle gefärbte Atlantiker Lothar Rühl darauf, daß es keinerlei militärische Siegesaussichten gibt und daß folglich „der strategische Rückzug der internationalen Truppen aus Afghanistan in den nächsten Jahren unvermeidlich ist.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. Januar 2010). Ausgangspunkt für einen Friedensschluß oder wenigstens einen unbefristeten Waffenstillstand sind drei historisch-empirisch fundierte Erkenntnisse. „Erstens muß man Frieden mit seinen Feinden schließen. Zweitens muß man zwischen diesen unterscheiden, um keine Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen und die eigenen Kräfte nicht zu verzetteln.“ Und drittens schließlich gilt, daß man „sich mit dem Hauptfeind einigen muß, wenn es nicht gelungen ist ihn niederzuwerfen und kriegsunfähig zu machen“, ein Sieg also nicht erreichbar ist. In den seit dem Einfall in Zentralasien vergangenen acht Jahren sind indes die Erfolgsaussichten für einen solchen militärischen Erfolg nicht etwa besser geworden, sondern kontinuierlich gesunken.
Wende zum Guten durch Afghanistan-Konferenz?
Neben dem bereits erfolgten Strategiewechsel im Hinblick auf die drastisch heruntergeschraubte Zielsetzung des internationalen Engagements, die statt hochtrabender Nation-Building-Ambitionen nurmehr darauf gerichtet ist, die Voraussetzungen für einen gesichtswahrenden Rückzug zu schaffen, gilt es Abschied zu nehmen von hysterischen Bedrohungsvorstellungen über die „radikalislamischen Terrorkrieger“ am Hindukusch. Diesbezüglich muß differenziert werden zwischen autochthonen aufständischen Kämpfern gegen die bis ins Mark korrupte, hochgradig kriminelle Zentralregierung in Kabul und deren Ableger in den Provinzen einerseits und den arabischen Terroristen der Al Qaida. „Auch kann nicht wie bisher einfach vorausgesetzt werden, daß die verschiedenen Taliban und sonstigen Aufständischen für eine Rückkehr von Al Qaida nach Afghanistan kämpfen oder diese auch nur wollten. … Die schematische Gleichsetzung von Afghanistan, Al Qaida, Taliban und Terror ist weder für die Politik im Orient noch für die Strategie in Südwestasien nützlich.“
Da aufgrund der Disparität des afghanischen Widerstandes ein kompetenter und zuverlässiger Partner für Waffenstillstands- oder Friedensverhandlungen nicht verfügbar ist, bleibt der NATO nach Auffassung Rühls im Grunde nur eine einzige realistische Option, um sich aus dem desaströsen Schlamassel am Hindukusch herauszuwinden. Diese basiert auf drei Elementen: „Erstens: Abstützung auf Kräfte mit regionaler Autonomie in einer lockeren Konföderation Afghanistan, verbunden mit der Unterstützung regionaler Milizen. Zweitens: Verzicht auf großangelegte Operationen, deren Erfolg die Aufständischen nur nach Westpakistan drängen und dort die Sicherheit weiter schwächen, das Risiko für den Staat Pakistan weiter erhöhen würde; dies gilt ebenso für die Fortsetzung der Luftangriffe in Pakistan. Drittens: Fortsetzung des Aufbaus der afghanischen Sicherheitskräfte mit Schwerpunkt auf regionalen, möglichst ethnisch homogenen Organisationen.“
Betrachtet man die neue Afghanistan-Strategie, die Kanzlerin Merkel nun mit Verve präsentiert hat, sowie die auf der Londoner Afghanistan-Konferenz gefaßten Beschlüsse, so spricht eher wenig dafür, daß am Hindukusch nunmehr die große Wende zum Guten bevorsteht. Erstens läßt der in Oslo gekürte Friedensfürst Obama die feigen und verheerenden US-Drohnenangriffe auf Pakistan mit gesteigerter Intensität fortführen. Zweitens bedeuten die vollmundigen Zusagen für mehr finanzielle Hilfen für den zivilen Aufbau noch längst nicht, daß die Mittel auch wirklich fließen werden oder überhaupt in sinnvolle und erfolgversprechende Entwicklungsprojekte investiert werden können, solange die westlichen Besatzungsmächte unbeirrt ihren unsinnigen „Krieg gegen den Terror“ weiterführen. Im Übrigen wird auch durch die jüngsten Entscheidungen die extreme Schieflage zwischen dem Ressourcenaufwand für den militärischen und den zivilen Sektor nicht durchgreifend korrigiert.
Das Menetekel von Saigon
Und schließlich sollte ein Blick zurück in die Geschichte alle strategischen Schönfärber Lügen strafen. Denn schon Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist in Südvietnam grundlegend mißlungen, was nun erneut am Hindukusch versucht werden soll. Die Ausbildung von kampfkräftigen und vor allem auch zum Kampf motivierten einheimischen Streitkräften durch ausländische Militärinstrukteure unter den Bedingungen des Krieges ist dortzulande ebenso kläglich gescheitert wie das parallel dazu betriebene Nation Building á la USA. Das Menetekel von Saigon sollte nicht nur dem „Bürgermeister von Kabul“, sondern auch allen siegerpichten Militärschranzen eine eindringliche Warnung sein. (PK)
Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a. D. und als nunmehr freier Staatsbürger ohne Uniform nicht mehr gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen vertritt.
Online-Flyer Nr. 235 vom 03.02.2010