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Inland
Westerwelle: Einigung Europas durch gemeinsame Militärinterventionen
Europas Motor
Von Hans Georg
Westerwelle - fordert den Aufbau
einer EU-Armee
NRhZ-Archiv
Bei der Konferenz kam es zu kurzfristig anberaumten Gesprächen mit dem Außenminister Irans; ein US-Teilnehmer drohte Teheran offen mit Krieg. Gemeinsame Aggressionen gegen das iranische Militärregime gelten transatlantischen Kräften als letzte Chance, die westliche Hegemonie am Persischen Golf vor einem weiteren Erstarken der Volksrepublik China durchzusetzen.
EU-Armee
Wie Guido Westerwelle am Wochenende in München erklärte, sei der Vertrag von Lissabon, der eine gemeinsame Militärpolitik aller EU-Staaten vorsieht, "kein Endpunkt, sondern ein Anfang". "Das langfristige Ziel ist der Aufbau einer europäischen Armee", sagte Westerwelle; diese habe "unter voller parlamentarischer Kontrolle" zu stehen.[1] Im Europaparlament bilden deutsche Abgeordnete die größte Gruppe, in den jeweiligen Fraktionen haben deutsche Politiker führende Positionen inne.[2] Die EU müsse "rasch, flexibel und im gemeinsamen Verbund handeln können", forderte der Außenminister im Hinblick auf die zukünftige Brüsseler Militärpolitik; sie müsse "ihrer politischen Rolle als globaler Akteur gerecht werden". Westerwelle zufolge wird sich Europa mittels gemeinsamer Militärpolitik eng zusammenschließen: "Das europäische Projekt einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird ein Motor für das weitere Zusammenwachsen Europas sein."[3] Die innere Einigung durch Krieg ist in der deutschen Historie nichts Neues. Auch das stark militarisierte deutsche Kaiserreich entstand durch den Zusammenschluss der damaligen Fürstentümer und Königreiche in der gemeinsamen Aggression gegen Frankreich 1870/71.
Berlin-Moskau
Wie Westerwelle auf der Sicherheitskonferenz bekräftigte, hält die Bundesregierung neben dem Aufbau einer EU-Armee auch das Bündnis ("strategische Partnerschaft") mit Russland für "unverzichtbar". "Wir wollen diese Partnerschaft", sagte Westerwelle, "und wir wollen sie dort, wo uns gemeinsame Interessen verbinden, auch weiter ausbauen."[4] Dies beinhalte nicht zuletzt eine "substanzielle Diskussion" von Vorschlägen des russischen Präsidenten Medwedjew, einen neuen "Sicherheitsvertrag" abzuschließen, der neben den USA und den NATO-Staaten auch Russland einbeziehen soll. Ein solches Abkommen gilt vielen perspektivisch als Alternative zur NATO und als Versuch, die Hegemonie der Vereinigten Staaten mit Hilfe der deutsch-russischen Kooperation zu brechen.
Absage
Berlin bemüht sich seit einiger Zeit, Washington einen "Sicherheitsvertrag" nach Medwedjews Modell schmackhaft zu machen – nun auch über die Münchner Sicherheitskonferenz. Deren Vorsitzender, der ehemalige deutsche Botschafter in den USA Wolfgang Ischinger, ist einer von drei Leitern einer Kommission, die im Dezember eingesetzt wurde und sich mit Überlegungen zu einem euroatlantischen "Sicherheitssystem" unter Einschluss Russlands befasst (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Berlin wollte ursprünglich den "Sicherheitsvertrag" umfassend auf der Münchner Konferenz diskutieren lassen; der russische Außenminister war unmittelbar vorher mit seinem deutschen Amtskollegen zu Absprachen zusammengetroffen und hatte in seinem Konferenzstatement am Samstagvormittag für den Plan geworben. Schon am Freitag war allerdings in der deutschen Presse ein Namensartikel der US-Außenministerin erschienen, der dem Konzept in aller Öffentlichkeit eine klare Abfuhr erteilte - ein offener Affront gegen die deutsch-russischen Pläne.[6] US-Teilnehmer bekräftigten die ablehnende Haltung Washingtons im Verlauf der Konferenz.
Sanktionen
Bei der Sicherheitskonferenz kam es darüber hinaus zu kurzfristig anberaumten Gesprächen mit dem Außenminister Irans - ein Versuch der deutschen Organisatoren, auf ein erneutes Verhandlungsangebot des iranischen Staatspräsidenten im Atomkonflikt zu reagieren. Der iranische Außenminister Mottaki habe in München "eine Chance vertan" [7], erklärte Bundesverteidigungsminister Guttenberg anschließend: Der UN-Sicherheitsrat müsse nun neue Sanktionen gegen Teheran verhängen. Ähnlich äußerte sich die Mehrheit der Anwesenden. Widerstand kommt noch aus der deutschen Exportwirtschaft; die Bundesregierung hat sich mittlerweile jedoch auf die Unterstützung von Sanktionen festgelegt.[8]
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Unterschiedliche Einschätzungen liegen über die Kriegsbereitschaft des Westens vor. Wie der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, urteilt, "sind die EU-Staaten prinzipiell gegen die militärische Option". Auch die US-Regierung habe "kein Interesse an einem dritten Krieg im Mittleren Osten und wird deshalb auch Israel vorerst kein grünes Licht für einen Militärschlag geben".[9] Perthes, der Militärschläge gegen Iran nicht favorisiert [10], ist einer der profundesten deutschen Kenner nicht nur des Nahen und Mittleren Ostens, sondern auch der westlichen Nah- und Mittelostpolitik; seine Einschätzungen, die in exportorientierten Wirtschaftskreisen große Aufmerksamkeit genießen, stützen sich auf präzise Kenntnis einschlägiger Verhandlungskreise. Zu Perthes' Äußerungen passt, dass in München der Sicherheitsberater des US-Präsidenten, James Jones, nur von Sanktionen gegen Iran und von der Isolation des Teheraner Regimes sprach. US-Senator Joe Lieberman hingegen stellte auf der Sicherheitskonferenz ein kriegerisches Vorgehen gegen Iran in Aussicht. "Wir müssen uns entscheiden", verlangte er: "Entweder für harte Wirtschaftssanktionen (...) oder wir stehen vor militärischem Eingreifen".[11]
Die Zeit läuft
Ob Sanktionen oder Krieg - gemeinsame Aggressionen mit dem Ziel, Teheran jetzt zum Einlenken zu zwingen, gelten transatlantischen Kräften als letzte Chance, die westliche Hegemonie am Persischen Golf auf Dauer durchzusetzen. Hintergrund ist vor allem das Erstarken der Volksrepublik China, deren steigendes Gewicht schon jetzt die westliche Kontrolle über das Geschehen in den mittelöstlichen Ressourcengebieten spürbar einschränkt. Die Chancen für die NATO-Staaten, Iran ihrer Vorherrschaft zu unterwerfen, sinken damit von Tag zu Tag. Gewalt gilt in den westlichen Hauptstädten dabei als legitimes Mittel, um den bevorstehenden Einflussverlust zu verhindern oder wenigstens aufzuhalten. (PK)
[1] Guido Westerwelle: Rede auf der 46. Münchner Sicherheitskonferenz - 06.02.2010; www.securityconference.de
[2] s. dazu Deutsche Personalinteressen und Machtkämpfe
[3], [4] Guido Westerwelle: Rede auf der 46. Münchner Sicherheitskonferenz - 06.02.2010; www.securityconference.de
[5] s. dazu Keine Angst vor Moskau!
[6] Hillary Rodham Clinton: Die Zukunft Europas sichern; Süddeutsche Zeitung 05.02.2010
[7] Iran bleibt im Ungefähren; tagesschau.de 06.02.2010
[8] s. dazu Hegemonialkampf am Golf
[9] Volker Perthes: Kluge Sanktionen zielen auf die Führung; Handelsblatt 05.02.2010
[10] s. dazu Die traditionelle Rolle, Balance statt Exklusion und Prinzipielle Interessen
[11] Irans Verhandlungsangebot stößt auf Misstrauen; Süddeutsche Zeitung 06.02.2010
Weitere Informationen: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57732 und in dem Beitrag von Jürgen Grässlin über “Kriegsprofiteure - Deutschland Europameister in der Rüstungsexportpolitik“ in dieser NRhZ-Ausgabe.
Online-Flyer Nr. 236 vom 10.02.2010
Westerwelle: Einigung Europas durch gemeinsame Militärinterventionen
Europas Motor
Von Hans Georg
Westerwelle - fordert den Aufbau
einer EU-Armee
NRhZ-Archiv
EU-Armee
Wie Guido Westerwelle am Wochenende in München erklärte, sei der Vertrag von Lissabon, der eine gemeinsame Militärpolitik aller EU-Staaten vorsieht, "kein Endpunkt, sondern ein Anfang". "Das langfristige Ziel ist der Aufbau einer europäischen Armee", sagte Westerwelle; diese habe "unter voller parlamentarischer Kontrolle" zu stehen.[1] Im Europaparlament bilden deutsche Abgeordnete die größte Gruppe, in den jeweiligen Fraktionen haben deutsche Politiker führende Positionen inne.[2] Die EU müsse "rasch, flexibel und im gemeinsamen Verbund handeln können", forderte der Außenminister im Hinblick auf die zukünftige Brüsseler Militärpolitik; sie müsse "ihrer politischen Rolle als globaler Akteur gerecht werden". Westerwelle zufolge wird sich Europa mittels gemeinsamer Militärpolitik eng zusammenschließen: "Das europäische Projekt einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird ein Motor für das weitere Zusammenwachsen Europas sein."[3] Die innere Einigung durch Krieg ist in der deutschen Historie nichts Neues. Auch das stark militarisierte deutsche Kaiserreich entstand durch den Zusammenschluss der damaligen Fürstentümer und Königreiche in der gemeinsamen Aggression gegen Frankreich 1870/71.
Berlin-Moskau
Wie Westerwelle auf der Sicherheitskonferenz bekräftigte, hält die Bundesregierung neben dem Aufbau einer EU-Armee auch das Bündnis ("strategische Partnerschaft") mit Russland für "unverzichtbar". "Wir wollen diese Partnerschaft", sagte Westerwelle, "und wir wollen sie dort, wo uns gemeinsame Interessen verbinden, auch weiter ausbauen."[4] Dies beinhalte nicht zuletzt eine "substanzielle Diskussion" von Vorschlägen des russischen Präsidenten Medwedjew, einen neuen "Sicherheitsvertrag" abzuschließen, der neben den USA und den NATO-Staaten auch Russland einbeziehen soll. Ein solches Abkommen gilt vielen perspektivisch als Alternative zur NATO und als Versuch, die Hegemonie der Vereinigten Staaten mit Hilfe der deutsch-russischen Kooperation zu brechen.
Absage
Berlin bemüht sich seit einiger Zeit, Washington einen "Sicherheitsvertrag" nach Medwedjews Modell schmackhaft zu machen – nun auch über die Münchner Sicherheitskonferenz. Deren Vorsitzender, der ehemalige deutsche Botschafter in den USA Wolfgang Ischinger, ist einer von drei Leitern einer Kommission, die im Dezember eingesetzt wurde und sich mit Überlegungen zu einem euroatlantischen "Sicherheitssystem" unter Einschluss Russlands befasst (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Berlin wollte ursprünglich den "Sicherheitsvertrag" umfassend auf der Münchner Konferenz diskutieren lassen; der russische Außenminister war unmittelbar vorher mit seinem deutschen Amtskollegen zu Absprachen zusammengetroffen und hatte in seinem Konferenzstatement am Samstagvormittag für den Plan geworben. Schon am Freitag war allerdings in der deutschen Presse ein Namensartikel der US-Außenministerin erschienen, der dem Konzept in aller Öffentlichkeit eine klare Abfuhr erteilte - ein offener Affront gegen die deutsch-russischen Pläne.[6] US-Teilnehmer bekräftigten die ablehnende Haltung Washingtons im Verlauf der Konferenz.
Sanktionen
Bei der Sicherheitskonferenz kam es darüber hinaus zu kurzfristig anberaumten Gesprächen mit dem Außenminister Irans - ein Versuch der deutschen Organisatoren, auf ein erneutes Verhandlungsangebot des iranischen Staatspräsidenten im Atomkonflikt zu reagieren. Der iranische Außenminister Mottaki habe in München "eine Chance vertan" [7], erklärte Bundesverteidigungsminister Guttenberg anschließend: Der UN-Sicherheitsrat müsse nun neue Sanktionen gegen Teheran verhängen. Ähnlich äußerte sich die Mehrheit der Anwesenden. Widerstand kommt noch aus der deutschen Exportwirtschaft; die Bundesregierung hat sich mittlerweile jedoch auf die Unterstützung von Sanktionen festgelegt.[8]
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Unterschiedliche Einschätzungen liegen über die Kriegsbereitschaft des Westens vor. Wie der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, urteilt, "sind die EU-Staaten prinzipiell gegen die militärische Option". Auch die US-Regierung habe "kein Interesse an einem dritten Krieg im Mittleren Osten und wird deshalb auch Israel vorerst kein grünes Licht für einen Militärschlag geben".[9] Perthes, der Militärschläge gegen Iran nicht favorisiert [10], ist einer der profundesten deutschen Kenner nicht nur des Nahen und Mittleren Ostens, sondern auch der westlichen Nah- und Mittelostpolitik; seine Einschätzungen, die in exportorientierten Wirtschaftskreisen große Aufmerksamkeit genießen, stützen sich auf präzise Kenntnis einschlägiger Verhandlungskreise. Zu Perthes' Äußerungen passt, dass in München der Sicherheitsberater des US-Präsidenten, James Jones, nur von Sanktionen gegen Iran und von der Isolation des Teheraner Regimes sprach. US-Senator Joe Lieberman hingegen stellte auf der Sicherheitskonferenz ein kriegerisches Vorgehen gegen Iran in Aussicht. "Wir müssen uns entscheiden", verlangte er: "Entweder für harte Wirtschaftssanktionen (...) oder wir stehen vor militärischem Eingreifen".[11]
Die Zeit läuft
Ob Sanktionen oder Krieg - gemeinsame Aggressionen mit dem Ziel, Teheran jetzt zum Einlenken zu zwingen, gelten transatlantischen Kräften als letzte Chance, die westliche Hegemonie am Persischen Golf auf Dauer durchzusetzen. Hintergrund ist vor allem das Erstarken der Volksrepublik China, deren steigendes Gewicht schon jetzt die westliche Kontrolle über das Geschehen in den mittelöstlichen Ressourcengebieten spürbar einschränkt. Die Chancen für die NATO-Staaten, Iran ihrer Vorherrschaft zu unterwerfen, sinken damit von Tag zu Tag. Gewalt gilt in den westlichen Hauptstädten dabei als legitimes Mittel, um den bevorstehenden Einflussverlust zu verhindern oder wenigstens aufzuhalten. (PK)
[1] Guido Westerwelle: Rede auf der 46. Münchner Sicherheitskonferenz - 06.02.2010; www.securityconference.de
[2] s. dazu Deutsche Personalinteressen und Machtkämpfe
[3], [4] Guido Westerwelle: Rede auf der 46. Münchner Sicherheitskonferenz - 06.02.2010; www.securityconference.de
[5] s. dazu Keine Angst vor Moskau!
[6] Hillary Rodham Clinton: Die Zukunft Europas sichern; Süddeutsche Zeitung 05.02.2010
[7] Iran bleibt im Ungefähren; tagesschau.de 06.02.2010
[8] s. dazu Hegemonialkampf am Golf
[9] Volker Perthes: Kluge Sanktionen zielen auf die Führung; Handelsblatt 05.02.2010
[10] s. dazu Die traditionelle Rolle, Balance statt Exklusion und Prinzipielle Interessen
[11] Irans Verhandlungsangebot stößt auf Misstrauen; Süddeutsche Zeitung 06.02.2010
Weitere Informationen: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57732 und in dem Beitrag von Jürgen Grässlin über “Kriegsprofiteure - Deutschland Europameister in der Rüstungsexportpolitik“ in dieser NRhZ-Ausgabe.
Online-Flyer Nr. 236 vom 10.02.2010