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Volksabstimmung in Island ein "Hoch auf die direkte Demokratie“
Fast einstimmig: „Wir sagen Nein“
Von Matthias Kokorsch
Auf dem Weg zum Referendum: „Wir sagen Nein. Wir besiegen diese Krise“
Alle Fotos vom Autor
Am 6. März war es in Island endlich soweit: Das Volk durfte selbst entscheiden, ob es für die Krise der Tochtergesellschaft (Icesave) einer Privatbank (Landsbanki) - welche inzwischen verstaatlicht wurde - einspringen will oder nicht. Das war möglich geworden, weil Präsident Ólafur Grímsson sich geweigert hatte, dafür ein Gesetz zu unterzeichnen, solange die Stimmen der Betroffenen ungehört blieben. Ansonsten nur für repräsentative Aufgaben gewählt, machte er erstmals von seinem Vetorecht Gebrauch. 50.000 Menschen (15 Prozent) unterschrieben in kürzester Zeit eine Petition - umgerechnet auf Deutschland wären das ca. 12 Millionen. Hätten wir doch auch einen so mutigen Präsidenten! Aber ein etwas demokratischer gestimmter Rat der Stadt Mülheim würde mir fürs Erste auch schon reichen...
Die Frage des Tages
Das Referendum galt allerdings nicht (wie im Ausland häufig behauptet wurde) der Frage ob gezahlt werden soll, sondern lediglich wie. Also: Sollte man die völlig absurden Forderungen der Briten und Niederländer, die nach innenpolitischem Versagen außenpolitische Stärke zu beweisen versuchten, akzeptieren oder nicht? Die Forderungen sahen vor, dass die Isländer - pro Kopf versteht sich - 13.000 Euro, an die beiden Staaten zahlen sollten, die ihrerseits voreilig einheimische Anleger bzw. Spekulanten entschädigt hatten und nun das Geld von Islands Steuerzahlern zurückholen wollten - mit Zinsen von 5,5 Prozent, was dem Ganzen die Krone aufsetzte.
Aus meiner Sicht vollkommen unglaublich - denn das Volk von Island hatte diesen Spekulationswahnsinn ja nicht verzapft, sondern die Anleger in NL und GB waren an ihrem Reinfall selber schuld: Icesave war der letzte Versuch der völlig maroden Landsbanki, sich zu sanieren. Einen Plan für den Fall eines Scheiterns gab es nie - was bei kritischem Hinterfragen der Anleger auch deutlich geworden wäre. Die sahen aber wohl nur die enorm hohen Zinsen, die von Icesave angeboten wurden, denn die Landsbanki brauchte dringend frisches Kapital, und das bekommt man, wenn man auf diese Weise Geld aus dem Ausland lockt. Der Schuss ging allerdings nach hinten los, als eine Blase nach der anderen platzte.
Die “Kochtopfrevolution“
Im vergangen Jahr wurde durch die “Kochtopfrevolution“ die neoliberalste Regierung, die es je auf diesem Planeten gegeben haben dürfte, abgelöst. Erstmals in der Geschichte der Inselrepublik und gegensätzlich zur Entwicklung in Deutschland durfte (und darf) sich dort ein rotgrünes Bündnis versuchen. Inzwischen wurde bereits einiges an Filz aufgedeckt - wie etwa der, dass die “Bankenaufsicht“ jahrelang von derselben Person wahrgenommen wurde, die auch die Banken leitete. Heraus kam auch, dass Island ein Prototyp von Vetternwirtschaft war: Justiz, Finanzen, Medien und Regierung arbeiteten eng zusammen, meist in Form von Familienclans, die hier das Sagen hatten - mit Politikern als willigen Helfern und Steigbügelhaltern. Alles kein Problem... So lange es bergauf ging und die See ruhig war...
Der neuen Regierung fällt nun die undankbare Aufgabe zu, die Suppe der Vorgänger auszulöffeln und eiligst Antikorruptionsgesetze zu verabschieden. Einfach wird das nicht, sieht man sich doch mit Medien konfrontiert, die der nun in der Opposition stehenden abgewählten Regierung nach wie vor freundlich gesonnen sind.
Ein Redner der Opposition und (mit weißen Haar) Premierministerin Jóhanna Sigurdadottir
Hinzu kamen bislang nie da gewesene Phänomene, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit und leere Kassen, und man geriet außenpolitisch immer mehr unter Druck. Nebenbei fiel der Kurs der inländischen Währung dramatisch, die Krone verlor fast die Hälfte ihres Wertes. Bei einer importabhängigen Nation hat dies drastische Konsequenzen. Der Neuwagenmarkt brach völlig zusammen (90% Rückgang - populistischer Blödsinn wie eine Abwrackprämie war hier nie ein Thema), und die Preise für diverse Lebensmittel und andere Importwaren stiegen um bis zu 150%. Ein weiterer Effekt war, dass die Menschen ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen können, bzw. dass sich die Zinszahlungen verdoppelten! Als die Krone noch eine starke Währung war, tat man gut daran Kredite in ausländischen Währungen abzuschließen. Die Wirkung ist nun verheerend! Ein Kredit von damals 100.000 Euro wäre demnach heute bei 180.000 zu verorten - monatliche Zinsen haben sich ebenso verdoppelt. Liebe Briten und Niederländer: Wer entschädigt diese Menschen??? Das einzig Gute daran: Mc Donald´s hat sich verzogen.
Isländische Konten in London eingefroren
Weitere Konsequenzen: Euros und andere Devisen sind nicht frei verfügbar. Wer Devisen möchte, muss sein Flugticket vorzeigen und kann dann maximal 500 Euro bekommen. Isländische Kronen wurden in vielen Ländern nicht mehr umgetauscht und Isländer ohne Kreditkarte waren im Ausland völlig verloren. Die absurdeste Geschichte aber war jene Icelandair Maschine, die von London aus nicht starten konnte, weil man sich dort weigerte sie aufzutanken. Man traute eben den Isländern nicht mehr zu, dass sie ihre Rechnungen bezahlen würden. Nebenher wandte London auch noch die Anti-Terrorgesetze an und fror isländische Konten im Königsreich ein!!
Keine sinnlosen Plakate oder Fernsehspots
Das Ergebnis des Referendums war eindeutig: 134.397 Wähler gaben ihre Stimme ab, was einer Beteiligung von 62.72 Prozent entspricht - einerseits der bisher niedrigsten bei einer Wahl in Island, andererseits lehnten 93.2 Prozent die vorläufigen Icesavegesetze ab, nur 1.8 stimmten mit Ja und 4.7 Prozent enthielten sich. Die - für Island - niedrige Wahlbeteiligung lässt sich damit erklären, dass die NL und GB inzwischen eingelenkt und bereits Nachverhandlungen angekündigt hatten. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Referendum also nur noch symbolischen Charakter hatte, war die Wahlbeteiligung enorm hoch.
Althingi götunnar - Das Parlament der Strasse
Dass in diesem Land Spontaneität alles ist, konnte man daran sehen, dass bis zum Samstagmorgen viele der Leute, die ich hier kennen lernte, nicht wussten, wo sie zur Stimmabgabe erscheinen sollten. Schön auch zu sehen, dass es keinerlei Wahlkampf gab! Nicht ein Plakat - nichts! Lediglich zwei Tage vor dem Referendum gab es ein neutrales Flugblatt mit Informationen, welche Konsequenzen ein Ja bzw. Nein haben könnte. Man glaubt hier noch daran, dass Menschen sich auch ohne sinnlose Plakate oder alberne Fernsehspots, eine Meinung bilden können. Sehr angenehm! Am Tag der Entscheidung selbst gab es noch eine Demonstration mit Allianzen die es so sicher nicht oft zu sehen gibt: Attac und die örtlichen Liberalen, Kommunisten und Konservative nebeneinander, Anarchisten und Spießbürger... Als es die ersten Ergebnisse gab, wurden Feuerwerke entfacht und die Menschen feierten ausgiebig: Wir zahlen nicht für eure Krise... Ich wohnte dem mit einem lachenden und einem weinenden Auge bei. Lachend, weil ich mich mit den Menschen und über den Sieg der Demokratie freute. Weinend, weil es so etwas in Deutschland in naher Zukunft wohl nicht geben wird. Alle Macht geht vom Volke aus...
Die Konsequenzen
Da mit einem Nein gerechnet worden war, begann man schon früh Nachverhandlungen einzuleiten, auch wenn dies, ausgelöst durch innenpolitische Konflikte in den Niederlanden, zurzeit etwas schwierig ist. Die Briten erklärten sich schon mal bereit, den Zinssatz zu halbieren, bestehen jedoch darauf „ihr“ Geld zurück zu erhalten. Nach wie vor koppeln beide Staaten ihre Entscheidung bezüglich eines EU-Beitritts der Isländer an das Ergebnis dieses Streits, was man meines Erachtens durchaus als Erpressung bezeichnen kann. Wir sagen Ja, wenn ihr nur genug zahlt...!? Zum Glück würde es bezüglich eines EU-Beitritts auch wieder ein Referendum geben. Sein Ausgang wäre im Augenblick ebenso deutlich wie niederschmetternd für die Regierung: 70 bis 80 Prozent der Isländer wollen nicht in die EU. Komisch... Man möchte nicht die Fischereizonen teilen, nicht von einer Bürokratur in Brüssel fremdbestimmt werden und auch nicht für das Versagen anderer Staaten (Gruß nach Griechenland) aufkommen. Zurzeit sind allein die Sozialdemokraten für einen Beitritt, glauben sie doch, allein nicht aus der Krise zu kommen. Die Opposition fordert - etwas voreilig - Neuwahlen. Die werden aber kaum zu erreichen sein, auch wenn die Regierung stark geschwächt aus diesem Referendum herausging und auch in Zukunft nicht auf Verständnis bei der Opposition zu hoffen braucht, wenn es darum geht Zahlungsmodalitäten zu verhandeln.
Der IWF reagierte ein wenig verstimmt, und weitere Zahlungen liegen vorerst auf Eis. Die rechtliche Lage ist völlig unklar. Vor kurzem sprach ich im Pool (hier der Ort schlechthin um informiert zu werden) mit einem Anwalt, welcher meinte, dass internationales/ supranationales Recht hier kaum greifen könne und dass es einen solchen Fall noch nie gegeben habe. Griechenland sei da ein anderes Kaliber, gehöre es doch zur EU. Island gehört zwar zur EFTA, diese hat aber keine bindenden Gesetze für einen solchen Fall. Also drei Möglichkeiten:
- Island wird überhaupt nicht zahlen, nicht der EU beitreten und versuchen sich gesund zu sparen, bzw. in Zukunft etwas leiser zu treten (meines Erachtens erstrebenswert).
- Island wird sich mit den anderen Staaten einigen, vom IWF Unterstützung erhalten, der EU beitreten, und diese wird die Schulden begleichen (unrealistisch, da die Opposition dagegen zu stark ist und erneut ein Referendum erforderlich wäre).
- Island wird zwar zahlen, aber nicht der EU beitreten (realistisch).
Gespräch mit Ex-Minister Ögmundur
Gestern trafen wir mit einer Gruppe Studenten im Parlament Ögmundur Johanesson. Er ist Sozialist, gehört dem linksgrünen Bündnis an, war bis vor kurzem Gesundheitsminister, gab dieses Amt aber auf, da er mit einigen Entscheidungen der Regierung nicht einverstanden war. Unter anderem will er viel mehr direkte Demokratie, meinte, für dieses Ziel habe er mit den anderen in der Opposition 15 Jahre gekämpft, nun habe man die Chance und nutze sie nicht. Zudem steht er den Icesave Zahlungen kritisch gegenüber und lehnt diese ab. Verwunderlich ist dies nicht, wäre sein ehemaliges Ministerium doch stark betroffen, wenn man sich zum Zahlen entschließen würde. Die Rückerstattung von Icesave würde jährlich knapp die Hälfte (!) des BIP ausmachen und damit wohl auch zu einem Kahlschlag im Gesundheitswesen führen. Sein Rücktritt wurde von allen akzeptiert, inzwischen möchte man ihn sogar wieder ins Kabinett zurückholen. Hier auf der Insel scheint noch etwas dran zu sein, wenn man sagt, man sei nur seinem Gewissen und seinen Wählern verpflichtet. Wie hohl diese Phrase doch im fernen Deutschland klingt... Auch Abstimmungen zeigen deutlich, dass es hier zwar Fraktionsdisziplin gibt, diese aber nicht zwangsläufig eingehalten wird.
Eine weitere Forderung von Ögmundur betrifft die NATO, aus der er mit sofortiger Wirkung austreten möchte. Auch die EU sieht er mehr als kritisch, betrachtet sie als zu zentralistisch und bürokratisch. Da er zum linksgrünen Spektrum gehört, hat er zudem Angst, dass sich im Zuge eines EU-Beitritts und einer damit einhergehenden Liberalisierung der Märkte (bzw. des isländischen Marktes) Schwerindustrie auf der Insel ansiedeln und ihre einzigartige Natur zerstören könnte. Dass diese Angst nicht unbegründet ist, zeigt die Ansiedlung der US- amerikanischen ALCOA Werke, die für ihre Aluminiumproduktion schon einen Teil von Islands unberührter Natur durch einen überdimensionalen Staudamm unwiderruflich zerstörten. Alles nur um Kosten zu sparen und kostengünstiger Alu, unter anderem für die US-amerikanische Waffenproduktion, zu produzieren. In einem weiteren Referendum wurde auf regionaler Basis kürzlich ein weiteres Vorhaben dieser Art abgelehnt – zum Glück! (PK)
Online-Flyer Nr. 241 vom 17.03.2010
Volksabstimmung in Island ein "Hoch auf die direkte Demokratie“
Fast einstimmig: „Wir sagen Nein“
Von Matthias Kokorsch
Auf dem Weg zum Referendum: „Wir sagen Nein. Wir besiegen diese Krise“
Alle Fotos vom Autor
Am 6. März war es in Island endlich soweit: Das Volk durfte selbst entscheiden, ob es für die Krise der Tochtergesellschaft (Icesave) einer Privatbank (Landsbanki) - welche inzwischen verstaatlicht wurde - einspringen will oder nicht. Das war möglich geworden, weil Präsident Ólafur Grímsson sich geweigert hatte, dafür ein Gesetz zu unterzeichnen, solange die Stimmen der Betroffenen ungehört blieben. Ansonsten nur für repräsentative Aufgaben gewählt, machte er erstmals von seinem Vetorecht Gebrauch. 50.000 Menschen (15 Prozent) unterschrieben in kürzester Zeit eine Petition - umgerechnet auf Deutschland wären das ca. 12 Millionen. Hätten wir doch auch einen so mutigen Präsidenten! Aber ein etwas demokratischer gestimmter Rat der Stadt Mülheim würde mir fürs Erste auch schon reichen...
Die Frage des Tages
Das Referendum galt allerdings nicht (wie im Ausland häufig behauptet wurde) der Frage ob gezahlt werden soll, sondern lediglich wie. Also: Sollte man die völlig absurden Forderungen der Briten und Niederländer, die nach innenpolitischem Versagen außenpolitische Stärke zu beweisen versuchten, akzeptieren oder nicht? Die Forderungen sahen vor, dass die Isländer - pro Kopf versteht sich - 13.000 Euro, an die beiden Staaten zahlen sollten, die ihrerseits voreilig einheimische Anleger bzw. Spekulanten entschädigt hatten und nun das Geld von Islands Steuerzahlern zurückholen wollten - mit Zinsen von 5,5 Prozent, was dem Ganzen die Krone aufsetzte.
Aus meiner Sicht vollkommen unglaublich - denn das Volk von Island hatte diesen Spekulationswahnsinn ja nicht verzapft, sondern die Anleger in NL und GB waren an ihrem Reinfall selber schuld: Icesave war der letzte Versuch der völlig maroden Landsbanki, sich zu sanieren. Einen Plan für den Fall eines Scheiterns gab es nie - was bei kritischem Hinterfragen der Anleger auch deutlich geworden wäre. Die sahen aber wohl nur die enorm hohen Zinsen, die von Icesave angeboten wurden, denn die Landsbanki brauchte dringend frisches Kapital, und das bekommt man, wenn man auf diese Weise Geld aus dem Ausland lockt. Der Schuss ging allerdings nach hinten los, als eine Blase nach der anderen platzte.
Die “Kochtopfrevolution“
Im vergangen Jahr wurde durch die “Kochtopfrevolution“ die neoliberalste Regierung, die es je auf diesem Planeten gegeben haben dürfte, abgelöst. Erstmals in der Geschichte der Inselrepublik und gegensätzlich zur Entwicklung in Deutschland durfte (und darf) sich dort ein rotgrünes Bündnis versuchen. Inzwischen wurde bereits einiges an Filz aufgedeckt - wie etwa der, dass die “Bankenaufsicht“ jahrelang von derselben Person wahrgenommen wurde, die auch die Banken leitete. Heraus kam auch, dass Island ein Prototyp von Vetternwirtschaft war: Justiz, Finanzen, Medien und Regierung arbeiteten eng zusammen, meist in Form von Familienclans, die hier das Sagen hatten - mit Politikern als willigen Helfern und Steigbügelhaltern. Alles kein Problem... So lange es bergauf ging und die See ruhig war...
Der neuen Regierung fällt nun die undankbare Aufgabe zu, die Suppe der Vorgänger auszulöffeln und eiligst Antikorruptionsgesetze zu verabschieden. Einfach wird das nicht, sieht man sich doch mit Medien konfrontiert, die der nun in der Opposition stehenden abgewählten Regierung nach wie vor freundlich gesonnen sind.
Ein Redner der Opposition und (mit weißen Haar) Premierministerin Jóhanna Sigurdadottir
Hinzu kamen bislang nie da gewesene Phänomene, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit und leere Kassen, und man geriet außenpolitisch immer mehr unter Druck. Nebenbei fiel der Kurs der inländischen Währung dramatisch, die Krone verlor fast die Hälfte ihres Wertes. Bei einer importabhängigen Nation hat dies drastische Konsequenzen. Der Neuwagenmarkt brach völlig zusammen (90% Rückgang - populistischer Blödsinn wie eine Abwrackprämie war hier nie ein Thema), und die Preise für diverse Lebensmittel und andere Importwaren stiegen um bis zu 150%. Ein weiterer Effekt war, dass die Menschen ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen können, bzw. dass sich die Zinszahlungen verdoppelten! Als die Krone noch eine starke Währung war, tat man gut daran Kredite in ausländischen Währungen abzuschließen. Die Wirkung ist nun verheerend! Ein Kredit von damals 100.000 Euro wäre demnach heute bei 180.000 zu verorten - monatliche Zinsen haben sich ebenso verdoppelt. Liebe Briten und Niederländer: Wer entschädigt diese Menschen??? Das einzig Gute daran: Mc Donald´s hat sich verzogen.
Isländische Konten in London eingefroren
Weitere Konsequenzen: Euros und andere Devisen sind nicht frei verfügbar. Wer Devisen möchte, muss sein Flugticket vorzeigen und kann dann maximal 500 Euro bekommen. Isländische Kronen wurden in vielen Ländern nicht mehr umgetauscht und Isländer ohne Kreditkarte waren im Ausland völlig verloren. Die absurdeste Geschichte aber war jene Icelandair Maschine, die von London aus nicht starten konnte, weil man sich dort weigerte sie aufzutanken. Man traute eben den Isländern nicht mehr zu, dass sie ihre Rechnungen bezahlen würden. Nebenher wandte London auch noch die Anti-Terrorgesetze an und fror isländische Konten im Königsreich ein!!
Keine sinnlosen Plakate oder Fernsehspots
Das Ergebnis des Referendums war eindeutig: 134.397 Wähler gaben ihre Stimme ab, was einer Beteiligung von 62.72 Prozent entspricht - einerseits der bisher niedrigsten bei einer Wahl in Island, andererseits lehnten 93.2 Prozent die vorläufigen Icesavegesetze ab, nur 1.8 stimmten mit Ja und 4.7 Prozent enthielten sich. Die - für Island - niedrige Wahlbeteiligung lässt sich damit erklären, dass die NL und GB inzwischen eingelenkt und bereits Nachverhandlungen angekündigt hatten. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Referendum also nur noch symbolischen Charakter hatte, war die Wahlbeteiligung enorm hoch.
Althingi götunnar - Das Parlament der Strasse
Dass in diesem Land Spontaneität alles ist, konnte man daran sehen, dass bis zum Samstagmorgen viele der Leute, die ich hier kennen lernte, nicht wussten, wo sie zur Stimmabgabe erscheinen sollten. Schön auch zu sehen, dass es keinerlei Wahlkampf gab! Nicht ein Plakat - nichts! Lediglich zwei Tage vor dem Referendum gab es ein neutrales Flugblatt mit Informationen, welche Konsequenzen ein Ja bzw. Nein haben könnte. Man glaubt hier noch daran, dass Menschen sich auch ohne sinnlose Plakate oder alberne Fernsehspots, eine Meinung bilden können. Sehr angenehm! Am Tag der Entscheidung selbst gab es noch eine Demonstration mit Allianzen die es so sicher nicht oft zu sehen gibt: Attac und die örtlichen Liberalen, Kommunisten und Konservative nebeneinander, Anarchisten und Spießbürger... Als es die ersten Ergebnisse gab, wurden Feuerwerke entfacht und die Menschen feierten ausgiebig: Wir zahlen nicht für eure Krise... Ich wohnte dem mit einem lachenden und einem weinenden Auge bei. Lachend, weil ich mich mit den Menschen und über den Sieg der Demokratie freute. Weinend, weil es so etwas in Deutschland in naher Zukunft wohl nicht geben wird. Alle Macht geht vom Volke aus...
Die Konsequenzen
Da mit einem Nein gerechnet worden war, begann man schon früh Nachverhandlungen einzuleiten, auch wenn dies, ausgelöst durch innenpolitische Konflikte in den Niederlanden, zurzeit etwas schwierig ist. Die Briten erklärten sich schon mal bereit, den Zinssatz zu halbieren, bestehen jedoch darauf „ihr“ Geld zurück zu erhalten. Nach wie vor koppeln beide Staaten ihre Entscheidung bezüglich eines EU-Beitritts der Isländer an das Ergebnis dieses Streits, was man meines Erachtens durchaus als Erpressung bezeichnen kann. Wir sagen Ja, wenn ihr nur genug zahlt...!? Zum Glück würde es bezüglich eines EU-Beitritts auch wieder ein Referendum geben. Sein Ausgang wäre im Augenblick ebenso deutlich wie niederschmetternd für die Regierung: 70 bis 80 Prozent der Isländer wollen nicht in die EU. Komisch... Man möchte nicht die Fischereizonen teilen, nicht von einer Bürokratur in Brüssel fremdbestimmt werden und auch nicht für das Versagen anderer Staaten (Gruß nach Griechenland) aufkommen. Zurzeit sind allein die Sozialdemokraten für einen Beitritt, glauben sie doch, allein nicht aus der Krise zu kommen. Die Opposition fordert - etwas voreilig - Neuwahlen. Die werden aber kaum zu erreichen sein, auch wenn die Regierung stark geschwächt aus diesem Referendum herausging und auch in Zukunft nicht auf Verständnis bei der Opposition zu hoffen braucht, wenn es darum geht Zahlungsmodalitäten zu verhandeln.
Der IWF reagierte ein wenig verstimmt, und weitere Zahlungen liegen vorerst auf Eis. Die rechtliche Lage ist völlig unklar. Vor kurzem sprach ich im Pool (hier der Ort schlechthin um informiert zu werden) mit einem Anwalt, welcher meinte, dass internationales/ supranationales Recht hier kaum greifen könne und dass es einen solchen Fall noch nie gegeben habe. Griechenland sei da ein anderes Kaliber, gehöre es doch zur EU. Island gehört zwar zur EFTA, diese hat aber keine bindenden Gesetze für einen solchen Fall. Also drei Möglichkeiten:
- Island wird überhaupt nicht zahlen, nicht der EU beitreten und versuchen sich gesund zu sparen, bzw. in Zukunft etwas leiser zu treten (meines Erachtens erstrebenswert).
- Island wird sich mit den anderen Staaten einigen, vom IWF Unterstützung erhalten, der EU beitreten, und diese wird die Schulden begleichen (unrealistisch, da die Opposition dagegen zu stark ist und erneut ein Referendum erforderlich wäre).
- Island wird zwar zahlen, aber nicht der EU beitreten (realistisch).
Gespräch mit Ex-Minister Ögmundur
Gestern trafen wir mit einer Gruppe Studenten im Parlament Ögmundur Johanesson. Er ist Sozialist, gehört dem linksgrünen Bündnis an, war bis vor kurzem Gesundheitsminister, gab dieses Amt aber auf, da er mit einigen Entscheidungen der Regierung nicht einverstanden war. Unter anderem will er viel mehr direkte Demokratie, meinte, für dieses Ziel habe er mit den anderen in der Opposition 15 Jahre gekämpft, nun habe man die Chance und nutze sie nicht. Zudem steht er den Icesave Zahlungen kritisch gegenüber und lehnt diese ab. Verwunderlich ist dies nicht, wäre sein ehemaliges Ministerium doch stark betroffen, wenn man sich zum Zahlen entschließen würde. Die Rückerstattung von Icesave würde jährlich knapp die Hälfte (!) des BIP ausmachen und damit wohl auch zu einem Kahlschlag im Gesundheitswesen führen. Sein Rücktritt wurde von allen akzeptiert, inzwischen möchte man ihn sogar wieder ins Kabinett zurückholen. Hier auf der Insel scheint noch etwas dran zu sein, wenn man sagt, man sei nur seinem Gewissen und seinen Wählern verpflichtet. Wie hohl diese Phrase doch im fernen Deutschland klingt... Auch Abstimmungen zeigen deutlich, dass es hier zwar Fraktionsdisziplin gibt, diese aber nicht zwangsläufig eingehalten wird.
Eine weitere Forderung von Ögmundur betrifft die NATO, aus der er mit sofortiger Wirkung austreten möchte. Auch die EU sieht er mehr als kritisch, betrachtet sie als zu zentralistisch und bürokratisch. Da er zum linksgrünen Spektrum gehört, hat er zudem Angst, dass sich im Zuge eines EU-Beitritts und einer damit einhergehenden Liberalisierung der Märkte (bzw. des isländischen Marktes) Schwerindustrie auf der Insel ansiedeln und ihre einzigartige Natur zerstören könnte. Dass diese Angst nicht unbegründet ist, zeigt die Ansiedlung der US- amerikanischen ALCOA Werke, die für ihre Aluminiumproduktion schon einen Teil von Islands unberührter Natur durch einen überdimensionalen Staudamm unwiderruflich zerstörten. Alles nur um Kosten zu sparen und kostengünstiger Alu, unter anderem für die US-amerikanische Waffenproduktion, zu produzieren. In einem weiteren Referendum wurde auf regionaler Basis kürzlich ein weiteres Vorhaben dieser Art abgelehnt – zum Glück! (PK)
Online-Flyer Nr. 241 vom 17.03.2010