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Medien
Vor dem Kammergericht Berlin: Persönlichkeitsrecht gegen Pressefreiheit
„Es gibt noch Richter in Berlin“
Von Urs Zennegge

„Es gibt noch Richter in Berlin“ soll ein braver Müller ausgerufen haben, der vor 200 Jahren mit Hilfe der Richter am Kammergericht Friedrich II. trotzte, der von manchen wegen der vielen gewonnenen Kriege auch „der Grosse“ genannt wurde. Zwar ist das eher eine Legende(1), allerdings hat das geflügelte Wort sich bis heute gehalten.


Gegen die Wand gelaufen - Promi-Anwalt
Dr. Christian Schertz  | Cartoon: Lurusa (2)
Im Zivilverfahren, also nicht im Streit des Bürgers gegen die Obrigkeit, gibt es allerdings zumeist mindestens eine Partei, die mit dem Gericht zufrieden ist. Dass es noch „Richter in Berlin“ insbesondere an der Pressekammer gibt, konnten in den letzten Jahren Promis aller Bekanntheitsgrade (Klasse A bis Klasse C) begeistert ausrufen. Keine Pressekammer in der Republik „verteidigte“ so nachdrücklich deren Persönlich-keitsrechte wie diese Richter. In solchen Streitigkeiten geht es regelmäßig nicht um die Frage, ob etwas wahr oder unwahr ist, sondern darum, ob auch wahrheitsgemäße Bericht-erstattung verboten werden kann. So maßen sich diese Richter in Berlin an, darüber zu entscheiden, ob es ein “Berichterstattungsinteresse“ dazu gibt, dass gegen eine in Köln nicht ganz unbekannte Person eine Strafanzeige erstattet wurde, wobei es die Richter nicht einmal interessiert, ob der Inhalt der Strafanzeige wahr oder unwahr ist. Kein Wunder also, dass sogenannte „Promi-Anwälte“ sich gerne das Gericht in Berlin aussuchen, um für ihre Mandanten Ansprüche durchzusetzen. Einer der „Promi-Anwälte“, die dies besonders aggressiv versuchen, ist Dr. Christian Schertz, über den wir in dieser Zeitung schon häufiger berichten mussten, weil er insbesondere das Bankhaus Oppenheim gegen unseren Autor Werner Rügemer vertreten hat, aber auch den Daimler-Konzern und seine Manager gegen deren Kritiker Jürgen Grässlin. Allerdings unterscheidet Dr. Christian Schertz sich von vielen anderen „Promi-Anwälten“, weil er nicht nur aggressiv die Interessen seiner Mandanten vertritt, sondern auch „in durchaus riskanten Selbstversuchen“ (so ein für uns unverständliches Lob aus Gewerkschaftskreisen) selbst Prozesse führt und dabei juristisches Neuland betritt.

Kein Cyber-Stalking durch www.buskeismus.de

Vergangene Woche gab es dann allerdings doch wieder „RichterInnen in Berlin“, die zwei dieser „riskanten Selbstversuche“ scheitern liessen. Am Mittwoch, dem 17.3., fand im Landgericht eine Verhandlung statt, in der Dr. Schertz seinen beim Amtsgericht bereits gescheiterten Versuch wiederholen wollte, gegen Rolf Schälike, den Betreiber des Anti-Zensur-Projektes www.buskeismus.de, eine Verfügung zu erwirken, nach der dieser zum „Stalker“ erklärt werden sollte, sich ihm deshalb auch nicht mehr nähern und dadurch auch nicht mehr über ihn berichten dürfe. Stefan Niggemeier hat in seinem Blog(3) ausführlich diese Verhandlung mit ihren Hintergründen und ihrem für Dr. Schertz niederschmetternden Ergebnis geschildert, so dass wir seinen Bericht nur noch um eine uns von Schälike-Anwalt Eberhard Reinecke (der auch die NRhZ vertritt) mitgeteilte Facette erweitern wollen.


Schertz-Anwältin, Rolf Schälike und dessen Anwalt Eberhard Reinecke vor dem Berliner Landgericht
Cartoon: Atelier Behr

Rolf Schälike hatte in einem Gespräch mit der taz seine anwaltlichen Gegner als „Verfechter einer Geheimjustiz“ bezeichnet, was von seiten Dr. Schertz als Beleg für eine realitätsferne „Verschwörungstheorie“ angesehen wurde. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, durch seine Anwältin in der mündlichen Verhandlung dem Gericht eine Erklärung zu überreichen, von der er einerseits verlangte, dass das Gericht sie (natürlich zu seinen Gunsten) verwerten möge, andererseits dürften aber weder Rolf Schälike noch dessen Anwalt Kenntnis davon bekommen. Keine Geheimjustiz? Typisch für Dr. Schertz ist übrigens auch, dass er – wie Stefan Niggemeier berichtet – diesen offenbar daran hindern wollte, über diese Verhandlung zu berichten.

Kammergericht: Kritik an Dr. Schertz zulässig

Am Donnerstag stand dann beim Kammergericht ein für die NRhZ besonders wichtiger Prozess an. Wir hatten im Jahre 2006 einmal aus einer e-mail von Dr. Schertz an uns zitiert, was uns vom Landgericht und Kammergericht Berlin verboten wurde (Dieses Verfahren beschäftigt zurzeit das Bundesverfassungsgericht). Allerdings – so damals das Landgericht – hätten wir den Inhalt der e-mail „durchaus erwähnen dürfen“. Es gäbe aber kein öffentliches Interesse daran, „den genauen Wortlaut“ der e-mail zu erfahren. Im Jahre 2009 erwähnte unser Kollege Werner Rügemer in einem kritischen Artikel über Dr. Schertz diesen Prozess ohne jedes wörtliche Zitat, wir wähnten uns wegen des Hinweises des Gerichtes auch auf der sicheren Seite. Doch weit gefehlt: Dieselbe Pressekammer, die im Jahre 2007 noch die Berichterstattung in indirekter Rede für zulässig hielt, verbot sie uns Anfang 2009. Dr. Schertz, der häufig in Zeitungen und Fernsehen präsent ist, habe – so das Gericht – „das Recht, in gewählter Anonymität zu bleiben“, eine Kritik an seinen beruflichen Leistungen in diesem Fall sei „weder vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit noch von der Meinungsfreiheit der Beklagten (das sind wir) gedeckt“.

Unsere LeserInnen wissen, dass uns weder die Intim- noch die Privatsphäre von irgendwelchen Personen interessiert – egal wie prominent sie sind. Wenn wir aber unsere Kritik an öffentlichen beruflichen Leistungen von Personen nachträglich von Richtern daraufhin überprüfen lassen müssen, ob es dafür ein „überwiegendes öffentliches Interesse“ gibt, ist die Pressefreiheit in ihrem Kern angegriffen. Da niemand weiß, wie später Gerichte entscheiden, hieße eine solche Rechtsprechung: „Im Zweifel gegen die Veröffentlichung einer Kritik.“ Unbequeme kleine Internet-Projekte könnten so ohne Probleme kaputt gemacht werden. Selbst wenn ein Kläger von 10 Fällen nur einen oder zwei gewinnt, kann das für ein Projekt schon das Ende bedeuten. Dr. Schertz wirbt im Internet mit dem Hinweis auf Möglichkeiten, schon vor einer Veröffentlichung auf Autoren und Verlage einzuwirken. Und so erhielt auch unser Kollege Werner Rügemer für sein Buch „Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred Freiherr von Oppenheim“ von Dr. Schertz (für das Bankhaus) schon eine Abmahnung bevor das Buch überhaupt veröffentlicht worden war. Hier werden – teilweise mit Unterstützung von Gerichten – Drohkulissen aufgebaut, die inhaltlich lenkenden Einfluss auf die Berichterstattung haben sollen.

Angriff auf die Pressefreiheit gestoppt

Am Donnerstag hat nun das Kammergericht solchen Angriffen auf die Pressefreiheit durch das Landgericht eine Absage erteilt. Natürlich sei der Bericht unseres Autors zulässig. Eine derartige Kritik müsse Dr. Schertz hinnehmen. „Uns fällt eigentlich nichts ein, was bei einer Abwägung gegen die Veröffentlichung sprechen könnte“, erklärte das Gericht nach Mitteilung unseres Rechtsanwaltes Eberhard Reinecke in der mündlichen Verhandlung. Auch die Veröffentlichung eines Bildes von Dr. Schertz sei in diesem Zusammenhang zulässig. Das nämlich hatte dieser der Redaktion zunächst auch verbieten lassen. Dem widerspricht die aktuelle Entscheidung des Kammergerichts: Dr. Schertz sei so oft in Zeitungen abgebildet worden, dass er die Veröffentlichung seines Bildes im Zusammenhang mit einem ihm nicht genehmen Bericht über ihn selbst auch nicht verbieten könne. So wird die Sache am Ende auch nicht billig für Dr. Schertz, weil er nun selbst alle Gerichts- und Anwaltskosten am Hals hat, die wir im Laufe des Verfahrens bisher bezahlen mussten. Mal abgesehen davon: für uns wäre es einfach schön, wenn wir in Zukunft wieder kritische Artikel schreiben könnten, ohne dabei darüber nachzudenken, wie viel tausend Euro uns dann möglicherweise ein darauf folgender Prozess kosten würde.  (PK)

(1) siehe http://www.preussen-chronik.de/thema_jsp/key=thema_preu%25dfen-mythos.html
(2) Anmerkung der Redaktion zu dem oben im Anreißer stehenden Cartoon von Lurusa: Nach der Entscheidung des Kammergerichtes dürften wir zwar eigentlich diesen Artikel auch mit einem Foto von Dr. Schertz illustrieren. Da allerdings bis zum Redaktionsschluss die einstweilige Verfügung, die uns das verboten hat, formal noch nicht aufgehoben war, haben wir auf Anraten unseres Anwaltes auf ein Foto von Dr. Schertz verzichtet und stattdessen nur diesen Cartoon reingestellt. Hoffentlich gefällt er ihm so gut wie uns.
(3) siehe http://www.stefan-niggemeier.de/blog/

Online-Flyer Nr. 242  vom 24.03.2010



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