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Aktueller Online-Flyer vom 24. November 2024  

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Lokales
Interview zur Ostersonntagsdemo gegen Atomwaffen in Büchel
40 Jahre Schwindel
Von Christian Heinrici

2010 ist ein Jubiläumsjahr, wenn auch kein Grund zum Jubeln: Im Kalten Krieg entstanden werden die Ostermärsche 50 Jahre alt, der Atomwaffensperrvertrag zur Nichtweiterverbreitung und zur Abrüstung von Nuklearwaffen 40. Beides wird nicht angemessen ernst genommen, im Gegensatz zu den wolf-im-schafspelzigen Lippenbekenntnissen Obamas und der Bundesregierung. Christian Heinrici unterhielt sich mit Marion Küpker, internationale Koordinatorin der DFG-VK für Atom- und Uranwaffen und Aktivistin der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen abschaffen über diesen Widersinn.

Frau Küpker, immer noch lagern rund zwanzig Atombomben in Deutschland, etwa 100 Kilometer südlich von Köln, in Büchel, in der idyllischen Vulkaneifel. Sie und viele andere Friedensaktivisten demonstrieren dagegen seit Jahren. Worum geht es bei den diesjährigen Protesten?
 
Marion Küpker gaaa Foto: Herbert Sauerwein
Marion Küpker in Büchel 2009
Foto: Herbert Sauerwein                                       
Kurz zusammengefasst: Büchel ist mit 42 Tornados und circa 1.500 Soldatinnen und Soldaten der größte NATO- Luftwaffenstützpunkt der Bundeswehr. Deutschland stellt dort mit den Tornado-Kampfflugzeugen des Jagdbombergeschwaders 33 das Trägersystem für die B 61 Atomsprengköpfe. Bundeswehrsoldaten und Soldatinnen müssen sich dem Gewissenskonflikt stellen, die Atombomben bei Befehl ins Zielgebiet zu fliegen und abzuwerfen. Dagegen protestieren wir! 
 
Sicher in gewohnter zivil ungehorsamer und gewaltfreier Art. Was ist das Ziel Ihrer Kampagne?
 
Wir wollen einen vollständigen Erfolg für unsere Kampagne „Deutschland atomwaffenfrei bis 2010“. CDU/CSU und FDP haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass sich die Regierung für den Abzug der Atomwaffen in Deutschland einsetzen wird. Erste Gespräche mit den europäischen Nachbarn zeigen, dass diese Initiative eine überfällige friedliche Kettenreaktion für den Abzug aller etwa 200 US-Atomwaffen aus Europa (Deutschland, Türkei, Italien, Holland und Belgien) einleiten könnte.
 
Das belgische Parlament hat bereits beschlossen, die im Rahmen der „nuklearen NATO-Teilhabe“ in Belgien gelagerten US-Atomwaffen zurückzuschicken, sofern ein weiteres europäisches Land sich anschließt. Die Niederlande haben sich erstmalig positiv dazu geäußert, und auch aus Italien und selbst aus der Türkei wurden Stimmen für einen Abzug laut.
 
Und dort wird auch protestiert?
 
UN-pistole Foto: Ein Freund von Nils Simon
Die Abgerüstete Knarre vor UN-Gebäude
sollte auch den Sicherheitsrat gemahnen
Foto: Ein Freund von Nils Simon
Das Osterwochenende 2010 wurde vom europäischen Netzwerk der gewaltfreien Anti-Atomwaffen/Anti-NATO-Gruppen zum europäischen Aktionstag an allen Atomwaffen-Standorten erklärt.[1] Hiermit soll einen Monat vor der Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags in der UNO in New York für wirkliche Abrüstungsverhandlungen mit einer starken europäischen Stimme Druck gemacht werden. Denn hier in Europa bedroht auch die aktuelle „Modernisierung“ genannte Aufrüstung der Atomwaffensysteme Großbritanniens und Frankreichs ernsthaft die internationale Abrüstung.
 
Außerdem soll Deutschland endlich seinen Verpflichtungen durch den Atomwaffensperrvertrag nachkommen, indem es den Abzug ebendieser letzten etwa 20 US-Atombomben von deutschem Boden fordert und das Ende der „nuklearen Teilhabe“ in der NATO verkündet. Nicht-Atomwaffenstaaten dürfen die Verfügungsgewalt über Atomwaffen weder mittelbar noch unmittelbar annehmen. Und auch umgekehrt dürfen beispielsweise die USA ihren Verbündeten keine Atomwaffen zur Verfügung stellen!
 
Das gilt für reguläre Atomwaffen... Versucht man nicht durch neue technische angebliche Errungenschaften, gerade diese Abkommen zu umgehen?
 
In Büchel sind seit 2005 die Taurus-Marschflugkörper stationiert, die Atomsprengköpfe tragen können. Sechshundert dieses modernen Waffentyps wurden von dem deutsch-schwedischen Konzern Taurus Systems GmbH (EADS und Saab) für Deutschland produziert. Diese „intelligente“ Rakete mit uranhaltigem Sprengkopf fliegt eigenständig nach dem Ausklinken vom Tornado – oder in Zukunft vom Eurofighter – unterm Radar über mehrere hunderte Kilometer zum Ziel. Dort können sie in einem sogenannten High-pop-up-Manöver im Sturzflug tief in die Erde eindringen, um dann unterirdischen zwei Meter dicken Stahlbeton – zum Beispiel auch den von gegnerischen Atomwaffensilos – zu durchdringen. Der „Taurus“ ist eine Angriffswaffe, die für den Erstschlag eingesetzt werden kann.

Taurus-Marschflugkörper auf der ILA 2006
Da liegt er ganz harmlos, zum Einpacken und Mitnehmen, der Taurus-Marschflugkörper auf der ILA 2006
 
Also auch hier sind deutsches Militär und Rüstungsindustrie kräftig mit von der Partie...
 
Daimler ist Deutschlands größter Exporteur von Großwaffensystemen und als größter Anteilseigner von EADS am einzigen europäischen Hersteller von Atomwaffenträgersystemen beteiligt. EADS produziert neben dem „Taurus“ auch die Raketen, die Frankreich in seinen Atom-U-Booten für die M51-„Mini-Nukes“ ab 2010 verwenden will.
Marschflugkörper MDBA
So idyllisch stellt sich EADS den Seekrieg
2010 vor | Beschönigende Darstellung: MDBA   
[2] Jeder einzelne der rund 300 „Mini-Nuke“-Sprengköpfe besitzt ein Zehntel der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe. Auch diese Modernisierung widerspricht der im Atomwaffensperrvertrag eingegangenen Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung.

Alles gute Gründe, um am Ostersonntag in Büchel zu demonstrieren. Und trotzdem sind große Teile der Friedensbewegung in Deutschland eher auf die aktuellen Kriege, wie den in Afghanistan, konzentriert... 
 
Bücheler Soldatinnen und Soldaten sind durchgängig zur Unterstützung der Aufklärungstornados des schleswig-holsteinischen „Stützpunkt Jagel“ in Afghanistan stationiert. Allgemein sind in Deutschland die großen US-Militärbasen Ramstein und Spangdahlem sowie teilweise Hahn (vorgeblich „zivile“ Militärflüge) die regionalen Startbahnen für die Unterstützung der Kriege in Irak und Afghanistan. Ende November 2010 findet in Portugal das nächste NATO-Gipfelstreffen statt. Dort soll über die neue NATO-Doktrin der nuklearen Erstschläge gegen Nicht-Atomwaffenstaaten, also „vorbeugende Angriffskriege mit ‚Mini-Nukes’ im sogenannten Krieg gegen den Terror“ entschieden werden. Auch nukleare Erstschläge gehören grundsätzlich verboten!
 
Also, wir sehen das ganz optimistisch: Der von uns lang ersehnte Atomwaffenabzug wird durch Beteiligung vieler an den Protesten Wirklichkeit werden, ähnlich wie im vergangenen Jahr der Erfolg über die Bundeswehr, die in Brandenburg auf das „Bombodrom“ als Bombenabwurfübungsplatz „verzichtete“. Die gesellschaftliche Breite des Widerstandes der im Trägerkreis „Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen!“ vertretenen 47 Organisationen, die mit Lobbyarbeit und Aktionen bis zu zivilem Ungehorsam vielfältige Arbeit leisten, schafft hierfür die Vorraussetzung. Jetzt kommt es noch mal darauf an, am Ostersonntag in Büchel ein sichtbares Zeichen zu setzen!

Demozug gegen Atomwaffen | Foto: Wolfgang Geissler
Große Demo am NATO-Stützpunkt Büchel 2008 | Foto: Wolfgang Geissler
 
Geben Sie uns einen Vorausblick?
 
Am Ostersonntag, um symbolische fünf Minuten vor zwölf, treffen wir uns im Ort Büchel, um von dort etwa eine Stunde lang zum Haupttor des Fliegerhorstes hin zu demonstrieren. Anschließend findet am Haupttor eine Kundgebung unter anderem mit Tobias Pflüger (IMI), Günther Schneider (BIEGAS), Richard Pestemer, Ortsbürgermeister von Neunkirchen im Hunsrück, und Kate Hudson vom CND aus Großbritannien statt. Die Demonstration wird selbstverständlich friedlich und kreativ sein. Wir errichten einen Zaun als „Klagemauer“, den wir mit Bildern von Kriegsopfern schmücken wollen, sozusagen als Gedenkstätte für die Opfer der Atombombenabwürfe und der jüngeren illegalen Angriffskriege. Selbstverständlich gibt es auch ein Musikprogramm und Bio-Verpflegung, und natürlich freuen wir uns über regen Zuspruch Mitprotestierender.
 
Frau Küpker, vielen Dank für dieses Interview!
 
Anmerkungen:
[1] Hier auf Englisch mehr über die Aktionen in den einzelnen Ländern: www.vredesactie.be
[2] Die M51 haben eine Reichweite von über 6.000 Kilometer. 

http://www.friedenskultur2010.de
Für Kurzentschlossene: Businfos, Mitfahrgelegenheiten, Büchertischanmeldungen, Mithilfe:
Marion Küpker, Tel. 040 430 73 32, E-Mail: hamburg (at) bombspotting (org), www.gaaa.org, www.atomwaffenfrei.de
 
Bike for Peace plant verbunden mit den Aktionen am Ostersonntag eine Fahrrad-Umrundung des Bücheler Atomwaffen-Stützpunktes. Kontakt: Konni Schmidt, Tel. 0176 633 215 46
 
Weitere Informationen unter:
 




(CH)


Online-Flyer Nr. 243  vom 31.03.2010



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