NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 25. November 2024  

Fenster schließen

Inland
Verantwortungslose Finanzpolitik zugunsten der Banken zu Lasten der Bürger!
Urteil des Bankentribunals
Von Franz Kersjes

Die seit fast zwei Jahren andauernde Finanzkrise hat die Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Unter den Folgekosten, vor allem den erheblich gestiegenen Staatsschulden, werden die meisten Länder noch jahrzehntelang leiden. Die Banken und Versicherungen, die diese Katastrophe angerichtet haben, wurden in Deutschland bislang nicht zur Verantwortung gezogen. Unglaublich! Beispiel Hypo Real Estate: Mit rund 100 Milliarden Euro rettete die Bundesregierung diese Bank. 100 Milliarden Euro Steuergelder! Doch anders als beim kleinen Metallbetrieb wurde die Bank fast ohne Gegenleistung der Gläubiger gerettet. Deren Forderungen landeten beim Steuerzahler. Allen voran die Allianz mit Forderungen von 5,6 Milliarden und die Münchner Rück mit fast 4,4 Milliarden Euro. Die Allianz meldet nun einen Jahresgewinn von 4,3 Milliarden und die Münchner Rück von 2,6 Milliarden Euro. Und die Deutsche Bank verdiente letztes Jahr 5 Milliarden.
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de

 
Nun will die Bundesregierung für die Zukunft eine Abgabe von den Banken verlangen. Aber nur 1,2 Milliarden Euro im Jahr sollen die Geldkonzerne in einen Notfallfonds einzahlen. Von einer Übernahme oder zumindest Beteiligung an den bisher entstandenen Kosten ist keine Rede. Die Banken sollen nicht – wie in den USA – an den Kosten für die aktuelle Krise beteiligt werden. Es geht hierzulande nicht darum, den Verursachern der Krise die Rechnung für ihre Rettung zu präsentieren und sich das Geld des Steuerzahlers zurückzuholen. Nein, in Deutschland haben die Banken und ihre Lobbyisten die Politik fest im Griff! Die jährlichen Abgaben von 1,2 Milliarden Euro verkraften die Banken locker. Und dieses Geld können sie nach bestehendem Recht auch noch als Aufwand steuerlich geltend machen. Die zu erwartenden Steuerausfälle für den Staat dürften rechnerisch bei rund 300 Millionen Euro liegen. Zudem ist zu befürchten, dass die Banken ihre Kosten über höhere Gebühren auf die Verbraucher abwälzen. Und ihre Einzahlungen in den Einlagensicherungsfonds werden sie wahrscheinlich reduzieren. Schließlich wollten die privaten Banken den branchenbezogenen Rettungsschirm schon seit langem verkleinern.
 
Keine Konsequenzen für die Verursacher des Desasters?
 
In anderen Ländern sollen die Banken zur Beteiligung an den entstandenen Kosten gezwungen werden. Die französische Regierung hält es beispielsweise für gerechtfertigt, die Banken auch zu besteuern, weil sie durch die Finanzkrise großen volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet haben. Der französische Staat habe ihnen geholfen und brauche nun neue Steuereinnahmen. Geprüft wird die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen. Als Vorteil einer solchen Steuer wird gesehen, dass nicht nur Banken, sondern auch andere Finanzinvestoren wie Hedgefonds erfasst würden. Außerdem würden die Einnahmen nicht nur in einen Fonds für die Zukunft fließen, sondern schon bald im Staatshaushalt zur Verfügung stehen.
 
Einen vergleichbaren Vorschlag hat es auch in Deutschland gegeben. Der Wiener Ökonom Stephan Schulmeister, ein Berater der Bundesregierung, plädiert ebenso für die Einführung einer Transaktionssteuer. Derzeit werden an den Börsen in Deutschland jährlich insgesamt satte 163 Billionen Euro umgesetzt. Eine Ministeuer von gerade mal 0,05 Prozent würde dem Staat Jahr für Jahr 27 Milliarden Euro Einnahmen bringen. Dazu Schulmeister in einem Fernsehinterview mit dem Magazin Monitor: „Auf den Börsen würde eine Finanztransaktionssteuer technisch extrem leicht einzuführen sein, denn es ist so wie eine Kommission. Die Börse kassiert ja auch eine minimale Kommission für jede Transaktion und jetzt würde das Computerprogramm eben ergänzt werden, dass ein minimaler Betrag von 0,05 Prozent auf ein Staatskonto abgebucht würde. Also technisch kann man das in sechs Wochen einführen.“ Aber solche Regelungen sind mit FDP und CDU nicht zu machen.
 
Die Politik ist mit der Finanzwirtschaft auf Engste verflochten. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und Commerzbank-Chef Martin Blessing sitzen mit am Tisch, wenn milliardenschwere Rettungspakete für die Finanzbranche geschnürt werden. Die personellen Verflechtungen zwischen Politik, Aufsichtsbehörden und Banken sind enorm. Mitarbeiter und Lobbyisten der Geldhäuser sitzen im Finanzministerium und schreiben an Gesetzen und Verordnungen mit. So entstand das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, das 480 Milliarden Euro zur Rettung der Banken bereitstellte, unter Mitwirkung der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, die seit Jahren viele Klienten aus der Finanzbranche berät und unterstützt.
 
Spekulationskapitalismus politisch gefördert
 
Politiker haben dem Spekulationskapitalismus den Weg bereitet. Deutsche Regierungen haben seit dem Jahr 2000 das Finanzwesen dereguliert, für Banken, Versicherungen und Investmentfonds Beschränkungen aufgehoben. Ein Höhepunkt der Offensive für Spekulationen war die Legalisierung der Hedgefonds durch die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder. Spitzensteuersätze für Einkommen und die Körperschaftssteuer für Unternehmen wurden drastisch gesenkt und ließen den Geldstrom weiter wachsen. Dieser strömte vor allem in den Finanzsektor, weil die erwarteten Profite in der Realwirtschaft nicht mehr zu erzielen waren. Die Geldvermögen der reichen Kapitalbesitzer machen inzwischen fast das Doppelte des jährlichen Bruttoinlandsprodukts aus.
 
Ein Tribunal des Netzwerks Attac untersuchte nun am Wochenende in einem symbolischen Gerichtsverfahren die „Rolle der Regierungen bei der sich abzeichnenden Verschärfung der Krise“. Angeklagt wurden die Bundesregierungen seit 1998, Bundesbank, Finanzaufsicht, Banken und Ratingagenturen. Verhandelt wurde vom 9. bis 11. April in der Volksbühne in Berlin über die Ursachen und Folgen der Finanzkrise. In der Anklageschrift heißt es zur Beweisaufnahme unter anderem: „Regierungen haben mit Steuerbegünstigungen für Unternehmen und Vermögende und mit der Herstellung eines rechtlichen und politischen Rahmens für die neue Finanzwelt tatkräftig Beihilfe zur Vorteilsnahme zu Lasten der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger geleistet. … Die Angeklagten retteten schließlich die krisenverursachenden Banken auf Staatskosten, schirmen diesen Vorgang unter strenger Geheimhaltung vor öffentlicher Kontrolle ab und verzichten darauf, die Rettung mit Vorgaben für eine künftige Krisenverhinderung zu verknüpfen“.
 
Entmachtung des Parlaments
 
Der amtierenden Bundesregierung und besonders der Bundeskanzlerin wird eine „Entmachtung des Parlaments“ vorgeworfen. „Die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission werden nur bruchstückhaft informiert und unterliegen der strafbewehrten Geheimhaltung. Den Bericht über die Lage der Hypo real Estate bekamen sie nur in geschwärzter Form. Die Abgeordneten dürfen nicht in die Bankbücher Einblick nehmen. Die Haushaltshoheit des Parlaments wird ausgehebelt. Den Abgeordneten und der Öffentlichkeit wird verheimlicht, nach welchen Kriterien der Staat das Geld für die Rettung der Banken ausgibt“. „Es gibt nichts, was seit 2008 an den Finanzmärkten passiert ist, dass nicht von der Politik vorbereitet war“, sagte der Jurist und ehemalige Vorsitzende der IG Medien Detlef Hensche, der neben Elmar Altvater, Astrid Kraus und Conrad Schuhler beim Tribunal als Ankläger auftrat. Aber die Angeklagten waren natürlich nicht zur Anhörung erschienen, obwohl den Beschuldigten die Anklageschrift rechtzeitig zugestellt wurde: Bundeskanzlerin Angela Merkel; Altkanzler Gerhard Schröder, Ex-Finanzminister Peer Steinbrück, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sowie Hans Tietmeyer, Ex-Aufsichtsrat der Depfa-Bank und Chef der neoliberalen PR-Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Sie alle stehen – stellvertretend für die Institutionen, die sie führten – in Verdacht, die Krise verursacht und jede Konsequenz gescheut zu haben.
 
Öffentliche Interessen an private ausgeliefert
 
Nach der Beweisaufnahme und Anhörung der Verteidigung sowie einer ausführlichen Erörterung der Vorgänge verkündete die Jury des Tribunals als „Zeichen zivilgesellschaftlichen Protests“ folgenden Urteilsspruch:
 
„Die Jury kommt zu der Überzeugung, dass die Finanzkrise nicht wie eine Naturgewalt über die deutsche Wirtschaft hereingebrochen ist. Es gibt klare Verantwortliche. Dazu gehört die Politik, hier vertreten durch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Durch ihre Arbeitsmarkt-, Sozial- und Finanzpolitik haben sie dazu beigetragen, dass sich die Finanzmärkte von der Realwirtschaft ablösen konnten und hochriskante Spekulationsgeschäfte möglich wurden. Sie haben wiederholt die öffentlichen Interessen an private ausgeliefert. Sie haben die Demokratie untergraben. Sie haben die Gläubiger geschont und nicht für die Kosten der Bankenrettung herangezogen. Sie haben die Milliardensummen den öffentlichen Haushalten aufgebürdet. Sie setzen sich nicht entschieden für die überfällige Regulierung der Finanzmärkte ein. Sie lassen es ferner geschehen, dass Milliarden von Menschen im globalen Süden noch tiefer in Armut gestürzt werden. Die Jury widerspricht den Banken, hier vertreten durch Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, sie seien nur ‚Getriebene der Märkte’. Vielmehr haben sie durch ihr bedenkenloses Gewinnstreben den Grundsatz grob verletzt, dass ‚Eigentum verpflichtet’ und auch dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen hat“.
 
Den vollständigen Text des Urteils finden Sie unter http://www.attac.de/


Online-Flyer Nr. 245  vom 14.04.2010



Startseite           nach oben