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60 Jahre ARD – Den Privaten mit Verblödungsprogrammen immer ähnlicher
Programmauftrag oder Quote?
Von Franz Kersjes
ARD-Eigenwerbung für „Rote Rosen“ im Netz
Eins von 37 Fotos aus der Bildergalerie „Sturm der Liebe“ – Vorbild RTL
Online-Flyer Nr. 248 vom 05.05.2010
60 Jahre ARD – Den Privaten mit Verblödungsprogrammen immer ähnlicher
Programmauftrag oder Quote?
Von Franz Kersjes
ARD-Eigenwerbung für „Rote Rosen“ im Netz
Quelle: www.daserste.de/roterosen
1950 gab es sechs Radiosender in Westdeutschland. An Fernsehen dachte zunächst noch niemand. Inzwischen hat sich die ARD mit ihren neun Landesrundfunkanstalten zu einem gewaltigen Apparat entwickelt mit über 100 Audio-, 23 Fernseh- und nicht zählbaren Online-Angeboten. Gemeinsam mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen werden die Fernsehsender Arte, Phoenix, 3sat und Kinderkanal betrieben. Finanzen sind reichlich vorhanden. Die ARD kassierte im vergangenen Jahr rund fünf Milliarden von den insgesamt 7,3 Milliarden Euro Zwangsgebühren. Damit lassen sich viele teure Sendungen produzieren, wie man an den Minutenpreisen einiger Sendungen (aus dem Jahr 2008) ablesen kann. Die Talkshow von Anne Will kostete demnach 3.164 Euro pro Minute, die von Frank Plasberg 2.908 Euro und Reinhold Beckmann waren mit 2.225 Euro pro Minute fast schon Billiganbieter. Es muss jedoch diskutiert und entschieden werden, ob mit dem vorhandenen Geld ausreichend in Qualität investiert wird und die ARD ihrem Programmauftrag gerecht wird.
Auftrag und Wirklichkeit
Im Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien ist festgelegt: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten „der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten“ (§ 11, Ziffer 1). Es gibt seit Jahren sehr unterschiedliche Auffassungen und Bewertungen, ob dieser Auftrag erfüllt wird. Seit der Einführung des privaten Rundfunks in den 1980er Jahren sind die öffentlich-rechtlichen Programme in eine Konkurrenzsituation geraten. Das Bundesverfassungsgericht stellte allerdings in seinem 4. Rundfunkurteil im Jahr 1984 fest, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine umfassende mediale Grundversorgung und „seine essentiellen Funktionen für die demokratische Ordnung“ weiterhin wahrnehmen muss, wenn privater Rundfunk in Deutschland zugelassen wird.
Eins von 37 Fotos aus der Bildergalerie „Sturm der Liebe“ – Vorbild RTL
Quelle: www.daserste.de/sturmderliebe
Die Versuchung ist aber gewachsen, sich den weitgehend anspruchslosen Programmen der kommerziellen Sender anzupassen. Zumindest das Vorabendprogramm des Fernsehens der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist nicht mehr unterscheidbar von dem eines Großteils der privaten Konkurrenz. Offensichtlich geht es immer weniger um die Erfüllung des Programmauftrags, sondern um Einschaltquoten. Ein trauriges Beispiel liefert die ARD regelmäßig von montags bis freitags mit ihren Verblödungsprogrammen am Nachmittag: 14 Uhr 10: „Rote Rosen“; 15 Uhr 10: „Sturm der Liebe“; 18 Uhr: „Verbotene Liebe“; 18 Uhr 25: „Marienhof“. Etwa zur gleichen Zeit konkurriert der Privatsender SAT.1 mit Shows wie „Richterin Barbara Salesch“, „Richter Alexander Hold“ oder der Reihe „Niedrig und Kuhnt – Kommissare ermitteln“. Zuschauer, die sich solche Geschichten regelmäßig anschauen, verlieren immer mehr den Bezug zum wirklichen Leben und enteignen sich selbst von ihren Talenten und Fähigkeiten.
Auch das Abendprogramm der ARD entfernt sich zunehmend vom Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter. Fast jeden Abend Mord und Totschlag, sentimentaler Kitsch oder so genannte Volksmusik bestimmen das Programm. Die reale Welt, zum Beispiel die Arbeitswelt, kommt nur selten vor. Wenn, dann meist nach 23 Uhr. Die wenigen politischen Magazine dreimal in der Woche sind auf jeweils maximal dreißig Minuten beschränkt. Und anspruchsvolle Kulturbeiträge kommen noch seltener vor. Der interessierte Zuschauer wird auf die Spartenkanäle Arte, 3Sat und Phoenix verwiesen.
Kampf um Einnahmen aus Werbung
„Die Jagd auf die Quote wird immer nur härter, aggressiver, vulgärer und idiotischer werden“ (Klaus Harpprecht). Marktanteile werden mit Erfolg gleichgesetzt. Aber das ist ein Irrtum! Einschaltquoten haben grundsätzlich nichts mit der Zustimmung der Zuschauer zum Inhalt der Sendungen zu tun. Etwa vier Stunden lang läuft der Fernseher durchschnittlich am Tag in jedem deutschen Haushalt. Die Fernsehsender begründen ihre häufig schwachsinnigen Programmangeboten mit der Behauptung, diese Sendungen würden den Bedürfnissen der Zuschauer entsprechen. In Wahrheit geht es aber insbesondere um wirtschaftliche Interessen, um Einnahmen aus der Werbung. Die Interessen der Werbung treibenden Wirtschaft erfordern eine Verbindung zwischen den Darstellungen in den Werbespots und in den Programmen. So hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 11. September 2007 zur Festsetzung der Rundfunkgebühr kritisch festgestellt, „dass bei einer Steuerung des Verhaltens der Rundfunkveranstalter allein über den Markt das für die Funktionsweise einer Demokratie besonders wichtige Ziel der inhaltlichen Vielfalt gefährdet ist. Insbesondere die Werbefinanzierung stärkt den Trend zur Massenattraktivität und zur Standardisierung des Angebots. … Der wirtschaftliche Wettbewerb und das publizistische Bemühen und die immer schwerer zu gewinnende Aufmerksamkeit der Zuschauer führen beispielsweise häufig zu wirklichkeitsverzerrenden Darstellungsweisen, etwa zur Bevorzugung des Sensationellen und zu dem Bemühen, dem Berichtsgegenstand nur das Besondere, etwa Skandalöses, zu entnehmen“.
Die kommerziellen Sender finanzieren sich nur aus Werbeeinnahmen von sieben bis acht Milliarden Euro jährlich. Aktuell gibt es wegen der wirtschaftlichen Problemlage Schwierigkeiten. Immer nachdrücklicher wird ein Verzicht der öffentlich-rechtlichen Sender auf Werbung gefordert. Die Debatte über ein mögliches Werbeverbot bei ARD und ZDF ist neu entbrannt. Kurt Beck (SPD) sprach sich Anfang März für einen stufenweisen Verzicht auf Fernsehwerbung und Sponsoring aus. Andere Politiker bekräftigen den notwendigen Ausstieg. Knapp eine halbe Milliarde Euro weniger durch Werbung – so viel nehmen ARD und ZDF derzeit jährlich ein – könnte für jeden Gebührenzahler 1,42 Euro mehr im Monat bedeuten. Oder es müsste gespart werden.
Hervorragende Angebote im Internet
Wer gut und umfassend informiert sein will oder muss, sollte die Online-Portale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter nutzen. Ob Radiosendungen, Fernsehaufzeichnungen, Nachrichten, Verkehrsmeldungen – alles ist jederzeit aktuell im Angebot. Mit Multimedia und Podcasting kann man sein eigenes Programm zusammenstellen. Kostenlose Newsletter sind beste Informationsquellen. Und das auch noch ohne kommerzielle Werbung. Das ärgert allerdings die privaten Anbieter, und sie verlangen Einschränkungen und finden bei Politikern oft Unterstützung. Nach dem Rundfunkstaatsvertrag müssen spätestens bis zum 31. August 2010 sämtliche Internet-Angebote von ARD, ZDF und DeutschlandRadio einem so genannten Dreistufentest unterzogen werden. Es soll geklärt werden, „inwieweit das Angebot den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht, in welchem Umfang durch das Angebot in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beigetragen wird und welcher finanzielle Aufwand für das Angebot erforderlich ist“. Dabei soll untersucht werden, welche Auswirkungen ein öffentlich-rechtliches Internet-Angebot auf private Konkurrenzangebote hat. Journalistisch-redaktionell gestaltete Fernsehsendungen können nur noch bis zu sieben Tagen nach deren Ausstrahlung im Internet abgerufen werden; Sendungen von Großereignissen sowie von Spielen der 1. und 2. Fußball-Bundesliga nur noch bis zu 24 Stunden nach der Ausstrahlung im Fernsehen. Die Informationsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger wird also eingeschränkt, damit kommerzielle Internet-Anbieter mit ihren Gewinnabsichten geschützt sind.
Besonders heftig wehren sich die Zeitungsverleger gegen die Internet-Auftritte der öffentlich-rechtlichen Veranstalter. Angeblich gefährdet die Konkurrenz den Fortbestand von Tageszeitungen. Zur Verbesserung der Ertragslage beabsichtigen einige Verlage sogar die Bezahlung bei Nutzung ihrer Online-Angebote einzuführen. Doch das dürfte kaum zum Erfolg führen. Man kann den Zeitungsverlegern nur raten: Macht bessere Zeitungen! Sorgt für eine ausreichende Personalausstattung in den Redaktionen. Fördert die Qualifizierung und Motivation von Journalistinnen und Journalisten und schafft demokratische Verhältnisse in den Verlagen. (PK)
Franz Kersjes ist Herausgeber der "Welt der Arbeit" im Internet (www.weltderarbeit.de), in der er diesen Beitrag gerade veröffentlichte. Er war viele Jahre Landesvorsitzender der IG Druck und Papier/IG Medien in NRW.
Online-Flyer Nr. 248 vom 05.05.2010