SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Lokales
Besucher zur Zeitarbeitsmesse 2010 in der Kölner ARGE genötigt
Proteste gegen "Sklavenarbeit"
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Foto: Jochen Lubig
Foto: Jochen Lubig
Online-Flyer Nr. 248 vom 05.05.2010
Besucher zur Zeitarbeitsmesse 2010 in der Kölner ARGE genötigt
Proteste gegen "Sklavenarbeit"
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Foto: Jochen Lubig
Denn nicht immer motiviert freiwilliges Interesse an den angepriesenen Vorteilen von Zeit- und Leiharbeit den Besuch einer solchen Messe in der ARGE. Immer wieder ist es vielmehr der Druck der ARGE, die EmpfängerInnen von ALG II nötigt, sich auf einer Zeitarbeitsmesse zu zeigen und ihre dortige Anwesenheit bescheinigen zu lassen. Mit Sanktionsdrohungen wird der Kontakt zur Zeitarbeits-Branche von der ARGE erzwungen. Das konnte der Berichterstatter, stets argwöhnisch beäugt von Aufpassern der ARGE, bei Gesprächen mit Betroffenen mehrfach erfahren.
"Christliches" Lohndumping
Ob Zeit- und Leiharbeit einen Wiedereinstieg in den "regulären Arbeitsmarkt" ermöglicht, ist unter Experten heftigst umstritten. Überdies haben insbesondere "christliche Gewerkschaften" in trauter "Sozialpartnerschaft" mit der sogenannten "Arbeitgeberseite" durch Dumping-Tarifverträgen dafür gesorgt, die Entlohnung für Zeit- und Leiharbeit in Richtung Hungerlöhne zu drücken.
Politisch gewollt: Entwertung der Arbeit
Die Bundesanstalt für Arbeit, wie sich diese Einrichtung ironischerweise immer noch nennt, unterstützt gleichwohl die mindestens zweifelhafte Zeit- und Leiharbeitsbranche, und die ARGEn üben, wie erwähnt, Druck aus, um Bezieher von Sozialgeld der Niedriglohnsphäre zuzutreiben. Vor dem Hintergrund solcher politisch strukturierter institutioneller Zusammenhänge rundet es das Bild recht hübsch ab, daß der ehemalige SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, wohlbekannt durch seine sozialdarwinistischen Ausfälle gegen Hartz-IV-Empfänger, heute als Spitzenfunktionär der Leiharbeitsbranche seine magere Ministerpräsidenten- und Bundesminister-Pension aufbessert.
"Demokratische Sozialordnung" nach Gutsherrenart
Wo soziale Demontage vorgegeben ist, kann es auch mit Demokratie nicht weit her sein. Diese ohnehin ARGE-typische Grundmaxime bestätigte sich am Eröffnungstag der Zeitarbeitsmesse erneut. Verschiedene Erwerbslosen-Initiativen protestierten vor dem Gebäude der ARGE gegen die Veranstaltung: "Zeitarbeit ist Ausbeutung", verkündete ein Plakat, "Gleiches Geld für gleiche Arbeit", forderte ein anderes. Die Polizei hielt sich zurück, führte sogar durchaus freundliche Gespräche mit den AktivistInnen.
Foto: Jochen Lubig
Gleichwohl wurde eifrig gefilmt, was in Polizeikreisen ohnehin zu den beliebtesten Hobbies gehört, und der Betrieb einer Beschallungsanlage wurde als unangemeldet untersagt. Den Geist der demokratischen Sozialordnung nach ARGE-Manier bekamen die Protestierenden dann allerdings im Gebäude auf der Messe selbst wieder einmal aussagekräftig zu spüren. Gegeninformationen durch Flugzettel waren nicht erwünscht, die Verteilung von Informationsblättern durch die KritikerInnen der Zeit- und Leiharbeit wurde untersagt, und von einem selbsternannten Inhaber eines angeblichen ARGE-Hausrechts wurden vier Hausverbote ausgesprochen. - ARGE- und BRD-Demokratie anno 2010.
IG Metall: "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit"
Als einzige kritische Komponente mußte der Informationsstand hingenommen werden, den die IG Metall auf der Zeitarbeitsmesse aufgestellt hatte. Die DGB-Gewerkschaften plädieren natürlich für den Grundsatz der Lohngleichheit. Freilich kann auch dieser ins Gegenteil umschlagen - als Ausrichtung an den niedrigen Tarifen, wie sie bei Zeit- und Leiharbeit seit Jahren eingerissen sind.
Der anwesende Vertreter des IG Metall Landesbezirks Nordrhein-Westfalen zeigte sich befriedigt darüber, daß die Christliche Gewerkschaft Zeitarbeit und Personaldienstleistungen (CGZP) vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg durch Beschluss vom 7. Dezember 2009, Aktenzeichen: 23 TaBV 1016/09, als nicht tariffähig erklärt worden war. Doch sieht er sich und die DGB-Gewerkschaften nicht - oder noch nicht - in der Lage, die von den christlichen Schein-Gewerkschaften eher im Interesse der "Arbeitgeber" als der prekär Beschäftigten aufgebauten Tarifgefüge unterer Stufe vollständig umzuwerfen. Das Arbeitsgerichtsurteil sei noch nicht rechtskräftig, und wie das Bundesarbeitsgericht abschließend entscheiden werde, sei nicht voraussehbar. Das "christliche" Tarifdumping könnte sich am Ende im schlechtesten Fall doch noch als Erfolgsmodell "bewähren". Natürlich nur im Sinne der Nutzer fremder Arbeit und nicht im Interesse derjenigen, die nichts haben als ihre zunehmend entwertete Arbeitskraft.
Verfassungs-Schutz für Leiharbeit
Gleichwohl mußte der IG-Metall-Kollege in den Diskussionen auf der Zeitarbeitsmesse einräumen, daß es ohne weiteres nicht möglich sei, Leiharbeit schlichtweg zu verbieten. Es gibt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 1967, mit dem die Leiharbeit („gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung“) prinzipiell "legalisiert" wurde (BVerfGE 21, 261). Aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 des Grundgesetzes leitete das Bundesverfassungsgericht abweichend vom staatlichen Arbeitsvermittlungs-Monopol die grundrechtliche Erlaubnis des Betriebes von Zeit- und Leiharbeitsfirmen ab: Leiharbeit als Menschenrecht - der Unternehmer. Die Instrumentalisierung der Zeitarbeit als Hebel, um Arbeitslöhne und -bedingungen auf breiter Front nach unten zu drücken, konnte sich denn auch in "Synergie" mit den sogenannten Sozialreformen der Schröder-Fischer-Regierung erst richtig und vollends durchsetzen, unter der Agenda 2010 und dem Hartz-System.
Schlagt nach bei Gerhard Schröder
So kann heute als grundsätzlich treffende Beschreibung der Situation zeit- und leihweise Beschäftigter gelten, was der Titel von Gerhard Schröders Standardwerk über "Leiharbeiter in Deutschland" vorgibt: "Fleißig, billig, schutzlos". Doch handelt es sich bei diesem Gerhard Schröder nicht um den berüchtigten Kanzler von Agenda 2010 und Hartz I-IV. Der Buchautor ist hauptberuflich vielmehr wirtschafts- und sozialpolitischer Redakteur des Deutschlandfunks.
Gut verdienen mit Niedriglohn
Alle Kritik der Zeit- und Leiharbeit wird freilich kaum verhindern können, daß dieses Biotop satter Verdienste mit niedrig entlohnter Arbeit weiterhin florieren wird. Auch um das Tarifgefüge im Interesse der "Unternehmergewinne" insgesamt aufzusplitten, sind Zeit- und Leiharbeit im Sinne eines neoliberalen Gesellschaftsmodells politisch einfach zu "wertvoll", als daß die Fast-Allparteienkoalition der Marktideologen der Branche ins Handwerk pfuschen würde. Etwa durch gesetzliche Vorgaben, die tariflichen Mindestbedingungen zwingend am Postulat der gleichen Entlohnung zu orientieren. Nur die Linkspartei fordert schlicht und ergreifend das Verbot der Leiharbeit - so Oskar Lafontaine in einem Interview mit der NRhZ (Nr. 176 vom 10.12.2008: „Linke will gesellschaftlichen Wandel“, siehe http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13230).
"Man wird immer verarscht"
Das würden manche Betroffene durchaus unterstützen, wie bei der Zeitarbeitsmesse am Gewerkschaftsstand aus Diskussionen mit Besuchern hervorging. Auch einschlägige Blogs mit Erfahrungsaustausch Betroffener im Internet liefern hierfür reichlich Anschauungsmaterial, so etwa auf der youtube-Plattform von "streik tv". Auf der User-Kommentarseite zum Filmclip "Leiharbeit ist Sklavenarbeit" ist beispielsweise zu lesen: "Drecks-Zeitarbeit! Habe bei 10 Zeitarbeitsfirmen gearbeitet...alle haben mich von Anfang an belogen und betrogen. Man wird immer verarscht und ist bei der Stammbelegschaft geächtet." Und ein anderer Ex-Leiharbeiter schreibt: "Viele Millionen Menschen arbeiten mittlerweile zu sittenwidrigen Stundenlöhnen z.B. über Leiharbeitsfirmen und sind nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt mit ihren mickrigen Löhnen selbst zu bestreiten, so dass sie zusätzlich auf Hartz 4 angewiesen sind!"
Zukunftsprojekt Abrißbirne
Die Forderung: "Diese Branche gehört verboten samt allen verlogenen Politikern!", dürfte sich aufgrund der oben geschilderten verfassungsrechtlichen Situation allerdings als unrealistisch erweisen. Denn dafür müßten die gleichfalls verbotsbedürftigen "verlogenen Politiker" das Grundgesetz ändern. Die Branche und deren politisches Umfeld brauchen sich also von daher kaum Zukunftssorgen zu machen.
So konnte denn auch die symbolische Abrißbirne, die die protestierenden Aktivisten zur Eröffnung der Zeitarbeitsmesse mitgebracht hatten, nicht wirklich Furcht einflößen - dieses Mal zumindest.
Tipp: Empfehlenswert erscheint u.a. die erwähnte Seite "streik tv", die auf youtube viele sozialpolitische Clips zu Themen wie Leiharbeit, Lohndumping und "gelbe Gewerkschaften" enthält.
Nach wie vor referentiell ist das Standardwerk "Fleißig - billig - schutzlos" über "Leiharbeiter in Deutschland" von Gerhard Schröder, Fackelträger-Verlag, Köln, 264 S., ISBN: 978-3-7716-4394-2; 16,95 Euro. (PK)
Online-Flyer Nr. 248 vom 05.05.2010