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Mülheim/Ruhr – vier Beispiele von vielen für's kommunale Schuldenmachen
Täuschungsmanöver
Von Lothar Reinhard
Träumen vom Prestigeprojekt Ruhrbania: Helga Sander (Grüne), seit 1996 Dezernentin für Umwelt, Planen und Bauen (links), und OB Dagmar Mühlenfeld (SPD)
Online-Flyer Nr. 250 vom 19.05.2010
Mülheim/Ruhr – vier Beispiele von vielen für's kommunale Schuldenmachen
Täuschungsmanöver
Von Lothar Reinhard
Träumen vom Prestigeprojekt Ruhrbania: Helga Sander (Grüne), seit 1996 Dezernentin für Umwelt, Planen und Bauen (links), und OB Dagmar Mühlenfeld (SPD)
Quelle: www.muelheim-ruhr.de
Die für dn 27. Mai vorgesehene Verabschiedung des Haushalts 2010 der Stadt Mülheim wurde am Mittwoch überraschend von den Spitzen von SPD, CDU, FDP und Grünen auf Juli verschoben. Der NRZ-Kommentar, der die Begründung der Kungelrunde, die das entschied („wegen der Fülle der Vorschläge fehle die Zeit, sinnvoll zu entscheiden“) absurd nannte, trifft voll zu. Beleuchten wir also andere mögliche Gründe und Ursachen, unabhängig von der NRW-Wahl, für die auf allen Ebenen ohnehin alles Mögliche verschoben wurde. Doch diese ist gelaufen und die Mölmsche erneute Verschiebung kam erst danach. Warum also das ganze Durcheinander?
Schauen wir uns zur möglichen „Motiverforschung“ den Haushalt 2010 für „Us Mölm“ (Unser Mülheim) an: Der gesamte Haushalt der Stadt ist bekanntlich ein ziemlich großes Täuschungsmanöver, weil alle größeren Investitionen wie Ruhrbania, Feuerwehrneubau, Medienhaus, Rathaussanierung, Sanierung dreier großer Schulen, Stadionumbau, Haus der Stadtgeschichte in der ehemaligen Augenheilanstalt per "Umwegfinanzierung" über PPP oder PPP-ähnliche Konstruktionen im Haushalt als solche nicht auftauchen. Dass der Kämmerer damit bisher der Finanzaufsicht des Regierungspräsidenten (RP) „Nettoneuverschuldung 0“ anzeigte, erinnert irgendwie bereits an griechische Bilanzen für die EU!
Die letzten 3 Jahre wurde der Mölmsche Haushalt trotz neuer Schulden als „ausgeglichen“ verkauft, weil die Fehlbeträge durch die sog. Ausgleichsrücklage „gedeckt“ seien, die bei der Umstellung auf NKF (Neues Kommunales Finanzmanagement mit sog. doppelter Buchführung) rein bilanziell entstanden. Diese sind nun „aufgebraucht“ (rein virtuell Jahr für Jahr subtrahiert!), und ab 2010 muss ein Haushaltssicherungskonzept (HSK) aufgestellt werden, um die realen Fehlbeträge zu verringern. Das muss dann der RP genehmigen. Wenn nicht, entsteht „Nothaushalt“ und die RP-Genehmigungspflicht zu allen Investitionen und Ausgaben. Als Nothaushalts-Kommune mit dann vorläufiger Haushaltsführung wäre Mülheim aber auch an andere Regeln gebunden, die der RP durchsetzen müsste:
1. Beispiel: PPP-Verträge
PPP-Verträge (private public partnership) zu städtischen Liegenschaften garantieren dem privaten „Partner“ neben der Abzahlung der Investitionskosten+Zinsen per „Forfaitierung mit Einredeverzicht“ auch noch die „Miete“ für die Betreibung der Gebäude auf 25 Jahre. Bei Nothaushalt müssen inzwischen aber laut Innenminister-Erlass die PPP-Raten, zumindest für den Baufinanzierungsanteil, leider nicht für die 25 Jahre „Miet“kosten auf das erlaubte Investitionsvolumen der Stadt angerechnet werden.
Nun soll am 27. Mai im Mülheimer Rat die Vergabe für das riesengroße PPP-Projekt für 3 bzw. 4 Schulen im Paket beschlossen werden. Dafür müssten die bisher angesetzten städtischen Gesamtinvestitionen im Jahre 2012 um 1,7 und in 2013 um 3,7 Mio. € vermindert werden, wenn Mülheim in den Nothaushalt gerät, was kaum zu vermeiden sein wird. Wenn nun der Beschluss im Mai gefällt wird, der Etat aber erst im Juli beschlossen und dann ungefähr im September/Oktober vom RP nicht genehmigt wird, so wird die Stadt höchstwahrscheinlich beim RP beantragen, diese PPP-Raten entgegen des Innenministererlasses nicht vom noch erlaubten Investitionsvolumen abziehen zu müssen -wegen „Vertrauensschutzes“, denn die Stadt konnte im Mai 2010 (angeblich) noch nicht wissen, dass der im Juli(!) 2010 beschlossene Etat 2010 nicht genehmigungsfähig sein würde. Das wirkt etwa so, als hätte man hellenische Berater a.d. Ruhr, gell!
2. Beispiel: Millionen-Grab Ruhrbania
Bis zu den Kommunalwahlen letzten August konnte OB Dagmar Mühlenfeld verkünden, ihr Prestigeprojekt komme bestens voran. Mindestens 50 Mio. hatte die Stadt an Vorleistungen bereits erbracht, um bestehende Infrastruktur zu beseitigen, damit private Baufirmen ein neues Mülheim mit Ruhrpromenade errichten könnten. Doch dann brachen die Pläne nach und nach ein. Die erhoffte Fachhochschule auf den Baufeldern mit noch funktionierenden Gebäuden (Gesundheitshaus, AOK, ex-Arbeitsamt) und Verkehrsbauten (Brückenkopf mit 3 overflies) war im September schon Vergangenheit und die großen Pläne des holl. Investors Kondor Wessels auf dem sehr teuer freigemachten 1. Baufeld (u.a. Rathausabriss und Zerstörung Gartendenkmal) schrumpften und verschoben sich nach der Wahl von Mal zu Mal. Spätestens dann hätte ein Überdenken einsetzen müssen. Doch Fehlanzeige. (siehe http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14091)
Das sog. Ruhrbania, Baulos 2, inkl. overfly-Abriss (Umbau des Brückenkopfs der Nordbrücke in eine Riesenampelkreuzung) für 15 Mio., 1,7 Mio. zum Kauf des ex-Arbeitsamtes, Bücherei-Abriss usw. wurde von Frau Mühlenfeld und ihrer „grünen“ Planungsdezernentin mit ähnlicher Logik, aber gegen Sinn und Verstand in diesem Jahr noch durchgeboxt. Das war erlaubt, weil die Etateinbringung nicht wie vorgeschrieben im letzten Herbst geschah, sondern auf Februar hinausgezögert wurde. Der Scherben- und Trümmerhaufen ist bereits bisher groß, die Zukunft zudem ungewiss. Bekanntermaßen haben die Griechen für Olympia keine Millionen an Euros gescheut, um protzen zu können, was die Verschuldung enorm in die Höhe trieb, aber wenigstens ein runderneuertes Athen hinterließ. Bei Ruhrbania aber kommt nach all der Anstrengung und den verpulverten Millionen womöglich nix oder wenig oder Murks, wie das Scheitern erst der Hotelpläne, der Ruhrbania-FH-Pläne und dann des Ärztezentrums befürchten lässt!
3. Beispiel: Das neue Stadion für VfB Speldorf NRW-Liga)
Auch beim Stadionumbau handelt es sich um die gleiche haushalterische Trickserei, denn als HSK-Kommune dürfte der Umbau der Bezirkssportanlage Saarner Straße und des Ruhrstadions in Styrum nicht mehr mit dem Verkauf der Sportplätze Blötterweg und Hochfelder Straße gegengerechnet werden. Die Einnahmen beim Verkauf müssten zur Schuldentilgung im Haushalt verbucht werden.
Die zugehörigen Bebauungspläne wurden gerade jetzt durch die Auslegungsphase gepeitscht (Auslage war bis 12. Mai!), ohne dass z.B. bis heute irgendjemand sagen könnte, wo denn Ersatz für den Schulsportplatz Hochfelder Str. überhaupt entstehen könnte, den man den Grundschulkindern zweier Schulen für die Stadionfinanzierung einfach wegnehmen will! Doch egal: Anfang September könnte der Satzungsbeschluss für die beiden B-Pläne gefällt werden und dann kann man beim RP wieder „Vertrauensschutz“ und Ausnahme von den Bestimmungen für HSK-Kommunen beantragen, oder?
Spätestens dabei könnte der Verdacht aufkommen, dass auch Vorsatz und Kalkül mit im Spiel sein könnte, wenn die Etatverabschiedung immer weiter verschoben wird. Getreu nach dem griechischen Motto: Weitermachen, bis der Arzt kommt. Und bis dahin Augen zu und durch!
4. Beispiel: Die Personalkosten
Stadtkämmerer Bonan, auch genannt „Bonan von Münchhausen“, verkündete u.a. im Rahmen der Bürgerhaushaltsforen öffentlich, bis 2013 rd. 185 Stellen einzusparen. Auch das wirkt wie ein Märchen, genau wie die 1,5%ige-Einsparung beim Personal, die sich seit Jahren jedes Jahr aufs Neue als Gegenteil erweist! Im Stellenplan des Etatentwurfs für 2010 nämlich steht:
Beamte: Am 30.6.2009 tatsächlich besetzte Stellen 670,97 und Zahl der Stellen 2010 709,35
Tariflich Beschäftigte: Am 30.6.2009 tatsächlich besetzte Stellen 1362,58 und Zahl der Stellen 2010 1431,39
Diese Stellenangaben berücksichtigen nicht die diversen ausgegliederten oder teilprivatisierten GmbHs. Bei der kleinen Sozialholding (für 3 Altersheime) wurde ja z.B. gerade erst ein zusätzlicher 2. Geschäftsführer eingestellt!
Mit anderen Worten: 2010 soll es allein im Kernbereich 39 Beamte und 69 mehr tariflich Beschäftigte bei der Stadt Mülheim geben können, als im letzten Jahr noch bezahlt werden mussten! Je später der Nothaushalt kommt, je mehr der ausgewiesenen Stellen können noch besetzt werden. Im Notfall gilt dem RP gegenüber dann wie oben „Vertrauensschutz“ nach dem Motto: „Konnten wir vorher einfach nicht wissen, das mit dem Nothaushalt, gell“!
Die angekündigte "Personalkosten-reduzierung" entpuppt sich dann wieder einmal als das exakte Gegenteil und es wird immer schwieriger, die Etats der kommenden Jahre überhaupt noch in den Griff bekommen zu können.
Fahrlässige Haushaltspolitik
In der schrumpfenden Stadt Mülheim mit 100 Mio. Haushaltsloch und 515 Mio. Kassenkredite im Etatentwurf 2010 wirkt das alles bedenklich, denn für die Nothaushalte der kommenden Jahre ist vieles schlichtweg schon vorher verfrühstückt, weil man
1. nicht spätestens nach Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise auch die Weichen vor Ort im Etat 2009 anders stellen wollte und
2. dann auch noch den nächsten Etat 2010 andauernd verschob, um noch alle möglichen Projekte und Pläne einleiten oder weitermachen zu können. Das aber ist geradezu fahrlässig!
Unsere OB, Frau Dagmar Mühlenfeld, ist Sprecherin von 20 überschuldeten Städten, deren Bündnis sich „Raus aus den Schulden“ nennt. Wie glaubwürdig kann sie gegenüber dem Land die dringend notwendige Verbesserung der Kommunalfinanzierung vertreten, wenn sie das eigene Haus nicht in Ordnung bringt oder vorerst nicht bringen will? Da ist ja nicht nur die unfassbare Geldverschwendung für die „heilige Kuh“ Ruhrbania, die ach so schwer kränkelt und per se keine Milch geben will!
„Raus aus den Schulden“ – aber wie?
Will man den Mülheimer Haushalt nach derart vielen Fehlentwicklungen in den Griff bekommen, müssen einige Weichen ganz neu gestellt werden: Gutachteritis, Personalaufblähung, insbesondere der höheren Ebenen, und unbezahlbare Prestigeprojekte müssen zurückgefahren werden, Schattenhaushaushalte und Umwegfinanzierung müssen abgeschafft werden, d.h. auch Privatisierung und PPP nach und nach rückabzuwickeln.
Natürlich kann z.B. etliches bei Repräsentation, Dienstwagen, Empfängen, Ehrungen etc. gespart werden. Natürlich führt insbesondere im Ruhrgebiet kein Weg an ernsthafter städteübergreifender Kooperation und Aufgabenaufteilung mehr vorbei. Natürlich muss auch die Kommunalfinanzierung deutlich verbessert werden. Natürlich muss der Solipakt Ost geändert oder abgeschafft werden, insbesondere für bankrotte Städte im Ruhrgebiet oder im Bergischen Land. Natürlich muss der Bund mehr für die Mietkosten der Hartz IV-Empfänger an die Kommunen zahlen, doch alles hilft wenig, wenn vor Ort gewirtschaftet wird wie in Mülheim. Das wäre dann ein Fass ohne Boden, nur beschäftigt damit, wie man mit Bilanzierungstricks oder Umwegfinanzierungen auch gegen jegliche Vernunft Geld ausgeben kann und seine Leute bedient auf Teufel komm raus!
Für alles nämlich gilt: Die Wiedereinführung der Grundsätze von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit ist dringende Voraussetzung, um nicht wie die Griechen mit dem Rücken durch die Wand zu fallen! (PK)
Lothar Reinhard ist Fraktionssprecher der Mülheimer Bürgerinitiativen im Stadtrat
Online-Flyer Nr. 250 vom 19.05.2010