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Der Fern-Seher (37)
Na denn, schönen Urlaub wünsche ich!
Von Ekkes Frank
Ehe ich, der Fern-Seher, nach einem erneuten Kurztrip nach Köln im Juli 2010 wieder abreise von hier, möchte ich diesen tiefgefühlten Wunsch loswerden. Zuerst natürlich wünsch ich das jenen, die sich den Urlaub am meisten verdient haben, also unsere Kanzlerin und ihre aufopferungsvolle und so überaus erfolgreiche Regierungstruppe! Ich spreche dabei im Namen des Volkes, das nach dem so verheißungsvollen Start im Herbst letzten Jahres einen so fulminanten Endspurt erleben durfte: die souverän gestaltete Wahl eines neuen Bundespräsidenten; das Jahrhundertwerk der Gesundheitsreform mit völlig gerecht verteilten Lasten; die längst überfällige Förderung von echten Elite-Studenten statt eines sozialistischen Gießkannen-Bafög. Und all das und noch viel mehr voll abgesichert durch das unbeirrte Festhalten an der Verteidigung all dieser Maßnahmen durch unsere tapferen Jungs am Kundus. Hoch verdient also, wie gesagt, dieser Urlaub, brave Angela, edler Guido, und all ihr anderen!
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Online-Flyer Nr. 258 vom 14.07.2010
Der Fern-Seher (37)
Na denn, schönen Urlaub wünsche ich!
Von Ekkes Frank
Ehe ich, der Fern-Seher, nach einem erneuten Kurztrip nach Köln im Juli 2010 wieder abreise von hier, möchte ich diesen tiefgefühlten Wunsch loswerden. Zuerst natürlich wünsch ich das jenen, die sich den Urlaub am meisten verdient haben, also unsere Kanzlerin und ihre aufopferungsvolle und so überaus erfolgreiche Regierungstruppe! Ich spreche dabei im Namen des Volkes, das nach dem so verheißungsvollen Start im Herbst letzten Jahres einen so fulminanten Endspurt erleben durfte: die souverän gestaltete Wahl eines neuen Bundespräsidenten; das Jahrhundertwerk der Gesundheitsreform mit völlig gerecht verteilten Lasten; die längst überfällige Förderung von echten Elite-Studenten statt eines sozialistischen Gießkannen-Bafög. Und all das und noch viel mehr voll abgesichert durch das unbeirrte Festhalten an der Verteidigung all dieser Maßnahmen durch unsere tapferen Jungs am Kundus. Hoch verdient also, wie gesagt, dieser Urlaub, brave Angela, edler Guido, und all ihr anderen!
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Und das gilt natürlich genau so jener anderen Truppe, die uns alle fast noch mehr begeistert hat, mit ähnlicher Klugheit, taktischer Raffinesse und noch besserer Beinarbeit, vor den Augen der Nation, ja der ganzen Welt, wie uns alle unsere Medien unermüdlich versichert haben. Bis zum Umfallen hat Jogi Löw's multi-ethnisches Deutschland! Deutschland!! gekämpft und dann auch so unerwartet viel erreicht: überquellende Fanmeilen von Berlin bis München, Stadien, Straßen und Kneipen im schwarz-rot-goldenen Fahnenfarbentaumel als Kontrast zu dem tristen Grau des Krisenalltags, seitenlange hochwissenschaftliche Untersuchungen in der deutschen Presse, stundenlange TV- und Radiobeiträge voller netzerscher Intelligenz und Katrin-Müller-Hohenstein'scher Zitatensicherheit, und schließlich - leider, leider! - nur Platz 3, eine bittere Enttäuschung, nicht zuletzt für „unsere Jungs“ selber, denen dadurch 150.000 Euro durch die Lappen gingen. Also nicht zusammen, sondern jedem einzelnen. Gottseidank hat der neue Bundespräsident, wie zu erwarten volksnah reagiert und dem Trainer das Bundesverdienstkreuz verpasst. Dass unsere Jungs keine Lust hatten, nach all diesen Plagereien auch noch auf der Fanmeile in Berlin anzutanzen - völlig verständlich! Auch sie sind einfach urlaubsreif!
Angeblich sind das auch die Deutschen überhaupt. Aber da ist doch ein großes Fragezeichen angebracht!! Erst mal: Millionen sind bekanntlich immer noch arbeitslos, Hunderttausende sind in Kurzarbeit. Logischerweise steht denen doch dann auch nur Kurzurlaub zu bzw. eben eine urlaubslose Zeit. Oder??
Viel eher eine richtige Erholung brauchen dagegen doch jene Führungskräfte von Unternehmen, besonders Banken und Kreditinstituten, auf denen herumzuhacken seit Jahren so modisch wie ungerecht ist, und von denen manche - Gottseidank längst nicht alle, bei denen das möglich wäre! - sogar staatsanwaltschaftlichen Rumschnüffeleien ausgesetzt sind, wie gerade ganz aktuell einige führende Männer von Ford.
Ach übrigens: wo wollen die erwähnten Massen überhaupt Urlaub machen? In Griechenland? Also bitte! Das retten wir gerade vorm Staatsbankrott, da legen wir uns doch nicht noch dazu in die Sonne! Spanien? Ökonomisch auch nicht viel besser drauf, die ganzen schönen Strände verbaut, und jetzt auch noch Weltmeister, obwohl - aber halten wir uns zurück! Italien? Wer weiß, wie lange der zeitgemäße Superdemokrat Berlusconi den Laden da noch im Griff hat, es gibt da so Anzeichen... Und wenn der mal weg ist, kommt doch das totale Chaos! Frankreich? Höchstens was für Sarkozyniker, sorry!
Außerdem: dank dem Klimawandel, den auch die deutschen Regierungen der letzten Jahrzehnte in gewolltem und effektivem Zusammenwirken mit der deutschen Wirtschaft so fleißig gefördert haben, herrscht in Deutschland doch das perfekte Urlaubswetter! Die Devise also: Bayern statt Bahia, Meck-Pomm statt Mekong, Titi reicht als See, da braucht es kein -caca dazu. Das spart Reisekosten, nützt der heimischen Wirtschaft, besonders dem Hotelgewerbe, das ja nur dank Westerwelle noch nicht völlig zusammengebrochen ist.
Kurz: in Abwandlung eines bekannten Sprichwortes sage ich: Bleibe im Lande und erhole dich redlich. Das muss doch auch allen Hartz-IV-Empfängern möglich sein. Für Urlaub ist da zwar nichts vorgesehen; aber für „Freizeit/Kultur“ (eine schöne Kombi!), und zwar 11 %. Das sind doch immerhin pro Tag 1,32 Euro.
Na, schönen Urlaub denn, allerseits!
Ekkes Frank, Kabarettist, Singersongwriter, Hörspiel- und TV-Autor, seit mehr als 30 Jahren parteiunabhängiger Kommentator der politischen und sozialen Zustände, lebt in Italien:
„Ich habe keinen Fernseher – ich bin ein Fern-Seher. Ich betrachte das Land, in dem ich geboren, erzogen und zu dem wurde, der ich bin, nicht mehr von innen, als Mit-Erlebender, Mit-Leidender, Mit-Kämpfer. Ich bin weg.
Aus der Ferne betrachtet – dabei ist Italien in den Zeiten von Internet und Ryanair gar nicht mehr so fern – wirkt diese BRD ziemlich klein, viel unwichtiger als sie selbst sich gern sieht („Wir sind wieder wer“). Eben wie ein normales europäisches Land.
Manchmal kriege ich dann etwas mit, das mich zu einer Reaktion motiviert. Und manchmal reise ich auch noch nach Norden, nach Germania. Und ich schalte, irgendwie gewohnheitsmäßig, das noch immer dort herumstehende TV-Gerät ein. Dann bin ich sozusagen ein totaler Fern-Seher…“ (PK)
„Ich habe keinen Fernseher – ich bin ein Fern-Seher. Ich betrachte das Land, in dem ich geboren, erzogen und zu dem wurde, der ich bin, nicht mehr von innen, als Mit-Erlebender, Mit-Leidender, Mit-Kämpfer. Ich bin weg.
Aus der Ferne betrachtet – dabei ist Italien in den Zeiten von Internet und Ryanair gar nicht mehr so fern – wirkt diese BRD ziemlich klein, viel unwichtiger als sie selbst sich gern sieht („Wir sind wieder wer“). Eben wie ein normales europäisches Land.
Manchmal kriege ich dann etwas mit, das mich zu einer Reaktion motiviert. Und manchmal reise ich auch noch nach Norden, nach Germania. Und ich schalte, irgendwie gewohnheitsmäßig, das noch immer dort herumstehende TV-Gerät ein. Dann bin ich sozusagen ein totaler Fern-Seher…“ (PK)
Online-Flyer Nr. 258 vom 14.07.2010