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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2025  

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Kultur und Wissen
Else-Lasker-Schüler-Forum erinnerte in Israel an dessen europäische Wurzeln
60 Absagen aus Protest
Von Peter Kleinert

Etwa 600 Besucher bei 15 Veranstaltungen zählte die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft aus Wuppertal bei ihrem XVII. Forum – dem zweiten in Israel. Ausverkauft war das vor allem bei jungen Leuten beliebte Tmu-Na-Theater Tel Aviv bei der Uraufführung eines zweisprachigen, autobiografisch geprägten Stücks der israelisch-deutschen Autorin und Schauspielerin Sara von Schwarze. Vor allem das israelische Publikum feierte die „mutige Inszenierung“ von „HIER UND DORT oder DAZWISCHEN“. Dabei ging es um einen vermeintlichen Mord an einem israelischen Soldaten, um ein palästinensisches Kind zu retten.
 

Stellte ihr Stück „HIER UND DORT oder
DAZWISCHEN“ vor - Sara von Schwarze
Fotos: Gerd Stock 
Die „Täterin“, eine Fotografin, kommt auf der Flucht zu ihrem Vater nach Deutschland, einem frommen Juden, engagiert und geachtet in seiner Gemeinde. Tatsächlich aber, so stellt sich später bei einer Auseinander-setzung heraus, war er „Arier“ und deutscher Wehrmachtssoldat, der später konvertierte. Diese Vergangenheit hatte er bislang verheimlicht.
 
Sarah von Schwarze ist in Israel eine bekannte Fernseh- und Theaterschauspielerin, geboren in Deutschland. Ihre Eltern traten zum Judentum über und wanderten mit ihren Kindern Ende der 60er Jahre nach Israel aus. Sara hofft, das Stück weiter in Israel aufführen zu können – ein Stück, dass auch am Umgang mit den Palästinensern und am Raubbau mit den Wasserreserven Kritik übt. Erstmals trat sie dabei (in der Rolle der Tochter) in ihrem Land zweisprachig auf. Thematisiert hat sie dabei auch die nach ihrer Ansicht untergeordnete Rolle der Frau in der jüdischen Religion.


Poster mit Sara von Schwarze für das ELS-Forum in Tel Aviv

Den Auftakt der aus Deutschland „mitgebrachten“ Stücke bildete „Leben? Oder Theater?“ – ein Live-Hörspiel des Solinger Theaterkollektivs „Artcore“ über die in Auschwitz ermordete junge Malerin Charlotte Salomon. Die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft wollte mit diesem Forum einmal mehr zeigen, was ein Zentrum für verfolgte Künste international bewirken kann – ein Zentrum, das im Solinger Kunstmuseum entstanden ist. Dieses Museum war nun auch Partner der ELS-Gesellschaft in Israel, und brachte ein 80seitiges Magazin zum Forum heraus. Darin publiziert der Kunstsammler Gerhard Schneider erstmals, warum er zum Sammler verfemter Kunst wurde.
 
Uraufgeführt wurden in Tel Aviv auch Else Lasker-Schüler-Gedichtvertonungen von Wilhelm Rettig aus der Mitte der 20er Jahre – die Noten waren zufällig wiederentdeckt worden – interpretiert von der Sopranistin Michal Shamir, die einst in Deutschland bei der berühmten Sängerin Elisabeth Schwarzkopf ausgebildet worden ist. Später trat sie u.a. an der Hamburgischen Staatsoper, der Deutschen Oper Berlin und der Volksoper Wien auf. Wilhelm Rettig, 1892 in Leipzig geboren, mußte vor den Nazis ins Ausland fliehen. Else Lasker-Schüler hatte ihm aus Dankbarkeit für seine Vertonungen eine Zeichnung geschenkt, die in der Nationalbibliothek in Jerusalem aufbewahrt wird. Dort finden sich auch die Nachlässe anderer deutschsprachiger Juden, etwa von Max Brod, Arnold Zweig und Albert Einstein.
 

Trug Else Lasker-Schüler-Gedichtvertonungen
von Wilhelm Rettig aus der Mitte der 20er
Jahre vor - Sopranistin Michal Shamir
Denn bei diesem zweiten Forum der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft in Israel – das erste fand 2001 mit Angela Winkler, Milva und Herta Müller in Jerusalem statt – ging es um die europäischen Wurzeln Israels. Davon handelten u.a. Vorträge über den Kommunisten Moses Hess und den bürgerlichen Autor Theodor Herzl. Ihre Bücher bilden wichtige Grundlagen des israelischen Staates und wurden auf Deutsch geschrieben. Doch der Bogen der insgesamt 15 Veranstaltungen war weiter gespannt. Zeitzeugen erlebten mit Zuhörern aus Deutschland und Israel eine Lyriklesung am Grabe von Else Lasker-Schüler auf dem Ölberg in Jerusalem. Vorträge im Goethe-Institut befassten sich mit Hebräisch in der Weimarer Republik, mit deutschen Rabbinern in Israel oder dem exilierten Weltbürger Max Ernst, vorgestellt von Jürgen Wilhelm von der Max-Ernst-Stiftung Brühl, der zugleich als Vorsitzender der Landschaftsversammlung Rheinland deutsche Politik bei der Eröffnung des Forums repräsentierte. 
 
Heftige Kritik an der Haltung Israels gegenüber den Palästinensern übte der israelische Wissenschaftler und Publizist Prof. Moshe Zuckermann von der Universität Tel Aviv. Seine Schulzeit hatte der 1947 in Israel geborene Zuckermann in Frankfurt am Main verbracht. An der Diskussion im Goethe-Institut Tel Aviv war auch der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, beteiligt. Seine Eltern stammen aus Deutschland. Moderator Jakob Hessing, Germanistikprofessor in Jerusalem, ist in einem polnischen Aussenlager 1944 geboren worden. Das Thema des Disputs, bei dem der aus Ostberlin stammende Schriftsteller Chaim Noll Gegenpositionen zu Moshe Zuckermann bezog, lautete: „Verhasst, verdrängt, wiederentdeckt: Die deutschen Wurzeln Israels.“
 

Kritiker der israelischen Regierungspolitik
- Prof. Moshe Zuckermann von der
Universität Tel Aviv
Dabei erinnerten Dr. Georg Blochmann, Leiter des gastgebenden Goethe-Instituts, und Hajo Jahn, Vorsitzender der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft und der Stiftung „Verbrannte und verbannte Dichter – Für ein Zentrum der verfolgten Künste“, an die vielfältigen Verbindungen Israels mit dem Okzident. So basiere die Rechtssprechung, die Städteplanung oder das staatliche Archivwesen auf weitgehend deutschen Vorbildern: Der verstorbene Staatsarchivar Israels, der in Wuppertal geborene Sozialdemokrat Prof. Paul Alsberg, war ein international renommierter Fachmann und wurde deshalb auch von konservativen Regierungschefs übernommen. Paul Alsberg hat die Protokolle der Adolf Eichmann-Vernehmungen publiziert – Eichmann, der Bürokrat der „Endlösung der Judenfrage“, stammt aus Solingen. Berufen worden war Prof. Alsberg von David Ben Gurion, der wie der Schirmherr des Forums, Shimon Peres, in Osteuropa geboren wurde. 


Tel Aviv ist Weltkulturerbe als „Bauhaus-Stadt“ – hier im Bild das Bauhaus-Museum. Else Lasker-Schüler war am 1. April 1920 von den Bauhaus-Avantgardisten als Avantgardistin des Expressionismus zur ersten Dichterlesung ins Bauhaus Weimar eingeladen worden. – Einer der Gründe für das ELS-Forum über die europäischen Wurzeln Israels.
 
Mehr als 60 deutsche Mitglieder hätten aus Protest gegen das Aufbringen der Gaza-Friedensflotte durch das israelische Militär ihre Teilnahme an der Kulturveranstaltung abgesagt, erklärte Hajo Jahn. Die Absicht, die europäischen Wurzeln Israels zu vermitteln, sei mit mehreren Theaterstücken – über Else Lasker-Schüler und Charlotte Salomon, Vorträgen und Konzerten verwirklicht worden, doch hätten er und die mitreisenden Künstler (das Kollektiv Artcore, die Schauspieler Katharina Brenner und Christoph Wehr in den Stücken über Else Lasker-Schüler von Gerold Theobalt aus Wuppertal, die Pianisten Marc Reichow und Michiko Toshira sowie der Chor FeyneTöne, ebenfalls aus Wuppertal) auf noch größere Resonanz gehofft. Ursache des ungenügenden Interesses sind laut Jahn die aktuellen Probleme Israels in der Region. Die Gegenwart sei vor allem für die jungen Leute von größerem Interesse als die Vergangenheit. Doch zu einer Lyriklesung am Grabe der 1945 in Jerusalem gestorbenen und aus Wuppertal stammenden Dichterin Else Lasker-Schüler waren Zeitzeugen aus Israel, deutsche Künstler und Besucher aus der Bundesrepublik gekommen. 
 
Gefördert wurde das XVII. Else Lasker-Schüler-Forum vom Auswärtigen Amt, dem Deutsch-Israelischen Zukunftsforum und dem Landschaftsverband Rheinland. Schirmherr des Forums war Staatspräsident Shimon Peres. (PK)
 
Die Ankündigung des Forums finden Sie unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15320


Online-Flyer Nr. 259  vom 21.07.2010



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