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Literatur
Wie die Asis Hamburger und Coca-Cola kennenlernten, oder:
Die Entdeckung Europas
Von Wolfgang Bittner

Als die ersten Amerikaner mit ihren Kanus mehr aus Versehen im Nebel an der Nordseeküste landeten, dachten sie in Asien angekommen zu sein. Daher nannten sie die Europäer fortan Asiaten oder Asis. Sie steckten eine Stange mit ihrer Fahne in den Schlick und beschlagnahmten das Land, so weit sie sehen konnten.


Cartoon: Galerie Atlier Behr
 
Zwar lebten dort die Ostfriesen, ein Stamm germanischen Ursprungs, doch die wurden nicht ernst genommen, denn sie waren arm und brachten nur ein paar dürftige Geschenke wie Grünkohl und Buttermilch. Bald machte unter den Ankömmlingen ein Witz die Runde: Das Wasser des Meeres zöge sich vor Schreck zurück, sobald es an der Küste angekommen sei und die Ostfriesen sehe; deshalb gebe es nach der Flut die Ebbe.
 
Die Seefahrer aus Amerika, von den Ureinwohnern auch Big Brothers oder Aliens genannt, hatten natürlich mächtigen Hunger. Also schlachteten sie nach und nach alle Kühe, derer sie habhaft werden konnten, und verarbeiteten sie zu Hamburgern und Steaks, die schon bald in ihren Fastfood-Lokalen verkauft wurden. Von den Ostfriesen und den Dänen, die sie dafür besonders geeignet fanden, ließen sie an der Küste ein erstes Fort bauen, das sich in kurzer Zeit zu einer Metropole entwickelte, nach einem ihrer Häuptlinge Bush City genannt. Denn in Amerika, der Heimat der Aliens, sprach sich in Windeseile herum, dass man ein neues Land entdeckt habe, in dem es sich gut leben lasse, so dass fast jeden Tag neue Kanus mit Aliens an der Nordseeküste landeten.
 
Auch die Bevölkerung im Landesinnern musste jetzt für die ersten Amerikaner arbeiten. Wer sich weigerte, und das waren anfangs nicht wenige, wurde erschlagen, gefoltert oder auf einem elektrischen Stuhl geröstet. Die Asis, so meinten die ersten Amerikaner, seien gar keine richtigen Menschen, sondern nur unzivilisierte Wilde. Ursprünglich aßen sie nämlich weder Hamburger noch Steaks noch tranken sie Coca-Cola, und erst recht suchten sie nicht ständig nach Gold.
 
Geld und Gold waren der Grund, weshalb die ersten Amerikaner schon bald mit ihren Kanus den Rhein hinauf in die Schweiz fuhren, die für sie Eldorado hieß. Unterwegs rotteten sie so nebenbei jeden aus, der sich ihnen in den Weg stellte: Die Holländer, Belgier, Westfalen, Rheinländer, Hessen, Schwaben, Badenser, Württemberger, Pfälzer, Elsässer. Später gab es noch blutige Kriege mit den Bayern, die sich nicht ohne weiteres unterwerfen und die ersten Amerikaner nicht durch ihr Land führen und mit Lebensmitteln wie Kühen und Käse versorgen wollten.
 
In der Schweiz nannten sie das Matterhorn erst einmal Mount McKinley und den Pilatus Kennedy Peak, nachdem sie den Rhein bereits in Disney River, die Donau in Roosevelt umbenannt hatten. Der Bodensee hieß nun Big Water, der Vierwaldstätter See Lake Marilyn nach einer ihrer Berühmtheiten aus dem Showbiz (was soviel wie Vergnügungsgewerbe heißt).
 
Als die ersten, die zweiten, dritten und alle folgenden Amerikaner dies alles getan und die meisten Europäer, die sie nach wie vor Asis nannten, umgebracht hatten, wenn sie nicht schon vorher an dem eingeschleppten Fieber, auch als amerikanische Krankheit bekannt, gestorben waren, widmeten sie sich umgehend den Schweizer Banken. Erst einmal wurden alle Banken sowieso amerikanisiert. Anschließend wurden das Geld und das Gold unverzüglich nach Amerika in einen Ort namens New York abtransportiert und dann in einer Fort Knox genannten Festung eingelagert.
 
Dass viele goldbeladene Lastenkanus unterwegs in den Atlantikstürmen sanken oder sich verirrten, war halb so schlimm. Man hatte ja in den Schweizer Banken genug Geld und Gold gefunden, um Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, damit weltweit wuchern zu können. Außerdem entwickelte sich unter den Wucherern, die ausgesorgt hatten und nicht mehr arbeiten mussten, ein Hobby: Sie begannen nach gesunkenen Lastenkanus zu tauchen und auf der ganzen Welt nach den verirrten Kanus zu fahnden.
 
Auf diese Weise hatten alle etwas zu tun, auch die Multimillionäre und Milliardäre, von denen es in den Vereinigten Staaten von Amerika immer mehr gab. In ganz Europa wurden nun die amerikanische Sprache, der „American Way of Life“ mit Hamburgern, Steaks und Coca-Cola sowie der Dollar eingeführt. Die Kinder mussten mit Skateboards, Rollerblades und Kickboards spielen, die Erwachsenen mussten erst einmal Jeans und Caps tragen und jeder wenigstens ein Handy, einen Fernseher und ein Auto kaufen.
 
So begann es auch den Europäern, die jetzt Asis hießen, immer besser zu gehen. Und wenn sie nicht umgebracht worden sind, dann geht es ihnen immer noch gut, vor allem wenn sie Sklaven sind. Dann haben sie nämlich ein bequemes Leben: ihre Herren müssen für sie sorgen – wenn sie es sich nicht anders überlegen.
 
Anmerkung:

Die Originalüberschrift zu dieser Satire von Wolfgang Bittner heißt im Original
„Die Entdeckung Europas durch die Amerikaner
oder Wie die Asis Hamburger und Coca-Cola kennenlernten“.
Wir haben sie ein wenig ändern müssen, weil sie sooo nicht in unser Layout passte. Nicht nur weil er sich das gefallen ließ, zeichnen wir Wolfgang Bittner am Freitag, 6.August, ab 18 Uhr im „Weißen Holunder“ in der Gladbacher Straße 48 am Kölner Mediapark mit dem Kölner Karls-Preis aus. – Die Redaktion (PK)


Online-Flyer Nr. 261  vom 04.08.2010



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