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Inland
ARD-Tagesschau, Oeter und Westerwelle klären über gezieltes Töten auf
Furchtbare Rechtsausleger
Von Volker Bräutigam

„(...) Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) ist autorisiert, alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt zu ergreifen, um das Mandat gemäß Resolution 1833 (2008) durchzusetzen." (Mehrheitsbeschluss des Deutschen Bundestages zur Beteiligung am Afghanistankrieg, 7. Oktober 2008). Das gezielte Ermorden sogenannter, vermeintlicher oder tatsächlicher Taliban in Afghanistan unter Mitwirkung der Bundeswehr könnte das deutsche Publikum beunruhigen. Was tut also tagesschau.de?
 

KAOS-Archiv
Die Redaktion befragt einen Wissenschaftler, Professor Stefan Oeter, Direktor des Instituts für Internationale Angelegenheiten der Universität Hamburg, der prompt versichert, das Targeted Killing, wie es im NATO- Amerikanisch heißt, sei durch den Mehrheitsbeschluss des Deutschen Bundestages zur Beteiligung am Afghanistankrieg vom 7. Oktober 2008 gedeckt: „Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) ist autorisiert, alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt zu ergreifen, um das Mandat gemäß Resolution 1833 (2008) durchzusetzen. Das Mandat bezieht sich auf die Unterstützung der afghanischen Regierung bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit. (...) Alle militärisch notwendigen Mittel, die für die Erfüllung des Sicherheitsratsmandats erforderlich sind, können von den Bundeswehrtruppen eingesetzt werden.“ [1]
 
Fragesteller Stefan Aretz wendet ein, der Krieg in Afghanistan sei kein Konflikt zwischen Staaten, die Taliban seien doch nur Aufständische. Oeter: „In einem solchen nicht-internationalen Konflikt gibt es keinen Kombattantenstatus - die Taliban sind also nicht per se militärische Ziele. Rechtlich sind sie im Prinzip Angehörige der Zivilbevölkerung. Es gibt aber eine Sonderregelung. Soweit sie mit der Waffe in der Hand militärisch operieren, werden sie doch zu militärischen Zielen, bei denen gezielte Gewalt zur Tötung eingesetzt werden darf.“ [1]
 
„Sonderregelung“? In welchem Codex? Aretz fragt nicht nach - der Herr Professor wird sich schon was dabei gedacht haben - Oeter jedoch erläutert immerhin: „In der polizeilichen Situation brauchen sie (gemeint: ISAF-Soldaten. V.B.) die konkrete Gefahr, um Gewalt einzusetzen. Im bewaffneten Konflikt reicht die abstrakte Gefahr, die die Aufständischen darstellen, die mit der Waffe in der Hand militärische Operationen durchführen. (...) Es reicht aus, dass sie (Oeter meint jetzt die Aufständischen. V.B.) in einem Gebiet militärisch operieren, in dem sie sich nicht aufhalten sollten.“ [1]
 

Auch examinierter Jurist - Dr. Guido
Westerwelle
NRhZ-Archiv
Wo steht das geschrieben? Aretz lässt die professorale Auskunft einfach so stehen. Vergleichbar weit legt Außenminister Dr. Guido Westerwelle, auch examinierter Jurist, die Genfer Konventionen aus, als er am 5. August vor der Bundespressekonferenz in Berlin verkündet, dass Taliban-Führer planmäßig umgebracht werden dürften: "Ob es uns gefällt oder nicht, so ist die Lage". Es gehe da "nicht um Legitimität, sondern um Legalität". Westerwelle bekräftigt, dass gegnerische Kämpfer im sog. nicht-inter-nationalen bewaffneten Konflikt gemäß dem Völkerrecht "gezielt bekämpft werden können und auch dürfen". [2] Keiner der Journalisten fasst nach. In dieser Versammlung von Durchlauferhitzern reklamiert niemand, dass das II. Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention vom 8. Juni 1977 (es betrifft die von Westerwelle erwähnten „nicht-internationalen“ Konflikte) ausschließlich den Schutz der wichtigsten Menschenrechte regelt – und mit keinem Wort benennt, wer „gezielt bekämpft werden darf.“ [3] Westerwelle hat allerdings Rückendeckung. In der Woche vor seinem abscheulichen Auftritt hatte bereits das „Verteidigungs“-Ministerium erklärt, Gegner gezielt zu töten sei „...nach dem Regelwerk der NATO für den Einsatz der ISAF vorgesehen.“ [4] Das Regelwerk der NATO, ein quasi universales Recht?
 
Gemäß dem II. Zusatzprotokoll (Art. 4) zu den Genfer Abkommen (vulgo: Kriegsrecht) stehen „alle Personen, die nicht unmittelbar oder nicht mehr an Feindseligkeiten teilnehmen“ unter Schutz; ihr Leben, ihre Gesundheit und ihre Würde dürfen nicht verletzt werden. Das gilt auch für Aufständische, die – beispielsweise – gerade an einer Hochzeitsfeier teilnehmen. Man darf sie und das Haus, in dem sie mit Kind und Kegel schlafen, nicht einfach in die Luft jagen, wie es verbrecherische ISAF-NATO-US-Praxis ist. [5] Dass militärische Geheimkommandos ihre Todeslisten in Afghanistan abarbeiten, indem sie Streumunition mit Raketenwerfern verschießen, ist mit nichts zu rechtfertigen, auch nicht unter übelster Beugung des Kriegsrechts.
 
Und was ist mit den kämpfenden Aufständischen? Westerwelle unterstellt (wie Oeter) einfach, dass sie den Schutz der Genfer Abkommen komplett verlieren, wenn und solange sie „unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen“ (Protokolltext). Doch sind auch kämpfende Aufständische kein Freiwild. Das ergibt sich aus Art. 1 und vor allem aus der Präambel des Protokolls, in der es wörtlich heißt: „... eingedenk dessen, daß die menschliche Person in den vom geltenden Recht nicht erfassten Fällen unter dem Schutz der Grundsätze der Menschlichkeit und der Forderungen des öffentlichen Gewissens verbleibt ...“
 
Übrigens steht im Art. 6 des Protokolls ein Satz, der das Targeted Killing unbezweifelbar als Rechtsbruch ausweist: „(2) Gegen eine Person, die für schuldig befunden wurde, eine Straftat begangen zu haben, darf eine Verurteilung nur in einem Urteil ausgesprochen und nur auf Grund eines Urteils eine Strafe vollstreckt werden; dieses Urteil muss von einem Gericht gefällt werden, das die wesentlichen Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit aufweist.“ Ein Jurist mag einwenden, diese Bestimmung gelte nicht für die „Taliban“ als Triebkräfte des Aufstands in Afghanistan. Sie seien militärische Ziele und deshalb anders zu behandeln als normale Straftäter. Das aber liefe darauf hinaus, das Völkerrecht der Beliebigkeit und dem Zweckmäßigkeitsdenken zu unterstellen: anzuwenden nur, wenn und inwieweit es dem Kriegsherren in den Kram passt.
 
Westerwelles Behauptung, Aufständische ohne Gerichtsverfahren und Urteil zum Abschuss freizugeben sei legal und keine Frage der Legitimität, ist nicht nur unzutreffend. Sie ist schlicht amoralisch und kennzeichnend für furchtbare Juristen. Massaker an Zivilisten (Oberst Klein, Kundus) tödliche Schießereien (Bundeswehr-Straßensperren), vor allem aber Verlust an Mitmenschlichkeit: Das alles kommt dabei heraus, wenn man in solchem Geiste „unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigt“.[6]
 
(Textwiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Ossietzky. Ergänzung mit Internet-Quellenangaben als Fußnoten: vb).
 
1 http://www.tagesschau.de/inland/afghanistanmandat102.html
2 www.sueddeutsche.de/.../debatte-ueber-krieg-in-afghanistan-westerwelle- verteidigt-gezielte-toetungen-1.984153
3 http://www.admin.ch/ch/d/sr/0_518_521/index.html
4 Christian Dienst, Sprecher des Verteidigungsministeriums, Bundespressekonferenz, Quelle: Reuters (28. Juli 2010)
5 http://www.guardian.co.uk/world/2010/jun/10/afghanistan-kandahar-wedding-party-explosion
6 Peter Struck, SPD, vormals Bundesverteidigungsminister, bei Vorstellung der Verteidigungspolitischen Richtlinien, Mai 2003. http://www.medico.de/material/rundschreiben/2010/02/vernetzte-sicherheit/

Lesen Sie hierzu auch den Beitrag von Hans Georg in dieser NRhZ


Online-Flyer Nr. 264  vom 25.08.2010



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