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Arbeit und Soziales
Sparsame Haushaltsführung des Staates wegen "Generationengerechtigkeit“?
"Sparen" - eine neoliberale Ideologie
Von Christoph Butterwegge
Die Forderung, der Staat solle „sparen“, ist populär. Sie findet gerade nach den „Rettungspaketen“ für die deutschen Banken, für Griechenland und den Euro in der (Medien-)Öffentlichkeit eine überwiegend positive Resonanz, weil „Sparen“ eben mit vernünftigem „Maßhalten“ im persönlichen Bereich gleichgesetzt wird, wenngleich es dort ganz anders zu bewerten ist: Hat der legendäre Familienvater oder die berühmte schwäbische Hausfrau wenig Geld zur Verfügung, müssen sie damit möglichst sparsam umgehen, während der Staat die Wirtschaft mittels öffentlicher Investitionen gerade dann ankurbeln muss, wenn diese aufgrund einer noch keineswegs überwundenen globalen Wirtschafts- und Finanzkrise lahmt.
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Online-Flyer Nr. 267 vom 15.09.2010
Sparsame Haushaltsführung des Staates wegen "Generationengerechtigkeit“?
"Sparen" - eine neoliberale Ideologie
Von Christoph Butterwegge
Die Forderung, der Staat solle „sparen“, ist populär. Sie findet gerade nach den „Rettungspaketen“ für die deutschen Banken, für Griechenland und den Euro in der (Medien-)Öffentlichkeit eine überwiegend positive Resonanz, weil „Sparen“ eben mit vernünftigem „Maßhalten“ im persönlichen Bereich gleichgesetzt wird, wenngleich es dort ganz anders zu bewerten ist: Hat der legendäre Familienvater oder die berühmte schwäbische Hausfrau wenig Geld zur Verfügung, müssen sie damit möglichst sparsam umgehen, während der Staat die Wirtschaft mittels öffentlicher Investitionen gerade dann ankurbeln muss, wenn diese aufgrund einer noch keineswegs überwundenen globalen Wirtschafts- und Finanzkrise lahmt.
Cartoon: Kostas Koufogiorgos
Eine sparsame Haushaltsführung des Staates wird heute vielfach mit „Generationengerechtigkeit“ in Verbindung gebracht, wohingegen die öffentliche Kreditaufnahme als Verletzung des Gebotes der Nachhaltigkeit gilt. Häufig tun Neoliberale so, als hätten künftige Generationen hohe Schuldenberge abzutragen, wozu sie weder willens noch in der Lage wären. Dabei lastet dieser Schuldendienst nur auf einem Teil der kommenden Generationen; ein anderer erhält viel mehr Zinsen aus (geerbten) Schuldverschreibungen des Staates, als er selbst an Steuern zahlt, und zieht dadurch aus heutigen Budgetdefiziten sogar Profit.
Trotzdem verfängt die Argumentationsfigur von „Zechprellern zu Lasten unserer eigenen Kinder“, wie der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen die heutige Generation nennt. Da die Verschuldung der Gebietskörperschaften unseren Kindern und Enkeln laut Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder „die Chancen für ihre Zukunft raubt“, sei die Konsolidierungspolitik ein Gebot der Generationengerechtigkeit, hören wir immer wieder. Aus der Staatsverschuldung resultieren aber sowohl Forderungen als auch Verbindlichkeiten, und beide werden an die nächste Generation „vererbt“.
Blickt man getrennt auf die gegenwärtige oder auf die folgende Generation, liegt immer ein gesamtwirtschaftliches Nullsummenspiel vor. Durch die Instrumentalisierung der nachwachsenden Generationen unter Schlagworten wie „Nachhaltigkeit der Finanzpolitik“ (Papier der Bundesregierung zur „Sparklausur“ im Kanzleramt am 6./7. Juni 2010) wird eine fragwürdige Politik der Haushaltskonsolidierung gerechtfertigt, die gerade für Kinder und
Jugendliche verheerende Folgen hat, weil den Kindergärten, Schulen, Jugendzentren und Hochschulen nicht mehr die nötigen Mittel zufließen. Zwischen ökologischen und finanziellen Ressourcen besteht nämlich ein entscheidender Unterschied: Einmal vernutzte fossile Brennstoffen fehlen künftigen Generationen, während deren nötigen Beiträgen zur Tilgung von Schulden für öffentliche Aufgaben nützliche Infrastrukturangebote gegenüberstehen. Geld wird zwar im Jugendjargon als „Kohle“ bezeichnet, verbrennt oder verschwindet aber nicht, sondern fließt nur von einer in die andere Tasche. Geld ist genug da, wenn es sich auch meist in der falschen Tasche befindet!
Ein Staat darf sich nicht ohne jedes Maß ver- oder überschulden. Die extrem starke Thematisierung des „Sparens“ in Haushaltsdebatten lenkt den Blick allerdings einseitig auf die Ausgabenseite, obwohl die gegenwärtigen Probleme des Sozialstaates in erster Linie auf der Einnahmenseite entstehen. Der „Schuldenberg“ ist nicht deswegen auf eine Höhe von 1,7 Billionen Euro gewachsen, weil „wir“ über unsere Verhältnisse gelebt hätten oder weil der Staat schlecht gehaushaltet hätte, sondern weil die etablierten Parteien seit Jahrzehnten die Kapital- und Gewinnsteuern gesenkt und damit ausgerechnet die reichsten Bürger systematisch entlastet haben. Da wurde die Börsenumsatzsteuer abgeschafft, der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer mehrfach gesenkt, die Vermögenssteuer seit 1997 nicht mehr erhoben, die Körperschaftsteuer für Kapitalgesellschaften zu einer Bagatellsteuer gemacht und die betriebliche Erbschaftsteuer ab dem 1. Januar 2010 dermaßen reduziert, dass sie bloß noch ein Phantom ist.
Häufig wird gar nicht „gespart“, sondern die finanzielle Belastung nur anders verteilt, also von der Bundesebene zu den Ländern und Kommunen oder von der Solidargemeinschaft auf jeden Einzelnen verlagert oder von der Gegenwart in die Zukunft verschoben. So will die Bundesregierung jährlich 1,8 Milliarden Euro „sparen“, indem Hartz-IV-BezieherInnen aus der Gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschlossen und keine Beiträge mehr für sie entrichtet werden. Dadurch erhöht sich zwangsläufig die Altersarmut, und sowohl die Kommunen als auch die künftigen Generationen, die angeblich entlastet werden sollen, müssen demnächst entsprechend mehr für die Grundsicherung der Alten und Behinderten aufbringen.
Noch mehr Geld will die schwarz-gelbe Koalition im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik „einsparen“, indem Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung und Umschulungen für Erwerbslose, die bisher Pflichtleistungen waren, zu Ermessensleistungen der JobCenter werden. Damit zeigt die Bundesregierung, dass sich ihr Bekenntnis zur „Bildungsrepublik Deutschland“ und das Versprechen der Kanzlerin, „Bildung für alle“ zu ermöglichen, bloß auf so genannte Exzellenzbereiche und die Elitebildung von Privilegierten bezieht, aber Erwerbslose ausschließt. Dadurch erhöht sich die (Langzeit-) Arbeitslosigkeit, und es entstehen Mehrkosten im Bereich der passiven Arbeitsmarktpolitik.
Zu fragen ist, ob eine so reiche Gesellschaft wie die Bundesrepublik einerseits immer mehr Milliardäre und Multimillionäre und andererseits leere öffentliche Kassen haben will oder ob sie einen sozialen Ausgleich und eine nachhaltige Entwicklung anstrebt. Bekanntlich können sich nur die Reichen einen magersüchtigen Staat leisten. Denn sie schicken ihre Kinder auf Privatschulen und (ausländische) Eliteuniversitäten, kaufen sich selbst alles, was ihr Leben verschönert, und sind auf öffentliche Schwimmbäder, Bibliotheken oder andere kommunale Einrichtungen, die zunehmend geschlossen werden, gar nicht angewiesen. Alle übrigen Bevölkerungsschichten benötigen jedoch staatliche beziehungsweise kommunale Leistungen und kommen ohne öffentliche Infrastruktur nicht aus. Wohlfahrtseinrichtungen, Kunst, Kultur, (Weiter-)Bildung, Wissenschaft und Forschung dürfen nicht von kommerziellen Interessen oder der Spendierfreude privater Unternehmer, Mäzene und Sponsoren abhängig werden. Genau das droht, wenn der Staat in neoliberaler Manier kaputtsaniert wird. (PK)
Erstveröffentlichung dieses Textes in der sehr empfehlenswerten Zweiwochenschrift Ossietzky. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln.
Jüngste Buchveröffentlichung: „Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird“, Frankfurt am Main/New York, 2009.
Online-Flyer Nr. 267 vom 15.09.2010