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Lokales
Nachruf auf Klaus Bergmayr, den Gründer der Kölner Obdachlosenzeitung
Er war der Querkopf
Von Harald Schauff

Er war ein Querkopf durch und durch. Er war der Querkopf. Seine Markenzeichen: Stoffmütze, freundliche, strahlend blaue Augen, ein wenig Schalk im Blick, unüberhörbarer bayrischer Akzent, der dazu passende grantelige Humor, langer grauer Bart. „Die Natur hat mir einen Bart geschenkt. Warum soll ich mir den abrasieren?” Gern hörte er Musik von den ‘Dire Straits’ und ließ sich eine gute Tasse Kaffee schmecken, wozu er sich einen ‘Sargnagel’ anzündete.
 

Klaus beim Zeitungsverkauf vor
dem Aldi-Laden Sülzburgstraße
- Titelbild des November-Querkopf
Foto: suelz-koeln.de
Klaus, ‘der Graue’, wie ihn einige seiner Freunde nannten: Ein Bayer, den es nach Köln verschlagen hatte. Einige Jahre arbeitete er freiberuflich für eine Messebau-Firma. Anfang der 90er verlor er Frau und Kind bei einem tragischen Verkehrsunfall. Er begann darauf ein neues Leben, schloss sich der Kölner Arbeitsloseninitiative ‘Wir’ an und wurde für die Straßenzeitung ‘von unge’ (von unten) aktiv. Hier kümmerte er sich zunächst um die Buchführung.
 
Die positiven Erfahrungen anderer animierten ihn, selbst Straßenzeitungen zu verkaufen. Er fand seinen festen Verkaufsplatz auf der Sülzburgstraße, einer belebten Einkaufsmeile im Kölner Süden. Hier stand und saß er ‘in der ersten Reihe’. Er bekam alles aus nächster Nähe mit und lauschte, was die Straße ihm erzählte. Neben der ‘von unge’ bot er ein eigens von ihm selbst verfertigtes Blättchen an: ‘Neues vom Klaus aus der Sülzburgstr.’. Im Laufe der Jahre wuchs er zum vertrauten, nicht mehr wegzudenkenden Teil des Straßenbilds. Er kannte jeden und war allen ‘bekannt wie ein bunter Hund.’
 
Wir beide lernten uns 1997 bei der ‘von unge’ kennen, als ich dort häufiger im Redaktionsbüro erschien, um Texte einzureichen. Bald danach setzte bei ‘von unge’ eine Umbruchphase ein, die Zeitung wurde umbenannt, zwischenzeitlich gab es nur eine Notausgabe. Klaus hob den ‘Querkopf’ aus der Taufe: ‘Überregional und kritisch.’ Der Untertitel überzeugte mich. Fortan war ich dabei. Anfangs als Schreiber, später auch als Verkäufer. Kurz danach stieß Werner Schneidewind hinzu, ein alter Kumpel aus Alo-Ini ‘Wir’ - und ‘von unge’-Zeiten. Er zog 2001 nach Berlin, wo er mit einigen Mitstreitern die Berliner Ausgabe des Querkopfs bis heute vertreibt und verkauft. Der Essener Karikaturist Thomas Plassmann stellte uns über die Jahre vieler seiner Karikaturen zur Verfügung. Tatkräftige Unterstützung gab es auch aus dem Umfeld des ‘Q-Hofs’, einer linken Kölner Kneipe (u.a. von Hening, André und Sabine). Nicht zu vergessen der Kiosk am Salierring, der uns bis heute als Ausgabestelle dient (u.a. Erkan und Ahmed), der Kopiererservice Pliester, der unsere Post entgegennimmt, die Union-Druckerei in Berlin und viele andere, die uns über die Jahre hinweg begleiteten.
 
Was Klaus und mich betrifft: Zuerst waren wir Mitstreiter und gute Kumpel, dann dicke Freunde und enge Vertraute. In den letzten Jahren, als wir uns täglich sahen und sprachen, quasi Vater und Sohn.
 
Sorgen bereitete uns allen in dieser ganzen Zeit die Gesundheit von Klaus. Seit ich ihn kannte, litt er an einem quälenden chronischen Husten. Anfänglich trieb er seinen Schabernack damit. ‘Ja, verreck’ halt, altes Kaffeehaus’ meinte er oft nach einem Hustenkrampf und klopfte sich demonstrativ auf den Hinterkopf. Der Husten entwickelte sich im Lauf der Jahre zu einem schweren Lungenleiden. 2002 erlitt Klaus einen Lungeninfarkt, den er mit knapper Not überstand. Zwei Jahre später folgte ein Schlaganfall. Fortan war er an den Rollstuhl gefesselt. 2007 überstand er eine Not-OP am Darm. Stets erholte er sich erstaunlich schnell, um sich sogleich wieder Herstellung und Verkauf der Zeitung zu widmen. Erneut knapp zwei Jahre darauf verschlechterte sich sein Gesundheitszustand enorm. Wieder ging es in die Klinik. Dort fand man heraus: Die Lunge arbeitete nur noch zu 20 %. Die Ärzte waren skeptisch, wir rechneten alle mit dem Ende. Doch Klaus sprang dem Tod nochmals von der Schippe. Nach mehrmonatigem Krankenhausaufenthalt ging es wieder aufwärts, auch dank eines eigens angeschafften Sauerstoffgeräts für daheim. Klaus werkelte weiter fleißig am Computer und fuhr zweimal die Woche zum Markt ‘Querköpfe’ verkaufen.



Er wird vielen fehlen: Querkopf Klaus Bergmayr | Foto: Hans-Dieter Hey

In den letzten Monaten verließen ihn dann zusehends die Kräfte. Das Sitzen vor dem PC wurde immer anstrengender, der Verkauf auf dem Markt entfiel ganz. Er kam nicht mehr aus der Wohnung. Nur noch ganz selten saßen wir beim gemeinsamen Kaffee vor der Bäckerei an der Ecke zu seiner Wohnstraße. Es war deprimierend. Für ihn selbst und auch für mich, der ihn täglich besuchte und betreute.
 
Am 7. Oktober wurde Klaus mit schwerer Atemnot in die Klinik eingeliefert. Knapp drei Tage später, in der Nacht zum 10. Oktober, sagte Klaus Bergmayr, unser Klaus, der Querkopf, ‘der Graue’, dieser Welt ‘Lebewohl’.
 
Als sein engster Freund und Mitstreiter fühle ich mich ein wenig wie der Engels, dem man den Marx nahm (gut, einen halben Marx haben wir noch in Berlin, gell Werner?). Oder wie Kurt Tucholsky, der mit dem Gründer der Zeitschrift ‘Schaubühne’ (der späteren ‘Weltbühne’) Siegfried Jacobsohn seinen Freund und Mentor verlor. Oder wie der Asterix-Zeichner Albert Uderzo, der den Tod seines für die Texte zuständigen Kompagnons René Goscinny zu verkraften hatte. Sehr traurig also, doch auch entschlossen, das gemeinsame Projekt fortzusetzen.
 
Klaus hat uns allen nie alles erzählt. Er nimmt viele Geheimnisse mit ins Grab. Der Platz dort wird nicht ausreichen. In Erinnerung bleiben vor allem zwei seiner Wesenszüge: Klaus legte Wert auf Unabhängigkeit. Er lehnte deshalb öffentliche oder kirchliche Zuschüsse für die Zeitung ab. Und er war aus Prinzip gegen jegliche Form von Zwang, insbesondere in puncto Lohnarbeit. Deshalb setzte er sich für das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens ein, das er in den 80ern unter der Bezeichnung ‘Existenzgeld’ kennen gelernt hatte. Seine Einführung ist und bleibt das politische Hauptanliegen des ‘Querkopfs’.
 
Klaus ging immer seinen ganz eigenen Weg, ohne sich zu fürchten. Auf diesem ist er nun davon geschritten - querkopfgemäß.
 
Danke hier an alle, die ihn ein Stück darauf begleitet haben. Und eine letzte Bitte an Klaus: In der vorliegenden Querkopf-Ausgabe trägt ein Beitrag den Titel ‘Kleiner Mann im Ohr’. Übernimm Du von jetzt an diesen Posten! Sei mein, sei unser kleiner Mann im Ohr!
 

Albert Einstein als Baby
Quelle: Querkopf Juli 2006
Hinweis der NRhZ-Redaktion:
 
"Querkopf" ist eine Selbsthilfe-Mitmachzeitung von kritischen Menschen, denen die gezielte Meinungsmache der allgemeinen Presse gegen den Strich geht. Ein Organ für alle, die sich gegen die Willkür der Mächtigen zur Wehr setzen, denen Macht- und Geldinteressen ein Dorn im Auge sind. Sie soll denen ein Forum bieten, die ihrem Ärger über die herrschenden Verhältnisse Luft machen wollen und wird vor allem von Arbeitslosen und Obdachlosen verteilt. Querköpfe treffen sich jeden dritten Sonntag um 10 Uhr im Cafe Krümel auf der Zülpicher Straße (Höhe KVB-Haltestelle Lindenburg) in Köln-Sülz. Die Zeitung erscheint monatlich in Köln und Berlin, kostet EUR 1,50, von denen EUR 0,75 dem Verkäufer bleiben. Mehr dazu unter
http://www.querkopf-koeln.de/
(PK)
 
Hier als kleine Zugabe ein Gedicht, das die Tätigkeit als Straßenverkäufer charakterisiert und gut auf Klaus Bergmayr wie auch auf seinen Freund Harald Schauff passen könnte, der es auch geschrieben hat:
                                                Straßenposten
 
Schau mal, den da drüben
Immer auf dem Posten
So das Warten üben
muss viel Geduld kosten
 
Ob Hitze, ob Kälte
Er hält dem Wetter stand
Auch so mancher Schelte
Das Denkblatt in der Hand
 
Irgendwann stand er da
Einfach wie hingestellt
Tag für Tag, Jahr für Jahr
Wurd’ Teil der Straßenwelt
 
Die Menschheit zieht vorbei
Still läßt er sie treiben
Ihm scheint das Einerlei
gestohlen zu bleiben
 
Geduld lohnt, dieser Mann
braucht nicht zu verreisen
Alle Welt, irgendwann
trifft sie ihn beim Kreisen
 
So will er es haben
Jagt weder Geld noch Zeit
Für der Straße Gaben
allein steht er bereit
 
Zugänglich wie der Strand
vom Winde sacht gekämmt
empfängt sein Stückchen Land
was das Meer angeschwemmt
 
 


Online-Flyer Nr. 272  vom 20.10.2010



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