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Inland
Interview mit Hannes Rockenbauch von der Fraktionsgemeinschaft SÖS und LINKE
Friede, Freude, Eierkuchen in Stuttgart?
Von der Stadt.Plan-Redaktion
Hannes Rockenbauch ist Fraktionsvorsitzender der Fraktionsgemeinschaft Bündnis Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS) und LINKE. Er war einer der Beteiligten beim ersten Treffen der beiden Konfliktparteien in Sachen Stuttgart 21, das vergangene Woche mit Heiner Geißler als Schlichter hinter verschlossenen Türen im Rathaus stattfand, und er ist Mitglied der Verhandlungskommission der S21-Gegner. Die Stadt.Plan-Redaktion der Zeitung der Stuttgarter Gemeinderatsfraktion SÖS/LINKE hat mit ihm ein bemerkenswertes Interview geführt, das wir im Folgenden wiedergeben. – Die Redaktion
Hannes Rockenbauch
Redaktion: Hallo Hannes, Du kommst nach einer Woche Italien-Urlaub in ein anderes Stuttgart zurück. Ein einschneidendes Ereignis hast du versäumt, den Polizeieinsatz im Schlossgarten am 30. September. Er wird als Mappusconis Schmutziger Donnerstag oder der TaliBahn-Anschlag im Schlossgarten in die Stuttgarter Geschichte eingehen.
Foto: Roland Hägele
Und das sagt er im zwanzigsten Jahr der deutschen Einheit! Teufel (bis 2005 CDU-Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, PK) wünscht sich wohl das unreife Volk, den preußischen Untertanen, der den allwissenden Politikern auf Befehl gehorcht. Und bist du nicht willig, dann brauch ich Gewalt - das ist keine leere Floskel mehr. Im Schlossgarten haben Mappus und Co. uns diese Lektion erteilt: Erschlichene Parlamentsbeschlüsse werden mit Wasserwerfer und Pfefferspray gerechtfertigt. Der Dialog wird durch nackte Gewalt ersetzt. Damit hat Mappus aber auch offen gelegt, dass er nie einen offenen Dialog wollte, sondern der Dialog nur der Durchsetzung von Stuttgart 21 mit sanften Mitteln dienen soll. Unsere Bewegung zeigt doch gerade, die Bürgerinnen und Bürger sind nicht nur reif für mehr direkte Demokratie, sondern sie sind auch bereit, dafür zu Zehntausenden auf die Straße zu gehen. Das macht Mut, nicht nur den Menschen in Stuttgart. Seit vielen Jahren haben die Menschen das frustrierende Gefühl, dass in unserem Land über ihre Köpfe hinweg regiert wird. Jetzt sehen sie, dass notfalls auch auf ihren Köpfen mit Pfefferspray und Knüppeln regiert wird. Gleichzeitig erfahren sie endlich, dass es sich lohnt, für mehr Demokratie auf die Straße zu gehen. Das macht unseren Widerstand sympathisch und stark.
Online-Flyer Nr. 272 vom 20.10.2010
Interview mit Hannes Rockenbauch von der Fraktionsgemeinschaft SÖS und LINKE
Friede, Freude, Eierkuchen in Stuttgart?
Von der Stadt.Plan-Redaktion
Hannes Rockenbauch ist Fraktionsvorsitzender der Fraktionsgemeinschaft Bündnis Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS) und LINKE. Er war einer der Beteiligten beim ersten Treffen der beiden Konfliktparteien in Sachen Stuttgart 21, das vergangene Woche mit Heiner Geißler als Schlichter hinter verschlossenen Türen im Rathaus stattfand, und er ist Mitglied der Verhandlungskommission der S21-Gegner. Die Stadt.Plan-Redaktion der Zeitung der Stuttgarter Gemeinderatsfraktion SÖS/LINKE hat mit ihm ein bemerkenswertes Interview geführt, das wir im Folgenden wiedergeben. – Die Redaktion
Hannes Rockenbauch
Foto: Roland Hägele
Hannes Rockenbauch: Ich bin immer noch fassungslos über die brutale Unverhältnismäßigkeit, die hier an friedlichen Demonstranten demonstriert wurde. Ich konnte mir ja nur dank Youtube und Handykontakt ein Bild machen. Ich habe immer noch Gangolfs Stimme im Ohr, als er sagte: „Hannes, die setzten Wasserwerfer ein - jetzt gerade wieder - aber die Menschen gehen einfach nicht“. Ich habe Bilder, die ich nicht vergessen kann. Aber wie muss es all denjenigen ergehen, die live dabei waren und ihre Gesundheit riskiert haben? Ich möchte allen, aber vor allem den Jugendlichen, meine Hochachtung für ihren Mut aussprechen. Ich bin wirklich stolz auf unsere Bewegung, dass sie sich trotz Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstock immer friedlich diesem Polizeiterror entgegengestellt hat. Mit der gigantischen Großdemonstration am nächsten Tag haben die Menschen gezeigt: Wir haben Zivilcourage. Die spaltet Stuttgart nicht, im Gegenteil, wir sind näher zusammengerückt und unser Protest hat große Sympathie in ganz Deutschland.
Die Fraktionsgemeinschaft SÖS und LINKE hat die Vorgänge vom 30. September auf die Tagesordnung der letzten Gemeinderatssitzung gesetzt. Warum?
Es kann doch nicht so sein, dass das Hauptorgan dieser Stadt, der Gemeinderat, nach diesen Ereignissen einfach zur Tagesordnung übergeht. Die hilflosen Rechtfertigungsversuche des Polizeipräsidenten reichen uns nicht. Die Bilder der Polizeigewalt gingen Minuten später dank Youtube um die Welt.
Foto: Roland Hägele
Die Polizei musste wohl einiges anstellen, dass sie fünf Tage später nur wenig aussagekräftiges Rechtfertigungsmaterial vorlegen konnte. Auch die mündlichen Erklärungsversuche des Polizeipräsidenten Stumpf zeugen bestenfalls von einer völligen Überforderung. Sie können die flächendeckende Gewalt gegen friedliche Demonstranten nicht rechtfertigen. Deswegen wollen wir eine ausführliche Aufarbeitung der ganzen Abläufe. Besonders wichtig ist uns dabei, dass wir erfahren, wann und wer von den politisch Verantwortlichen Bescheid wusste: Wer hat was angeordnet?
Im Innenministerium sollen Provokationsszenarien diskutiert worden sein. Davor warnte der Krimiautor Wolfgang Schorlau in einem Interview. Wie ist die im Brustton der Überzeugung vorgetragene Behauptung von Innenminister Rech, dass Pflastersteine gegen Polizisten geflogen sind, zu erklären? Woher hatte er zunächst diese Gewissheit? Dann musste er dementieren. Haben seine verdeckten Agent Provocateurs die Arbeit verweigert? Er steht nun als Lügner im Regen.
An solchen Spekulationen über geplante Provokationen möchte ich mich nicht beteiligen. Wir vertrauen auf unsere Argumente. Aber: Seien wir unbedingt auf der Hut vor Provokateuren. Friedlichkeit hat Gewalt besiegt - das ist doch das entscheidende und erstaunliche Ergebnis des TaliBahn-Angriffs im Schlossgarten. Wir haben die gewünschten Gewalttaten nicht geliefert. Die Kriminalisierung ist nicht gelungen. Jetzt stehen Rech und Mappus da - als die tatsächlichen Gewalttäter. Von ihnen wollen die Menschen nicht mehr regiert werden. Hunderttausend gehen dafür auf die Straße und werden es nicht erlauben, dass die Landesregierung und OB Schuster ihre Schandtaten aussitzen.
Die brutalen Polizeieinsätze am 30.09.2010 im Schlossgarten werden mit der Staatsräson verteidigt: „Bei uns entscheiden Parlamente, niemand sonst“, so Grube in der Tagesschau, ausgerechnet am 3. Oktober.
Wir brauchen von Grube keinen Demokratie-Unterricht. In seiner beruflichen Laufbahn hat er stets bewiesen, dass er eher Bulldozer als ein Demokrat ist. Er hat uns als „zusammengewürfelten Straßenwiderstand“ verhöhnt und ist ein geistiger Brandstifter der Gewalt. Sein Angestellter Hany Azer hat die Polizeitruppen angefordert. Zum Schutz einer Baumfällaktion, die, wie sich jetzt im nach hinein herausstellt, wegen fehlender Artenschutzkonzeption gar nicht legal war. Gerade dank Stuttgart 21 erleben die Menschen, dass es für die Mächtigen in diesem Lande einfach zu sein scheint, willkürlich auf der Klaviatur des Rechtstaates zu spielen, so wie es ihnen passt.
Moment mal, willst du bestreiten, dass Stuttgart 21 demokratisch beschlossen wurde?
Die Parlamentsentscheidungen zu Stuttgart 21 wurden mit Betrug an den Parlamenten und den Bürgern erschlichen, die Lobbyisten haben ganze Arbeit geleistet. Alles, was wir seit Jahren kritisieren, falsche Zahlen über die Kosten, die eisenbahntechnischen Fehlplanungen, die Umweltfeindlichkeit, das hat sich nach und nach als richtig heraus gestellt, war aber nie Grundlage der Parlamentsbeschlüsse.
Muss man nicht trotzdem die Entscheidungen der gewählten Abgeordneten akzeptieren?
Dass sich gewählte Abgeordnete immer durch ihre eigenen Beschlüsse rechtfertigen, ist bezeichnend, vergessen sie doch stets zu erwähnen, dass sie es waren, die zu jeder Zeit eine Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger an Stuttgart 21 nicht nur abgelehnt, sondern durch eigene Beschlüsse und Vertragsabschlüsse hintertrieben haben. Wer blind an diesen veralteten Parlamentsbeschlüssen festhält und nicht merkt, dass eben nicht nur die Geschäftsgrundlage für geltende Verträge inzwischen fehlt, sondern dass sich die Welt und die Menschen seit 15 Jahren weiter entwickelt haben, ist kein guter Demokrat, sondern führt anderes im Schilde. Grubebahn und Tunnelparteien kämpfen für den Gewinn und die Interessen der Immobilienhaie, Banken und Autokonzerne. Sie kämpfen für eine Zukunft des grenzenlosen Wachstums, in dem nur „höher, schneller, weiter“ zählt. Die Stuttgarter Bevölkerung kämpft für den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen, für ein ökologisches und intelligentes Bahnsystem, aber vor allem darum, das Recht auf ihre eigene Zukunft selber gestalten und bestimmen zu dürfen. Das Volk ist der Souverän. Deshalb fordern wir eine direkte demokratische Entscheidung der Menschen über Stuttgart 21.
Erwin Teufel sagte im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten, dass die deutsche Demokratie gegenwärtig noch nicht reif genug für einen solchen Volksentscheid sei.
Nach dem ARD Deutschlandtrend sind bundesweit 54% gegen Stuttgart 21, nur 33% dafür, 76% haben Sympathie für unseren Protest, 77% sind für einen Baustopp. Was bedeutet das für unseren Kampf?
Repräsentative Umfragen sind meist nur aktuelle Stimmungsbilder. Trotzdem zeigt das, dass wir hier in Stuttgart etwas richtig machen und deswegen gibt es keinen Grund, sich auf faule Kompromisse einzulassen. Unser Kampf ist von einer riesigen Mehrheit demokratisch legitimiert. Entscheidend ist nicht, was Mappus oder Grube über unseren Kampf denken, sondern die Bevölkerung. Und jetzt sollen diese Herren mal kommen und 76% der Deutschen als Opfer von angeblichen Stuttgarter Demagogen diffamieren. Die Leute tun das, was die Politiker nicht wollen: sich informieren und nachdenken und das mit einer unglaublichen Begeisterung. Das steckt die Bürger in ganz Deutschland an. Und wir haben die Verantwortung, diese Menschen nicht zu enttäuschen und nicht auf die Befriedungsmanöver, die jetzt geplant sind, hereinzufallen.
Die Bürgerinnen und Bürger haben die Verhandlungen erkämpft, deshalb müssen sie transparent und das Ergebnis demokratisch legitimiert sein.
Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass man jetzt die Initiative den Verhandlungskommissionen und Experten überlässt und die Menschen wieder beruhigt vor den heimischen Fernseher zurückkehren.
Dass jetzt plötzlich doch ein Baustopp möglich scheint und unser Oberbürgermeister ankündigt, bei einer entsprechenden Faktenlage sei er für eine Neuplanung, zeigt, unser Widerstand wirkt! Gleichzeitig zeigt die Mappus´sche Neudefinition von Baustopp, dass die Tunnelparteien den Ernst der Lage wohl immer noch nicht begriffen haben. Es zeigt aber auch, dass wir sehr genau hinschauen müssen, um was es eigentlich dem Ministerpräsidenten geht. Mappus will die Schlichtung zur Befriedung der Situation, auf gut Deutsch: Wir sollen unsere neue demokratische Lebendigkeit aufgeben. Wir wollen keine solche Schlichtung, sondern, dass endlich alle Fakten auf den Tisch kommen und wir die nötige Zeit und das Geld erhalten, diese Zahlen und Gutachten den Bürgerinnen und Bürgern transparent zu machen. Um das zu erreichen, müssen wir weiter zu Tausenden unser demokratisches Grundrecht auf friedliche Demonstrationen wahrnehmen. Für mich ist klar, wir dürfen uns nicht auf Hinterzimmer-Verhandlungen einlassen. Mein Vorschlag: An jedem Montag legen die Teilnehmer an den Verhandlungen Rechenschaft ab und stellen sich dann im Internet einem Chat. Während der Verhandlungen finden in allen Stuttgarter Wahlbezirken Veranstaltungen statt, in denen die Verhandlungsführer Rede und Antwort stehen.
Was geschieht nach einem Verhandlungsergebnis? Bei den Gewerkschaften gibt es nach dem Schlichterspruch eine Urabstimmung darüber, ob die Basis das Ergebnis anerkennt. Wie soll dies hier ablaufen?
Eine spannende Frage nach der Basisdemokratie. Ich sage es noch mal deutlich: Ich will keine Hinterzimmer-Verhandlung und erst recht keinen im Hinterzimmer entstandenen Schlichterspruch, den dann die Menschen einfach hinnehmen sollen. Wir sind nicht in Tarifverhandlungen, bei denen es um ein Prozent mehr oder weniger geht. GrubeBahn und die Tunnelparteien wollen, koste was es wolle, ein Milliardengrab bauen, wir wollen genau das nicht! Das heißt, die Gespräche haben nur so einen Sinn: Alle, auch die bis jetzt verschwiegenen Zahlen und Fakten müssen nicht nur auf den Tisch, sondern wir als Bürgerbewegung müssen auch die Mittel und Zeit haben, um auf Augenhöhe mit den Bahnexperten diese Zahlen öffentlich überprüfen zu können. Am Ende kann dann nur die direkte demokratische Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger stehen, ob sie Stuttgart 21 wollen oder nicht!
Wie soll es nun weitergehen?
Was die Gespräche angeht, müssen wir erstmal abwarten, ob unsere Gegenseite wirklich zu ergebnisoffenen Gesprächen und zu einem wirklichen Bau- und Vergabestopp bereit ist.
Was heißt das für das geplante Grundwassermanagement?
Baustopp heißt Baustopp, auch für das Grundwassermanagement, für die Baumfällung am Nordausgang und für die von Grube angekündigten Vergaben zum Tunnelbau!
Was steht jetzt außerhalb der Gespräche an?
Ich erwarte, dass wir weiter und noch massenhafter friedlich demonstrieren. Unser Widerstand zeigt Wirkung, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Jetzt gilt es die Aufklärung über den Milliardenwahnsinn Stuttgart 21 massiv ins ganze Land zu tragen. Wir dürfen uns nicht auf unseren Umfragewerten ausruhen.
Wir haben nicht die Millionen Euro und die Netzwerke wie die Tunnelparteien, aber wir haben inzwischen hunderttausende Multiplikatoren, die mit ihrer Lebendigkeit für unseren Widerstand andere begeistern und überzeugen können. Ich bin der festen Überzeugung, dieser Lebendigkeit hat der alte Filz der Tunnelparteien nichts entgegen zu setzen. Aber es ist halt harte Arbeit. Aber zum Glück eine Arbeit, die richtig Spaß macht und bei der keiner von uns alleine sein wird! (PK)
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Online-Flyer Nr. 272 vom 20.10.2010