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Arbeit und Soziales
28. Mai 1992: - Bürgerzorn vor Asylbewerberheim - Zeitworte Folge 2
Am Anfang stand ein Gerücht
Von Albrecht Kieser
Gerade 14 Jahre ist her, was heute schon vergessen scheint. Am 28. Mai 1992 war Himmelfahrtstag, und es ging auf dem Waldfest der Schönauer Siedlergemeinschaft in Mannheim hoch her. Ein Gerücht machte die Runde: ein afrikanischer Bewohner des Asylbewerberheims habe ein 16-jähriges Mädchen vergewaltigt. Das Gerücht war alt und schon zwei Tage zuvor in der Presse widerlegt worden; aber es wurde dennoch aufgegriffen. Bald machte sich ein ungeordneter Haufen von Männern auf den Weg zur nahe gelegenen Gendarmeriekaserne. Gut 200 Flüchtlinge, meist aus Jugoslawien, aus dem Irak und der Türkei, waren hier untergebracht.
Die Polizei war bereits zur Stelle, noch vor der Menge, die im Laufe der Nacht auf 400 Menschen anschwoll. Wüste Beschimpfungen wurden geschrieen, "Asylantenschweine!", "Wir brennen Euch ab!" Steine flogen, Flaschen. Die Polizei verhinderte den Sturm. Sie hatte den Eingang zur Flüchtlingskaserne rechtzeitig sichern können, weil sie vorgewarnt war. Seit Tagen schon waren dort Leute aufgetaucht, hatten ausgekundschaftet und herumgepöbelt.
Die versammelten Schönauer wollten in dieser Nacht eine Entscheidung. Viele von ihnen hatten wohl ähnliche Bürgeraufläufe im Gedächtnis, die Anfang der 90er Jahre in Deutschland epidemisch wurden. Vor einem dreiviertel Jahr war es in Hoyerswerda sogar gelungen, das dortige Asylbewerberheim zu beseitigen. Warum nicht auch hier?
Hoyerswerda, das sächsische Städtchen in der Niederlausitz, war tatsächlich im September 1991 zum Fanal gegen die verhassten "Asylanten" geworden - für die einen. Für die anderen war es das Synonym des neuen rassistischen Schreckens im vereinigten Deutschland. Eine Woche lange hatten dort bekennende Nazis und gute Bürger das Asylbewerberheim belagert und bestürmt. Die Polizei hatte sie gewähren lassen. Die Menge erreichte schließlich, dass die Unterkunft geräumt wurde.
In Mannheim-Schönau lief es anders. Hier waren keine organisierten Rechtsradikalen mit von der Partie, jedenfalls nicht zu Beginn. Das lief vor der Gendarmeriekaserne selbstorganisiert, aus dem Stadtteil heraus, ganz ohne Anleitung. Mannheim-Schönau wurde aber auch deshalb nicht zu einem zweiten Hoyerswerda, weil die Polizei das Gelände bewachte, einen zweiten Zaun hinter dem ersten, dem alten Kasernenzaun, errichten und Drahtverhaue vor den Fenstern der Unterkunft anbringen ließ. Die Staatsgewalt wollte hier nicht den Sieg der Straße.
Aber die allabendlichen Aufläufe vor der Asylbewerberunterkunft zerstreute die Polizei nicht. Nur einmal tat sie das, am Himmelfahrtsabend selbst, als die Bürger zum Sturm auf das Eingangstor ansetzten. In den Tagen danach ließ man die Menge mit ihren Hassausbrüchen, verbalen Attacken und geschrieenen Morddrohungen gewähren. Die Mannheimer Politiker, bis hinauf zum Oberbürgermeister Gerhard Widder, äußerten sogar Verständnis - nicht für die Ängste der bedrohten Flüchtlinge, sondern für die - Zitat - "lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger". In einem freundlichen Schreiben wandte sich SPD-Mitglied Gerhard Widder an die Schönauer, bat um "Besonnenheit" und versprach, "Provokationen" und "Lärmbelästigung" seitens der Flüchtlinge zu unterbinden. Wohlgelitten waren Flüchtlinge auch bei den politisch Verantwortlichen in Mannheim nicht. Bereits 1991 hatte der Mannheimer Gemeinderat in einer Erklärung die Aufhebung des Grundrechts auf Asyl verlangt.
Eine gute Woche nach Himmelfahrt ging die Polizei dann ganz anders zu Werke. Da wollten etwa 400 Demonstranten Solidarität mit den Flüchtlingen bekunden und den Rassismus auf der Schönau anprangern. Obwohl von der Menge keinerlei Gewalt ausging, keine Steine flogen, keine Flaschen, gab die Polizeiführung Befehl, die Demonstration mit dem Knüppel aufzulösen. Am Ende des Einsatzes waren 20 Menschen z.T. schwer verletzt, 140 festgenommen. Die Frankfurter Rundschau berichtete: "In den Hauseingängen der Seitenstraßen schlugen Polizisten vor laufenden Fernsehkameras auf bereits am Boden liegende Frauen ein, die sich nicht wehrten. Verletzten wurde Verbandsmaterial aus den Einsatzfahrzeugen verwehrt."
Mit diesem Einsatz, der mit dem Oberbürgermeister abgesprochen und von ihm nachträglich gebilligt worden war, hatte die Staatsgewalt in Mannheim nachdrücklich definiert, was als Recht und was als Unrecht galt. Ins Unrecht gesetzt wurden nicht nur die Flüchtlinge, sie wurden ja sogar als verantwortlich für die Attacken der Schönauer Bürgerinnen und Bürger hingestellt. Ins Unrecht gesetzt wurden ebenso Menschen, die Solidarität mit den Flüchtlingen einforderten und Rassismus nannten, was als Rassismus hoffähig geworden war.
So viel grobschlächtige Schuldzuweisung verstellte auch den Blick auf Feinheiten des Aufruhrs in Mannheim-Schönau. Zum Beispiel, dass türkische Jugendliche sich zum Bürgermob dazu gesellten. Sie pöbelten mit, skandierten mit, warfen mit. Migranten gegen Flüchtlinge? Tatsächlich. Es war in dieser rassistisch aufgeladenen Stimmung für manche Migranten offensichtlich verführerisch, mit den anderen nach ganz unten zu treten.
Aber dieses Phänomen wurde von den Medien gar nicht wahrgenommen. Denn Mannheim-Schönau steht nicht nur für die tagelange, verständnisvolle Belagerung einer Asylbewerberunterkunft in einer westdeutschen Großstadt. Mannheim-Schönau steht auch für das weitgehende Verschweigen dieser rassistisch motivierten Aktivitäten in der deutschen Öffentlichkeit.
Albrecht Kieser arbeitet im Rheinischen JournalistInnenbüro Köln rjb-koeln@t-online.de
Sein Beitrag wurde in der Redaktion Zeitwort im SWR, Redaktion Marie-Elisabeth Müller, gesendet.
Online-Flyer Nr. 45 vom 23.05.2006
28. Mai 1992: - Bürgerzorn vor Asylbewerberheim - Zeitworte Folge 2
Am Anfang stand ein Gerücht
Von Albrecht Kieser
Gerade 14 Jahre ist her, was heute schon vergessen scheint. Am 28. Mai 1992 war Himmelfahrtstag, und es ging auf dem Waldfest der Schönauer Siedlergemeinschaft in Mannheim hoch her. Ein Gerücht machte die Runde: ein afrikanischer Bewohner des Asylbewerberheims habe ein 16-jähriges Mädchen vergewaltigt. Das Gerücht war alt und schon zwei Tage zuvor in der Presse widerlegt worden; aber es wurde dennoch aufgegriffen. Bald machte sich ein ungeordneter Haufen von Männern auf den Weg zur nahe gelegenen Gendarmeriekaserne. Gut 200 Flüchtlinge, meist aus Jugoslawien, aus dem Irak und der Türkei, waren hier untergebracht.
Die Polizei war bereits zur Stelle, noch vor der Menge, die im Laufe der Nacht auf 400 Menschen anschwoll. Wüste Beschimpfungen wurden geschrieen, "Asylantenschweine!", "Wir brennen Euch ab!" Steine flogen, Flaschen. Die Polizei verhinderte den Sturm. Sie hatte den Eingang zur Flüchtlingskaserne rechtzeitig sichern können, weil sie vorgewarnt war. Seit Tagen schon waren dort Leute aufgetaucht, hatten ausgekundschaftet und herumgepöbelt.
Die versammelten Schönauer wollten in dieser Nacht eine Entscheidung. Viele von ihnen hatten wohl ähnliche Bürgeraufläufe im Gedächtnis, die Anfang der 90er Jahre in Deutschland epidemisch wurden. Vor einem dreiviertel Jahr war es in Hoyerswerda sogar gelungen, das dortige Asylbewerberheim zu beseitigen. Warum nicht auch hier?
Hoyerswerda, das sächsische Städtchen in der Niederlausitz, war tatsächlich im September 1991 zum Fanal gegen die verhassten "Asylanten" geworden - für die einen. Für die anderen war es das Synonym des neuen rassistischen Schreckens im vereinigten Deutschland. Eine Woche lange hatten dort bekennende Nazis und gute Bürger das Asylbewerberheim belagert und bestürmt. Die Polizei hatte sie gewähren lassen. Die Menge erreichte schließlich, dass die Unterkunft geräumt wurde.
In Mannheim-Schönau lief es anders. Hier waren keine organisierten Rechtsradikalen mit von der Partie, jedenfalls nicht zu Beginn. Das lief vor der Gendarmeriekaserne selbstorganisiert, aus dem Stadtteil heraus, ganz ohne Anleitung. Mannheim-Schönau wurde aber auch deshalb nicht zu einem zweiten Hoyerswerda, weil die Polizei das Gelände bewachte, einen zweiten Zaun hinter dem ersten, dem alten Kasernenzaun, errichten und Drahtverhaue vor den Fenstern der Unterkunft anbringen ließ. Die Staatsgewalt wollte hier nicht den Sieg der Straße.
Aber die allabendlichen Aufläufe vor der Asylbewerberunterkunft zerstreute die Polizei nicht. Nur einmal tat sie das, am Himmelfahrtsabend selbst, als die Bürger zum Sturm auf das Eingangstor ansetzten. In den Tagen danach ließ man die Menge mit ihren Hassausbrüchen, verbalen Attacken und geschrieenen Morddrohungen gewähren. Die Mannheimer Politiker, bis hinauf zum Oberbürgermeister Gerhard Widder, äußerten sogar Verständnis - nicht für die Ängste der bedrohten Flüchtlinge, sondern für die - Zitat - "lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger". In einem freundlichen Schreiben wandte sich SPD-Mitglied Gerhard Widder an die Schönauer, bat um "Besonnenheit" und versprach, "Provokationen" und "Lärmbelästigung" seitens der Flüchtlinge zu unterbinden. Wohlgelitten waren Flüchtlinge auch bei den politisch Verantwortlichen in Mannheim nicht. Bereits 1991 hatte der Mannheimer Gemeinderat in einer Erklärung die Aufhebung des Grundrechts auf Asyl verlangt.
Eine gute Woche nach Himmelfahrt ging die Polizei dann ganz anders zu Werke. Da wollten etwa 400 Demonstranten Solidarität mit den Flüchtlingen bekunden und den Rassismus auf der Schönau anprangern. Obwohl von der Menge keinerlei Gewalt ausging, keine Steine flogen, keine Flaschen, gab die Polizeiführung Befehl, die Demonstration mit dem Knüppel aufzulösen. Am Ende des Einsatzes waren 20 Menschen z.T. schwer verletzt, 140 festgenommen. Die Frankfurter Rundschau berichtete: "In den Hauseingängen der Seitenstraßen schlugen Polizisten vor laufenden Fernsehkameras auf bereits am Boden liegende Frauen ein, die sich nicht wehrten. Verletzten wurde Verbandsmaterial aus den Einsatzfahrzeugen verwehrt."
Mit diesem Einsatz, der mit dem Oberbürgermeister abgesprochen und von ihm nachträglich gebilligt worden war, hatte die Staatsgewalt in Mannheim nachdrücklich definiert, was als Recht und was als Unrecht galt. Ins Unrecht gesetzt wurden nicht nur die Flüchtlinge, sie wurden ja sogar als verantwortlich für die Attacken der Schönauer Bürgerinnen und Bürger hingestellt. Ins Unrecht gesetzt wurden ebenso Menschen, die Solidarität mit den Flüchtlingen einforderten und Rassismus nannten, was als Rassismus hoffähig geworden war.
So viel grobschlächtige Schuldzuweisung verstellte auch den Blick auf Feinheiten des Aufruhrs in Mannheim-Schönau. Zum Beispiel, dass türkische Jugendliche sich zum Bürgermob dazu gesellten. Sie pöbelten mit, skandierten mit, warfen mit. Migranten gegen Flüchtlinge? Tatsächlich. Es war in dieser rassistisch aufgeladenen Stimmung für manche Migranten offensichtlich verführerisch, mit den anderen nach ganz unten zu treten.
Aber dieses Phänomen wurde von den Medien gar nicht wahrgenommen. Denn Mannheim-Schönau steht nicht nur für die tagelange, verständnisvolle Belagerung einer Asylbewerberunterkunft in einer westdeutschen Großstadt. Mannheim-Schönau steht auch für das weitgehende Verschweigen dieser rassistisch motivierten Aktivitäten in der deutschen Öffentlichkeit.
Albrecht Kieser arbeitet im Rheinischen JournalistInnenbüro Köln rjb-koeln@t-online.de
Sein Beitrag wurde in der Redaktion Zeitwort im SWR, Redaktion Marie-Elisabeth Müller, gesendet.
Online-Flyer Nr. 45 vom 23.05.2006