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Aktueller Online-Flyer vom 23. November 2024  

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Globales
Mit dem "Historischen Kompromiss“ der Revisionisten in den Untergang
90. Gründungs- und 20. Todestag der IKP
Von Gerhard Feldbauer

Die am 21. Januar 1921 gegründete Italienische Kommunistische Partei hat eine wechselvolle Geschichte durchquert. Sie wurde führende Kraft der Arbeiterklasse und diese zur Triebkraft des Sturzes Mussolinis im Juli 1943 durch Kapitalkreise, die sich nicht in die Niederlage Hitlerdeutschlands hineinziehen lassen wollten und sich aus Furcht vor einem Volksaufstand des Diktators entledigten.
 

Antonio Gramsci - bereitete den Sturz
des Faschismus vor
Der führende Gründer der IKP, Antonio Gramsci, erarbeitete in den 1920er Jahren, also lange vor dem VII. Weltkongress der Komintern, als erster Theoretiker eine Analyse des Faschismus und die für seinen Sturz erforderliche breite Bündniskonzeption. Mit dem Eintritt der Kommunisten und Sozialisten (ISP) mit den bürgerlichen Oppositionsparteien in die Regierung des vorherigen Mussolini-Marschalls Pietro Badoglio („Wende von Salerno“) verwirklichte Palmiro Togliatti Gramscis Konzept eines „Historischen Block“ und brachte eine nationale Kriegskoalition gegen die Besatzungsmacht der Hitlerwehrmacht und ihrer Mussolini-Vasallen zustande.
 
Revolutionäre Situation nicht genutzt
 
Nach dem Sieg über die Hitlerwehrmacht und den Mussolinifaschismus war die IKP die politisch einflussreichste Kraft der Resistenza, des mit der Okkupation Nord- und Mittelitaliens im September 1943 durch Hitlerdeutschland beginnenden bewaffneten Widerstandes. Mit über zwei Millionen Mitgliedern wuchs sie zu einer Massenpartei an. In den von den Partisanen befreiten Gebieten Norditaliens übernahmen links dominierte örtliche Organe des Nationalen Befreiungskomitees (Comitato di Liberazione Nazionale) die Macht und leiteten revolutionär-demokratische Veränderungen ein. Im Süden hatten Landarbeiter und Halbpächter das Land der zu den Faschisten gehörenden Latifundistas besetzt. Die IKP setzte in der Einheitsregierung ein Dekret durch, das die Inbesitznahmen legalisierte. Ihr Ansehen stieg besonders, als bekannt wurde, dass ihre 52. Garibaldi-Brigade Mussolini auf der Flucht zur Schweizer Grenze bei Como gestellt und am 28. April das vom CLN gegen ihn und weitere führende Faschisten verhängte Todesurteil vollstreckt hatte, weil die sich weigerten, zu kapitulieren,. 
 
Ende April entstand eine klassische revolutionäre Situation, die bis zum Spätherbst des Jahres anhielt: Die Positionen des Imperialismus waren erschüttert. Die großbourgeoisen Vertreter in der Einheitsregierung befanden sich in der Minderheit. IKP und ISP wirkten auf der Basis eines 1934 geschlossenen und zuletzt im Frühjahr 1945 erneuerten Aktionseinheits-abkommens, in dem sie sich zum Sozialismus bekannten. Die Kommunal-wahlen im März 1946 und die folgenden zur Verfassungsgebenden Versammlung im Juni brachten für IKP und ISP rund 40 Prozent Stimmen, was von einer Massenbasis zeugte. Im Juni 1945 zwangen die Linken den Liberalen Ivanhoe Bonomi zum Rücktritt und beriefen den eng mit der IKP verbundenen Ferrucio Parri von der radikaldemokratischen Aktionspartei zum Ministerpräsidenten. Es standen weit über eine halbe Million Partisanen unter Waffen. Ihnen hatten sich während des bewaffneten Aufstandes Zehntausende weitere Kämpfer angeschlossen. Alle Partisanenformationen bestanden zu 85 bis 90 Prozent aus Arbeitern und Bauern.
 
Diese günstigen Bedingungen, mit der ISP und im Bündnis mit bürgerlichen Schichten eine antifaschistische, antiimperialistische revolutionär-demokratische Umgestaltung einzuleiten, um die politischen und sozialökonomischen Grundlagen des Faschismus zu beseitigen, wurden jedoch nicht genutzt.
 
Es war fraglich, ob die USA unter diesen Gesichtspunkten in Italien, wie Großbritannien 1944 in Griechenland, die offene militärische Konfrontation mit der antifaschistischen Bewegung gewagt hätten. Die Ende Dezember 1944/Anfang Januar 1945 von der Wehrmacht begonnene Ardennenoffensive hatte die amerikanisch-britischen Truppen im Westen in eine sehr kritische Lage gebracht, die Churchill am 6. Januar 1945 veranlasste, Stalin persönlich um eine Entlastungsoffensive im Osten zu bitten, die dann am 12. des Monats erfolgte. Die Konferenz von Jalta hatte im Februar 1945 für Juni des Jahres zur Gründung der Vereinten Nationen nach San Francisco eingeladen. Auf der Potsdamer Konferenz im Juli/August 1945 herrschte noch der Geist der Zusammenarbeit der Antihitlerkoalition vor, den man schwerlich nach dem Tod Franklin Roosevelts am 12. April 1945, eines Vertreters und Mitbegründers dieser Koalition, so rasch hätte zu Grabe tragen können.
 
Der Krieg gegen Japan war noch nicht beendet. Der Abwurf der beiden Atombomben im August 1945 hatte die Kampfkraft der japanischen Streitkräfte nicht entscheidend geschwächt. Zum Sieg über den japanischen Achsenpartner trug vielmehr vor allem die am 9. August eröffnete sowjetische Fernostoffensive bei, in deren Verlauf die rund eine Million starke Kwantung-Armee zerschlagen wurde. Die offene Wende zum Kalten Krieg begann erst im März 1946 mit Churchills berüchtigter Rede in Fulton.
 
Schwerwiegende Zugeständnisse
 
Togliatti wollte das Regierungsbündnis mit den großbürgerlichen Kräften fortsetzen und antifaschistisch-demokratische Veränderungen auf parlamentarischem Weg verwirklichen. Diese Linie setzte er in der Parteiführung gegen den Widerstand einer starken, auf revolutionären Massenkampf setzenden Strömung durch. Ein Bekenntnis zur sozialistischen Perspektive unterblieb.
 

Palmiro Togliatti: Günstige
Ausgangssituation „im Grunde
genommen nicht genutzt“
Togliatti machte schwerwiegende Zugeständnisse: Stimmte der Auflösung der Partisanenverbände zu; der Amtsenthebung der örtlichen Befreiungskomitees, die Regierungsorgane waren, fügte sich als Justizminister der Auflösung des „Hohen Kommissariats zur Verfolgung der Regimeverbrecher“ und einer sogenannten Amnestie der „nationalen Versöhnung“, die zu einer Revision bereits ergangener über 11.000 Urteile führte. Die IKP stimmte zu, der Verfassunggebenden Versammlung keine Gesetzesvollmachten zu übertragen, sondern diese bei der Regierung zu belassen. Als De Gasperi IKP und ISP dann im Mai 1947 aus der Regierung vertrieb, konnte die DC mit ihren Verbündeten auf Gesetzesebene schalten und walten, wie sie wollte. In der Konstituante billigte die Partei die Sanktionierung der mit Mussolini geschlossenen Lateranverträge, was die Positionen des reaktionären Klerus und der DC-Rechten stärkte. Der Vatikan verhalf dann der DC bei den Parlamentswahlen 1948 zu einem triumphalen Wahlsieg von 48,5 Prozent (über ein Drittel mehr als 1946). Gravierende Folgen hatte, dass die Partei die bereits im August 1945 in Gestalt der Jedermann-Bewegung (Uomo Qualunque) einsetzende Reorganisation des Faschismus unterschätzte.
 
Toglatti räumte 1946 ein, die vorhandene günstige Ausgangssituation sei „im Grunde genommen nicht genutzt“ worden. Pietro Secchia und Filippo Frassati sprachen von einer „fehlenden Revolution“. Luigi Longo, seit 1946 Stellvertreter Togliattis, hatte mehrfach vor zu weit gehenden Kompromissen gewarnt und gefordert, die Mobilisierungsfähigkeit der Partei nicht zu vernachlässigen.
 
Entscheidende demokratische Veränderungen
 
Nach 1945 mobilisierte die Partei die Massen für den Sturz der Monarchie, gegen den Kalten Krieg und die NATO-Gründung. In der 1947 ausgearbeiteten Verfassung setzte sie demokratische und antifaschistische Grundsätze durch. Sie prägte nachhaltig das antifaschistische Nachkriegsitalien. Ein schwerer Rückschlag war der von dem - Vorsitzenden Pietro Nenni 1955 eingeleitete Bruch des Aktionseinheitsabkommens. Vom Widerhall der kommunistischen Ideen und einer sozialistischen Alternative zeugte, dass Mitte der 1970er Jahre zwölf Millionen Italiener (34 Prozent) bei Parlamentswahlen für die IKP stimmten. 
 
Ende der 1960er Jahre begann sich eine sozialdemokratische Strömung herauszubilden, deren ideologische Basis der sogenannte Eurokommunismus bildete. Als die DC nach den Parlamentswahlen 1972 mit 38,7 Prozent in eine schwere Regierungskrise geriet, bot ihr Enrico Berlinguer, der im März 1972 den schwerkranken Longo abgelöst hatte, den Eintritt in eine Regierungskoalition (Historischer Kompromiss) an, um „die Überwindung der Klassenschranken“ zu erreichen. Nach dem faschistischen Putsch Pinochets 1973 in Chile begründete Berlinguer diesen Schritt mit der Abwehr der wachsenden faschistischen Gefahr (1964, 1970 und 1974 Putschversuche mit NATO- und CIA-Unterstützung). Longo sprach sich gegen eine Klassenzusammenarbeit aus. Er befürchtete, sie werde nur dem Monopolkapitalismus und den Christdemokraten dienen. 
 
Verhängnisvolle Regierungsbeteiligung
 
Gegen die faschistische Gefahr in eine bürgerliche Regierung einzutreten, konnte als gerechtfertigt gelten. Es kam jedoch zu keinen konkreten Vereinbarungen. Die IKP anerkannte die kapitalistische Marktwirtschaft und das bürgerliche Staatsmodell, bekannte sich zu den Bündnisverpflichtungen Italiens und gab die absurde Erklärung ab, die NATO eigne sich unter bestimmten Voraussetzungen als “Schutzschild” eines italienischen Weges zum Sozialismus. Im März 1978 trat sie in die von dem DC-Rechten Giulio Andreotti angeführte parlamentarische Regierungskoalition ein. Am 9. Mai wurde ihr Bündnispartner, der DC-Vorsitzende Aldo Moro, Opfer eines von der geheimen NATO-Truppe stay behind (in Italien Gladio genannt), der CIA, italienischen Geheimdienstkreisen und den Neofaschisten inszenierten Mordkomplotts. Der Historische Kompromiss scheiterte. Es gab keinerlei soziale Fortschritte. Die Regierungsachse verschob sich nach rechts. Die IKP verlor in den folgenden Jahren etwa ein Drittel ihrer 2,2 Millionen Mitglieder und bis 1987 rund acht Prozent ihrer Wähler. 
 
Berlinguer hatte die Revisionisten noch gezügelt. Nach seinem Tod am 11. Juni 1984 erhielten diese freie Hand. Bereits auf dem Parteitag 1986 leitete sein Nachfolger Alessandro Natta die „reformistische Wende“ ein. Nach dem Amtsantritt Michael Gorbatschows als KPdSU-Generalsekretär wurde die IKP, die seit Berlinguers Zeiten stets ihre Unabhängigkeit betont hatte, plötzlich regelrecht moskauhörig und orientierte sich an dessen Glasnost- und Perestroika-Kurs. Die "Unita“ sprach offen aus, dass es bei der Umwandlung in eine sozialdemokratische Linkspartei darum ging, einer „Regierungsübernahme den Weg zu ebnen“. Auf dem 20. Parteitag (31. Januar- 2. Februar 1991 widersetzten sich 90 Delegierte (etwa Viertel) der Liquidierung, wie Losurdo sie nannte, und beschlossen eine Neugründung, die in Gestalt der Partei der kommunistischen Neugründung (PRC) am 12. Dezember 1991 erfolgte.
 
Gramsci geriet in Vergessenheit
 
Die Wurzeln dafür, dass es möglich wurde, die IKP zu beseitigen, liegen letzten Endes im Umsichgreifen vielfältiger opportunistischer Erscheinungen und der fehlenden Auseinandersetzung mit ihnen. Herausragende historische Erfolge, wie der Beitrag zum Sieg über den Faschismus, führten zur Überschätzung der eigenen Möglichkeiten und der Unterschätzung des Klassengegners. Das war verbunden mit Zurückweichen vor dessen Druck, mit schwer oder auch nicht wieder zu korrigierenden Zugeständnissen, die verbunden waren mit dem Irrglauben, der Gegner werde das honorieren. Gramscis Grundsatz, die Partei müsse bei notwendigen Kompromissen mit den bürgerlichen Bündnispartnern Ausgeglichenheit wahren, und Zugeständnisse dürften nicht „die entscheidende Rolle (...), die ökonomischen Aktivitäten der führenden Kraft“ betreffen, was sich auf die sozialistische Perspektive bezog, geriet mehr und mehr in Vergessenheit. Die Auseinandersetzung mit dem opportunistischen Erbe der IKP, das in die PRC eindrang, steht bis heute aus.
 
Man kommt nicht umhin, diesen Werdegang der IKP und des Umgangs mit ihm in die Analyse der gegenwärtigen tiefen Krise der Linken Italiens einzubeziehen. Vergleiche zu gegenwärtigen Entwicklungen hierzulande bieten sich an. (PK)


Online-Flyer Nr. 285  vom 19.01.2011



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