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Die NRhZ-Kolumne
Eilmeldung: "Fidel Castro und Bruder mit 1,5 Tonnen Gold ins Ausland geflüchtet!"
Von Norbert Arbeiter

Das wäre die Topmeldung mit schrillsten Überschriften für Wochen in den Springer- und Bertelsmann-Medien inklusive den gleichgeschalteten ARD und ZDF-Sendungen. Mit dem Gold als private Altersvorsorge, das stimmt. Es ist aber nicht Fidel sondern nur der geflohene tunesische Diktator Ben Ali mit Gattin. Für die hiesigen Medien und unsere Vollblutdemokratin Angela Merkel ein kaum erwähnenswerter Vorfall. Direkt vor Europas Haustür, stets unterstützt von der EU, also im politischen Kulturkreis, hat sich ein Mächtiger abgesetzt mit “Goldbarren im Wert von rund 45 Millionen Euro“, berichtete die französische Zeitung „Le Monde“. Das schwer beladene Flugzeug mit Diebesgut nahm Kurs Richtung Dubai, dort sollen sie sich im arabischen Dschiddah am Roten Meer aufhalten. Die prallen Auslandskonten werden einen langen und schönen Aufenthalt ermöglichen.

“Blutige Unruhen stürzen Tunesien ins Chaos“ war der allgemeine Überschriftenzirkus. Ein Volk das sich selber befreit, geht im Chaos unter, fehlte noch als Unterzeile. Revolutionäre Umbrüche gehen nur sehr selten ohne Chaos von statten, das zeigt die Geschichte an vielen Beispielen. Sanfte Umbrüche sind seltener, weil die Mächtigen und Despoten erst im Chaos aufgeben.

Die Diktatur des ehemaligen Polizisten Ben Ali, der sich an die Spitze des Staates geputscht hatte, ist nach 23 Jahren an der Macht für tausende aus politischen Gründen Ermordete und korrupte, kriminelle Machenschaften verantwortlich. Nach dem Sturz des Präsidenten am Freitag hatten aufgebrachte Tunesier systematisch ihre Villen in den feinen Vororten von Tunis geplündert. Sie hatten genügend Zeit dafür, denn der größte Teil der Jugend hat keine Arbeit und Zukunft. Zukunft gibt es nur in Europa, so die Meinung unter ihnen. Sie werden auch noch viel Zeit brauchen für eine entgültige Veränderung. Die für alle überraschend schnelle Flucht von Ben Ali kam, weil die anderen Machtcliquen inclusive Militär den Platzhirsch verjagten um selber nachzurücken. Und die werden nicht so schnell aufgeben.

Europäische Politiker konnten nie was Nachteiliges über Ben Ali sagen. Desgleichen der seit Jahrzehnten im Amt befindliche libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi. "Es tut mir sehr weh, was in Tunesien geschieht", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Jana den Revolutionsführer des Nachbarlandes. "Tunesien lebt jetzt in Angst. Die Tunesier erlebten Blutvergießen und Gesetzlosigkeit, weil die Menschen in aller Eile versucht hätten, ihren Präsidenten loszuwerden. Dabei habe Staatschef Ben Ali ihnen doch versichert, nach drei Jahren sein Amt aufzugeben.“ Danach wäre er mit 3 Tonnen Gold abgezogen.

In einem Interview im Tagesspiegel am 15.1. 2011 sagte der Politikwissenschaftler Volker Perthes auf die Frage: "Welche Lehre können die Nachbarn Algerien, Libyen, Marokko und Ägypten aus dem Umsturz in Tunesien ziehen?"

“Die Staaten in der Region können aus dem Sturz Ben Alis lernen, dass es zwar möglich ist, Parteien zu verbieten, Wahlen zu fälschen und Oppositionspolitiker zu verhaften, dass man aber nicht gegen die Demografie anregieren kann. Wenn 50 Prozent der Bevölkerung unter 18 sind und diese Jugend keine Chance erhält, an Arbeit und Wohlstand sowie an den politischen Entscheidungsprozessen teilzuhaben, dann kommt es irgendwann zum Umsturz.“

"Also besteht nach dem Umsturz keine Gefahr, das islamistische Kräfte in Tunesien stark an Macht und Einfluss gewinnen? “Die eine bedeutende politisch-islamische Partei in Tunesien, al-Nahda, ist vergleichsweise liberal und dürfte bereit sein, sich am demokratischen Aufbau des Landes zu beteiligen. Sie könnten in einem demokratischen Tunesien das islamisch-konservative Spektrum repräsentieren – vergleichbar mit der AKP des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan… Was den Rest der Region anbelangt, sollte die EU von der bisher dominanten Position abrücken, wonach das Bestehende im Zweifelsfall immer besser ist als eine Veränderung. Gegenüber Potentaten wie Mubarak in Ägypten muss sie klarmachen, dass es nicht hilft, die politischen Verhältnisse einzufrieren.“

Weiter plädierte er für eine Freilassung politischer Häftlinge. Der Gefängnisbrand mit 40 Toten in der letzten Woche hat hier wohl eine besondere Brisanz.

Hier ein Link zu einer beherzten FDP-Attacke gegen Ben Ali

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Online-Flyer Nr. 284  vom 17.01.2011



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