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Lokales
Kopfbahnhof 21 ist ein Zukunftsprojekt, S21 ein reines Profitprojekt
Wir sind das Stuttgarter Demokratiemodell!
Von Gangolf Stocker

Gut, Herr Geißler, dass Sie damit S21 als Murks bezeichnen. Aber für ein bisschen weniger Murks wollen die Stuttgarter nicht ihren Bahnhof und Park opfern. Beim Faktencheck kam auf den Tisch: Die „Magistrale Paris-Bratislava“ entpuppte sich als Werbe-Phantom, für den Güterverkehr bringt S21 nichts, der Nahverkehr verschlechtert sich, ein funktionierender Fahrplan existiert nicht, die Gutachten zu den Mineralquellen bleiben geheim (warum?), die Kosten werden weiter explodieren. S21 Plus ist der dokumentierte Offenbarungseid für S21. S21 Plus ist Murks Plus. Und Herr Geißler musste zugestehen: K21 ist eine Alternative.


Gangolf Stocker (links), Heiner Geißler und Hannes Rockenbauch während der Schlichtung
NRhZ-Archiv
 
Viele fragen sich: Warum wird an diesem Murks festgehalten? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich nur die gesamte Bahnpolitik der letzten Jahre anschauen. Oberstes Kriterium war nie der bessere Bahnverkehr, sondern einzig die schnellste Profitsteigerung. Dafür bedienten sie sich an der Substanz. Mit den bekannten Ausmaßen: Ausdünnung des Schienennetzes, S-Bahn-Desaster in Berlin, Sauna-Züge im Sommer, Chaos im Winter. Mittelgroße Städte waren tagelang vom Bahnnetz abgehängt. Bahnhöfe sind vielerorts in völlig verkommenem Zustand. Auch S21 ist ein Ergebnis dieser Raubbau-Politik.
Drei Hauptinteressen bestimmen S21: Immobilienvermarktung, eine umweltfeindliche Verkehrsplanung, die den Güterverkehr auf der Straße bevorzugt und den Nahverkehr einschränkt – die Autolobby frohlockt, Milliarden für die Bauindustrie. Die Immobilienlobby wird repräsentiert von OB Schuster und Tanja Gönner, die Autolobby vom ehemaligen Daimlervorstand Rüdiger Grube, die Baulobby von Lothar Späth. Und die Banken stecken überall mit drin. Uns geht es angesichts der Zukunft unserer Stadt und des Klimawandels um ein Umsteuern in der gesamten Verkehrspolitik: Personen- und Güterverkehr auf die Schiene. K21 ist deshalb ein Zukunftsprojekt, S21 ein reines Profitprojekt.
 
Im besten Sinne von Immanuel Kant
 
Aber es geht vor allem auch um Demokratie. Was war denn der Sinn der Faktenchecks? Das hat Herr Geißler selbst definiert: „Die Schlichtung war auch moderne Aufklärung im besten Sinne von Immanuel Kant: Menschen zu befähigen, sich aus unverschuldeter Unmündigkeit zu befreien.“ Kant schrieb im 18. Jahrhundert gegen absolutistische Herrschaft. Kant fügte an: „Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Dies ist der Wahlspruch der Aufklärung. Und ihren Verstand haben aufgeklärte Stuttgarter benutzt.
 
Am 30.09.2010 wollte Mappus den Verstand wegprügeln lassen, in alter preußisch absolutistischer Tradition. Ein Fehlschlag. Wir sind aufgeklärt, jetzt auch über das wasserwerfende Demokratieverständnis der Regierenden. Und die aufgeklärte Ausgeburt unseres Verstandes – K21 – wurde durch 80 Stunden Faktencheck als vernünftige Alternative bestätigt. Im kantianischen Sinn – Kopfbahnhof 21, Bahnhof mit Vernunft. Aber eine Abstimmung soll uns per Schlichterspruch untersagt werden. Absolutismus auf Samtpfoten. Heiner Geißler hatte für seinen Basta-Spruch keinerlei Mandat. Grube, Mappus und Gönner wurden von ihrer Hauptsorge befreit, dass das Volk mitreden und mitentscheiden darf. Mit dem Schlichterspruch ist es nicht gelungen, uns die Initiative aus der Hand zu nehmen. Das macht Mut. Ganz Deutschland schaut auf uns, ob wir durchhalten und zeigen: Das Stuttgarter Demokratiemodell sind wir Bürger. Wir werden den Wahlkampf nutzen, um in Stuttgart und auf dem Land weitere Überzeugungsarbeit zu leisten: K21 ist die Alternative, und dazu muss eine Volksbefragung stattfinden.
 
"Für unsere Stadt lohnt es sich, oben zu bleiben!"
 
In seinem Abschlussplädoyer beim Faktencheck hat Hannes Rockenbauch gesagt: „K21 steht für eine intelligente, soziale und ökologische Stadtentwicklung, die an die ganze Stadt denkt und die heute und nicht erst in 10 Jahren beginnt. Für unsere Stadt lohnt es sich, oben zu bleiben! Mit der neu gewonnen Leidenschaft der Bürgerinnen und Bürger für ihre eigene Stadt können wir eine Stadt gestalten, die Stuttgart 21 gar nicht nötig hat. Wer aber glaubt, er könne die Menschen in dieser Stadt mit einer weiteren Alibi-Beteiligung abspeisen, der beweist nur, dass er seine Bürgerinnen und Bürger schlecht kennt. Die stolzen und selbstbewussten Bürgerinnen und Bürger von heute wollen selbst entscheiden, ob wir unter die Erde kommen oder oben bleiben.“ (PK)
 
Mit Widerstand kennt sich Gangolf Stocker aus. Als junger Mann verweigerte er den Kriegsdienst, zu einer Zeit, als das noch nicht salonfähig war. Politisch startete er bei der SPD, dann folgten DKP und PDS. Lange hielt er es nirgendwo aus. Heute ist er parteiloser Stadtrat. Seine Berufslaufbahn als Künstler unterbrach er, als er heiratete und Kinder bekam. Um die Familie besser abzusichern, suchte er sich einen Angestelltenjob. Im Stuttgarter Thieme-Verlag wurde er auch Betriebsrat. Einer von der unbequemen Sorte. „Von den 23 Jahren, die ich dort war, wollten sie mich 22 Jahre lang loswerden", erzählt er. Irgendwann ging er tatsächlich - mit einer hohen Abfindung. „Da habe ich wieder angefangen zu malen." Realismus mag er, sagt Stocker. Avantgarde sei nicht sein Ding. Ein Interview mit ihm finden Sie in der NRhZ unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15633


Online-Flyer Nr. 287  vom 02.02.2011



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