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Interview mit Prof. Frentzel-Beyme zum Gefahrenpotential von BAYER-Nanotubes
„Forschung steckt erst in den Anfängen“
Von Philipp Mimkes
Die BAYER MaterialScience AG hat im Frühjahr 2010 die weltgrößte Produktionsanlage für Carbon Nanotubes (CNT) in Betrieb genommen. Nanotubes sind winzige Röhrchen aus Kohlenstoff, die deutlich kleiner sind als ein µm (Tausendstel Millimeter). Die Coordination gegen BAYER-Gefahren kritisiert, dass die Anlage in Leverkusen ohne reguläres Genehmigungsverfahren gebaut wurde. Die CBG bat den Arzt und Epidemiologen Prof. Dr. Rainer Frentzel-Beyme um eine Einschätzung des Gefährdungspotentials, insbesondere für die BAYER-Beschäftigten. Darunter finden Sie eine aktuelle Meldung über die Haltung der Bundesregierung zu diesem Thema. - Die Redaktion
FRAGE: Herr Frentzel-Beyme, die BAYER AG stellt seit Anfang 2010 in Leverkusen mehrwandige Carbon Nanotubes her. Gibt es Untersuchungen zu den Risiken von Nanopartikeln?
BAYER-Nanotubes
Carbon Nanotubes könnten laut BAYER auch in diesen Rotorblättern eines Windkraftwerkes oder in Kleinwindrädern vor Eigenheimen zum Einsatz kommen
Online-Flyer Nr. 288 vom 09.02.2011
Interview mit Prof. Frentzel-Beyme zum Gefahrenpotential von BAYER-Nanotubes
„Forschung steckt erst in den Anfängen“
Von Philipp Mimkes
Die BAYER MaterialScience AG hat im Frühjahr 2010 die weltgrößte Produktionsanlage für Carbon Nanotubes (CNT) in Betrieb genommen. Nanotubes sind winzige Röhrchen aus Kohlenstoff, die deutlich kleiner sind als ein µm (Tausendstel Millimeter). Die Coordination gegen BAYER-Gefahren kritisiert, dass die Anlage in Leverkusen ohne reguläres Genehmigungsverfahren gebaut wurde. Die CBG bat den Arzt und Epidemiologen Prof. Dr. Rainer Frentzel-Beyme um eine Einschätzung des Gefährdungspotentials, insbesondere für die BAYER-Beschäftigten. Darunter finden Sie eine aktuelle Meldung über die Haltung der Bundesregierung zu diesem Thema. - Die Redaktion
Frentzel-Beyme: Durch Untersuchungen zur Wirkung von lungengängigem Feinststaub sowie zu Schwebstaubpartikeln ohne zusätzliche Anlagerungen organischer toxischer Substanzen sind Reaktionen des Organismus bekannt.
BAYER-Nanotubes
Quelle: BAYER AG
Mauderly berichtet 1994 über den pathogenen Mechanismus einer erhöhten Zellproliferation (Gewebewachstum) infolge der Inhalation von hohen Dosen wenig löslicher Partikel. Selbst wenn diesen Partikeln kein mutagenes (erbgutveränderndes) Potenzial zukommt, führen sie ein Syndrom mit Partikelsequestrierung (Abkapselung), Entzündung und Proliferation mit Fibrose (krankhafte Vermehrung des Gewebes) herbei. Proliferation gilt auch als mitursächlich beim Beginn karzinogener Transformation zu bösartigem Wachstum.
Daneben ist eine systemische Belastung erwiesen, da Partikel geringer Durchmesser durch die Alveolen (Lungenbläschen) in den Blutkreislauf übertreten können und dadurch in alle Regionen des Körpers gelangen.
Laut dpa haben Frangioni et al. (Boston) bei Ratten die Wirkung von Feinststaub in Abhängigkeit von Durchmesser und elektrischer Ladung untersucht und gezeigt, dass elektrisch positiv geladene Partikel von Lungenzellen aufgenommen werden und schädigend wirken. Besonders problematisch sollen die nicht positiv geladenen Teilchen unter 34 Nanometern sein, die schnell aus dem Lungengewebe in die Lymphknoten wandern und die zu chronischen Entzündungen führen.
Die Firma BAYER empfiehlt am Arbeitsplatz einen Grenzwert von 0,05 mg/Kubikmeter Raumluft. Die schwarz-gelbe Landesregierung von NRW hielt diesen Wert für "vertretbar", die neue Landesregierung hat sich zum Thema noch nicht geäußert. Wie ist Ihre Einschätzung dieses Grenzwerts?
Die toxikologische Forschung zu den biologischen Wirkungen von Nanopartikeln steckt noch dermaßen deutlich in den Anfängen, dass keine Schlussfolgerungen der Unbedenklichkeit erlaubt sein dürften. Nur weil technische Eigenschaften wünschenswert sind, dürfen Technologien nicht in die Großproduktion aufgenommen werden, solange die Produkte nicht als unbedenklich gelten können.
Carbon Nanotubes könnten laut BAYER auch in diesen Rotorblättern eines Windkraftwerkes oder in Kleinwindrädern vor Eigenheimen zum Einsatz kommen
Foto: BAYER MaterialScience
Die Ergebnisse von einschlägigen Tierversuchen weisen deutlicher auf karzinogene Wirkungen der Carbon Nanotubes hin. Die üblichen Limitierungen von Tierversuchen bezüglich der Übertragbarkeit auf den Menschen gelten auch hier, doch wird die Toxikologie immer zu berücksichtigen sein. Allerdings gilt als Einschränkung, dass jede manipulierte Exposition gegenüber Fremdkörpern im Tierversuch zu heftigen Reaktionen mit Zelltransformation führen, die in einem gewissen Prozentsatz der Versuchstiere zu malignen Neubildungen entarten. Dabei sind Dosis-Erwägungen zumindest weniger aussagekräftig als die Implantation auch von nicht karzinogenen Kontrollsubstanzen, die ebenfalls das Risiko von Neubildungen erhöhen können. Die Antwort des NRW Umweltministeriums enthält keine detaillierte Auskunft zu diesem Punkt.
Trotz dieser unklaren Lage der Folgenabschätzung für den Menschen sieht sich das Ministerium in der Lage, den Empfehlungen des Herstellers zu folgen, eine Konzentration von 0,05 mg/m³ zu folgen und diese als Grenzwert zu bezeichnen. Diese empfohlene Regelung ist angesichts des Fehlens epidemiologischer Daten als völlig willkürlich anzusehen. Rückblickend wurden in den meisten Fällen insbesondere bei Altlasten erst lange nach der Festlegung von MAK- und Grenzwerten diese Regelwerke aufgrund von Untersuchungen der exponierten Mitarbeiter nach unten korrigiert. Aus diesen Erfahrungen müssten die Lehren gezogen werden, Grenzwerte extrem niedrig anzusetzen und nach Vorliegen adäquat durchgeführter Untersuchungen von Mitarbeitern gegebenenfalls von diesen Schutzregulierungen allmählich abzuweichen.
Der neueren Forschung zu Emissionen aus Laserdruckern mit den als Feinststaub deklarierten Partikelgrößen sind alarmierende Befunde zu verdanken, deren Berücksichtigung auch im Ansatz der Festlegungen für Carbon-Nanotubes gelten muss. Nicht zuletzt ist die multizentrische Forschung zu Nanopartikeln als Umweltbelastung ein Hinweis auf Forschungsbedarf, so dass nicht von einer eindeutigen Situation ausgegangen werden kann.
Wie lauten vor diesem Hintergrund Ihre Forderungen?
Aus den angeführten Gründen ist die vom NRW Umweltministerium vorgelegte Empfehlung als realitätsfern und industriefreundlich abzulehnen. Eine begleitende stetige Untersuchung der Mitarbeiter und deren Nachverfolgung auch nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb sollte eine Minimalvoraussetzung sein, um diesen Produktionszweig überhaupt zu genehmigen.
Als wenig überzeugend erscheinen die Ausführungen zu Punkt 5, wonach die Nanoröhren nicht als gefährliche Stoffe im Sinne der Störfall-Verordnung aufzufassen sind.
Eine Katastrophe wie die mit lungengängigen Fasern des Asbest sollte nicht noch einmal abgewartet werden, bis präventiv gehandelt wird. Laut Prof. Filser, Bremen nimmt die schädliche Wirkung von Nanoteilchen in der Umwelt zu, wenn sie länger einwirken und kumulieren. Die gegenwärtigen Testmethoden führen dazu, dass das Risiko unterschätzt wird. Dies galt auch für Asbest und seine Wirkung bei niedriger Konzentration. Es ist nicht das Gleiche, ob sich ein Teilchen beispielsweise in Wasser oder aber in Lungenflüssigkeit mit den darin enthaltenen Eiweißstoffen befindet. Professor Lutz Mädler, Universität Bremen, stellt mit Bezug auf die Struktur von Partikeln fest, dass die Nanoröhrchen aus Kohlenstoff häufig zu klein sind, um als Fremdkörper im Organismus von sogenannten Fresszellen erkannt und phagozytiert (verdaut) zu werden. Manche Experten schreiben ihnen eine ähnliche Wirkung zu wie Asbestfasern.
Ob dieser Wissenstand in der Antwort der NRW Landesregierung berücksichtigt wurde, ist nicht deutlich geworden, da sie sich allein auf „thermische Abluftreinigungsanlagen einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Produktionsanlage“ bezieht. Aus arbeitsmedizinischer Sicht nützen geschlossene Systeme - auch luftdicht - nichts, wenn Störfälle oder Reparaturereignisse zu Austritten von größeren Mengen der Transportmengen führen. Daher müssen nicht nur Mitarbeiter der Produktionsstätten überwacht werden, sondern auch Handwerker im Störfallbetrieb (Schlosser etc.) sowie Transportarbeiter, die ähnlich wie bei Transporten volatiler (gasförmiger) Materialien gefährdet sind.
Auf diese Fragen wurde bemerkenswerterweise nicht eingegangen, obwohl das Versagen des Personenschutzes in der Vergangenheit schon zu den bedauerlichen Langzeitfolgen geführt hat, die zum Anstieg der chronisch Kranken geführt hat und das Sozialsystem zunehmend belastet.
Im übrigen ließen die Initiativen der drei Bundesbehörden BAuA, BfR und UBA, die eine Forschungsstrategie "Gesundheits- und Umweltrisiken von Nanopartikeln" im Herbst 2006 einem Konsultationsverfahren unterworfen haben und auch als Defizitanalyse bisheriger Risikopolitik zu lesen sind, bis dahin ungeklärt, wie die Themen in Forschungsprogramme überführt und finanziert werden sollen. (PK)
Referenzen:
Prof. Juliane Filser, UFT (Zentrum für Umweltforschung und –Technologie) der Universität Bremen, koordiniert eine Studie des Forschungsverbundes Silbernanomaterialien in Textilien.
Choi HS, Ashitate Y, Lee JH, Kim SH, Matsui A, Insin N, Bawendi MG, Semmler-Behnke M, Frangioni JV, Tsuda A.:Rapid translocation of nanoparticles from the lung airspaces to the body. Nat Biotechnol. 2010 Nov 7. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed?term=%22Tsuda%20A%22Author Epub ahead of print
Mauderly, JL: Toxicological and epidemiological evidence for health risks from inhaled engine emissions. Environ Health Persp, 192, 165-171, 1994
Krug, HF, Fleischer, T: Nanotechnologie - eine Bestandsaufnahme
umwelt-medizin-gesellschaft 20, 44-50, 2007
Ein aufklärendes Flugblatt zu Nanotubes finden Sie hier:
Prof. Dr. Rainer Frentzel-Beyme (Jahrgang 1939) ist emeritierter Tropen- und Umweltmediziner
Dieses Interview wurde für http://www.cbgnetwork.org/3616.html gemacht und dort zuerst veröffentlicht.
Bravo für die Nanokommission der Bundesregierung
Ganz anderer Meinung als Prof. Rainer Frentzel-Beyme sind natürlich Bundesregierung und Chemie-Unternehmen: Unter dem Titel "Chemie-Führungskräfte: Nanotechnologie essentiell für Forschungsstandort Deutschland" erhielt die NRhZ noch vor Veröffentlichung des Interviews am 3. Februar folgende Pressemitteilung:
"Der Führungskräfteverband Chemie VAA hebt aus Anlass der gestern in Berlin vorgestellten Empfehlungen der Nanokommission der Bundesregierung die Bedeutung der Nanotechnologie für den Forschungsstandort Deutschland hervor.
„Die Nanotechnologie ist eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Sie bietet Potential für eine große Zahl von hochqualifizierten Arbeitsplätzen in Deutschland“, erläutert Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer des VAA. Schon heute seien viele Stellen an die Entwicklung dieser Technologie geknüpft und ihre Bedeutung werde in Zukunft weiter zunehmen.
Die Empfehlungen der Nanokommission begrüßte Kronisch als wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Debatte. „Deutschland nimmt bei der Nanotechnologie heute weltweit einen Spitzenplatz ein. Damit das so bleibt, muss sie gefördert werden“. Um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu steigern, sei es erforderlich, die Vorteile und Chancen der Nanotechnologie klar zu kommunizieren. Ziel müsse sein, in einen konstruktiven, sachorientierten Dialog auch über die verschiedentlich geäußerten Sicherheitsbedenken zu treten. An diesem Dialog und dem Einsatz für die Nanotechnologie beteilige sich der VAA aktiv im Interesse seiner Mitglieder, kündigte Kronisch an.
Zu einem sachlichen Umgang mit dem Thema gehört es aus Sicht der Chemie-Führungskräfte auch, eine Verdoppelung der Produktkennzeichnungspflichten für Nanomaterialien zu vermeiden. „Die EU-Chemikalienrichtlinie REACH ist sehr weitreichend und deckt die Registrierung und Kennzeichnung chemischer Stoffe hinreichend ab. Eine weitergehende Kennzeichnungspflicht wäre kontraproduktiv“, betont der VAA-Hauptgeschäftsführer.
Die Führungskräfte Chemie sind zusammengefasst im Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der Chemischen Industrie e. V. (VAA). Der VAA vertritt die Interessen von rund 27.000 Führungskräften aller Berufsgruppen in der Chemisch-pharmazeutischen Industrie und den angrenzenden Bereichen."
Die Redaktion ist gespannt, ob und wie der VAA-Hauptgeschäftsführer auf das oben stehende Interview reagieren wird. (PK)
Online-Flyer Nr. 288 vom 09.02.2011